Der Standpunkt des Marxismus und das Versagen der sektiererischen “Anti-Imperialisten” im Westen
Von Michael Pröbsting, Revolutionär Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT), Herbst 2012, www.thecommunists.net
Vorwort der Redaktion: Im Folgenden veröffentlichen wir die deutschsprachige Übersetzung eines Teils des Essays „Liberation struggles and imperialist interference. The failure of sectarian “anti-imperialism” in the West. Some general considerations and the example of Libya in 2011“. In dieser Arbeit behandelt Michael Pröbsting die Haltung der Marxistinnen und Marxisten zu nationalen und demokratischen Befreiungskämpfen im Falle von imperialistischen Einmischungen. Wir veröffentlichen hier den ersten, theoretischen Teil.
Das Essay erschien erstmals im September 2012 in der Nummer 5 von Revolutionary Communism, dem englisch-sprachigen theoretischen Organ der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT). Die RKO BEFREIUNG ist die österreichische Sektion der RCIT. Der Autor, Michael Pröbsting, ist der Internationale Sekretär der RCIT.
Nummer 5 von Revolutionary Communism mit dem vollständigen englisch-sprachigen Artikel kann über unsere Kontaktadresse bezogen werden.
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Die neue historische Periode, die 2007/8 mit dem Beginn der schwersten Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft seit 1929 begann, hat tiefe Risse und Veränderungen nicht nur im wirtschaftlichen Bereich mit sich gebracht, sondern auch im politischen und militärischen. Der revolutionäre Charakter dieser historischen Periode zeigt sich in der dramatischen Beschleunigung der Klassengegensätze. Zu den wichtigsten Komponenten gehören die arabische Revolution, die Anfang 2011 begann, und der Aufstieg einer neuen imperialistischen Großmacht - China.
Diese Verschärfung der Klassengegensätze verschärft die dramatische Führungskrise der Arbeiterklasse und der Unterdrückten. Seit mehr als sechs Jahrzehnten – als die Vierte Internationale 1948-53 politisch und organisatorisch zusammenbrach – besitzt die Arbeiterklasse keine revolutionäre Weltpartei. Als eine Folge davon wurden unzählig Kämpfe und Revolutionen der Arbeiter und der Unterdrückten in den halb-kolonialen, stalinistischen und imperialistischen Ländern von kleinbürgerlichen Führungen fehlgeleitet. Deswegen haben sie es nicht geschafft, die Herrschenden zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten.
Die Führungskrise ist besonders stark in der neuen Periode zu spüren, weil die Arabische Revolution und auch andere Kämpfe zunehmend von einer scheinbar widersprüchlichen Konstellation gekennzeichnet werden. Gerechte demokratische Revolutionen oder nationale Befreiungskämpfe sind mit der Einmischung der einen oder anderen imperialistischen Macht verquickt. Das ist vor allem auch deswegen der Fall, weil die Rivalität zwischen den imperialistischen Kräften – wie die USA, die EU, China oder Rußland – zunehmend viele Konflikte im Süden beeinflußt. Daher werden demokratische Befreiungsbürgerkriege und nationale Verteidigungskämpfe in und von halb-koloniale Ländern, die auf die eine oder andere Weise von imperialistischen Interessen, Rivalitäten und Interventionen beeinflußt werden, ein immer wichtiger werdendes Phänomen in dieser neuen historischen Periode.
Daher müssen Arbeiterorganisationen und Aktivisten ein richtiges Verständnis der marxistischen Prinzipien mit einer konkreten Analyse eines Krieges oder Konfliktes kombinieren. Nur auf diese Art und Weise ist es möglich eine revolutionäre Taktik im Interesse der internationalen Arbeiterklasse zu entwickeln.
Die Arabische Revolution und die Intervention der Imperialisten in diese haben zahlreiche Verwirrungen unter den fortschrittlichen Bewegungen hervorgerufen. Viele haben dem Druck der pro-westlichen Propaganda nachgegeben und sich angepaßt, andere haben sich dem konterrevolutionären Lager des Gaddafi- oder Assad-Regimes angeschlossen, weil sie diese fälschlicherweise als “anti-imperialistisch” sehen. Wir haben uns schon mit vielen dieser Positionen und Argumenten in unserem Buch zur Arabischen Revolution befaßt. (1)
Im folgenden Artikel wollen wir detaillierter die Vorgehensweise von Bolschewiki-Kommunisten in Bezug auf Taktik und der Verbindung dieser kombinierten Aufgaben erklären und sie gegen verschieden Argumente des pro-Regime, anti- revolutionären, “anti-imperialistischen” Lagers verteidigen.
Wir sind Anti-Imperialisten weil wir den Standpunkt der Arbeiterklasse beziehen … und nicht umgekehrt
Beginnen wir mit einer kurzen Übersicht der grundsätzlichen Herangehensweise der RCIT an die nationalen und demokratischen Befreiungskämpfen in halb-kolonialen Ländern, in denen sich imperialistische Länder einmischen. Wir haben unsere Methoden in unserem Programm “Das Revolutionär Kommunistische Manifest” zusammengefaßt:
„Insbesondere dort, wo autoritäre Regimes oder Militär offen demokratische Rechte mit Füßen treten, erheben sich Massenbewegungen und kämpfen mit aller Entschlossenheit für ihre Rechte. Andere Staaten und auch imperialistische Großmächte versuchen dabei nur allzu gerne, solche innenpolitischen Krisen zum Ausbau ihres Einflusses auszunutzen. Die Bolschewiki-Kommunisten unterstützen jede tatsächliche Bewegung der Volksmassen gegen die Unterdrückung demokratischer Rechte. Wir lehnen jede Einflußnahme reaktionärer Kräfte ab und verteidigen die nationale Souveränität halbkolonialer Staaten gegen den Imperialismus. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass RevolutionärInnen auf die Unterstützung tatsächlicher revolutionär-demokratischer Bewegungen verzichten. In Wirklichkeit ist die imperialistische Einmischung keine Hilfe für den revolutionär-demokratischen Kampf, sondern droht ihn zu untergraben. Deswegen haben wir fortschrittliche Befreiungskämpfe der Volksmassen gegen Diktaturen unterstützt, gleichzeitig jedoch imperialistische-Interventionen scharf abgelehnt. (z.B. der Kampf der Bosnier 1992-95, der Kosova-Albaner 1999, der Aufstand gegen die Gaddafi-Diktatur in Libyen 2011). Erst wenn die imperialistische Intervention zum vorherrschenden Merkmal der politischen Lage wird, müssen RevolutionärInnen den demokratischen Kampf gegenüber dem Kampf gegen diese Einmischung unterordnen.
Ähnlich verhält es sich in den noch existierenden degenerierten ArbeiterInnenstaaten (wie z.B. Kuba oder Nordkorea). Wir unterstützen tatsächliche Massenbewegungen gegen die herrschende Bürokratie (wie z.B. jene in Osteuropa, China und der UdSSR 1989-91) und treten für die politische Revolution ein. Wir verteidigen jedoch die Errungenschaften des ArbeiterInnenstaates (Planwirtschaft, staatliches Eigentum, Außenhandelsmonopol etc.) gegen alle Vorstöße zur Einführung des Kapitalismus.“ (2)
Nun wollen wir unseren Herangehensweise genauer darlegen. Viele Linke scheitern daran die richtige Beziehung zwischen dem Antiimperialismus und der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse zu verstehen. Wir sind Antiimperialisten weil wir konsequente Unterstützer der Arbeiterklasse und der Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker, für die der Imperialismus der größte Feind ist, sind. Unser Antiimperialismus ist eine Konsequenz aus unseren Grundprinzipien zum Klassenkampf und nicht ein übergeordnetes Prinzip, das über dem Klassenkampf steht.
Das ist der Grund, warum Marxisten zu Positionen gelangen, die unabhängig von der imperialistischen und kleinbürgerlichen “öffentlichen Meinung” sind und die “abhängig” von den Klasseninteressen der internationalen Arbeiterklasse sind. Deswegen werden wir nicht verwirrt, wenn die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” einen gerechten nationalen oder demokratischen Befreiungskampf unterstützt. Marxisten machen nicht – wie der Pawlow‘sche Hund – ein Minus, dort wo Imperialisten ein Plus machen. Jedoch stellen wir sicher, daß wir eine unabhängige Klassenposition entwickeln.
Unsere Methode ist, daß wir in einem gerechten demokratischen oder nationalen Befreiungskampf auf der Seite der Befreiungskämpfer stehen (die größtenteils unter bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Führungen stehen) und ihren militärischen Sieg unterstützen. Wir unterscheiden sehr genau zwischen diesen fortschrittlichen Befreiungskämpfen und den Interessen der imperialistischen Mächte. Während wir erstere unterstützen, lehnen wir zweitere vollkommen ab. Daraus folgt, daß wir Bolschewiki-Kommunisten jegliche Beteiligung der Imperialisten ablehnen und für eine Niederlage der imperialistischen Kräfte eintreten.
Die öffentliche Meinung in den imperialistischen Ländern darf nicht der Ausgangspunkt dafür sein, eine Position zu einem Krieg zu entwickeln
Teile der zentristischen Linken im Westen verteidigen eine sektiererische Version – oder besser gesagt eine Karikatur – des Antiimperialismus. Sie betrachten einen bestehenden Kampf nicht in seiner Gesamtheit mit all seinen verschiedenen und oft widersprüchlichen Aspekten. Stattdessen versuchen sie die offizielle Position des westlichen Imperialismus zu bewerten. Für gewöhnlich machen sie das, indem sie die sogenannte öffentliche Meinung, d.h. die Rhetorik der bürgerlichen Entscheidungsträger und Medien, beobachten. Und dort, wo die westliche öffentliche Meinung ein Plus macht, dort macht der Sektierer ein Minus. In anderen Worten, er/sie sympathisiert in einem Krieg mit der Seite, die die westliche öffentliche Meinung ablehnt.
Daher kommen sie zu ein und derselben Position in allen möglichen unterschiedlichen Arten von Kriegen: den Irak-Krieg 1991, den Bosnien-Krieg 1992-95, den Kosovo-Krieg 1999, den Afghanistan-Krieg 2001, den Irak-Krieg 2003 und den Bürgerkrieg in Libyen 2011. Das ist jedoch komplett falsch. Für Marxisten ist die imperialistische öffentliche Meinung – obwohl ein Faktor, der berücksichtigt werden muß – weder der Ausgangspunkt noch der wichtigste Faktor, um eine revolutionäre Position abzuleiten! Es scheint als hätten diverse Sektierer diese grundlegende Wahrheit vergessen! Dieses Versagen veranlaßt sie oft zu dem verrückten Gedanken, daß wir Marxisten zu “Opportunisten” geworden seien und “dem Druck der Imperialisten nachgegeben hätten”.
Sehen wir uns ein paar historische Analogien an: Während des nationalen Befreiungskampfes der Slawen am Balkan gegen das Osmanische Reich 1912/13, waren die russischen Imperialisten für diesen Feuer und Flamme - natürlich wegen ihrer eigenen, auf Expansion ausgerichteten, Klasseninteressen. Lenin und die Bolschewiki jedoch schlossen daraus nicht, daß der nationale Befreiungskampf nicht unterstützenswert sei. Welche Folgen zogen Trotzki und die Vierte Internationale aus dem Faktum, daß die imperialistische und kleinbürgerliche öffentliche Meinung in Westeuropa und Nordamerika sich sehr stark für die republikanische antifaschistische Regierung in Spanien 1936-39 aussprach oder für den nationalen Befreiungskampf der chinesischen Arbeiter unter Chiang Kai-sheks Führung gegen die japanischen Imperialisten ab 1937? Sie unterlagen mit Sicherheit nicht der imperialistischen und kleinbürgerlichen “öffentlichen Meinung”, als sie der republikanischen antifaschistischen Regierung kritische aber unbedingte Unterstützung gaben oder dem Kampf der Chinesen und gleichzeitig den unabhängigen Standpunkt der internationalistischen Arbeiterklasse vertraten.
Marxisten dürfen nicht von der Überlegung ausgehen: “Wie können wir als im Westen kämpfende Revolutionäre am besten gegen den Druck “unserer” Bourgeoisie ankämpfen?” Das ist einseitig und öffnet die Tür zu schwerwiegenden Fehlern. Es wäre Antiimperialismus für Idioten. Man muß stattdessen von folgendem Standpunkt zu denken beginnen: “Was ist die unabhängige Klassenpolitik im Interesse der internationalen Arbeiterklasse und der unterdrückten Menschen?”. In anderen Worten, wie können wir den Kampf der Arbeiterklasse, ihre Organisationen und ihr Bewußtsein stärken? Das ist die einzige legitime Methode sich der Frage des Klassenkampfes zu nähern. Anders würde man zu Linken in imperialistischen Ländern verkommen, die bei der Frage: “wie kann ich gegen unsere Bourgeoisie ankämpfen?” zu denken beginnen und auch wieder aufhören.
Trotzki erklärte diese Annäherung sehr gut in einem Artikel, in dem er gegen die sektiererische Methode polemisierte:
„In neunzig von hundert Fällen setzen die Arbeiter tatsächlich ein Minuszeichen, wo die Bourgeoisie ein Pluszeichen setzt. In zehn Fällen hingegen sind sie gezwungen, dasselbe Zeichen zu setzen wie die Bourgeoisie, es jedoch mit ihrem eigenen Siegel des Mißtrauens gegen die Bourgeoisie zu versehen. Die Politik des Proletariats leitet sich durchaus nicht automatisch aus der Politik der Bourgeoisie ab, indem sie deren Vorzeichen umkehrt (dann wäre jeder Sektierer ein Meisterstratege). Nein, die revolutionäre Partei muß sich in jedem Falle, in der inneren wie in der äußeren Lage, unabhängig orientieren und die Entscheidungen treffen, die den Interessen des Proletariats am besten entsprechen. Diese Regel gilt für Kriegszeiten genauso wie für Friedenszeiten.“ (3)
Wie soll man mit verschiedenen Arten der militärischen Interventionen der Imperialisten umgehen?
In welcher Hinsicht sprechen wir von verschiedenen Formen von imperialistischen Militärinterventionen? Wir wollen das mit ein paar Beispielen aus den vergangen 20 Jahren erklären. Was war der Unterschied zwischen dem Irak-Krieg 1991 und 2003, dem Afghanistan-Krieg 2001 einerseits und den Kriegen in Bosnien 1992-95, Kosovo 1999 und Libyen 2011? Was ist unsere in sich geschlossene Methode weshalb wir Afghanistan 2001 verteidigen obwohl die Taliban sicherlich nicht weniger diktatorisch waren als Gaddafi und warum haben wir weiterhin die demokratische Revolution in Libyen gegen das Gaddafi Regime unterstützt, trotz der imperialistischen bedingten Militärkampagne gegen das Regime? Die Sektierer bezichtigen uns der Kapitulation angesichts “der bürgerlich-demokratischen öffentlichen Meinung in den imperialistischen Ländern”? Aber gab es einen Unterschied in der imperialistischen und kleinbürgerlichen “öffentlichen Meinung”? Man kann wohl kaum sagen, daß die öffentliche Meinung weniger feindlich gegenüber der Taliban war als gegenüber Gaddafi. Eher im Gegenteil. Die imperialistischen Regierungen hatten alle öffentliche Meetings mit Gaddafi und mußten schleunigst Bilder von ihren offiziellen Websites löschen, auf denen Sarkozy, Berlusconi, Blair, etc. mit dem libyschen Diktator Hände schüttelten und herum scherzten.
Also, was war der Unterschied zwischen den Irakkriegen 1999 und 2003 und Afghanistan 2001 auf der einen Seite und Bosnien 1992-95, Kosovo 1999 und Libyen 2011 auf der anderen? Die Antwort ist ziemlich einfach. Als historische Materialisten sehen wir uns zuerst die Entwicklungen der Klassen an. In Bosnien begann der Krieg im April 1992 als ein nationaler Befreiungskampf der Arbeiter und Bauern unter der Führung der Izetbegovic-Bürokratie gegen die drohende Unterdrückung des serbisch-chauvinistischen Staates. Seit 1987 begann das Milosevic-Regime in Serbien eine bösartige Kampagne des serbischen Chauvinismus, die besonders gegen die Kosovo-Albaner aber auch gegen fast alle anderen Nationalitäten in Jugoslawien abzielte. So wollten sich die serbischen Bürokraten eine vorherrschende Position vor dem Hintergrund der Wiedererrichtung des Kapitalismus sichern. Die kroatische Bürokratie versuchte dem entgegenzuwirken, indem sie ihre serbischen Minderheiten in Krajina und Slawonien zunehmend unterdrückte. Diese verstärkte nationale Unterdrückung stand in Verbindung mit der Restauration des Kapitalismus und diente dazu, um die Massen von den sozialen Konsequenzen abzulenken. Dieser Hintergrund startete die Serie von Balkankriegen 1991, in die sich viele verschiedene imperialistische Kräfte versuchten einzumischen.
Dasselbe passierte im Kosovo, der eine Geschichte voller mörderischer Unterdrückungen durch Serbien seit seiner Besetzung 1913 erleiden mußte und viele nationale Freiheitsbewegungen seit dem erlebte. Die letzte begann im März 1998. (4) Die Libysche und die Syrische Revolution 2011 begannen ebenfalls als demokratische Revolutionen als Teile der Arabischen Revolution gegen die bürgerlichen Diktaturen. Also, anders als die Sektierer diese interpretieren, begannen diese Bürgerkriege nicht aus einer Verschwörung der Imperialisten heraus – sie waren bzw. sind echte Befreiungskämpfe der Arbeiter und Bauern.
Im Gegensatz zu diesen Beispielen, war die Situation im Irak 1991 und 2003 oder in Afghanistan 2001 anders. In Afghanistan 2001 fand keine fortschrittliche Massenbewegung statt – der lokale Bürgerkrieg der so genannten United Front von Ahmad Shah Massoud gegen die Taliban hatte keinerlei fortschrittliches Potential. Der nationale Befreiungskampf der Kurden gegen das Baath-Regime im Irak hatte zwar einen gerechten und fortschrittlichen Charakter, aber durch seine lokale Beschränkung auf den Norden, wurde dieser Konflikt nie ein dominanter Faktor in der politischen Situation.
In Verbindung damit gibt es noch einen anderen wichtigen Unterschied zwischen diesen zwei Arten von Kriegen: Im Irakkrieg 1991 und 2003 oder im Afghanistankrieg 2001 gab es keine Einmischung der Imperialisten in den bestehenden Befreiungskampf. Es waren offene imperialistische Attacken um diese oder jene Nation zu unterjochen.
Man muß diese Kriege korrekt betrachten. Zum Beispiel bestanden die Kriegsziele der Imperialisten in Bosnien und im Kosovo nicht darin, Serbien zu erobern und zu unterwerfen, sondern eher den nationalen Befreiungskampf einzudämmen und somit die die Destabilisierung der regionalen Ordnung aufzuhalten. Im Fall des Kosovo sollte man sich an den kürzlich zuvor bewaffneten Massenaufstand in Albanien im Frühling 1997 erinnern. Ein erfolgreicher Befreiungskampf im Kosovo hätte enorme Konsequenzen für den Beginn für ähnliche Befreiungskämpfe unter den unterdrückten albanischen Minderheiten in Mazedonien und Montenegro gehabt.
Natürliche kann die Intervention der Imperialisten den Charakter eines nationalen Befreiungskampfes verändern. Aber das ist nicht notwendigerweise und immer der Fall. In unserem Buch zur arabischen Revolution haben wir bereits auf die Beispiele verwiesen, daß die Imperialisten sich ebenfalls in den chinesischen Befreiungskampf in den 1930ern und 40er einmischten oder die Partisanen-Massenbewegungen in Osteuropa gegen die Nazis während des 2. Weltkrieges. So haben zum Beispiel die Briten Waffen und Offiziere den stalinistischen Partisanen von Tito geschickt, die USA schickten sogar Militärflugzeuge mit US Piloten, um die bürgerlichen Chiang Kai-chek Truppen zu unterstützen. Veranlaßte das die Revolutionäre der Vierten Internationalen, diese Kämpfe nicht mehr zu unterstützen?! Nein, und sie wären furchtbar falsch gelegen, wenn sie das getan hätten.
Wir müssen ganz genau analysieren, ob ein bestehender demokratischer oder nationaler Befreiungskampf völlig den imperialistischen Manövern untergeordnet wird und dadurch keine eigene nennenswerte innere Dynamik des Befreiungskampfes der Arbeiter und Bauern besitzt. Sollte das der Fall sein, müssen Marxisten ihre Position ändern und ihre kritische Unterstützung für den nationalen Befreiungskampf aufgeben.
Jedoch muß man selbst hierbei den Prozeß und seine möglichen Veränderungen analysieren und deshalb bereit sein, wenn notwendig seine Position zu verändern. Als sich zum Beispiel die schiitischen Arbeiter und Bauern im Südirak im März 1991 gegen Saddam Hussein auflehnten, verstanden beide Seiten – wir Marxisten und die Imperialisten – welche Klassenbedeutung dieser Aufstand hatte. Es war eine wahrhaftige demokratische Revolution der Arbeitern und Bauern. Deswegen hat die baathistische Armee diesen Aufstand niedergeschlagen, die US-Truppen und die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” weinten Krokodilstränen um die armen Iraker und das böse, böse Saddam Hussein Regime ... aber sie standen daneben und sahen mit Erleichterung zu, als der Aufstand niedergeschlagen wurde. Und wir Bolschewiki-Kommunisten? (5) Wir haben die irakische Armee gegen die US-Truppen verteidigt, aber wir haben ebenso die schiitischen Massen gegen die baathistische Armee verteidigt. Beide, die Imperialisten und die LRCI/RCIT veränderten ihre Positionen, nicht weil sie inkonsequent waren, sondern weil der Kampf zwischen den Klassen seinen Charakter veränderte.
Auch der umgekehrte Fall kann eintreten, daß Marxisten zuerst eine demokratische Revolution unterstützen und später ihre Position ändern. Nur so ein konkreter und dialektischer Zugang macht es den Marxisten möglich, eine unabhängige und internationalistische Position im Sinne der Arbeiterklasse zu erarbeiten. Das bedeutet einen Standpunkt, der das Vorantreiben des Klassenkampfes, der Organisationen und des Bewußtseins ins Zentrum stellt und nicht gebannt auf die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” blickt.
Schauen wir uns noch kurz ein anderes historisches Beispiel an. Welche Positionen sollten Marxisten 1953, 1956, 1968 oder 1980-81 entwickeln, als die Arbeiter gegen die stalinistische Bürokratie in der DDR, Ungarn, Tschechoslowakei und Polen rebellierten?! Natürlich, die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” im Westen war verbal für diese Arbeiteraufstände, weil sie hofften durch eine taktische Unterstützung dieser Revolutionen die Stalinisten schwächen zu können. Aber nur die Stalinisten und lebende Karikaturen des Trotzkismus wie die Spartakisten kamen zu dem Schluß, daß man wegen der westlichen “öffentlichen Meinung” die Bürokartendiktatur gegen die Arbeiter verteidigen sollte. Selbstverständlich war der Ausgangspunkt für Marxisten nicht die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” des Westens, sondern die unabhängigen proletarischen Klasseninteressen. Deswegen unterstützten wir kritisch aber bedingungslos die Revolutionen im Osten. Während wir diese - unglücklicherweise niedergeschlagenen - Arbeiterrevolutionen unterstützten, waren wir zur selben Zeit gegen jegliche imperialistische Intervention.
Folgen für die militärische Taktik
Wir sehen also, daß man durch die Anwendung derselben unabhängigen, internationalistischen Arbeiterklassenlinie zu unterschiedlichen Schlüssen in unterschiedlichen Situationen kommen muß, weil objektive Faktoren und Klasseninteressen mitspielen. Dieselbe Strategie der permanenten Revolution führt uns zu verschiedenen Arten von Krieg und verschiedenen Taktiken. Nur ein sturer Holzkopf ist davon überrascht.
Wo die Arbeiterklasse und die Unterdrückten nicht in den direkten Kampf um Macht involviert sind, z.B. außerhalb einer revolutionären Situation, ist die Aufgabe des Sturzes eines Regime der Aufgabe der Verteidigung des halb-kolonialen Land (oder eines degenerierten Arbeiterstaates) gegen eine imperialistische Attacke untergeordnet. Auf der anderen Seite, dort, wo wir die Mobilisierung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten in einem direkten Kampf um die Macht vorfinden, so wie es in revolutionären Situationen oder in einem Bürgerkrieg der Fall ist, kämpfen Bolschewiki-Kommunisten für den Sieg der Arbeiterklasse in diesem Kampf. Natürlich kombinieren wir das mit dem Kampf gegen imperialistische Attacken.
Der 2. Weltkrieg ist ein Beispiel für so eine solche widersprüchliche Situation. Dort konnten wir die Anwendung einer kombinierten, dialektischen Herangehensweise bezüglich Militärtaktiken sehen. Die revolutionären Marxisten der Vierten Internationalen verteidigten die Sowjetunion gegen den deutschen Imperialismus – trotz der Allianz ersterer mit den westlichen Imperialisten. Sie verbündeten sich mit den kolonialen Völkern gegen ihre imperialistischen Besatzer – trotz der stalinistischen Unterstützung für die britischen und französischen Kolonialherren und trotz der alliierten imperialistischen Unterstützung für den chinesischen Widerstand gegen den japanischen Imperialismus. Die Vierte Internationale bezog ebenfalls die Seite der nationalen Partisanenarmeen gegen den deutschen Imperialismus in Europa und nahm eine defätistische Position im Konflikt zwischen den beiden imperialistischen Lagern ein.
Somit ist es klar, dass in so einem widersprüchlichen Fall, wo sozusagen verschiedene Kriege in einem stattfinden, es ein Desaster wäre ein und dieselbe Taktik für alle verschiedenen Kriege oder “Teil-Kriege” zu vertreten. Ganz im Gegenteil, Marxisten müssen eine duale Kriegstaktik anwenden.
Nur wenn die imperialistischen Kräfte drohen, ein halb-koloniales Land (oder einen degenerierten Arbeiterstaat) zu erobern und wenn zur gleichen Zeit die Arbeiterklasse nicht stark genau ist um die Macht zu ergreifen, nur dann wird es notwendig den Befreiungskampf gegen das Regime gegenüber der Verteidigung des halb-kolonialen Landes (oder des degenerierten Arbeiterstaates) unterzuordnen.
Das ist der Grund warum wir 1992-95 den nationalen Befreiungskampf des bosnischen Volkes gegen die serbische Bürokratie, die den Kapitalismus wiedererrichten wollte, unterstützten, aber gleichzeitig alle NATO-Attacken ablehnten. Das ist der Grund, warum wir den Aufstand der Kosovo-Albaner 1997-99 unterstützten, während wir gleichzeitig gegen den NATO-Krieg gegen Serbien eintraten. Das ist der Grund, warum wir während des Golfkrieges sowohl 1991 als auch 2003 “Verteidigt den Irak! Besiegt die Imperialisten!” sagten. Als die Imperialisten ihren Angriff auf Afghanistan am 7.10.2001 starteten, waren wir für einen militärischen Sieg des afghanischen Widerstands, trotz der Taliban-Führung. Und wir waren für den Widerstand im Libanon 2006, der von der Hisbollah geführt wurde, sowie für den von der Hamas geführten Widerstand in Gaza 2008/9 beide gegen den israelischen Apartheid-Staat.
Solche Komplikationen, Vermischungen von verschiedenen und widersprüchlichen Interessen in einem bestehenden Militärkonflikt, werden sich in der Zukunft häufen. Warum? Wegen der steigenden Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten. Wegen dieser Rivalität sind imperialistische Mächte immer mehr gewillt, sich in lokale Konflikte und Bürgerkriege einzumischen und sie zwecks Steigerung von Einfluß und Profite auszunützen. Unglücklicherweise wird dieser Aspekt von vielen Sektierern völlig ignoriert, die es nicht geschafft haben, zu erkennen, daß zusätzlich zu den alten imperialistischen Mächten – in Nord-Amerika, Westeuropa und Japan - auch neue, aufsteigende imperialistische Mächte hinzukommen, insbesondere Rußland und China. (6)
In unserer Studie zum chinesischen Imperialismus haben wir verschiedene mögliche Konsequenzen aus dieser größer werdenden Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten wie den USA und China dargelegt, indem wir Beispiele von möglichen Kriegen in der Region des Südchinesischen (oder Ost-) Meeres aufzählten.
„Welche Position sollte die Arbeiterklasse in einem militärischen Konflikt zwischen China (oder den USA) und einem kleineren ost-asiatischen Land einnehmen? Hier müssen wir berücksichtigen, daß Länder wie Vietnam, die Philippinen, Taiwan, etc. keine imperialistischen Länder sind. Sie sind vielmehr halb-koloniale kapitalistische Länder. (…) Wie wir schon in unserem Programm gesagt haben, ist es das marxistische Prinzip, solche halb-kolonialen Länder gegen die imperialistischen Mächte zu verteidigen. Jedoch reicht es nicht aus, die marxistischen Prinzipien zu Krieg zu beschreiben. In der realen Welt gibt es alle Formen von Kombinationen, Allianzen, Verschmelzungen verschiedener Interessen usw. und sie sind durchaus ein wichtiger Aspekt des Klassenkampfes. Um eine richtige revolutionären Taktik zu formulieren, müssen Marxisten die Anwendung der marxistischen Prinzipien des Klassenzuganges zu Kriegen mit einer konkreten Analyse des Krieges in seiner Gesamtheit und Besonderheit verbinden.
Das Südchinesische (oder Ost-) Meer betreffend bedeutet das folgendes: Länder wie die Philippinen oder Taiwan haben seit Jahrzehnten enge Verbindungen zum US-Imperialismus – oder besser gesagt: sie sind Halbkolonien der USA. Auf Grund dieser Fakten ist es durchaus möglich, daß ein Krieg z.B.: zwischen den Philippinen und China ausbricht, so wie es fast im Sommer 2012 passiert wäre. Speziell in diesem Fall handelte das philippinische Militär nach engster Absprache mit den US-Truppen. In so einem Krieg hätten wir formell eine imperialistische Macht (China) auf der einen Seite und ein halb-koloniales Land (Philippinen) auf der anderen. Jedoch wäre es im Fall der Philippinen ein Stellvertreterkrieg, weil sie als ein erweiterter Arm des US-Imperialismus handeln würden. Daher sollte die Arbeiterklasse sich nicht hinter die Philippinen stellen, sondern eine revolutionäre defätistische Position einnehmen, so wie sie es in einem imperialistischen Krieg tun würden.
Jedoch sind nicht alle Kriege in dieser Region notwendigerweise Stellvertreterkriege. Vietnam zum Beispiel – dessen Volk heldenhaft in mehreren Befreiungskriegen im 20. Jahrhundert zuerst den japanischen, dann den französischen und schlußendlich den US-Imperialismus besiegte – blickt auf eine Geschichte der Einschüchterung und des Drucks durch China zurück. Wir müssen uns nur an den reaktionären Angriff der chinesischen stalinistischen Bürokratie – in Absprache mit dem US-Imperialismus – 1979 gegen Vietnam erinnern. Im Prinzip hat Vietnam nicht weniger Recht darauf, das Ost-Meer zum Fischen zu nutzen als China. Vietnams Widerstand gegen die Vertreibung aus dem Meer, damit das imperialistische China es alleine ausbeuten kann, ist gerechtfertigt. Daher könnten Bolschewiki-Kommunisten in so einem Krieg eine revolutionäre defensistische Position auf der Seite von Vietnam und eine defätistische Position China betreffend einnehmen“ (7)
Die marxistischen Klassiker zu widersprüchlichen Faktoren in Kriegen
Es ist wahr, daß imperialistische Kräfte hier und da versucht haben, diese demokratischen Kämpfe für ihre Zwecke zu nutzen und sie zu beeinflussen. Das muß von den marxistischen Kräften abgelehnt werden. Aber wie Lenin sagte: In der Epoche des Imperialismus werden die Großmächte immer versuchen, nationale und demokratische Konflikte für ihre Zweck zu nutzen und zu beeinflussen. Das darf nicht dazu führen, daß Marxisten automatisch eine defätistische Position in diesen Konflikten einnehmen. Es hängt davon ab, welcher Faktor der dominante Aspekt wird – der nationale, demokratische Befreiungskampf oder der imperialistische Eroberungskrieg:
„England und Frankreich haben im Siebenjährigen Krieg um Kolonien gekämpft, d.h. einen imperialistischen Krieg geführt (der ebenso auf der Basis der Sklaverei und der Basis des primitiven Kapitalismus wie auf der gegenwärtigen Basis des hochentwickelten Kapitalismus möglich ist). Frankreich wird besiegt und verliert einen Teil seiner Kolonien. Einige Jahre später beginnt der nationale Befreiungskrieg der nordamerikanischen Staaten gegen England allein. Frankreich und Spanien, die selbst noch Teile der heutigen Vereinigten Staaten besitzen, schließen aus Feindschaft gegen England, d.h. aus ihren imperialistischen Interessen heraus, einen Freundschaftsvertrag mit den Staaten, die sich gegen England erhoben haben. Französische Truppen schlagen zusammen mit den amerikanischen die Engländer. Wir haben es hier mit einem nationalen Befreiungskrieg zu tun, in dem die imperialistische Rivalität ein hinzugekommenes Element ohne ernste Bedeutung ist – im Gegensatz zu dem, was wir im Kriege 1914-1916 sehen (das nationale Element im Österreichisch-Serbischen Krieg hat keine ernste Bedeutung im Vergleich mit der alles bestimmenden imperialistischen Rivalität). Daraus ist ersichtlich, wie sinnlos es wäre, den Begriff Imperialismus schablonenhaft anzuwenden und aus ihm die „Unmöglichkeit“ nationaler Kriege zu folgern. Ein nationaler Befreiungskrieg beispielsweise eines Bündnisses von Persien, Indien und China gegen diese oder jene imperialistischen Mächte ist durchaus möglich und wahrscheinlich, da er sich aus der nationalen Befreiungsbewegung dieser Länder ergeben würde, wobei das Umschlagen eines solchen Krieges in einen imperialistischen Krieg zwischen den jetzigen imperialistischen Mächten von sehr vielen konkreten Umständen abhinge, für deren Eintreten zu bürgen lächerlich wäre.“ (8)
In einem anderen Artikel verglich Lenin die Möglichkeit der imperialistischen Einmischung in nationalen Befreiungskämpfen für ihre Zwecke mit der möglichen Einmischung von Teilen des Monopolkapitals in demokratischen Kämpfen in imperialistischen Ländern. In beiden Fällen, argumentierte Lenin, wäre es falsch Unterstützung für diese Kämpfe zu verweigern, nur auf Grund dieser Einmischung:
„Anderseits müssen die Sozialisten der unterdrückten Nationen auf die vollständige und bedingungslose, auch organisatorische Einheit der Arbeiter der unterdrückten Nation mit denen der unterdrückenden Nation besonders bestehen und sie ins Leben rufen. Ohne dies ist es unmöglich, auf der selbständigen Politik des Proletariats sowie auf seiner Klassensolidarität mit dem Proletariat der anderen Länder bei all den verschiedenen Streichen, Verrätereien und Gaunereien der Bourgeoisie zu bestehen. Denn die Bourgeoisie der unterdrückten Nationen mißbraucht beständig die Losungen der nationalen Befreiung um die Arbeitet zu betrügen: in der inneren Politik benutzt sie diese Losungen zur reaktionären Verständigung mit der Bourgeoisie der herrschenden Nation (zum Beispiel die Polen in Osterreich und Rußland, die eine Abmachung mit der Reaktion treffen zur Unterdrückung der Juden und Ukrainer); in der äußeren Politik bemüht sie sich, sich mit einer der wetteifernden imperialistischen Regierungen zu verständigen, um ihre räuberischen Ziele zu verwirklichen (die Politik der kleinen Balkanstaaten u.a.m.).
Die Tatsache, daß der Kampf gegen eine imperialistische Regierung für die nationale Freiheit unter bestimmten Bedingungen von einer andern "Großmacht" für ihre ebenfalls imperialistischen Ziele ausgenutzt werden kann, kann die Sozialdemokratie ebensowenig bewegen, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zu verzichten, wie die mehrfachen Fälle der Ausnutzung der republikanischen Losungen durch die Bourgeoisie in ihrer politischen Betrügerei und Finanzräuberei zum Beispiel in romanischen Ländern die Sozialdemokratie auf ihren Republikanismus zu verzichten bewegen können.“ (9)
Diese methodische Herangehensweise wurde später von den Trotzkisten verteidigt und weiterentwickelt. In unserem Journal „Revolutionary Communism“ druckten wir einen ausgezeichneten Artikel über „Prinzipien und Taktiken im Krieg“ von Rudolf Klement ab, einem Sekretär von Trotzki und einem führenden Mitglied der Vierten Internationale. In diesem Artikel arbeitete Klement die Position der Trotzkisten heraus und verteidigte sie gegen sektiererische Kritiker.
„Klassenkämpfe und Kriege sind internationale Phänomene, die international entschieden werden. Aber seitdem jeder Kampf nur zwei Lager duldet (Block gegen Block) und seitdem der imperialistische Kampf mit Klassenkrieg verflochten ist (Weltimperialismus – Weltproletariat) entstehen mannigfaltige und komplizierte Fälle. Die Bourgeoisie eines halb-kolonialen Landes oder die liberale Bourgeoisie, bedroht durch ihren ‚eigenen‘ Faschismus, bittet einen ‚sympathisierenden‘ Imperialismus um ‚Hilfeleistungen; die Sowjetunion versucht z.B. die Gegensätze zwischen den Imperialismen durch die Schließung von Allianzen mit einer gegen die andere Gruppe auszunützen usw. Das Proletariat aller Länder, die einzig internationale solidarische (...) Klasse findet sich in Kriegszeiten in einer komplizierten Situation: den revolutionären Defaitismus gegenüber der eigenen Bourgeoisie mit der Unterstützung des fortschrittlichen Krieges zu verbinden.“
Klement verteidigt ein dialektisches Konzept und argumentiert, daß „das Proletariat, besonders in den imperialistischen Ländern, in dieser scheinbar widersprüchlichen Situation ein besonders klares Verständnis dieser kombinierten Aufgaben und der Methoden (benötigt), um sie zu bewältigen.“ Gegen Ende seines Artikels streicht er dann noch einmal heraus: „Auf diese Art und Weise sehen wir, wie unterschiedliche Kriegssituationen vom revolutionären Proletariat in den verschiedenen imperialistischen Ländern unterschiedliche Kampfformen erfordern, wenn es sich selbst und seine Ziel treu bleiben will. Dies mag schematischen Geistern als ‚Abweichung‘ von den Grundprinzipien des revolutionären Defaitismus erscheinen, in Wirklichkeit jedoch resultiert dies nur aus einer Kombination des revolutionären Defaitismus mit der Verteidigung eines fortschrittlichen Lagers.“ (10)
Es ist diese konkrete, dialektische Methode, die die marxistischen Klassiker entwickelten und welche wir heute auf verschiedene Arten von Kriegen in einer Weltsituation anwenden, die durch größer werdende Widersprüche und Rivalität charakterisiert wird.
Zusammenfassung
In diesem Artikel zeigten wir, daß die marxistische Herangehensweise zu Kriegen und Aufständen, in die sich imperialistische Mächte einzumischen versuchen, sehr von der Haltung der sektiererischen Anti-Imperialisten abweicht. Während sie automatisch dort ein Minus machen, wo die Bourgeoisie in ihrem Land ein Plus macht, betrachten die Marxisten solche Kriege und Aufstände vom internationalistischen und unabhängigen Gesichtspunkt der Arbeiterklasse. Wir unterstützen jene Aufstände und Bürgerkriege welche zur Weiterentwicklung des Klassenkampfes, der Organisationen und des Bewußtseins der Arbeiterklasse nützlich sind. Wir kämpfen gegen jene Kräfte, deren Triumph eine direkte und unmittelbare Bedrohung für den Klassenkampf darstellt. Aus demselben Grund sind wir gegen jede Form von imperialistischen Angriffen, weil die Stärkung des Imperialismus immer einen Nachteil im Klassenkampf mit sich bringt.
Das führt notwendigerweise zu der Anwendung einer kombinierten, dialektischen Methode in der Militärtaktik. Im 2. Weltkrieg haben wir das bereits gesehen, als die Vierte Internationale eine defensistische mit einer defätistischen Taktik kombinieren mußte. Solche kombinierten, doppelte Militärtaktiken müssen heute und wahrscheinlich auch in der Zukunft vermehrt angewandt werden. Durch die größer werdende imperialistische Rivalität – besonders wenn man den Aufstieg des aufstrebenden Chinas in Betracht zieht – wird es mehr und mehr Fälle geben, in denen imperialistische Mächte versuchen werden, Bürgerkriege und halb-koloniale Länder zu beeinflussen und auszunützen.
Die Hauptaufgabe für Revolutionäre weltweit bleibt es eine revolutionäre Arbeiterpartei als Teil der 5. Internationale – die Weltpartei der sozialistischen Revolution – aufzubauen. Die RCIT setzt all ihre Kräfte daran, dies zu erreichen.
Anmerkungen:
(1) Siehe das Kapitel VII zum lybischen Bürgerkrieg im Buch von Michael Pröbsting: Die halbe Revolution. Lehren und Perspektiven des arabischen Aufstandes (2011). Es kann über unser Kontaktadresse bestellt werden oder online eingesehen werden unter http://www.thecommunists.net/publications/werk-8
(2) RCIT: Das Revolutionär-Kommunistische Manifest, S. 50, http://www.thecommunists.net/home/deutsch/revolution%C3%A4rer-kampf-f%C3%BCr-demokratie
(3) Leo Trotzki: Lernt denken. Ein freundschaftlicher Rat an gewisse Ultralinke (1938); auf English in: Trotsky Writings 1937-38, p. 332f.; auf Deutsch: http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/05/denken.htm
(4) Wir veröffentlichten in den späten 1980er und 1990er Jahren eine Reihe von analytischen und programmatischen Publikationen zu Jugoslawien und den Balkankriegen. Interessenten, die Kopien davon beziehen wollen, können sich an uns über unsere Kontaktadresse werden.
(5) Damals waren wir noch Teil unserer Vorläuferorganisation, der Liga für eine revolutionary-kommunistische Internationale (LRKI), die sich 2003 in Liga für die Fünfte Internationale umbenannte. Die Mehrheit der Gründungskader der RCIT waren davor führende Mitglieder der LFI. Im Zuge der Degeneration der Mehrheit der LFI in Richtung Zentrismus wurden diese Kader 2011 ausgeschlossen oder traten aus. Mehr dazu kann man in der Gründungserklärung der RKOB sowie in unserem Offenen Brief an die LFI “Where is the LFI drifting? A Letter from the RCIT to the LFI comrades” erfahren. Die Gründungserklärung haben wir im April 2011 veröffentlicht und findet sich online unter http://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/gr%C3%BCndungserkl%C3%A4rung. Der englisch-sprachige Offene Brief wurde abgedruckt in Revolutionary Communism Nr. 3 (Juni 2012) und ist online zu lesen unter www.thecommunists.net/theory/centrist-degeneration-of-lfi
(6) Siehe Kapitel 10 im Buch von Michael Pröbsting: The Great Robbery of the South. Continuity and Changes in the Super-Exploitation of the Semi-Colonial World by Monopoly Capital. Consequences for the Marxist Theory of Imperialism, S. 241-290. Das im Februar 2013 veröffentlichte Buch kann über unsere Kontaktadresse bestellt werden.
(7) Siehe Michael Pröbsting: China‘s transformation into an imperialist power. A study of the economic, political and military aspects of China as a Great Power; in: Revolutionary Communism No. 4 (August 2012), p. 22-24, online: www.thecommunists.net/theory/why-china-is-imperialist
(8) W. I. Lenin: Über die „Junius“-Broschüre (1916), in: LW 22, S. 316
(9) W. I. Lenin: Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (1916), in: LW 22, S. 149f.
(10) Rudolf Klement: Prinzipien und Taktiken im Krieg, in: RM 8, S.43-45 (Hervorhebung im Original). Der Artikel wurde in englischer Sprache veröffentlicht unter: Principles and Tactics in War (1938); in The New International (Theoretical journal of the Socialist Workers Party, US-American section of the Fourth International), May 1938, Vol. 4, No. 5, S. 144-145. Die RCIT hat den Artikel neu abgedruckt in Revolutionary Communism No. 4 (2012), S. 44-46.