Artikel zum Ersten Jahrestag des größten Gefängnisstreiks der USA
Almedina Gunić, Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT), September 2017, www.thecommunists.net
Am 9. September 2016 begann ein wochenlanger Streik von Gefängnisinsassen, der etwa 24.000 Häftlinge (einige Quellen sprechen sogar von bis zu 50.000) umfasste und in 24 Bundesstaaten der USA abgehalten wurde. Es handelte sich nicht nur um den größten Streik von Häftlingen in den USA, der jemals verzeichnet wurde. Von allen Streikaktionen gehört er wohl auch zu einem der am wenigsten medial bekannt gewordenen. Die Organisiertheit und Solidarität, die schon bei der Vorbereitung des Streiks über Wochen und Monate zum Ausdruck kam, ist ein enormes Vorbild für jede Streikaktion unserer Klasse. Dabei ist es wohl die größte Herausforderung überhaupt einen so großen und lang andauernden Streik im Rahmen der Gefängnisbedingungen zu organisieren.
Der Beginn des Streiks selbst war bewusst an einem historisch wichtigen Tag gelegt. Der 9. September 1971 wurde durch einen Aufstand der Gefangenen im Attica Gefängnis zu einem wertvollen Symbol des Widerstandes. Entflammt durch die Ermordung des inhaftierten Black Panther Aktivisten George Jackson, der wenige Tage zuvor bei einem Gefangenenaufstand im Quentin Gefängnis umkam, wurde in Attica einer der beeindruckendsten Gefängnisrevolten überhaupt organisiert. Knapp die Hälfte der 2.200 Gefangenen hat damals die Kontrolle über das Gefängnis übernommen und 42 Wärter als Geiseln genommen. Vier Tage lang wurden Verhandlungen zwischen den organisierten Gefangenen und den Behörden geführt, wobei die Gefangenen 28 Forderungen durchsetzen konnten. Bei dem Aufstand kamen 33 Häftlinge und 10 Gefängnisangestellte ums Leben, wobei nur ein Toter nachweislich durch die Häftlinge umkam.
Der damalige Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, ein Abkömmling des superreichen Clans der Rockefeller behielt eine durchgehend arrogante Haltung – ganz wie es sich für einen Kapitalisten gehört - gegenüber den aufständischen Häftlingen. Kein Wunder angesichts des Berichtes über den Aufstand, der 2015 veröffentlicht wurde und bis dahin unter Verschluss gehalten wurde. Darin sind Vergewaltigungen, Folter und das Anzünden von Gefangenen als Teil des Umgangs der Wärter mit den Gefangenen beschrieben.
Rassistisches Profitsystem und Sklaverei 2.0
Das Gefängnissystem der USA erfasst heute etwa 900.000 beschäftigte Häftlinge, die zu einem Lohn von etwa 20 Cent die Stunde in unzähligen privaten und halbprivaten Gefängnissen blutigst ausgebeutet werden. Das Gefängnissystem ist eine ungemein lukrative Industrie, die aus einem Reservoir von etwa 2,4 Millionen potentiellen Arbeitskräften besteht. Das macht 1% der Bevölkerung der USA aus und 24% an allen Inhaftierten weltweit. Gleichzeitig ist der Anteil an Gefangenen von bestimmten Bevölkerungsschichten – nämlich den nicht-weißen - der USA massiv höher.
Es ist schwer in Worte zu fassen wie rassistisch das gesamte Rechtssystem des Kapitalismus ist. Konkrete Zahlen schreien die Ungerechtigkeit förmlich heraus: Von 100.000 US-AmerikanerInnen befinden sich unter den Weißen 380 in Haft (0,38%). Bei den Latinos sind es 966 (0,96%) und bei den Afro-AmerikanerInnen sogar 2.207 (2,2%) Inhaftierte auf 100.000 Menschen.
Noch viel drastischer ausgedrückt wird einer von 17 weißen Männern zumindest einmal im Leben verhaftet. Bei den Latinos sind es einer von 6 und bei den Schwarzen sogar einer von drei Männern! Sprich ein Sechstel aller männlichen Latinos und ein Drittel (!) aller Afro-Amerikaner werden mindestens einmal im Leben festgenommen. Frauen werden zwar deutlich seltener inhaftiert, sind aber mindestens genauso sehr von rassistisch motivierter Verhaftung betroffen. Während eine von 111 weißen Frauen zumindest einmal im Leben verhaftet wird, sind es 1 von 45 Latinas und 1 von 18 (!) schwarzen Frauen.
Zu Recht gilt das Gefängnissystem unter politisch bewussten Afro-AmerikanerInnen als die Weiterführung der Sklaverei, die sich dort ein Schlupfloch finden konnte. Das ist nicht nur eine Phrase, sondern durch den 13. Zusatz der US-Verfassung so festgelegt. Dort heißt es: „(...) weder Sklaverei noch erzwungener Dienst, ausgenommen als Form der Bestrafung gegen Gesetzesbruch für den die Person verurteilt wurde, darf in den USA existieren.“ Die Abschaffung der Sklaverei ist somit nie vollständig vollzogen worden, sondern lebt tatsächlich in den Gefängnissen weiter.
Konzerne wie Starbucks, McDonalds, AT&T, Nordstrom und andere profitieren dabei massiv. So sind die Uniformen der McDonalds Beschäftigten von Häftlingen produziert worden. Der UNICOR Konzern macht Milliardengewinne unter anderem durch die Vermittlung von Häftlingen an Boeing, General Dynamics, Lockhead Martin und anderen zur Herstellung von Militärhelmen, Uniformen aber auch Raketenteilen.
Die Arbeitsbedingungen sind mehr als erbärmlich, zumal die Gefangenen noch nicht einmal irgendwelche Schutzbrillen oder sonstige angemessene Arbeitsutensilien bekommen und Chemikalien und anderem Gefahrengut komplett ungeschützt ausgesetzt sind. Verstümmelungen durch Arbeitsunfälle werden im Gefängnis manchmal, aber nicht immer, medizinisch versorgt. Die Folgekosten müssen die Gefangenen für den Rest des Lebens komplett alleine tragen. Entschädigungszahlungen werden dabei keine geleistet. Jede Form der Arbeitsverweigerung geht Hand in Hand mit dem Entzug sogenannter „Privilegien“ wie dem Recht Kontakt mit der Außenwelt zu haben und Besucher zu treffen, Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs (wie extra Toilettenpapier, Seife, Pflaster, etc.) zu kaufen, die Zelle nicht mit einem Gefangenen teilen zu müssen, der einen physisch bedroht bzw. misshandelt und vielem mehr.
Bemerkenswerter Streik
Die Gefangenen haben keinerlei Möglichkeit sich zu organisieren ohne sofortige Misshandlungen seitens der Wärter zu erfahren. Schon in der Vorbereitungszeit des Streiks wurde eine Reihe von Häftlingen, die als mögliche AnführerInnen des Streiks gesehen wurden, systematisch und wochenlang in Isolierhaft überführt. Diese Form der Inhaftierung ist nicht nur psychisch eine Tortur, sondern ermöglicht den Wärtern auch ungehinderte und unbeobachtete Gewaltausübung. Jegliche Rechte zur Kommunikation nicht nur mit anderen Gefangenen sondern auch mit der Außenwelt wurde ihnen untersagt. Der Streik selbst konnte nur über ein detailliertes Netzwerk aufgebaut werden, das über heimlich weitergereichte Handys, verschlüsselte Botschaften und versteckte Streiktreffen organisiert wurde. Ohne eine Reihe von UnterstützerInnen des Streiks, die nicht im Gefängnis sind, wäre es komplett unmöglich gewesen.
Die bemerkenswerte Zähigkeit in der Organisierung und Durchführung des Streiks ist mehr als lehrreich für unsere Klasse. Gerade unsere afro-amerikanischen Brüder und Schwestern haben dabei eine führende, heldenhafte Rolle gespielt.
Der beeindruckende Streik wurde von der IWW (International Workers of the World) und deren Incarcerated Workers Organizing Committee unterstützt und mitorganisiert. Gleichzeitig aber hat die IWW es leider nicht geschafft, einen Rückhalt in der Öffentlichkeit für den Streik zu schaffen, ja noch nicht einmal eine breitere, andauernde mediale Bekanntheit.
Der Hauptgrund dafür liegt in ihrer sektiererischen Politik gegenüber anderen Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen, mit denen sie eine Zusammenarbeit ablehnen. Ebenso lehnen sie jede Form von Partei, ebenso die Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei ab. Sie schaffen zwar immer wieder beeindruckende radikale Aktionen, die sie alleine organisieren und organisatorisch dominieren. Sie verhindern aber gleichzeitig einen Schulterschluss der von ihnen unterstützten AktivistInnen mit anderen, weitaus größeren, Teilen der ArbeiterInnenbewegung. Wie sich am Gefängnisstreik von 2016 zeigt, schaden sie damit nicht nur sich selber sondern haben letztlich die streikenden Gefangenen um eine breite Solidaritätskampagne gebracht, die sie zur Umsetzung ihrer Forderungen dringend gebraucht hätten. Immerhin hat der Streik zu einer Zunahme der dauerhaften Organisierung zahlreicher Gefangener geführt, die angefangen haben dauerhaft arbeitende Gewerkschaftszellen in den Gefängnissen zu schaffen.
Revolutionäres Aktionsprogramm für unsere inhaftierte Brüder und Schwestern
Gerade in den USA zeigt sich welche Ausbeutung und Unterdrückung unsere inhaftierten Brüder und Schwestern ertragen müssen. In einem System, dass – nach offiziellen Angaben – 24.1% der Afro-AmerikanerInnen und 21.4% der Latinos und Latinas (im Vergleich zu "nur" 9% der Weißen) unter die Armutsgrenze zwingt, ist es eine Perversion, Diebstähle und ähnliche Eigentumsdelikte auch noch mit Gefängnis zu bestrafen. Hinzukommen all jene Verurteilungen, die auf Grund von der Hautfarbe der Verurteilten übermäßig scharf ausfielen und sogar Notwehr mit Gefängnisstrafen versahen.
Angesichts der Armut, sowie der extrem rassistischen Polizei und des massiv diskriminierenden Rechtssystems kann ein wesentlicher Teil der Gefängnisinsassen in den Augen von uns klassenbewussten ArbeiterInnen somit einfach nicht als kriminell angesehen werden.
Gleichzeitig befinden sich die größten Kriminellen, die an Massenvernichtungen Schuld tragen in feinen Anzügen in Freiheit und luxuriösem Reichtum durch ihre Konzerne. Die wirklichen Kriminellen stehen an der Spitze des Kapitalismus, während die ärmsten unserer Brüder und Schwester unschuldig in den Gefängnissen als Sklaven gehalten werden.
Wir fordern die gesamte ArbeiterInnenbewegung in den USA sowie international dazu auf, eine Kampagne für die massive Verbesserung der Lebenssituation der entrechteten Gefangenen und für die Abschaffung der Gefängnissklaverei einzutreten. Letztlich muss sich eine solche Kampagne auch für die Freilassung aller Gefangenen, die aus den oben genannten nichtigen Gründen festgenommen wurden, aussprechen.
Weiters fordern wir:
* Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen bzw. Aufhebung der Fahndungs- und Haftbefehle gegen politische AktivistInnen!
* Uneingeschränkter und kostenloser Zugang für alle Gefangenen zu Dingen des täglichen Lebens (Hygienemittel, Medizin, etc.), Möglichkeiten täglich für mehrere Stunden an die frische Luft zu gehen, qualitativ hochwertige und gesunde Mahlzeiten sowie die Möglichkeit der unbeobachteten Körperhygiene.
* Tägliche Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt sowie Zugang zu Nachrichten und jeglicher Literatur.
* Abschaffung des Schlupflochs im 13. Zusatz der US Verfassung, das die Sklaverei in den Gefängnissen erlaubt.
* Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch für unsere inhaftierten Brüder und Schwestern gelten. Jede Arbeit, die sie machen, muss mit dem kollektivvertraglichen Lohn der gesamten Branche bezahlt werden. Ebenso sind sämtliche arbeitsrechtliche Sicherheitsvorkehrungen (schützende Kleidung, sicherer Arbeitsplatz, etc.) zu gewährleisten.
* Recht auf Gewerkschaftsversammlungen sowie das Recht auf Gründung von politischen Organisationen, volles Versammlungsrecht, Recht auf die Erstellung und Vertreibung eigener politischer Propaganda wie Flugblätter, Zeitungen, Videos, etc.
* Recht auf Gründung von Delegiertenstrukturen, die bei jederzeit einberufbaren demokratischen Versammlungen der Gefangenen gewählt und abgewählt werden können. Die Delegiertenstrukturen sollen die Aufgabe haben, Forderungen zur Verbesserung der Lebensqualität der Gefangenen vortragen und deren Umsetzung bindend verlangen zu können. Ebenso sollen diese Delegiertenstrukturen ein Veto-Recht zur weiteren Beschäftigung von WärterInnen oder der Neueinstellung von WärterInnen haben, die sich laut den Gefangenen ihnen gegenüber gewalttätig bzw. erniedrigend verhalten haben.
* Ausschließlich Geschworenengerichte, die von der ArbeiterInnenbewegung und den Massenorganisationen der Schwarzen, Latinos und anderer Unterdrückter organisiert werden, dürfen das Recht haben Verurteilungen und Strafen gegenüber Verhafteten auszusprechen. Ebenso ist es die Aufgabe solcher Geschworenengerichte regelmäßig die Frage der Verkürzung bzw. Aufrechterhaltung der Gefängnisstrafe für jeden einzelnen unserer inhaftierten Brüder und Schwestern zu entscheiden.
* Bei allen Delikten, bei denen keine versuchte bzw. erfolgreiche Verletzung anderer Menschen (ausgenommen Notwehr) zu tragen kam, darf die Bekanntgabe der Straftat nach dem Gefängnisaufenthalt gerade für zukünftige Jobs nicht verlangt werden. Alles andere verunmöglicht faktisch die Reintegration ins gesellschaftliche Leben nach dem Gefängnis.
Das sind nur ein paar Forderungen, die Teil eines umfassenden revolutionären Aktionsprogramms von und für unsere inhaftierten Brüder und Schwestern sein sollten. Letztlich ist die wirkliche Befreiung vom Joch der Ausbeutung und Unterdrückung mit der Zerschlagung des Kapitalismus durch eine sozialistische Revolution verbunden. Im Zuge dessen werden die Gefängnisse in den USA und weltweit größtenteils geleert werden von angeblichen Kriminellen, die nichts anderes als Opfer des Klassensystems sind. Letztlich werden sich nur noch diejenigen Menschen in Gefängnissen befinden, die tatsächlich eine Gefahr auf das Wohl und das Leben anderer Menschen darstellen. Letztlich werden selbst diese Gefängnisse menschenwürdig sein und einer Gesellschaft auf dem Weg zur absoluten Freiheit und Gleichberechtigung aller Menschen entsprechen.
Quellen:
US-Bureau of Justice Statistics: https://www.bjs.gov/
The Largest Prison Strike in U.S. History Enters Its Second Week, by Alice Speri, The Intercept, September 16, 2016: https://theintercept.com/2016/09/16/the-largest-prison-strike-in-u-s-history-enters-its-second-week/
A National Strike Against “Prison Slavery”, by E. Tammy Kim, The New Yorker, October 3, 2016: https://www.newyorker.com/news/news-desk/a-national-strike-against-prison-slavery
The Stream - The labour rights fight in US prisons, Al Jazeera English, 26.09.2016: https://www.youtube.com/watch?v=3RjCqn_F9ck
Slavery in the US prison system, by David A Love and Vijay Das, Al Jazeera, 9 September 2017: http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2017/09/slavery-prison-system-170901082522072.html
Prison Policy Initiative: https://www.prisonpolicy.org/graphs/raceinc.html
Inside America's biggest prison strike: 'The 13th amendment didn't end slavery', by Nicky Woolf, The Guardian, 22 October 2016: https://www.theguardian.com/us-news/2016/oct/22/inside-us-prison-strike-labor-protest
Our Prison System Is Even More Racist Than You Think, ATTN, https://www.attn.com/stories/2419/racism-in-american-criminal-justice-system
Why US inmates launched a nationwide strike, by Max Blau and Emanuella Grinberg, CNN, October 31, 2016: http://edition.cnn.com/2016/10/30/us/us-prisoner-strike/index.html
Announcement of Nationally Coordinated Prisoner Workstoppage for Sept 9, 2016, by IWW Incarcerated Workers Organizing Committee: https://iwoc.noblogs.org/post/2016/04/01/announcement-of-nationally-coordinated-prisoner-workstoppage-for-sept-9-2016/ and https://incarceratedworkers.org/about
Poverty Facts, The Population of Poverty USA, 2015: http://www.povertyusa.org/the-state-of-poverty/poverty-facts/