Von Michael Pröbsting und Simon Hardy (angenommen vom 8. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale im Januar 2011)
Vorwort der Redaktion: Die nachfolgende Resolution zum Islamismus wurde auf einem Kongress der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) im Januar 2011 angenommen. Dies war der letzte Kongress bevor die Mehrheit der Führung diese Organisation in den zentristischen Sumpf führte. Wenige Monate später, im April 2011, schloss diese Mehrheit den in der „Bolschewistischen Opposition“ organisierten linken Flügel aus, der sich für eine revolutionäre Umorientierung der LFI einsetzte. Von dieser „Bolschewistischen Opposition“ ging dann die Initiative zur Gründung der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT) aus.
Diese Resolution geht auf einen Entwurf von Michael Pröbsting zurück, dem heutigen Internationalen Sekretär der RCIT. Genosse Pröbsting war knapp zwei Jahrzehnte Mitglied der internationalen Führung der LFI. Er schrieb den ersten Entwurf im Jahr 2002, der dann später von Simon Hardy aktualisiert und überarbeitet wurde. Hardy ist aus der LFI im Jahr 2012 ausgetreten und entwickelte sich politisch in eine rechts-zentristische, liquidatorische Richtung.
Die Resolution in ihrer endgültigen, angenommen Version stellt eine marxistische Analyse des Islamismus dar und entwickelt eine revolutionär Antwort. Wir wollen nicht verheimlichen, dass in der Resolution im Zuge der Überarbeitungen eine gewisse Tendenz zur Beschreibung auf Kosten der klaren Klassenanalyse Einkehr hielt. Eine solche Tendenz ist leider sehr beliebt bei kleinbürgerlichen Intellektuellen. Ungeachtet dessen stellt die Resolution ein wertvolles marxistisches Dokument dar.
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Der Aufstieg des Islamismus
Im Laufe der letzten wenigen Jahrzehnte kletterte der politische Islam wiederholt höher auf der politischen Tagesordnung. Im Iran kam eine reaktionär-klerikale islamistische Zwangsherrschaft infolge der Niederlage der progressiven Kräfte während der Revolution gegen den Schah an die Macht. Trotz ihrer „antiimperialistischen” Positur und der offenen Feindschaft seitens der Vereinigten Staaten und Israels - und in geringerem Maß Deutschlands und Frankreichs - war das für die Mehrheit der iranischen Massen vorherrschend eine antiweltliche, antidemokratische und gegen die Arbeiterklasse gerichtete Diktatur. Das Regime ertränkte die Kämpfe der sozialistischen und ArbeiterInnenbewegung sowie anderer progressiver Kräfte (Frauen, nationale Minderheiten, demokratische Bewegungen) in Blut.
Diese Handlungen spiegelten die reaktionärsten Regime des letzten Quartals des zwanzigsten Jahrhunderts wie die Pinochet-Junta wider und nahmen viele Eigenschaften des Faschismus an. Der Unterschied war: das iranische Regime unterhielt eine Feindschaft in Worten mit den Vereinigten Staaten, die letztere zurückzahlten, dann den Iran isolierten und einen Angriff auf ihn durch Saddam Hussein's Irak anfachten. Aber wem sich die Vereinigten Staaten entgegenstellten, war nicht die diktatorische Regentschaft des islamischen Klerus, sondern die Revolte eines Halbkolonialstaats, der unter dem Schah ein loyaler Verbündeter und Gendarm für ihre Interessen in dem überlebenswichtigen, erdölreichen Gebiet gewesen war.
Tatsächlich schufen und bewaffneten in Afghanistan die Vereinigten Staaten und ihre Ver-bündeten - einschließlich des ultrareaktionären Wahabitenregimes Saudi-Arabiens - gegenre-volutionäre islamistische Streitkräfte, um einen unbarmherzigen Krieg v.a. gegen die afghanische stalinistische Regierung und dann ihre sowjetischen Verbündeten zu führen. Dieser reaktionäre Krieg und die endgültige Niederlage der afghanischen Regierung am Anfang der 1990er Jahre, führten zum Aufbau eines reaktionären internationalen Netzwerkes sunnitischer Islamisten, das zum weltweiten Sammelpunkt für islamistische Bewegungen, Gruppierungen und Organisationen wurde.
Natürlich war und ist Islamismus eine Ideologie, deren Ursprünge in einer früheren Periode des 20. Jahrhunderts liegen - grundlegend die 1930er und 1940er Jahre. Jedoch verliehen die Entstehung der Islamischen Republik Iran und der Sieg der Gegenrevolution in Afghanistan dem Islamismus Vertrauenswürdigkeit als bedeutende Kraft, die gegen einen vermeintlich überlegenen Feind gewinnen und dadurch versprechen konnte, mit der Erniedrigung der arabischen und moslemischen Welt durch die imperialistische Vorherrschaft und die Verwüstungen durch den zionistischen Siedlerstaat (plus, im Fall von Afghanistan, durch eine russische Invasion) Schluss zu machen.
Dieser Aufstieg des Islamismus zur politischen Strömung mit Masseneinfluss und -gefolge ging Hand in Hand mit dem Niedergang vorheriger politischer Kräfte und Ideologien einher, die versprochen hatten, zur Befreiung der arabischen und moslemischen Welt von der imperialistischen Dominanz und nationaler Erniedrigung zu führen.
Arabischer Nationalismus und andere nationale Befreiungskräfte in der moslemischen Welt hatten versagt. Sie hatten sich als unfähig erwiesen, die imperialistischen Ketten zu zerbrechen, die arabische Welt auf einer bürgerlich-nationalistischen und staatlichen Basis zu vereinigen, und sie waren wiederholt daran gescheitert, die Ausdehnung des zionistischen Staates zu stoppen, und verrieten somit den Befreiungskampf Palästinas. Sie wurden zu demütigenden Konzessionen an den Imperialismus und seine Verbündeten gezwungen. Einigen, wie Saddam Hussein's Regime im Irak, wurde sogar angeboten, Nachfolger des iranischen Schahs als imperialistischer Regionalgendarm zu werden. Zu diesem Zweck fing Saddam einen barbarischen Krieg gegen den Iran im Auftrag der Vereinigten Staaten und anderer imperialistischer Staaten an, ließ komplette kurdische Städte durch Pogrome ausrotten und bestritt ArbeiterInnen und der religiösen Mehrheitsgemeinschaft (der Schiiten) jede Form von demokratischen Rechten. Ägypten unter Sadat und Mubarak wurde ein Pensionär der Vereinigten Staaten und Co-Gefängniswärter der Palästinenser.
Aber es waren nicht nur die Nationalisten, die versagten. Die „kommunistische”, in Wirklichkeit stalinistische Linke hatte auch versagt. Trotz aller ihrer Unterschiede in der Färbung, von pro-Moskau- zu mehr maoistischen Schattierungen, oder von legalistischen bis guerilla-gleichen Strategien, teilten sie alle eine Theorie der Revolution in Etappen. Vom Vorrang des Kampfs gegen den Imperialismus und für die nationale Befreiung schlossen sie, dass die demokratische Revolution ein Regime hervorbringen musste, das ausschließlich die Aufgaben der bürgerlichen Revolution erfüllte - d. h. eine ausgedehnte Periode kapitalistischer Entwicklung, bevor an Arbeitermacht und Sozialismus auch nur gedacht werden konnte. Darum redeten sie von einem strategischen Bündnis mit dem nationalen „antiimperialistischen” Bürgertum und räumten ihm die Hauptrolle im Kampf ein. Das führte wiederholt zur politischen Katastrophe, da letzteres sozial und wirtschaftlich zu schwach war, die Rolle zu erfüllen, welche sie ihm zuteilten. Bestenfalls spielten nationalistische Armeeoffiziere wie Nasser eine vorübergehende antiimperialistische Rolle aber zum Preis, eine militärbonapartistische Zwangsherrschaft zu installieren, die schließlich gegen ihre kommunistischen Verbündeten und alle unabhängigen Arbeiterorganisationen vorging.
Wo der Kreml guten Beziehungen zu einem Regime unterhielt (zeitweise im Irak, in Ägypten und Syrien), wurden die moskautreuen kommunistischen Parteien genötigt, sich völlig und offen ihren „antiimperialistischen“ Herrschenden unterzuordnen, im Grunde linke Unterstützung für sie zur Verfügung zu stellen. In anderen Fällen führten stalinistische oder maoistische Kräfte große oppositionelle Bewegungen oder Kämpfe einschließlich heroischer Teilsie-ge an. Aber - im tragischsten Fall - in der iranischen Revolution - die enorme, heroische Rolle, die sie beim Sturz des Schahs und der Zerstörung der Armee und des SAVAK (der gehassten Geheimpolizei) gespielt, und die Massenunterstützung, die sie gewonnen hatten wurden ausgelöscht, weil sie sich auf die eine oder andere Art (und mit verschiedenen Abstufungen von „Festigkeit“) der Führung der „nationalen Bourgeoisie“, d. h. der Führung Khomeinis unterordneten.
Diese zwei Entwicklungen - der Niedergang und Fall des weltlichen arabischen Nationalismus und des stalinisierten Kommunismus - wurden weiter zugespitzt nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Wiederherstellung des Kapitalismus dort und in China. Bürgerlicher Nationalismus und die stalinistischen Kräfte verloren bedeutende globale Verbündete und Quellen materieller Unterstützung. Die Niederlage des Iraks im ersten US-Krieg gegen das Land trieb die arabischen nationalistischen und unechten antiimperialistischen Regime zu einer Wende weiter nach rechts (Syrien). Die PLO unterzeichnete das Osloer Abkommen und die Linke in der PLO unterstützte das entweder oder nahm eine bestenfalls inkonsequente Opposition gegen diesen Ausverkauf des nationalen Befreiungskampfs ein.
Der Zusammenbruch des Stalinismus eröffnete eine neue Periode in der Weltgeschichte. Der Nahe und Mittlere Osten sowie Zentralasien - und deshalb ein großer Teil der „moslemischen Welt“- wurden Fokus des Strebens der Vereinigten Staaten, ihre “neue Weltordnung“ zu schaffen. Wohingegen sie sich in der Periode 1945 - 1989 um den Einfluss im Gebiet mit der Sowjetunion hatten messen müssen und die Existenz von blockfreien oder neutralen Kräften mit einem bestimmten Grad an Unabhängigkeit akzeptierten, bemühten sie sich jetzt als die alleinige Weltsupermacht, die ganze Region unter ihre Fuchtel zu bringen und „Schurkenstaaten“, welche sich noch nicht jedem Wunsch beugten (der Irak, der Iran, Syrien, Libyen), auszumerzen. Diese Herrschaft umfasste nicht nur US-Stützpunkte in Saudi-Arabien und den bewaffneten Gendarmen in Gestalt des zionistischen Staates, sondern auch die „sanfte Macht” politischer und kultureller Dimension. Menschenrechte und Demokratisierung wurden in den Dienst genommen, um die „geschlossenen Gesellschaften“ der moslemischen Welt „zu öffnen“. Eine Hoffnung war, die sich modernisierende Intelligenz, Studenten und Frauen, die häufig Nationalisten oder sogar Kommunisten von den 1950er Jahren bis zu den 1980er Jah-ren gewesen waren, für die Seite der Vereinigten Staaten und der Europäer zu gewinnen. Aber das echte Ziel war, diese Länder den imperialistischen multinationalen Konzernen, Ölfirmen und westlichen Banken, völlig zu erschließen. Jemand, der sich widersetzte, wurde öffentlich als rückwärts gerichtet und barbarisch erklärt.
So wurde die traditionelle islamische Kultur ein Brennpunkt US-imperialistischer Kritik - mit arroganten Aufforderungen, sich selbst zu modernisieren (d.h. verwestlichen). Die islamistischen Gruppen, die sich als antikommunistische Jihadis als „nützliche Idioten“ für die Vereinigten Staaten in Afghanistan erwiesen hatten, wurden plötzlich Feind Nummer 1 des US-Kreuzzugs, um „Freiheit, Demokratie und Kapitalismus“ in dieser Region und auf der Welt zu sichern. Der Kampf gegen „islamischen Fundamentalismus“ wurde zum Schlagwort um US-Kriege und Eingreifen zu rechtfertigen, lange bevor der „Krieg gegen den Terror“ gestartet wurde. Aber erst im Nachspiel zum 11. September 2001 nahm er die Form einer globalen Kriegserklärung gegen den „Terror“ an - was „islamistischer Terrorismus“ bedeutete. Der „Krieg“ hat eine wahrhaftige Pandorabüchse an Übeln geöffnet - sowohl für die Be-völkerungen der islamischen Länder wie auch für die imperialistischen Mächte selbst.
Während wissenschaftliche, objektive - deshalb alle marxistischen - Analysen die zwischen dem Islamismus als einer politischen Ideologie und Bewegung und dem Islam als einer Religion unterscheiden, während sie zwischen den verschiedenen Formen differenzieren müssen, verkleistert imperialistischer Antiislamismus absichtlich alle diese Unterschiede in einer chauvinistischen, rassistischen, antimoslemischen und antiarabischen Demagogie. In Westeuropa und Nordamerika ist er eine günstige Tarnung für die rassistische Agitation gegen ImmgirantInnen aus dem Nahen Osten, dem indischen Subkontinent und Ostafrika geworden. Was als Islamophobie bekannt geworden ist, ist in erster Linie eine Spielart des Rassismus. Der Zweck dieser giftigen Ideologie ist es, jedes imperialistische Eingreifen und sogar Besetzungen in der moslemischen Welt, sowie im eigenen Land chauvinistische, rassistische und repressive Gesetze und Taten gegen nationale oder religiöse Minderheiten zu rechtfertigen. Antiislamismus ist ein Hauptbestandteil der imperialistischen Ideologie, einschließlich des staatlichen Rassismus, der faschistischen, ultrarechten, christlichen und rechtsstehenden populistischen Kräfte, geworden. Er hat in den Vereinigten Staaten zu einem großen Teil den Antikommunismus als gegen den “Hauptfeind” gerichtete Ideologie ersetzt und wird wahrscheinlich diese Rolle weiter spielen, da die Vereinigten Staaten gescheitert sind, eine neue, relativ stabile imperialistische Weltordnung zu schaffen. Im Gegenteil, ihr und ihrer Verbündeten Eingreifen hat den Nahen Osten, Zentralasien und benachbarte Regionen weiter destabilisiert, die sich in den indischen Subkontinent und Afrika hinein erstrecken. Das hat proimperialistische Regime wie Pakistan untergraben und den Kampf um eine Wiederaufteilung der Welt zwischen den Vereinigten Staaten und ihren aufkommenden Rivalen verschärft.
Schließlich gibt es ein viertes Element, welches das Wachstum des Islamismus und einer Rückkehr zur Religion, unter Bedingungen der wirtschaftlichen und sozialen Krise, voranbringt. Das ist die noch entscheidendere Rolle, die die Führungskrise der Arbeiterklasse unter solchen Bedingungen annimmt. Unter der Globalisierung, haben einige Länder der „Islamischen Welt“ völligen sozialen Niedergang, wenn nicht einen Abstieg in die Barbarei (Afghanistan unter dem Bürgerkrieg, den Taliban, dem Krieg der USA/NATO, Somalia seit dem erfolglosen US-Eingreifen) durchgemacht. Die Reproduktion der Gesellschaft, sogar lebensfähiger sozialer Klassen wird immer schwieriger, was zu einer allgemeinen Verwüstung und einem Niedergang des sozialen Lebens führt. In den Petro-Monarchien haben der Niedergang des Dollars und die fast exklusive Abhängigkeit der Staatseinnahmen von den Öleinkommen - was sie wesentlich zu Rentierstaaten macht - angefangen, die Basis für die Integration der Mitte und niedrigeren Klassen mittels eines diktatorischen und äußerst parasitären Gefolgschafts- und Klientelsystems zu untergraben. Andere wie Pakistan, Ägypten, Indonesien oder der Iran haben sogar ein Wachstum der Arbeiterklasse unter der Globalisierung wegen eines fast fiebrigen Wachstums der Wirtschaft erlebt, obwohl weitgehend auf Spekulation fußend. Die neuen ProletarierInnen werden jedoch extrem ausgebeutet und häufig gezwungen, in völliger Armut und unter der Vorenthaltung politischer und gewerkschaftlicher Rechte zu leben. All das bedeutet, dass wir unter der Globalisierung eine Zunahme der sozialen Ungleichheiten und Spannungen beobachten können. Das wird enorm durch die Tendenz zum sozialen Niedergang in der Periode nach 2007 und durch die Tatsache verschärft, dass alle außer einigen der Halbkolonien in der islamischen Welt viel härter durch die Krise getroffen wurden als die imperialistischen Kernländer.
Unter solchen Bedingungen können und werden reaktionäre Kräfte aufmarschieren, wenn die Arbeiterklasse nicht dazu fähig ist, in den Kämpfen der Volksmassen in der Stadt und auf dem Land gegen Ausbeutung, Armut, Zwangsherrschaft und Imperialismus die Führung zu stellen. Beide, radikale islamistische Mullahs sowie traditionalistische Ulema (Religionsgelehrte) verwenden - wie in anderen Religionen - die Moscheen und ihre karitativen Einrichtungen und Koranschulen, um die Massen zu befrieden. In vielen Fällen werden sie sie benutzen, um die Unterdrückten für reaktionäre Zwecke zu mobilisieren und sie an ihre „islamischen“ Führer zu binden - die Grundbesitzer, Basarhändler und -gewerbe sowie „fromme“ Industrielle. In einigen Fällen jedoch werden sie sie wirklich für eine an sich gerechte Sache wie den Kampf gegen nationale und imperialistische Unterdrückung sammeln bzw. tun es bereits. MarxistInnen müssen fähig sein, dies objektiv zu identifizieren und weder ihrer eigenen Version von Islamismusfeindlichkeit - noch ihrem Gegenteil zu verfallen, dem Glauben, dass Islamismus grundsätzlich eine antiimperialistische Ideologie und Bewegung, welcher „objektiv“ verpflichtet, ein ganzes Stadium der Revolution vor dem großzügigen Übergeben an die Arbeiterklasse zu durchlaufen. In Fällen, wo ihr Kampf objektiv progressiv ist, wie der der Hisbollah bei der Verteidigung des Libanons gegen den israelischen Angriff oder der der Hamas in einer ähnlichen Situation im Gazastreifen, wird es sich als notwendig für echte RevolutionärInnen erweisen, an ihrer Seite zu kämpfen. Dasselbe gilt für religiöse islamistische Kräfte, die eine Rolle in der Antikriegs-/Antibesetzungs-Bewegung in den imperialistischen Kernländern spielen. Aber die RevolutionärInnen werden dies ausschließlich für eng begrenzte gemeinsame Ziele tun müssen, ohne dabei nur eine Minute auf die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und anderer progressiver Kräfte zu verzichten. Auch das darf uns nicht vor dem insgesamt reaktionären Charakter der islamistischen Kräfte blenden.
Die oben genannten erwähnten vier Faktoren - der Misserfolg des Nationalismus, des Stalinismus, die US-Offensive und die globale Krise - sind entscheidend für den Anstieg des Islamismus und um zu verstehen, warum er eine politische Hauptkraft werden konnte.
Entwicklung des Islamismus
Der Islamismus als politische Bewegung darf nicht verwechselt werden mit dem Islam als Religion. Der Islamismus ist eine politische Bewegung, die bestimmte Aspekte des Islam als Motivation für seine Anhänger und als politisches Machtprogramm benutzt. Da Islamisten ihre politische Ideologie völlig mit dem Islam identifizieren und eine Trennung von Politik und Religion leugnen, bedeuten für sie Weltlichkeit und nicht religiöse Ideologien wie Nationalismus, Kommunismus oder Liberalismus nur gottlose Opposition zum Islam.
Der politische Islamismus ist integral verbunden, jedoch nicht identisch mit fundamentalistischen Tendenzen innerhalb der Hauptrichtung des sunnitischen Islam, die seit den 70er Jahren stark an Einfluss gewonnen haben. Dem schiitischen Islam hängt insgesamt nur eine kleine Minderheit unter den Moslems an; er verfügt allerdings im Iran und Irak über die Mehrheit. Er folgt einer anderen Tradition, ist jedoch vom sunnitischen Islamismus beeinflusst und hat durch die iranische Revolution 1979 im Gegenzug Einfluss auf den sunnitischen Teil ausgeübt.
Der islamische Fundamentalismus der Salafisten (von salaf as-salih = „rechtmäßige Nachfolger“) ist ein Versuch der Rückkehr zu einer Praxis der ersten 3 Muslim-Generationen, wie deren Ideologen meinen. Seine Anfänge gehen zurück auf das 18./19. Jahrhundert und waren ein Reflex auf den Niedergang und Zusammenbruch der drei großen muslimischen Reiche (osmanisches, safawidisches und Mogulreich) in den vorangegangenen Jahrhunderten. Ein Begründer des frühen Salafismus Mohammed Ibn Abd-al-Wahhab (1703-1792) trat hervor, weil seine Lehren als Staatsideologie für Saudi-Arabien dienten. Wahabismus ist dank der weltweiten Finanzierung von Moscheen und Madrassen (Koranschulen, Geistlichen-Seminaren) durch den Saudi-Staat die meistverbreitete Form des Salafismus.
Mit dem Untergang der islamischen Reiche etablierten sich Britannien und Frankreich als Kolonialmächte in der islamischen Welt. Die Kolonialherren verfolgten zwar nicht den Islam, ersetzten aber die gesetzlichen und politischen Einrichtungen durch weltliche und modernisierten deren Ökonomien, beuteten sie aber zugleich aus und unterdrückten rücksichtslos Aufstände gegen ihre Herrschaft, wie in Indien, Ägypten und dem Sudan.
Die herrschenden Klassen in der muslimischen Welt stützten sich auf den Grundbesitz und auf das überkommene Handelskapital, doch die neuen Kolonien - als Mandatsnationen des Völkerbundes verkleidet - wurden von französischen und britischen Banken und Geschäftsleuten beherrscht. Die eigenständige kapitalistische Entwicklung verkümmerte. Da die muslimische Klerikerkaste Ulema aus diesen Klassen stammte und in ihnen verwurzelt war, wuchsen Antipathie und gelegentlich auch Widerstände aus dieser Schicht gegen die westlichen Besatzer. Aber erst das Aufblühen der modernen Arbeiterklasse, die (Halb-)Proletarisierung der Bauernschaft sowie die Bildung einer modernen Intelligenz - StudentInnen, LehrerInnen, Ingenieure und Anwälte - im Gefolge des kolonialen Kapitalismus schufen eine Kraft, die sich schließlich gegen den Kolonialismus erhob.
Der politische Islamismus wurzelte in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen. Während des Ersten Weltkriegs hatten die anglo-französischen Imperialisten die Bevölkerungen von Arabien, Palästina, Syrien und Irak mit dem Versprechen „nationaler Befreiung“ vom osmanischen Reich geködert. Das hatte eine arabische Renaissance v. a. in Ägypten, Libanon und Syrien im Gefolge. Aber die britischen und französischen Herrscher belogen die arabischen Führer und kolonisierten stattdessen unter dem dünnen Schleier der Völkerbundmandate Syrien, Libanon und Palästina und behielten Ägypten und Nordafrika offen als Kolonien besetzt. In Palästina ermutigten die britischen Imperialisten zu weiträumigen europäisch-jüdischen Ansiedlungen, ebenso wie Frankreich Algerien kolonisiert hatte. Ab Ende der 20er Jahre geriet diese betrügerische Eroberung in Konflikt mit aufkeimendem weltlichen arabischen Nationalismus wie der Bewegung der Ba'athisten, die 1940 von den syrischen Intellektuellen Michel Aflaq und Salah al-Bitar ins Leben gerufen wurde, aber auch mit dem politischen Islamismus.
Die Gründer der beiden wichtigsten Organisationen wuchsen in britischen Kolonien auf. Hassan al-Bannah (1906-1949) gründete 1928 die Al-Ichwan Al-Muslimun, die Muslimbruderschaft in Ägypten. Syed Abul A'ala Mawdudi (1903-1979) war 1941 Urheber der Jaamat-e-Islami in Indien. Die Gründungskerne bestanden aus Angehörigen der Mittelschicht, Gelehrten, Lehrern, Ingenieuren usw. Die Islamisten lehnten jedoch im Gegensatz zu den NationalistInnen und SozialistInnen nicht nur den Kolonialismus ab, sondern vieles aus der weltlichen westlichen Kultur, nicht aber die wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften.
Die Ichwan radikalisierten sich mit dem palästinensischen Aufstand von 1936 gegen die Kolonialverwaltung und die zionistischen Siedlungen. Die palästinensische Führung blieb lange Zeit traditionalistisch in ihrer Ideologie und feudal religiös in ihrem Tun. Die Bruderschaft begann sich zu bewaffnen, die ägyptische Polizei und Armee zu infiltrieren und den Aufstand gegen die Briten zu befürworten, in denen sie den Hauptfeind sahen, während sie Italien und Deutschland als potenzielle Bündnispartner wahrnahmen. Sie kopierten Merkmale des europäischen Faschismus, so unterhielten sie eine Miliz nach dem Vorbild der SA und der italienischen Schwarzhemden. Die Muslimbruderschaft breitete sich nach Syrien, Libanon Palästina, Jordanien, Sudan und Irak aus. In Ägypten wuchs die Organisation rasch und besaß Ende der 40er Jahre etwa 500.000 Anhänger. Ihre soziale Basis war die untere Mittelschicht, Schullehrer, Techniker, Angestellte, Handwerker und Kleinhändler.
Aufgestachelt durch Ägyptens erniedrigende Niederlage 1948 durch Israel, ermordeten ihre Kämpfer im selben Jahr den ägyptischen Premierminister. Aus Rache wurde al-Bannah dann im folgenden Jahr selber Opfer eines Mordanschlags. Die Ichwan wurden verboten und stark unterdrückt. Nichtsdestotrotz unterstützten sie Gamal Abdel Nasser und den Staatsstreich der Freien Offiziere 1953 gegen die Monarchie. Die Bewegung überwarf sich jedoch bald mit dem weltlich nationalistischen arabischen Regime und wurde in Nassers Regierungsjahren massiv unterdrückt.
Sajid Qutb (1906-1966) war der ideologische Hauptvertreter der Muslimbruderschaft und fungierte als Herausgeber des Presseorgans und als Chef der Propagandaabteilung. Einer seiner kürzeren Texte - „Meilenstein“ (Ma'alim-fi al-Tariq) - wurde 1964 zum Gründungsdokument des Djihad-Islamismus. Er argumentierte, dass die absolut transzendente Souveränität Gottes im Islam den säkularen, d.h. gottlosen Staat ungültig macht. Das würde auch für den Nationalstaat gelten, dessen Grundlage eine unreligiöse Teilung der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, darstelle. Gleichermaßen wäre ein demokratischer Staat, der auf der „Souveränität des Volkes“ gründet, eine unreligiöse Vereinnahmung der göttlichen Souveränität. Qutb glaubte, dass die ganze Welt, auch die vermeintlich moslemischen Länder, sich zur Periode von Ignoranz (Dschahiliyya) vor Mohammeds Offenbarungen rückentwickelt hätten.
Eine anfangs kleine Vorhut von Islamisten bekämpfte die neue Dschahiliyya, zuerst ideologisch und dann physisch. Gewalt und revolutionärer Kämpf sei nötig, um eine islamische Umma wieder herzustellen. Dieser Djihad in der ursprünglichen Lesart richtete sich gegen die Imperialisten und ihre lokalen Helfer. Das Scharia-Recht sollte wieder eingeführt werden. Alles nach diesen Gesetzen Verbotene sollte illegalisiert werden, Alkoholkonsum, gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen, gemeinsame Arbeitsplätze oder Freizeitbegegnungen für Männer und Frauen u. ä. In einer scheinbaren Übereinstimmung mit der marxistischen und anarchistischen Anschauung einer Gesellschaft ohne Staat sollte Qutbs Umma keine Herrscher haben und auch die Scharia sollte lediglich ein moralisches Gesetz sein, das jedermann „durchsetzen“ würde. Einige von Qutbs späteren Schülern gingen so weit, dass ein neuer Kalif oder Emir von der Umma-Gemeinde durch eine Art Rat oder Schura gewählt werden sollte.
Qutb wies auch den ausbeuterischen Charakter des westlichen Kapitalismus zurück - jedoch als Produkt korrupter Religionen wie Christen- und Judentum. Er sah nicht im Kapital selber oder im Privateigentum an Produktionsmitteln das Problem, sondern in der Finanzspekulation und dem Wucher, dem Geldverleih gegen Zins. Daraus folgte Qutbs widerlicher Antisemitismus, worin ihm viele Islamisten folgten. Qutb unterstellte, dass das „Weltjudentum“ in Verschwörungen verwickelt war und ist, deren „Zweck“ es Juden ermöglichen würde „sich in die Politik der ganzen Welt einzuschalten und dann den Handlungsspielraum zu haben, ihre satanischen Pläne zu verfolgen. An erster Stelle ihrer Aktivitäten kommt der Wucher mit dem Ziel, allen Reichtum der Menschheit in die jüdischen Finanzinstitute fließen zu lassen, die von Zinsen leben.“ (Meilensteine)
Qutb sah die Interventionen des Imperialismus in den arabischen islamischen Raum und dessen Vorherrschaft dort in der Gründung und Unterstützung des Staates Israel. Dies war für ihn die einfache Fortsetzung der christlichen Kreuzzüge, d. h. der Versuch, den Islam zu zerstören. Jene Herrscher des islamischen Lagers, die wie Nasser die Scharia abschafften und sie durch weltliche Normen ersetzten und westliche Begriffe wie Sozialismus, Nationalismus, Frauenrechte einführten, waren Feinde des Islam und Verbündete der Kreuzritter.
Der Islamismus machte aus diesem Grund nicht in erster Linie seinen Weg als antikoloniale, sondern eher als antisäkulare Bewegung und versuchte, den Staat und soziale Einrichtungen auf religiöser Basis der Scharia „wiederherzustellen“, mit Gesetzen also, die angeblich zur Zeit des Propheten Mohammed und seiner unmittelbaren Nachfolger in Kraft waren. Diese Idee der Restauration von Elementen der moslemischen Umma-Gemeinschaft, Emirate, islamische Republiken wie im Iran oder gar ein panislamisches Kalifat, bedeutet eine auf ganzer Linie reaktionär utopische Zielsetzung.
Sie ist utopisch, weil die ökonomischen, sozialen und Klassenbedingungen des 1. Jahrhunderts mohammedanischer/7. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung nicht wieder hergestellt werden können, selbst wenn die islamistischen Deutungen der Frühzeit des Islam wahr oder unbestritten wären. Reaktionär ist die Idee, weil die Praxis der Islamisten eine starke Beschneidung von demokratischen Rechten und Freiheiten für Frauen, ArbeiterInnen, arme BäuerInnen, Minderheitsreligionen und geschlechtliche Minderheitsorientierungen bedeutet.
Die praktische Umsetzung der „Gottesherrschaft“ hat sich als Herrschaft einer politisierten religiösen Hierarchie wie im Iran oder als die eines Monarchen und der ihm untergebenen geistlichen Ulema-Kaste (Saudi-Arabien) erwiesen. Würde eine dieser islamistischen Bewegungen die Macht ergreifen, und das wurde in gewisser Weise mit dem Charakter der Taliban-Regierung in Afghanistan erhärtet, wäre dies eine totalitäre Herrschaft und würde angeblich göttliche Gesetze gegen ArbeiterInnen, Frauen sowie Jugendliche durchdrücken, die denen des Faschismus oft in nichts nachstehen.
Viele Staaten in der moslemischen Welt sind durchsetzt mit Elementen des Islamismus und der Scharia wie in Indonesien, Pakistan und diversen arabischen Ländern. Trotz der Behauptungen von islamischen Liberalen und sogar postmodernistischen FeministInnen sind demokratische und sozialistische Freiheiten vollständig unvereinbar mit jeder Form von religiöser Grundlage für den Staat.
MarxistInnen sind nicht nur unbeugsame MaterialistInnen in ihrer Weltanschauung, sondern auch SäkularistInnen in ihrem politischen Programm. Religion muss eine strikt aufs Private beschränkte Sache bleiben, soweit es den Staat anbelangt. Formal gesetzlich sind zwar Republiken wie Frankreich und die USA frei davon, aber Religiosität wird staatlich gefördert und anerkannt. Auch dagegen müssen MarxistInnen ankämpfen. Dies darf aber nicht mit Verfolgung und Unterdrückung von religiösem Glauben, der Schließung von Andachtsstätten, der Verbannung von öffentlicher Schaustellung ihrer Symbole und Propaganda dafür verwechselt werden. Es bedeutet lediglich, dass es keine offizielle Unterstützung von Seiten des Staates für irgendeine Religion auf den Gebieten des Rechts, der Erziehung oder anderer Bereiche des öffentlichen Lebens geben darf. Wenn erwachsene Gläubige ihr Leben mit anderen Glaubensgeschwistern nach eigenen religiösen Gesetzen ausrichten wollen, so ist das ihre rein persönliche Angelegenheit. Aber jene, die das nicht wollen, dürfen wiederrum nicht dazu gezwungen werden. Jeder Zwang, der von religiösen Hierarchien, Vereinigungen u ä. in dieser Richtung ausgeübt wird, muss durch demokratische Gesetze untersagt werden. Die Arbeiterklasse ist die folgerichtige Erbin und Verteidigerin der Freiheiten der Religionsausübung, der Toleranz und weltlichen, antiklerikalen Ziele aller großen bürgerlichen Revolutionen.
Doch im letzten Viertel des 20. und im ersten Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts haben diese sozial zutiefst rückschrittlichen islamistischen Bewegungen in vielen Ländern modernere, „fortschrittlichere“ Bewegungen in der Gunst der Massen verdrängt. Das jetzige Wachstum des politischen Islam ist unmittelbar verbunden mit zwei Merkmalen des Spätkapitalismus. Es hat zunächst mit der Rolle des Imperialismus in Nahost und Zentralasien zu tun. Er wird dort als im Ursprung und seiner Grundlage in den westlichen Ländern in Verbindung mit Christentum und liberaler Demokratie wahrgenommen. Der Imperialismus ist für die moslemische Welt eine Kraft, die in ihre Kultur und ihr Leben eindringt und sich einmischt.
Diese Tatsache wird von den Islamisten ausgenutzt, um ihre eigene Version vom „Zusammenstoß der Zivilisationen“ voranzutragen in einer Sichtweise, die den religiösen Fundamentalismus und den Totalitarismus des Islamismus als notwendigen und sogar revolutionären Kampf gegen Kapitalismus und Kollaborateure an der Staatsspitze, die den Imperialismus verteidigen, darstellt. Die islamistischen Bewegungen wachsen nicht in einem luftleeren Raum, oder weil sie einfach eine „rückwärts gewandte Haltung“ einnehmen. Verbunden mit dem Zulauf für die Bewegungen ist die Existenz Israels, selbst ein Produkt des Imperialismus. Die erzwungene Errichtung eines hoch militarisierten, expandierenden und kolonialistisch-rassistischen zionistischen Staates in Nahost und auch wie dies geschah, durch Vertreibung der palästinensischen Araber, ist einer der Kernfaktoren für die Bildung und das Vorhandensein von islamischen Widerstandsbewegungen wie Hamas oder Hisbollah. Der Imperialismus selbst ist auch für die Entstehung von islamischen Staaten wie Pakistan, unterstützt von islamischen Bewegungen verantwortlich.
Die Islamisten zogen ihre anfänglichen Kader aus den Teilen der gebildeten Mittelschichten, die sich über die imperialistische Beherrschung ihrer Länder empörten und angewidert waren von der Komplizenschaft ihrer herrschenden Eliten. Sie verfügten über den nötigen intellektuellen Hintergrund, um die theologischen und politischen Positionen ihrer Bewegung zu artikulieren Die Mittelschichten waren in dieser Situation die Architekten des Aufbaus von Nationen, das Rückgrat der nationalistischen Sache. In der islamischen Welt fühlen sie sich zum Islamismus hingezogen, weil er ihnen als Motor eines sozialen Wandels erscheint, der religiöse Ideen zur Mobilisierung über die eigene soziale Schicht hinaus an Bord nimmt.
Wo sie jedoch eine Massenbewegung aufbauen wollen, versuchen sie Teile der Arbeiterklasse und des Lumpenproletariats einzubeziehen. ArbeiterInnen, Jugendliche und Arme werden durch die brutalen Bedingungen von Seiten des globalisierten Kapitalismus und der korrupten lokalen Regierungen dem Islamismus in die Arme getrieben. Das Fehlen einer sozialistischen und revolutionären Bewegung lässt sie den islamischen Gruppen zum Opfer fallen, die ihnen eine Weltsicht sowie Taktik und Strategie mit einem Endziel anbieten, das kulturellen und traditionellen Glauben, aufgehend in einem scheinbar radikalen politischen Projekt, verknüpft. Für die Armen und Entrechteten der benachteiligten Hemisphäre bietet der Kapitalismus keinen Ausweg aus ihrem Elend. Politisch religiöse Bewegungen verschaffen ihnen das glückverheißende „Opium“ und versprechen einen radikalen und attraktiven Wandel. Sie sehen den Kapitalismus als westliches Übel, importiert aus der imperialistischen Welt durch die US-Armee, raffgierige Kapitalisten und multinationale Konzerne. All dies wird geschützt durch ihre korrupten Herrscher. Der Islamismus spricht diese Schichten als vermeintlicher Gegenpol, als Antikapitalismus an.
Der Islamismus zieht auch Menschen an, die noch in vorkapitalistischen Produktionsweisen gefangen sind, in Dörfern und Regionen mit noch feudalistischen oder Subsistenzwirtschaftsstrukturen. Hier tritt er als politische Kraft auf, die der Dorfgemeinschaft moralisch autoritäre Gesetze und Normen auferlegt, die das Verhalten der Menschen bestimmen. Der Islam hat keine „aufgeklärte“ Periode in seiner jüngsten Geschichte erlebt, oft hingegen eine stark wissenschaftsfeindliche und tief konservative Weltsicht. Die islamistischen Bewegungen nach 1979 wurden auf den Trümmern der liberal islamischen Werte erbaut und wollen ein utopisch konservatives Zeitalter des Islam als Schema für den Aufbau neuer Gesellschaften einführen.
Die Rückständigkeit des Islam und der islamischen Länder ist nicht nur ein Spiegelbild der dogmatischen Auslegung antiquierter religiöser Sichtweisen, die in die Gegenwart verpflanzt werden sollen. Der Mangel an Fortschritt und fortschrittlichen Gesellschaftsauffassungen ist vornehmlich das Resultat einer systematischen Unterentwicklung der halbkolonialen und “Drittwelt”nationen durch Kapitalismus und Imperialismus. Intellektuell lehnen sie allgemein das Vermächtnis der Aufklärung und der daraus abgeleiteten Strömungen und Grundsätze ab.
Der Klassencharakter des Islamismus und seine verschiedenen Spielarten
Das islamistische Spektrum ist breit gefächert und reicht von den Richtungen, die als konservativ-bürgerliche Parteien den Einfluss der Geistlichenkaste und Großgrundbesitzer neben den Kapitalisten erhalten wollen, sich dabei strikt an die Verfassung halten, über kleinbürgerlich-populistische Strömungen, die gegen den Imperialismus auftreten und Taktiken des bewaffneten Kampfs oder Guerillakriegs anwenden, bis hin zu den Terrorgruppen des Djihad und halb oder offen faschistischen Organisationen. Es gibt jedoch keine für alle Zeiten klare, unverrückbare Scheidung zwischen all diesen. Eine populistische Bewegung kann sich zu einer faschistischen Organisation entwickeln. Eine erzreaktionäre islamistische Organisation in Abgrenzung zu weltlichen antiimperialistischen Bewegungen kann sich gezwungen sehen, einen nationalen Befreiungskampf zu führen, um eine einflussreiche politische Kraft zu werden oder sich als solche zu behaupten. Eine kleinbürgerlich-reaktionäre islamistische Bewegung wiederum kann sich in eine islamische (nicht islamistische) bürgerliche Massenpartei verwandeln wie z. B. die AKP in der Türkei, die nicht nur die Hauptpartei des Landes für Sektoren der Mittelschichten und Armen geworden ist, sondern auch für die meisten türkischen Privatkapitalisten. Solche Entwicklungen und Wandlungen von Parteien, auf bürgerlicher wie auf proletarischer Seite, haben sich schon vielfach vollzogen.
Trotz dieser Unterschiede gibt es nichtsdestotrotz bestimmte gemeinsame Merkmale aller islamistischen Parteien und Bewegungen. V. a. teilen sie das Ziel der Bildung einer politischen Herrschaft auf der Grundlage religiöser Gesetze, ein Staat ohne Trennung von Staat und (einer) Religion, im Wesen ein theokratischer Staat. D. h. das Ziel all dieser islamistischen Parteien und Bewegungen ist letzten Endes reaktionär.
Alle islamistischen Regime belegen dies und zeigen, was die Herrschaft von islamistischen Parteien und Bewegungen für die Arbeiterklasse, Frauen und Unterdrückten bedeutet. Hier entschleiert sich der reaktionäre Charakter jeder islamistischen, jeder anderen sektiererischen oder religiös-fundamentalistischen Bewegung am unverhülltesten. Die idealisierte imaginäre Einheit der Gläubigen ist eine Bemäntelung, um die reale Herrschaft der Kapitalistenklasse, der Großgrundbesitzer und Rentiers zu rechtfertigen und abzusegnen. Die Institutionen des islamischen Klerus werden schließlich zu Staatsinstitutionen. Dies gestattet eine fast völlige Kontrolle der Bevölkerung durch eine nationale religiöse Gewalt und den verstärkte den Zugriff des Staats und der herrschenden Klasse, die durch ihn geschützt wird, auf die ArbeiterInnen und BäuerInnen, viel stärker als es die eigenen Unterdrückungsorgane leisten könnten.
Dennoch beweisen die islamistischen Regime auch, dass die islamistischen Parteien, Kräfte und Staaten nicht als rein religiöse Bewegungen oder Formen bzw. von den verkündeten religiösen Zielen her aufgefasst werden können. Sie zeigen vielmehr, dass wie in anderen religiös-politischen Bewegungen die Funktion und schließlich Form und Inhalt der Ideologie durch die Bedürfnisse und Interessen einer speziellen Klasse oder Klassenallianz bestimmt werden und nicht umgekehrt.
Der antiwestliche und erzreaktionäre Charakter der saudiarabischen Staatsideologie hat sich bspw. als völlig fähig erwiesen, eine der wichtigsten Stützen der US-Vorherrschaft in Nahost zu rechtfertigen Sie war ohne weiteres in der Lage, die Hamas gegen die Fatah zu „unterstützen“, ursprünglich, um den nationalen Befreiungskampf zugunsten des US-Imperialismus aufzuhalten, aber gleichzeitig offen mit Israel zu kollaborieren. Dieser reaktionäre Charakter des Regimes wird nicht dadurch verändert, dass es in Konflikt mit dem Imperialismus geraten könnte.
Das iranische Regime ist ein weiteres gutes Beispiel. Sein demagogischer Antiimperialismus war besonders ausgeprägt unter Khomeini, weil der Schah nicht nur eine Marionette der USA, sondern auch ein bonapartistischer Modernisierer wie sein Vater oder Mustafa Kemal war. Er versuchte den Einfluss der Schia-Geistlichenkaste und der Basarkaufleute zu schwächen, stützte sich dabei auf das internationale Kapital und wollte das Land als Markt dafür öffnen. Dagegen entwickelte Khomeini als Repräsentant des reaktionären Flügels des Schia-Klerus und der Basarkaufleute wie auch der Grundbesitzer die Ideologie der veliyat-i-faqih (Herrschaft der Juristen), die sich gegen den westlichen bürgerlichen Säkularismus des Schahs richtete. Die islamische Republik nach 1979 war jedoch weit mehr ein empirischer Reflex auf die Kräfte, revolutionär und konterrevolutionär, die durch die iranische Revolution entfaltet wurden.
Die konservativ bürgerlichen Politiker in der Nationalen Front und die Mehrheit der Großayatollahs, die die höchste Ebene der traditionellen Basarbankiers, Kaufleute und Grundbesitzer verkörperten, waren weder fähig noch willens, das von Khomeini gewünschte Regime zu schaffen. Auch die Verbindungen mit den USA wollten sie nicht lockern. Sie wollten eine konstitutionelle Monarchie und eine Distanz des Klerus zur Politik bewahren. Khomeini jedoch nutzte seinen charismatischen Einfluss auf die verarmten städtischen Massen und die niederen Ränge des Klerus, um seine Gegner in der politischen und klerikalen Elite zurückzudrängen und zu entfernen. Aber die Radikalität und Kraft der Linken, der studentischen Jugend, der ArbeiterInnen, die sie in Streiks und Fabrikübernahmen gezeigt hatten, überzeugte Khomeini, dass ein konstitutionelles Regime nicht imstande wäre, jene Kräfte zu bändigen und unterdrücken, und auf jeden Fall zuviel westliche Kultur und Durchdringung zulassen würde. Wüste Straßenschlachten und ein „weißer Terror“ waren vonnöten, um die linken stalinistischen und „islamomarxistischen“ Parteien wie die Iranischen Volksfedajin oder die Volksmudjahedin Mojahedin-e khalq zu zermalmen. Hierzu wurde nicht nur der normale Staatsapparat, sondern eine faschistische Massenbewegung, die Schlägertrupps der “Gotteswächter”, gebraucht. Die Kriegsumstände nach dem irakischen Angriff auf den Iran und die Blockade der US-Imperialisten schufen die idealen Voraussetzungen für die Zerschlagung der Linken. Deren falsche Strategie der Konzessionen an Khomeini in der Frühphase nach Revolutionsausbruch versetzte ihn in die Lage, das Lager seiner Widersacher zu spalten und ein totalitäres Regiment zu aufzubauen.
Obgleich konservativ bürgerliche Kräfte in Gestalt der „Reformer“ den totalitären Charakter des Regimes etwas abgeschwächt haben, hat der bonapartistische Kern des Staatsapparats eine Demokratisierung von oben und unten (Demokratiebewegung der StudentInnen) verhindert. Ahmedinedschad muss den islamistischen Wohlfahrtsgedanken, der auf der Fürsorge für die Armen und „Enterbten“ in den Elendsvierteln der Städte und in den Dörfern durch die Moschee begründet ist, mit der brutalen Unterdrückung durch die faschistischen Basijj-Truppen und einem demagogischen Antiimperialismus und Unterstützung für die Hisbollah und Hamas gegen Israel verbinden. Nur das Eingreifen der Arbeiterklasse als gesellschaftlich revolutionäre Kraft, geführt von einer antiimperialistischen, antikapitalistischen Partei, wird imstande sein, die soziale Basis für die Diktatur zu unterhöhlen und eine Revolution zu entfachen.
Der Pseudocharakter des Antiimperialismus von islamistischen Regierungen entschleiert sich auf noch barbarischere Weise beim sudanesischen Regime. Es passt sehr wohl dazu, dass sie versucht, sich als halbkolonialer Verbündeter dem aufkeimenden chinesischen Imperialismus anzudienen, indem sie die Naturvorräte und Kontrolle über die Öleinkünfte der „eigenen“ Bevölkerung im Austausch gegen chinesisches Geld und Unterstützung für die Niedermetzelung des Darfur-Aufstandes verkauft.
Die afghanische Taliban-Regierung fiel auch unter diese Kategorie. Ihr schneller Sturz 2001 war zu einem nicht geringen Teil zurückzuführen auf die Entfremdung von den breiten Massen außerhalb der südlichen von Paschtunenstämmen bevölkerten Gegenden. Hervorgerufen wurde dies durch ihre ultrareaktionäre Sozialpolitik und brutale Diktatur. Ihr Zusammenbruch unter der Offensive der USA war auch dem Umstand geschuldet, dass Pakistan und Saudi-Arabien den Taliban die Unterstützung entzogen. Sie konnten sich jedoch in ihrem angestammten Gebiet erholen und einen erfolgreichen Guerillakampf gegen die Besatzungstruppen und eine offen korrupte Marionettenregierung, gestützt auf regionale Militärtruppen, die die Taliban zuvor vertrieben hatten, führen.
Es ist zugleich notwendig, zwischen islamistischen Regimen und „islamischen Staaten“ oder „Republiken“ zu unterscheiden. Sie stellen eine Mischform dar. Staaten wie Pakistan sind im Wesentlichen nicht theokratisch strukturiert, obwohl sie sich als „islamisch“ bezeichnen. Es sind jedoch Staaten mit einem sehr hohen bedeutenden Anteil an Gesetzen, staatlichen Einrichtungen, Schulen usw., die mit dem Islam und dessen Geistlichkeit verwoben sind ähnlich wie eine Reihe von Ländern mit der christlichen Religion, also Staaten, in denen das Ringen um die Trennung der staatlichen von religiösen Institutionen noch von großer Bedeutung ist.
Die oppositionellen islamistischen Bewegungen und Parteien unterscheiden sich erheblich nach Form, Zusammensetzung und Klassenbasis von denen, die an die Regierung gelangt sind. Sie decken praktisch jeden Winkel des politischen Lebens ab: von Massenbewegungen für Reformen, radikal reaktionären kleinbürgerlichen Organisationen, auch faschistischen, bis hin zu Islamisten in der Führung von nationalen Befreiungskämpfen, kleinen elitären terroristischen Gruppierungen oder halbislamistischen Kräften, die soziale Befreiung versprechen.
Eine starke Trennlinie ist anscheinend die Frage, welche Form der Kampf für die Ziele von islamistischen Bewegungen annehmen soll. Eine Reihe von islamistischen Kräften hält sich streng an verfassungsmäßige Mittel, orientiert auf Reformen des bestehenden Staatsapparats. Etliche davon folgen einer längeren Tradition. Manche haben massenhafte Gefolgschaft in den vergangenen Jahren erlangt und führen unzufriedene Bevölkerungsteile und Kämpfe gegen bestehende Regierungen an.
Sie werden oft von Fraktionen der Bourgeoisie geführt, ihre AktivistInnen stammen jedoch in der Regel aus dem gebildeten Kleinbürgertum. Ihre Strategie ist die Verbreiterung des Einflusses durch schrittweise Eroberung von Machtpositionen über Wahlen zu Berufskörperschaften, Stadtrats- und Parlamentswahlen und schließlich auch Übernahme der Regierung. Sie nutzen ihren Massenanhang und Mobilisierungen, um den Druck auf herrschende Regime zu verstärken. Diese parlamentarische Orientierung kann mit einer sozialpolitischen Profilierung verbunden werden, von Religionsschulen bis Gesundheitszentren, was für die verarmten Massen oft die einzige Möglichkeit zur Linderung ihrer Armut ist. Solche Bewegungen bzw. politischen Strömungen reichen von der türkischen Refah, der Vorläuferorganisation der nun regierenden AKP, bis zur Moslembruderschaft in Ägypten und Jordanien. Auch die algerische Islamische Heilsfront FIS hat diesen Charakter in der legalen Phase ihrer Geschichte 1989-1992 angenommen.
Die klerikale Spitze der iranischen Opposition ist gleichfalls ein Beispiel für eine islamistische politische Strömung. Sie bilden eine Parteivorstufe, die Reformen am bestehenden, wenn auch islamischen, Staat erstrebt. Doch ihr verräterischer Charakter ist klar abzulesen an ihren Versuchen, die demokratischen Massenbewegungen der Arbeiterschaft und Mittelschichten im Iran davon abzuhalten, über die Institutionen hinaus zu gehen, die sie für gerechtfertigte Instrumente des islamischen Staatsapparats Irans halten.
Die begrenzte Form von Demokratie bzw. die offene Diktatur, aber auch die tiefe soziale Krise in den meisten moslemischen Ländern haben oft islamistische Kräfte dazu getrieben, Mittel des bewaffneten Kampfs einzusetzen. Diese können sich gegen existierende Regime oder Unterdrücker richten, gelegentlich, aber nicht immer in Verbindung mit legalen Strukturen. Die Fähigkeit, die Moschee und ihre Wohlfahrtsgründungen (awqaf) und Koranschulen (madaris) als Stützpfeiler in Ländern ohne staatlichen Zugriff darauf zu nutzen, hat Massenbewegungen wachsen lassen. Solche Bewegungen liefern einen Teil gesellschaftlicher Fürsorge, welchen die Regierungen, v. a. seit deren Anwendung von neoliberaler Wirtschaftspolitik nicht mehr leisten wollen bzw. können. Aber trotz dieser Imitation von Reformismus verhalten sich die islamistischen Kräfte allgemein feindlich gegen unabhängige Arbeiterorganisierung, d. h. wirkliche Gewerkschaften, und gegen alle weltlichen und demokratischen Kräfte, Frauen, gleichgeschlechtliche AktivistInnen genauso wie gegen nationale und religiöse Minderheiten. Folglich formieren sich solche Tendenzen zu konservativ kapitalistischen Parteien, selbst wenn sie einen größeren Grad an religiöser Gängelung über Staat, Erziehung, Wohlfahrt ausüben wollen. Kurzum, sie trachten offen oder verdeckt danach, den Staat zu entweltlichen, ein reaktionäres Ziel, dem die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten mit aller Kraft, die sie aufbieten können, entgegentreten müssen.
In ihrer extremsten Fassung sammeln sich solche Kräfte, die den bewaffneten Kampf aufnehmen, in reaktionären Massenbewegungen des wild gewordenen Kleinbürgertums und scharen das Lumpenproletariat und rückständige Sektionen des Proletariats um sich. Diese Bewegungen können eine extrem reaktionäre protofaschistische bzw. faschistische Form annehmen. Sie wachsen oft in Perioden von verschärften sozialen und politischen Krisen und präsentieren sich als entschlossene Alternative der extremen Reaktion gegen korrupte „weltliche“ Regime. Ihre Hauptfunktion jedoch ist, sie als Rammbock gegen die Arbeiterklasse und fortschrittlichen Massenbewegungen der Unterdrückten einzusetzen. Da sie reaktionäre Massenkräfte sind, die in Gemeinden und arbeiternahen Bezirken ihre Basis haben, können sie die Arbeiter- und fortschrittlichen Bewegungen totalitärer kontrollieren und unterdrücken als der repressive Staatsapparat, die Polizei und andere Sicherheitskräfte selbst.
Die Dschihad-terroristischen Islamisten verfolgen oft dasselbe Ziel, die Bildung einer islamistischen Diktatur, jedoch nicht auf Grundlage von Massenorganisationen. Ihre Organisationsformen sind reaktionäre bewaffnete Untergrundgruppen, die zum heiligen Krieg gegen die Ungläubigen aufrufen. Einige von ihnen werden mit passivem Wohlwollen von der an den Rand gedrängten Intelligenz und den verarmten Massen betrachtet. Sie bilden nur terroristische Zellen, insgeheim vernetzt mit bestimmten fundamentalistischen Moscheen, Islamschulen und deren Geistlichkeit. Ihre Attacken richten sich gegen Wahrzeichen und Vertreter des Imperialismus, des herrschenden Staatsapparats, gegen linke AktivistInnen, Feministinnen sowie TouristInnen, gegen alle anderen Religionsgemeinschaften, die sie als ketzerisch oder heidnisch ansehen. Zu diesen Gruppen gehören Al Kaida, die Dschihad Islami, die Djama al Islamiyya in Ägypten sowie die GIA in Algerien. Diese Kräfte können zwar pro-imperialistische islamische oder selbst islamistische Regierungen mit einzelterroristischen Angriffen überziehen, ihr strategisches Ziel bleibt jedoch die „Inspiration“ und Gewinnung von Teilen der herrschenden Klassen, der Großgrundbesitzer und der Bourgeoisie, um mit ihnen den Kampf gegen die „Ungläubigen“ führen zu können.
Nicht alle islamistischen Gruppierungen, die den bewaffneten Kampf pflegen, sind jedoch halb- oder voll faschistisch bzw. als dschihadistisch-terroristische Kräfte zu werten. Es gibt auch islamistische Parteien und Bewegungen, die führend oder wenigstens als eine der treibenden Kräfte an Massenkämpfen gegen den Imperialismus, nationale Unterdrückung oder Diktaturen beteiligt sind. Das heißt jedoch nicht, dass diese islamistischen Kräfte unbedingt fortschrittlich sein müssen. Ihre strategischen politischen und sozialen Ziele, die Art der politischen Regime, die sie errichten wollen, bleiben reaktionär.
Aber der fortschrittliche und gerechtfertigte Charakter der Kämpfe, an denen sie mitwirken, bedeutet, dass revolutionäre Klassenkräfte der Arbeiterschaft an der Seite solcher Organisationen streiten müssen, auch in gemeinsamen Aktionen und sogar in längerfristigen anti-imperialistischen Einheitsfronten. Aber wie bei all diesen Fronten geht der Kampf nicht nur gegen einen gemeinsamen Feind, sondern auch in dieser um deren Führung.
Obwohl Bewegungen wie die libanesische Hisbollah oder die palästinensische Hamas zur beherrschenden Kraft im nationalen Befreiungskampf werden konnten, wäre es völlig falsch, islamistische Organisationen als organisch verwoben mit den Kämpfen zu sehen. Bei Gründung richtete sich die Hamas gegen weltlich bürgerlich nationalistische und linke Befreiungsorganisationen der PalästinenserInnen. Erst die vorherrschende nationale Unterdrückung in ihrem gesellschaftlichen Leben und der Verrat des Befreiungskampfes durch die PLO-Führung hat die Hamas zur aktiven Teilnahme am Kampf gegen die Besetzung und den zionistischen Staat bewogen.
Die Hisbollah wiederum war nicht nur in der Lage, eine erfolgreiche Verteidigung gegen Israel aufzuziehen, sondern ist auch mit den stark verarmten schiitischen Bevölkerungsteilen Libanons verbunden. Ihr Islamismus trägt gemäßigtere und rationalere Züge. Er ist die Folge der Lage im Lande, die es für die Hisbollah notwendig macht, Kompromisse und Allianzen mit Kräften aus anderen Gemeinschaften einzugehen, wenn sie eine entscheidende Rolle in der libanesischen Politik spielen will. Das färbt wiederum auf ihre Spielart des Islamismus ab.
Schließlich gibt es noch eine Strömung von populistischen, „sozialistischen“ islamistischen oder islamischen Kräften. Sie stellt vorgeblich den Kampf gegen Imperialismus, Unterdrückung durch Großkapital und -grundbesitz und gegen soziale Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Sie verstehen sich als Nachfolger von mehreren islamischen bäuerlich-sozialrevolutionären Bewegungen aus den Epochen nach Mohammed und den vier „richtig geleiteten“ Kalifen. Theologisch unterscheiden sie zwischen einem „Islam der Unterdrückten“ und einem „Islam der Unterdrücker“. Im Iran stellte Ali Schariati 1933-1977 eine „rote Schia“ der ArbeiterInnen und BäuerInnen einer „schwarzen Schia“ des Klerus und der Herrscher gegenüber. Er war stark beeinflusst vom marxistischen Drittweltlertum, das er als Student in Paris kennen gelernt hatte.
In einiger Hinsicht ähnelt diese Strömung den radikaleren Aspekten der christlichen Befreiungstheologie aus den 70er und 80er Jahren. Schariatis Ideen beeinflussten die iranischen Volksmudjahedin, die islamistische mit stalinistischer Ideologie amalgamierten. Ihre gesellschaftliche Grundlage war ähnlich jener von maoistischen Organisationen und speiste sich aus der städtischen und ländlichen Intelligenz. Solche Strömungen arbeiten wohl mit der Arbeiterbewegung und der Linken zusammen und sind manchmal nicht wirklich islamistische Organisationen, dennoch verführt der populistische und volksfrontartige Charakter ihrer Politik sie zu politischer Unterordnung unter vermeintlich fortschrittliche und „antiimperialistische“ Teile der Bourgeoisie oder gar zu Kollaboration mit dem Imperialismus.
Eine Übersicht über die verschiedenen Spielarten von islamistischen Strömungen und Organisationen zeigt, dass jede Idee einer „globalen“ oder internationalen Einheit von Islamisten eine Illusion ist, eine Mythologisierung, die sowohl imperialistische wie islamistische Ideologen für ihre jeweils eigenen reaktionären Zwecke betreiben. In Wirklichkeit unterscheiden sich die verschiedenen islamistischen Organisationen nicht nur in ihrer Haltung zu nationalen Befreiungskämpfen, zu Regimen, an der Regierung oder in Opposition, in der Anwendung von terroristischen oder verfassungsmäßigen Mitteln. Sie sind auch nationale Organisationen und beruhen auf spezifischen sozialen Klassen oder Teilen davon. Deshalb treiben globale und nationale Klassenkämpfe islamistische Strömungen, Bewegungen oder Organisationen in unterschiedliche Richtungen, können eine islamistische in eine lediglich islamische Organisation verwandeln.
Die politische Abstufung islamistischer Kräfte ist nicht strikt und schließt vielfältige Schattierungen ein. Es gibt Übergangs- und Mischformen, die aus dem einen Typ einen anderen entwickeln können. Einige können unmittelbar Ausdruck der herrschenden Klasse sein und den Staatsapparat kontrollieren, während andere sich auf verzweifelte Mittelschichten und Kleinbürgertum stützen. Manche können sogar eine tragende Rolle in fortschrittlichen Kämpfen spielen.
Das politische Programm des Islamismus und aller islamistischen Organisationen ist jedoch reaktionär und utopisch. Der Islamismus agiert antidemokratisch und will politische Entscheidungen nicht den Massen überlassen, v. a. nicht der Arbeiterklasse, sondern religiösen Würdenträgern, die die islamischen Gesetze richtig auslegen. Der Islamismus ist eine stillschweigende Ablehnung von Bevölkerungssouveränität. Die Formierung von Kalifaten und die Verschmelzung von Staat und Moschee, sowie in dessen Gefolge die Attacken auf Frauen und Homosexuellenrechte bzw. die Beschneidung von Rechten nichtmoslemischer BürgerInnen oder religiöser Minderheiten konstituieren ein reaktionäres Regime ähnlich dem Faschismus, wenn nicht Form von Klerikalfaschismus, das nach einem Sturz durch die Arbeiterklasse ruft.
Marxismus und Religion
Die strengen und dogmatischen Sichtweisen religiöser Bewegungen widersprechen grundlegend den Gedanken und Anschauungen von SozialistInnen und fortschrittlichen gesellschaftlichen Bewegungen, zumal religiöse Führer der Bevölkerung mystische und utopische Vorstellungen einimpfen wollen. Der Sozialismus ist verstandgesteuert und wissenschaftlich und geht von der Selbstbefreiung der ganzen Menschheit und der Freiheit von allen Formen von Unterdrückung aus.
Deshalb führt jede revolutionäre kommunistische Organisation einen ständigen Kämpf gegen religiösen Glauben und andere idealistische Überzeugungen. KommunistInnen verteidigen nicht nur das Recht, atheistische Schriften zu veröffentlichen und Versammlungen abzuhalten. Jede kommunistische Organisation gründet ihre Theorie und Politik auf dem historischen und dialektischen Materialismus. Das schließt demzufolge eine Kritik aller religiösen, d.h. idealistischen Ideen ein. Sie bekämpft systematisch mit politischen Mitteln Religion und andere rückwärts gewandte Ideologien, die letzten Endes das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten nur blenden und vernebeln, selbst wenn sie als verwirrter Ausdruck der Unterdrückten gegen Unrecht, Elend und Ungleichheit zum Vorschein kommen.
Der dialektische Materialismus ist unsere philosophische Grundlage und schließt darum den Atheismus ein. Das heißt aber nicht, dass Atheismus Teil unseres Programms für die sozialistische Revolution ist. Wir weisen also keinen entschlossenen Klassenkämpfer wegen seiner religiösen Vorstellungen zurück, solange er unsere Disziplin und unser Programm teilt. Zwar sind die theoretischen Grundlagen der Partei unzweideutig materialistisch und müssen es auch sein, aber wir verlangen nicht von jedem/r ArbeiterIn oder Unterdrückten, die sich für die sozialistische Revolution und das Parteiprogramm einsetzen wollen, dass sie beinharte MaterialistInnen oder gar Atheisten sein müssen als Vorbedingung für ihre Anerkennung als unsere MitstreiterInnen. Wir beharren allerdings darauf, dass alle Parteimitglieder ein bedingungslos demokratisches Programm zur Religion unterstützen, nämlich die Trennung von Kirche und Staat und dafür auch offen eintreten ungeachtet ihrer persönlichen religiösen oder atheistischen Überzeugung.
Anders als die bürgerlichen antireligiösen DoktrinärInnen und viele AnarchistInnen ist für uns der Atheismus nicht der einzige, nicht einmal der wichtigste Teil unseres Kampfes. Als historische MaterialistInnen wissen wir, dass die sozialen Wurzeln der Religion als Opium für das und des Volkes nicht durch antireligiöse Propaganda überwunden oder am Ende verschwinden werden, sondern nur, wenn die Klassenspaltungen der Gesellschaft und der blinde irrationale Charakter der Gesellschaftsordnung beseitigt und ersetzt werden durch wahrhaft menschliche kommunistische Gesellschaftsverhältnisse. Deshalb wäre es auch falsch, selbstzerstörerisch und hemmend für die Entfaltung des proletarischen Klassenbewusstseins, wenn wir religiöse ArbeiterInnen aus unseren Reihen ausschlössen, die bereit sind, unser Programm der sozialistischen Revolution anzunehmen und dafür zu kämpfen. Im Gegenteil, ein entschlossener Kampf gegen Unterdrückung an der Seite von religiös gesinnten Menschen, die ihre Unterdrückung bekämpfen, ist das beste Mittel, um sie von den falschen Führern und Illusionen wegzubrechen. Deshalb kann es für KommunistInnen nötig sein, wo religiöse Organisationen Sektoren von ArbeiterInnen und BäuerInnen kontrollieren, ihnen gemeinsame Aktionen gegen Kapital und Grundbesitz anzubieten, um den Zugriff dieser Organisationen zu lockern und den Klassenkampf voranzubringen. Diese Einheitsfronttaktik mit religiösen Kräften sind keine Zugeständnisse an die Religion, sondern im Gegenteil der Versuch, im Kampf gegen das Kapital zugleich den Kampf gegen die Leiden voranzutreiben, die allen religiösen Illusionen zugrunde liegen.
Die Debatte der Kommunistischen Internationale, besonders auf dem 2. und 4. Kongress, und die antiimperialistische Einheitsfronttaktik sind unschätzbare Grundlagen für die Entfaltung einer marxistischen Taktik gegenüber islamischen oder islamistischen Kräften. Der allgemein reaktionäre Charakter des Islamismus darf uns nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, dass islamistische Kräfte sehr wohl Kämpfe gegen Imperialismus, Diktatur oder Reaktion führen können, die wir auch unterstützen müssen. Ob und welche konkrete Taktik oder Aktion wir favorisieren, hängt von den genauen Umständen ab. Gleichermaßen müssen wir unterscheiden zwischen der wirklichen sozialen Bedeutung von religiöser Ideologie, den Interessen der beteiligten Klassen und Schichten, die sich um das Banner des politischen Islam scharen, zwischen der Forderung nach der Herrschaft Allahs aus dem Mund der geistlichen Führer (Imame), hinter der die Verteidigung der privilegierten Position der klerikalen Ulema-Kaste steckt, und der selben Losung aus den Mündern des verzweifelten Kleinbürgertums oder der randständigen Jugend, die einen verwirrten Ruf nach Nahrung, Jobs, Unterkunft und Freiheit von Unterdrückung durch die Polizei ausdrücken kann.
Deshalb machen SozialistInnen den Atheismus auch nicht zur Vorbedingung für Einheitsfrontaktionen mit religiösen Massenkräften. Dennoch sollten sie auch nicht ihre eigene Anschauung zu gesellschaftlichen Inhalten zurückstellen oder gar religiösem Glauben unterordnen. Das Ziel jeder Einheitsfront mit islamischen oder islamistischen Massenkräften muss sowohl die Vernichtung des imperialistischen Militarismus bzw. anderer reaktionärer Kräfte sein wie auch die Mobilisierung vieler BäuerInnen, der städtischen Armut und Arbeiterschaft, die (noch) unter dem Einfluss des Islam stehen, gegen Großgrundbesitz und Kapitalismus. Letzten Endes zielen SozialistInnen darauf ab, populistische Bewegungen entlang von Klassenlinien aufzubrechen und die Arbeiterklasse und die Armut für das Programm des Sozialismus zu gewinnen.
Marxistische Revolutionäre treten jeder Form von antimoslemischem Rassismus schroff entgegen, denn dieser ist zu einer wichtigen ideologischen Waffe der imperialistischen Reaktion in der westlichen Welt geworden. Wir verteidigen das Recht von Moslems, ihre Religion auszuüben und Moscheen zu erbauen. Ebenso haben Frauen das Recht, sich zu verschleiern, auch mit der Ganzkörperbedeckung Burka, wenn sie dies freiwillig tun wollen. Wir rufen die Arbeiterbewegung dazu auf, den Moslems zu Hilfe zu eilen, wo sie unterdrückt werden. Auf diese Weise kann die Arbeiterbewegung den Einwanderern und religiösen Minderheiten demonstrieren, dass sie die demokratischste und fortschrittlichste Kraft ist und kann dadurch auch den Islamisten ihre Führungsrolle streitig machen. Die sozialistische Verteidigung von Moslemrechten auf Ausübung ihres Glaubens geht Hand in Hand mit der Abwehr jedes Zwangs gegen Frauen und Jugendliche, sich religiösen Riten gegen ihren Willen zu unterwerfen
Islamistische Organisationen und der Kampf um die sozialistische Revolution
Der Charakter der islamistischen Organisationen besagt in der Regel, dass sie von der Arbeiterbewegung und allen fortschrittlichen Kräften bekämpft werden müssen.
Wir sind für den Sturz aller islamistischen Regierungen, gleich ob als Marionetten oder Verbündete der USA oder anderer imperialistischer Mächte wie der Saudi-Staat oder auch als sogenannte „antiimperialistische“ Regime wie im Iran.
Im Kampf gegen solche Regierungen und alle islamistischen Kräfte treten wir ein für die Trennung von Staat und Religion, d.h. für einen wahrhaft weltlichen und demokratischen Staat und gegen jede Art von Staat auf der Grundlage von religiösen Gesetzen. Wir sagen nein zu aller staatlichen Unterstützung und Privilegien für die Moschee, nein zum Schariagesetz, nein zu Religionsschulen und Unterricht an allgemeinen Schulen, gegen alle religiösen Kleiderzwänge.
Wir engagieren uns gegen alle Formen von Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen, gleichgeschlechtlich orientierten und transsexuellen Menschen, von allen nationalen, ethnischen und religiösen Minderheiten.
Wir machen uns stark für die Unabhängigkeit der Arbeiterorganisationen und aller Organisationen der Unterdrückten, Gewerkschaften, politische Parteien usw. frei von islamischer bzw. islamistischer Kontrolle. Wir setzen uns ein für den Bruch der Arbeitergewerkschaften und kleinbäuerlichen Organisationen mit islamischen oder islamistischen Parteien, genau wie mit jeder anderen bürgerlichen bzw. religiösen Partei.
In den Ländern, wo massenhafte reaktionäre islamische Kräfte oder dschihadistische Gruppierungen die Arbeiterbewegung, Frauen und andere Unterdrückte attackieren, dürfen wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat als Schutzmacht verlassen. Genauso wenig darf der bürgerliche Staat angerufen werden, damit er ein Verbot der Islamisten erlässt. Zwar geben manche Staaten vor, den Islamismus im Namen der Demokratie zu bekämpfen, aber die Zerschlagung einer politischen Bewegung durch Polizei-, Geheimdienst- oder Armeeeinsatz kann nur die Macht des Staates stärken, um alle politischen Bewegungen nieder zu werfen. Darum müssen SozialistInnen die Arbeiter- und fortschrittlichen Organisationen (z. B. für Frauen- und Homosexuellenrechte) ermuntern, sich selbst und die demokratischen Rechte zu verteidigen.
Der Kampf gegen den Islamismus und islamistische Organisationen oder Regierungen ist nicht primär und ausschließlich eine religiöse Frage. Eine islamische Regierung ist auch ein Regime zur Absicherung der Klassenherrschaft der Kapitalisten und halbfeudalen Grundbesitzer. Deshalb berücksichtigt unsere Haltung zu islamistischen Parteien und Regierungen immer die genaue Rolle von islamistischen Organisationen in einem bestimmten Kampf.
Das schließt ein, dass zuweilen islamische Staaten oder Kräfte unter Umständen mit Imperialisten oder deren Verbündeten in Konflikt geraten. Wir treten allen Sanktionen imperialistischer Staaten wie z. B. gegen den Iran entgegen und fordern deren Aufhebung. Es ist absolut heuchlerisch zu behaupten, diese würden der Unterstützung der Demokratie im Iran dienen. Wenn ein Land wie Afghanistan vom Imperialismus attackiert und besetzt wird, verteidigen wir ebenfalls bedingungslos das Recht des afghanischen Volkes und des Staates sich zu schützen. Wir müssen die imperialistischen Lügen entlarven, dass ein solcher Krieg für die Befreiung des afghanischen Volkes geführt worden wäre und ihm Freiheit und Demokratie bringen würde. In Wirklichkeit dient er nur dazu, Afghanistan im imperialistischen Würgegriff zu halten und die imperialistische Herrschaft in der ganzen Region neu zu ordnen. Wir kämpfen für den sofortigen Abzug der imperialistischen Truppen und deren Niederlage in diesem reaktionären Krieg. Wir leisten jedoch der reaktionären Führung des Widerstands gegen den Imperialismus keinerlei politische Unterstützung, sondern erkennen nur die Notwendigkeit, sich ihnen in der Aktion anzuschließen und dabei die Taktik der antiimperialisti-schen Einheitsfront (AIEF) gegenüber solchen Kräften anzuwenden.
Wo Islamisten an der Spitze von nationaler Befreiung oder anderen gerechtfertigten Kämpfen stehen wie bei Bauernerhebungen, Kampf gegen Diktaturen, oder wo ein islamistischer Staat vom Imperialismus angegriffen wird, beziehen wir Stellung für sie in diesen Auseinandersetzungen. Das schließt die Anwendung der AIEF ein. In all diesen Fällen muss die Anwendung der Taktik unterscheiden zwischen der laufenden Aktion und einem Einheitsfrontabkommen mit islamistischen Kräften, zumal letzteres nicht nur eine klar umrissene Vereinbarung für gemeinsame Aktionen gegen einen gemeinsamen Feind erfordert, sondern auch auf der Freiheit der Organisation der eigenen Kräfte und der Freiheit der offenen Kritik auch an zeitweiligen islamistischen Bündnispartnern beruht. Angesichts des arbeiterfeindlichen Charakters des islamistischen Lagers wird der Aufruf zu gemeinsamer Aktion oft nicht auf Widerhall stoßen bzw. gar zurück gewiesen werden. Aber das macht die Anwendung der AIEF nicht überflüssig, sondern bedeutet lediglich, dass wir diese Ablehnung von gemeinsamen Maßnahmen oder der Freiheit der Kritik durch die Islamisten vor den Augen der Massen offenbaren müssen und damit demonstrieren, dass die Islamisten letzten Endes ihr religiöses Sektierertum über die Notwendigkeiten eines Kampfs mit vereinten Kräften stellen.
Die Arbeiterbewegung muss klar machen, dass solche Bündnisse, falls überhaupt möglich, nur vorübergehend und begrenzt sein können. Wir müssen sie warnen und vorbereiten auf den Fall, dass die Islamisten sich gegen die fortschrittlichen demokratischen Kräfte, religiöse Minderheiten usw. wenden können und dies schließlich auch tun werden. Wir müssen also dagegen gewappnet sein.
Deshalb muss das zeitweilige Bündnis immer mit dem Kampf für ein konsequentes Programm verbunden sein, das die ArbeiterInnen und BäuerInnen zur Macht führt und zur Bildung einer revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung.
Um den islamistischen Einfluss bei den Armen, der Bauernschaft, dem städtischen Kleinbürgertum und selbst bei Teilen der Arbeiterklasse auszuhöhlen und zu brechen, wäre es nicht genug, nur für klar demokratische Forderungen zu plädieren und für gemeinsame Aktionen gegen die imperialistische Reaktion bereit zu sein.
Ein Hauptgrund für den wachsenden Einfluss des Islamismus ist auch dessen Anspruch, das Elend und die Erniedrigung der Armen, der ländlichen und städtischen Beschäftigten durch die Einführung eines nicht korrupten, sauberen und ehrlichen Regimes auf der Grundlage von göttlichen islamischen Werten und Gesetzen zu überwinden.
Die Lage in allen islamistischen Staaten und gleichermaßen in Ländern, wo der Islam Staatsreligion ist, überführt sie jedoch vollkommen einer fantastischen Lüge. Um das aber bloßzustellen, ist ein mutiges Programm vonnöten, das die brennenden Fragen der demokratischen Revolution löst - in vielen Ländern ist dies die Landfrage - und die Armut sowie das Elend der ArbeiterInnen und HalbproletarierInnen, der städtischen Armen anpackt.
Die Islamisten mögen „gutes“, d. h. islamisches Verhalten von den Reichen verlangen. Aber sie „lösen“ diese Frage durch Unterstützung der Großgrundbesitzer gegen die Kleinbauern. Die Islamisten unterstützen die Industrie-, Handels- oder andere Kapitalisten gegen die Belegschaften. Im „günstigsten“ Fall schalten sie den Klerus als „Schlichter“ zwischen den Klassen ein. Zugleich hindern oder verbieten sie gar jede Art von unabhängigen Kampforganisationsstrukturen der ArbeiterInnen und BäuerInnen. Anstatt für den wirklich bedeutsamen Wandel einzustehen, für die Enteignung des Großgrundbesitzes auf dem Lande, für die Verstaatlichung der Großindustrien, Hochfinanz und Handelskonzerne, für ein Programm von öffentlichen Arbeiten bezahlt aus der Besteuerung der Reichen, von imperialistischen Monopolen, Großgrundbesitzern und Kapitalisten, bieten die Islamisten nur Mildtätigkeit an, Brosamen vom Tisch der herrschenden Klassen.
Die bürgerlichen Nationalisten und auch die stalinistischen sowie linksreformistischen Kräfte haben es versäumt, diese Probleme anzupacken. Sie trennen den Kampf gegen den Islamismus, das Verständnis seiner Wurzeln und die Taktik ihm gegenüber vom Kampf für die revolutionäre Befreiung der Arbeiter und Unterdrückten. Das führt entweder zur Anpassung und politischen Unterwerfung unter die „weltlichen“ manchmal auch pro-imperialistischen Kräfte im Namen der Verteidigung von „Demokratie“ gegen den Islamismus oder in anderen Fällen zur Huldigung der Islamisten als Vollstrecker einer „national-demokratischen“ Revolution und der legitimen Führung einer bürgerlichen Revolution.
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat allerdings bewiesen, dass ein Programm, welches sich auf die ungelösten demokratischen Aufgaben und eine demokratische Etappe im Zuge einer Revolution in einer Halbkolonie beschränken will, zum Scheitern verurteilt ist. Die demokratischen Hauptaufgaben können nur gelöst und durchgeführt werden, wenn die Arbeiterklasse die Revolution anführt, eine Arbeiter- und Bauernregierung auf Grundlage von Räten und bewaffneten Milizen errichtet und den bürgerlichen Staatsapparat ersetzt. Nur ein revolutionäres Aktionsprogramm, das auf der Strategie der permanenten Revolution und der Internationalisierung der Revolution gründet, erlaubt es der Arbeiterklasse, die Gesellschaft umzuformen und Rückständigkeit, Elend, Ausbeutung, Unterdrückung und dadurch die Basis für rückwärts gewandte Ideologien und politische Kräfte wie die Islamisten zu überwinden.