Rück- und Ausblick nach 25 Jahren organisierten Kampfes für den Bolschewismus
Von Michael Pröbsting, Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz, Dezember 2014, www.thecommunists.net
Inhalt
I. Die revolutionäre Partei und ihre Rolle im Klassenkampf
Klassenunabhängigkeit durch Klassenkrieg
Klassenkrieg als organisierter und von der revolutionären Partei geführter Kampf
Das Proletariat als homogene, aber vielschichtige Klasse
Marxismus, fatalistischer Objektivismus und spontaner Subjektivismus
Die Partei als Avantgarde
Führung, Partei und Klasse
Die revolutionäre Partei trägt politisches Klassenbewusstsein in das Proletariat
Über die Bolschewiki, ihre Mitglieder und ihre Führung
II. Die revolutionäre Partei und ihre Merkmale
Einheit von Theorie und Praxis
Die Hingabe der Parteimitglieder
Das Programm zuerst
Propaganda und Agitation
Kommunistische Massenarbeit
Klassenzusammensetzung und Orientierung auf die nicht-aristokratischen Schichten der ArbeiterInnenklasse
Taktiken im Aufbau der revolutionären Partei
Die Verpflichtung der KommunistInnen zur Arbeit und der demokratische Zentralismus
Der Kampf gegen bürgerliche und kleinbürgerliche Einflüsse in der ArbeiterInnenklasse
Nationaler und internationaler Parteiaufbau müssen Hand in Hand gehen
III. 25 Jahre Aufbau unserer internationalen Tendenz
i) Workers Power (Britannien) und die MRCI 1976-1989: Der Beginn des Wiederaufbaus des revolutionären Marxismus
ii) Die LRCI in der Periode von 1989-2001: Der Zusammenbruch des Stalinismus und nationale Befreiungskämpfe
1989-1991: Politische Revolution und soziale Konterrevolution in den stalinistischen Ländern
1991: Der imperialistische Angriff gegen den Irak
1992-1995: Die Balkankriege
1997-1999: Der nationale Befreiungskampf im Kosovo und der Krieg der NATO gegen Serbien
1994 bis heute: der Aufstand des tschetschenischen Volks gegen die russische Besatzung
Die Schwierigkeiten im Parteiaufbau in den 1990er Jahren und der Kampf gegen passiven Propagandismus
Diskussion zum Charakter der Periode
iii) Die LRCI/LFI in der Periode von 2001-2008: Vorrevolutionäre Periode imperialistischer Kriege und des Widerstands
2001: Der imperialistische Angriffskrieg gegen Afghanistan
2003-2011: Der Krieg im Irak und der Kampf gegen den Imperialismus
Revolutionäre Entwicklungen in Lateinamerika: Argentinien, Venezuela, Bolivien und die Bolivarische Bewegung
Die Antiglobalisierungsbewegung
Die Krise des Reformismus und die Taktik der Neuen ArbeiterInnenpartei
Interne Debatten und die Spaltung 2006
Wachstum… und Vorboten künftiger Probleme: Klassenzusammensetzung, Orientierung und unser Kampf gegen den Aristokratismus
Wachstum in Südasien
iv) 2008-2011: das Versagen der LFI, sich den Herausforderungen der revolutionären Periode der historischen Krise des Kapitalismus zu stellen
Falsches Verständnis des Charakters der Periode
Falsches Verständnis der Unterdrückung von MigrantInnen und des Wesens der Arbeiteraristokratie
Die praktische Demonstration des Zentrismus der LFI während des August-Aufstands 2011 in Britannien
Versagen im Verständnis des Zentrismus und im Kampf gegen ihn
Spaltung, Niedergang und weitere politische Degeneration der LFI
v) Die gegenwärtige Entwicklung: Gründung und Aufstieg der RCIT seit 2011
Wachstum und exemplarische Massenarbeit
Marxistische Theorie und Propaganda
IV. Lektionen für die Zukunft
Die Unersetzlichkeit einer bolschewistischen Organisation – national und international
Die Einheit von Theorie und Praxis muss in allen Bereichen der Parteiarbeit umgesetzt werden
Die zentrale Bedeutung des revolutionären Programms
Weiterentwicklung von Programm und Theorie
Wichtigkeit der exemplarischen Massenarbeit
Spaltungen und Fusionen
Verankerung der kommunistischen Parteiaufbauorganisation in der ArbeiterInnenklasse
Kampf gegen Linksreformismus und Zentrismus
Im Folgenden veröffentlichen wir Teil 1 des Buches von Michael Pröbsting über Theorie und Praxis des revolutionären Parteiaufbaus. Das Buch erschien ursprünglich in englischer Sprache im Dezember
2014 als E-Book bzw. als Ausgabe 29 und 30 des englischsprachigen internationalen Journals der Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT). Wir haben es für die deutsche Übersetzung
an ein paar Stellen aktualisiert.
Michael Pröbsting ist der Internationale Sekretär der RCIT. Alle Publikationen der RCIT können über unsere Kontaktadresse bezogen werden. Der Text wurde von Gerlinde K. übersetzt.
Einleitung
Vor einigen Monaten feierte unsere Bewegung ihr 25jähriges Jubiläum. Im Sommer 1989 wurde unsere Vorgängerorganisation, die Liga für eine Revolutionär-Kommunistische Internationale (LRCI) als demokratisch-zentralistische internationale Tendenz basierend auf einem ausgearbeiteten Programm gegründet. Die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (internationale Abkürzung: RCIT) führt die revolutionäre Tradition der LRCI fort. Im Folgenden wird ein Überblick über unsere Geschichte gegeben, eine Aufarbeitung unserer Erfolge wie auch unserer Fehler und eine Zusammenfassung der Lehren für die vor uns liegenden Kämpfe. Dieses Buch fasst unsere theoretische und praktische Erfahrung der letzten 25 Jahre zusammen. [1]
* * * * *
In Kapitel I beleuchten wir die theoretische Konzeption der Bolschewiki-Kommunisten bezüglich der Rolle der revolutionären Partei und ihres Verhältnisses zur ArbeiterInnenklasse. In Kapitel II werden die wesentlichen Grundzüge einer revolutionären Partei bzw. deren Vorformen herausgearbeitet. In Kapitel III behandeln wir die Geschichte unserer Bewegung – der RCIT und ihrer Vorgängerorganisation. Schließlich werden in Kapitel IV die wichtigsten Lehren aus 25 Jahren organisierten Kampfs für den Aufbau einer bolschewistischen Partei gezogen und ihre Bedeutung für unsere künftige Arbeit beleuchtet. [2]
I. Die revolutionäre Partei und ihre Rolle im Klassenkampf
Einer der grundlegendsten Unterschiede zwischen dem unverfälschten Marxismus und den diversen, von kleinbürgerlichen Intellektuellen verbreiteten, Karikaturen, liegt darin, ob dieser vorwiegend eine Weltanschauung darstellt, die dem Proletariat als Handlungsanleitung dient, oder ob es eine bloß soziologische Theorie ist, die sich darauf beschränkt, Entwicklungen in der Klassengesellschaft zu analysieren. Bekanntlich waren Marx, Engels, Lenin und Trotzki überzeugte Anhänger davon, dass der Marxismus eine Methode ist – nämlich die des dialektischen Materialismus -, ein wissenschaftliches Instrument zum Verständnis aller Erscheinungen in der Gesellschaft wie auch der Natur und im Dienste der Menschheit zum Zwecke des Eingreifens und der Umgestaltung der Welt im eigenen Interesse.
Marx und Engels brachten diese Sichtweise in zahlreichen Schriften zum Ausdruck. Die vermutlich berühmteste Formulierung ist die 11. These von Marx zu Feuerbach: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern” [3]
Engels drückte diesen fundamentalen Gedanken folgendermaßen aus:
“Und Kommunismus hieß nun nicht mehr: Ausheckung, vermittelst der Phantasie, eines möglichst vollkommenen Gesellschaftsideals, sondern: Einsicht in die Natur, die Bedingungen und die daraus sich ergebenden allgemeinen Ziele des vom Proletariat geführten Kampfs.”[4]
Daraus folgt, dass der Marxismus niemals eine “neutrale” Theorie sein kann, die über den Klassen und ihren Parteien steht, sondern nur eine Theorie sein kann, die die Realität aus einem parteilichen Blickwinkel erklärt, d.h. vom Standpunkt der proletarischen Interessen oder allgemeiner, des historischen und gesellschaftlichen Fortschritts. Parteilichkeit (“partiinost” in der bolschewistischen Terminologie) ist ein grundlegendes Erfordernis für MarxistInnen, wie Lenin bereits in seinen frühen Schriften herausgestrichen hat:
“Anderseits schließt der Materialismus sozusagen Parteilichkeit in sich ein, da er dazu verpflichtet ist, bei jeder Bewertung eines Ereignisses direkt und offen den Standpunkt einer bestimmten Gesellschaftsgruppe einzunehmen”[5]
Deshalb ist der Marxismus von seinem Wesen her eine Handlungsanleitung, wie Engels und später Lenin und Trotzki wiederholt betont haben. Lenin, sich auf Engels Äußerung berufend, erklärte: “Unsere Lehre, sagte Engels von sich und seinem berühmten Freund, ist kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln. In diesem klassischen Satz ist mit wunderbarer Kraft und Prägnanz jene Seite des Marxismus hervorgehoben, die sehr oft außer Acht gelassen wird. Wenn wir sie aber außer Acht lassen, machen wir den Marxismus zu einer einseitigen, missgestalteten, toten Lehre, nehmen wir ihm die lebendige Seele, untergraben wir seine fundamentale theoretische Grundlage - die Dialektik, die Lehre von der allseitigen und widerspruchsvollen historischen Entwicklung, untergraben wir seinen Zusammenhang mit den bestimmten praktischen Aufgaben der Epoche, die sich bei jeder neuen Wendung der Geschichte ändern können.” [6]
Klassenunabhängigkeit durch Klassenkrieg
Die Voraussetzung für eine korrekte politische Orientierung auf den proletarischen Befreiungskampf ist das grundlegende Prinzip des bolschewistischen Programms und liegt – in einem Wort ausgedrückt – in der Klassenunabhängigkeit. Klassenunabhängigkeit des Proletariats heißt, dass es sich selbst aus den politischen, organisatorischen und ideologischen Fesseln, die es an die herrschende Klasse ketten, befreit.
Diese Ketten umfassen die ideologische Manipulation durch die kapitalistischen Medien, Schulen, religiösen Institutionen, die Kontrolle über die ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften, reformistische Parteien etc.) durch die ArbeiterInnenbürokratie usw. Dazu kommt, was Marx Warenfetischismus nannte, d.h. die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz, den inneren Mechanismus der kapitalistischen Wertschöpfung und des Ausbeutungsprozesses zu verbergen und ein falsches, verwirrtes Bewusstsein in der Gesellschaft (einschließlich der ArbeiterInnenklasse) zu schaffen. Marx und Engels beobachteten schon im Kommunistischen Manifest: “Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.”[7]
Daraus folgt, dass Klassenunabhängigkeit nur über den unnachgiebigen Klassenkampf der ArbeiterInnenklasse gegen die Bourgeoisie und ihre Lakaien auf allen Ebenen erreicht werden kann. Das heißt, dass das Proletariat seinen Kampf im wirtschaftlichen Bereich (um höhere Löhne, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Preiserhöhungen usw.), im politischen Bereich (für demokratische Rechte, gegen nationale Unterdrückung usw.) wie auch im theoretisch-ideologischen Bereich (gegen die Ideen von Reformisten, Zentristen, Nationalisten, Islamisten usw.) führen muss. Mit anderen Worten, der Marxismus kann nur als Strömung existieren, wenn er den bestehenden objektiven Gegensatz zwischen den Klassen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in einen subjektiven Gegensatz umwandelt, wo die Führung des Proletariats gegen ihre Feinde in allen Bereichen kämpft. Darum betonte Trotzki, in seinem Buch Der neue Kurs und anderen Schriften, den militanten Charakter des Bolschewismus: „Der Leninismus ist kriegerisch von Kopf bis Fuß. [8] Ganz ähnlich schrieb Gregory Sinowjew, ein weiterer bolschewistischer Führer, der eng mit Lenin im Ersten Weltkrieg zusammenarbeitete, 1916: „Der Sozialismus ist nicht Pazifismus. Der Sozialismus ist kämpfender Marxismus. Solange dieser Gedanke innerhalb der Arbeiterbewegung nicht allgemein anerkennt ist, wird der bürgerliche Einfluß auf das Proletariat, der auch im Pazifismus zum Ausdruck kommt, der Freiheitsbewegung der Arbeiter stets schädlich sein.“ [9] Mit anderen Worten, ein Marxismus, der nicht militant und militaristisch gegen die Feinde des Proletariats ist, kann wohl kaum Marxismus genannt werden. [10]
Somit müssen MarxistInnen einen fortwährenden, aufklärerischen Kampf gegen das falsche Bewusstsein, das durch den Warenfetischismus geschaffen wird, führen. Das erfordert kollektive wissenschaftliche Arbeit – denn die Einsicht in die inneren Mechanismen des Kapitalismus und die Bedingungen für seinen Sturz überkommt niemanden spontan – und systematische Propaganda der Partei in den Reihen der ArbeiterInnenklasse. [11]
Klassenkrieg als organisierter und von der revolutionären Partei geführter Kampf
Aus all dem folgt, dass der Marxismus im politischen Bereich nur zu einer lebendigen Weltanschauung werden kann, wenn er von einem Kollektiv von Menschen, die ihn für den revolutionären Befreiungskampf der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten nutzen, aufrecht erhalten wird. Mit anderen Worten, der Marxismus ist die Weltsicht einer Klasse und existiert nur als Ideologie eines Kollektivs dieser Klasse. Deshalb benötigt die marxistische Weltanschauung die Bildung einer revolutionären Partei (oder einer Vorform davon) – nicht als Luxus, sondern als conditio sine qua non. Wie Lenin einst bemerkte: “Denn „revolutionärer Marxismus" außerhalb der sozialdemokratischen Partei ist einfach eine Salonphrase eines legalen Schwätzers (…)“.[12]
Eine revolutionäre Partei ist unter allen Umständen unverzichtbar. Nur eine solche Partei kann die ArbeiterInnen sowohl in Perioden des Rückzugs wie auch des Vormarsches führen. Nur eine solche Partei kann die richtigen Lehren ziehen und sie auf programmatische Schlussfolgerungen für das Auf und Ab des Klassenkampfs verallgemeinern. Nur eine solche Partei kann KämpferInnen in den revolutionären programmatischen und organisatorischen Methoden ausbilden und so das Proletariat für weitere Kämpfe vorbereiten. Zu Beginn des Aufbaus der russischen marxistischen Partei hielt Lenin richtig fest:
“Es ist lächerlich, sich auf den Unterschied in der Situation, auf den Eintritt einer neuen Periode zu berufen: an der Schaffung einer Kampforganisation arbeiten und politische Agitation treiben ist unbedingt notwendig in jeder Situation, mag sie auch noch so ‚alltäglich, friedlich’ sein, in jeder Periode, mag in ihr der ‚revolutionäre Geist’ auch noch so ‚gesunken’ sein; mehr als das: gerade in einer solchen Situation und in solchen Perioden ist die genannte Arbeit besonders notwendig, denn in der Zeit der Explosionen und Ausbrüche ist es schon zu spät, eine Organisation zu schaffen; sie muss in Bereitschaft stehen, um sofort ihre Tätigkeit entfalten zu können.”[13]
Die revolutionäre Partei repräsentiert die höchste Form des Klassenbewusstseins und der Organisation des Proletariats, wie Lenin betonte. [14] Die Bolschewiki – wie die revolutionären MarxistInnen in Russland genannt wurden – waren die Ersten, die den Parteitypus, der für den Sieg der proletarischen Revolution notwendig war, verstanden und eine solche “Partei neuen Typs” von 1903 an entwickelten. [15] Später – nach dem Sieg der Oktoberrevolution – folgten viele RevolutionärInnen in anderen Ländern dem russischen Beispiel und gründeten kommunistische Parteien. Als sie ihre Kräfte zusammenschlossen und im März 1919 die Kommunistische Internationale gründeten, verallgemeinerten sie die bolschewistische Erfahrung und übernahmen ihre Lehren. Lenin selbst strich heraus, dass der Bolschewismus ein international anwendbares Programm geworden ist: “Der Bolschewismus ist zur weltumspannenden Theorie und Taktik des internationalen Proletariats geworden!” [16]
Die grundlegendste dieser Lehren war, dass eine revolutionäre Partei die wichtigste Vorbedingung für einen erfolgreichen Befreiungskampf der ArbeiterInnenklasse ist:
“Die kommunistische Partei ist die die Haupt- und Grundwaffe zur Befreiung der Arbeiterklasse ist. In jedem Land dürfen wir jetzt nicht Gruppen oder Strömungen, sondern müssen wir eine kommunistische Partei haben.” [17]
“Die Kommunistische Internationale verwirft auf das entschiedenste die Ansicht, als könne das Proletariat seine Revolution vollziehen, ohne eine selbständige politische Partei zu haben. Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf. Das Ziel dieses Kampfes, der sich unvermeidlich in einen Bürgerkrieg verwandelt, ist die Eroberung der politischen Macht. Die politische Macht kann nicht anders ergriffen, organisiert und geleitet werden als durch irgendeine politische Partei. (…) Derselbe Klassenkampf erfordert gleichfalls die zentrale Zusammenfassung und die gemeinsame Leitung der verschiedenartigen Formen der proletarischen Bewegung (Gewerkschaften, Konsumvereine, Betriebsräte, Bildungsarbeit, Wahlen und dergleichen). Ein derartiges zusammenfassendes und leitendes Zentrum vermag nur eine politische Partei zu sein. Der Verzicht, eine solche zu schaffen und zu stärken, sich einer solchen unterzuordnen, bedeutet den Verzicht auf die Einheitlichkeit in der Führung der einzelnen Kampftrupps des Proletariats, die auf den verschiedenen Kampfplätzen vorgehen. Der Klassenkampf des Proletariats erfordert eine konzentrierte Agitation, welche die verschiedenen Etappen des Kampfes von einem einheitlichen Standpunkt beleuchtet und die Aufmerksamkeit des Proletariats in jedem betreffenden Augenblick auf bestimmte, der gesamten Klasse gemeinsame Aufgaben lenkt. Das kann ohne einen zentralisierten politischen Apparat, d. h. außerhalb einer politischen Partei, nicht durchgeführt werden. (…) Die revolutionären Syndikalisten und Industrialisten wollen gegen die Diktatur der Bourgeoisie kämpfen, wissen aber nicht, wie. Sie merken nicht, dass die Arbeiterklasse ohne eine selbständige politische Partei ein Rumpf ohne Kopf ist.” [18]
Leo Trotzki fasste diese Schlussfolgerung 1924 in einem seiner grundlegenden Dokumente, 1917 - Die Lehren des Oktobers, mit folgenden energischen Worten zusammen: “Ohne die Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Surrogat der Partei kann die proletarische Revolution nie siegen. Das ist die Hauptlehre des letzten Jahrzehntes.”[19]
Die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei besteht immer – ungeachtet der konkreten Bedingungen des Klassenkampfs oder der aktuellen Stärke der RevolutionärInnen. Trotzki schrieb einst, dass sogar, wenn es nur drei RevolutionärInnen auf der ganzen Welt gäbe, sie sich organisieren und für die Gründung einer bolschewistischen Partei kämpfen müssten:
“Wenn es im Exil auch nicht einmal 350 Getreue sind, die zu unserem Banner stehen, sondern nur 35 oder gar nur drei; das Banner wird bleiben, die strategische Linie wird bleiben, und die Zukunft wird bleiben.” [20]
Die Partei ist Führerin und Strategin des Klassenkampfs gegen das ausbeuterische kapitalistische System. Die gesamte Arbeit der Partei oder der Parteiaufbauorganisation ist auf die Vorbereitung und Organisation des Klassenkampfs ausgerichtet. Die Kommunistische Internationale betonte diesen Punkt:
“Unsere gesamte Parteiarbeit ist praktischer oder theoretischer Kampf oder Vorbereitung dieses Kampfes.” [21]
Daher ist die revolutionäre Organisation – wie Lenin in Was tun? und vielen anderen Schriften betonte – eine Kampforganisation, d.h. eine Organisation, deren Mitglieder alle KämpferInnen sind in einem permanenten Krieg gegen das kapitalistische System und seine Lakaien an der Spitze der ArbeiterInnenbewegung. In einem kurzen Artikel von 1922 verfasst Nikolai Bucharin, einer der wichtigsten bolschewistischen Führer, eine exzellente Beschreibung des durch und durch kämpferischen Charakters der Partei und der völligen Hingabe ihrer Mitglieder. Er nannte die Partei “die eiserne Kohorte der proletarischen Revolution.”[22]
In seinen philosophischen Heften 1933-35 formulierte Leo Trotzki den Charakter der bolschewistischen Partei in der personifizierten Formel “Lenin + Kamo”. [23] Kamo war der berühmte armenische Führer einer bolschewistischen Kampfeinheit und organisierte eine Reihe bewaffneter Überfälle, um Gelder für die Partei aufzubringen und die feindlichen Kräfte anzugreifen. [24] In der Kombination von Lenin und Kamo drückte Lenin die bolschewistische Einheit von Theorie und Praxis aus – des theoretischen und propagandistischen Kampfes wie auch des militärischen Kampfes.
Mit der Verwendung von Begriffen wie “Militante” und “Kämpfer” ist nicht notwendigerweise ein militärischer Kontext gemeint. Bolschewiki sind Kämpferinnen und Kämpfer gegen die bürgerliche Ordnung und sie kämpfen dagegen mit allen nötigen und politisch angemessenen Mitteln. Während unter gewissen Umständen das auch militärische Mittel einschließen kann, bedeutet es zuerst und vor allem praktische, organisatorische, propagandistische und andere Mittel, um die Herzen und Hirne der ArbeiterInnenklasse zu gewinnen.
Zusammenfassend ist der Aufbau der revolutionären Partei bzw. ihrer Aufbauorganisation immer und unter allen Umständen die wichtigste Aufgabe – unter günstigen wie auch unter ungünstigen Umständen und mit nummerisch schwachen oder starken Kräften. Solch eine Partei muss als Kampforganisation aufgebaut werden oder sie ist keine revolutionäre Kraft.
Das Proletariat als homogene, aber vielschichtige Klasse
Der Marxismus besteht darauf, dass das Proletariat homogener als die anderen Klassen in der bürgerlichen Gesellschaft ist – die Bourgeoisie oder das Kleinbürgertum beispielsweise. Der Modus operandi der letzteren Klassen ist durch konstante Rivalität gegen ihre Konkurrenten im Geschäftsleben gekennzeichnet. Die ArbeiterInnenklasse andererseits wird durch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen als Klasse, die keine Produktionsmittel besitzt und von den Kapitalisten ausgebeutet wird, vereint. Das bildet die objektive Vorbedingung für einen vereinten Kampf gegen die ausbeuterische kapitalistische Klasse.
Und doch: der Marxismus geht von der Anerkennung der Tatsache aus, dass die ArbeiterInnenklasse keine völlig homogene Klasse ist. Sie ist sowohl sozial wie auch politisch geteilt. Sozial nicht nur zwischen ArbeiterInnen und Angestellten, Werktätigen von Klein- und Großbetrieben, gelernten und ungelernten Kräften usw., sondern auch – und viel wichtiger – entlang spezifischer Unterdrückungslinien: ArbeiterInnen in imperialistischen Ländern und ArbeiterInnen in halbkolonialen Ländern, national unterdrückte und migrantische ArbeiterInnen, die proletarische Jugend und Frauen usw. Weiters ist es der Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern durch die Ausbeutung der (halb-)kolonialen Welt möglich, riesige Mehrwertprofite herauszupressen, mit denen sie die Oberschicht des Proletariats – die ArbeiterInnenaristokratie - bestechen kann. Mittels solcher Bestechung kann das Monopolkapital die privilegiertesten Teile der ArbeiterInnenklasse integrieren und sie zu Unterstützern der bürgerlichen Herrschaft machen. Während diese aristokratische Schicht – verglichen mit dem gesamten Proletariat – zahlenmäßig gering ist, spielt sie in den Gewerkschaften und reformistischen Parteien eine vorherrschende Rolle. Daher darf sich die revolutionäre Partei – im Gegensatz zu den Reformisten und den meisten Zentristen – nicht auf die ArbeiterInnenaristokratie hin orientieren, sondern auf die mittleren und unteren Schichten des Proletariats. Das war auch das Verständnis der Kommunistischen Internationale zu Zeiten Lenins und Trotzkis:
“Eine der Hauptursachen, die die revolutionäre Arbeiterbewegung in den entwickelten kapitalistischen Ländern erschweren, besteht darin, dass es dem Kapital dank dem Kolonialbesitz und den Surplusprofiten des Finanzkapitals usw. hier gelungen ist, eine verhältnismäßig breitere und standfestere Schicht der kleinen Minderheit der Arbeiteraristokratie auszuscheiden. Sie genießt die besten Lohnbedingungen und ist am meisten vom Geist zünftiger Beschränktheit, von spießbürgerlichen und imperialistischen Vorurteilen durchdrungen. Das ist die wahre soziale “Stütze” der II. Internationale der Reformisten und “Zentrumsleute”, und im gegenwärtigen Augenblick ist dies beinahe die einzige soziale Hauptstütze der Bourgeoisie. Keine auch nur vorläufige Vorbereitung des Proletariats zum Sturz der Bourgeoisie ist ohne unverzüglichen, systematischen, ausgedehnten, offenen Kampf mit dieser Schicht möglich, die zweifellos — wie durch die Erfahrung schon völlig erwiesen ist — nach dem Siege des Proletariats nicht wenige Elemente für die bürgerlichen weißen Garden liefern wird. Alle der Kommunistischen Internationale angeschlossenen Parteien müssen um jeden Preis die Losung durchführen: “tiefer in die Massen”, “engere Verbindung mit den Massen”, wobei unter den Massen die Gesamtheit der Werktätigen und vom Kapital Ausgebeuteten zu verstehen ist, besonders diejenigen, die am wenigsten organisiert und aufgeklärt, am stärksten bedrückt und der Organisation am wenigsten zugänglich sind.” [25]
Wie in The Great Robbery of the South und anderen Schriften aufgezeigt, hat die Spaltung des Weltproletariats seit den Zeiten Lenins und Trotzkis enorm zugenommen. [26] Seither ist die ArbeiterInnenklasse in den halbkolonialen Ländern derart gewachsen, dass heute etwa ¾ der Weltproletariats im Süden leben. Daher erklären wir, dass der Fokus des Weltproletariats sich auf die Werktätigen in der halbkolonialen Welt, in China und Russland, wo sie oft überausgebeutet werden, verlagert hat. Außerdem haben wesentliche Veränderungen in den imperialistischen Ländern stattgefunden: der Anteil der lohnabhängigen Mittelschicht ist bedeutend gewachsen (während das alte städtische Kleinbürgertum und die Bauernschaft sich stark dezimiert haben). Weiters hat sich die Diversifikation oder Schichtung innerhalb der ArbeiterInnenklasse beträchtlich verstärkt: prekäre und migrantische Schichten des Proletariats sind zu wichtigen Teilen geworden, während die ArbeiterInnenaristokratie ihre Privilegien relativ vergrößert hat. Die Rolle der revolutionären Partei besteht somit darin – national und international – ein zunehmend aufgespaltenes Weltproletariat zu vereinen und v.a. die unteren und mittleren Schichten der ArbeiterInnenklasse, die wichtiger denn je sind, zu sammeln.
Diese Herausforderungen für die revolutionäre Partei in den alten imperialistischen Ländern sind umso größer, als das Proletariat hier – insbesondere die einheimischen, nicht-migrantischen Teile – stark an die Kultur und die Traditionen ihrer herrschenden Klasse gebunden ist. Lenin und Trotzki strichen diese Herausforderungen wiederholt heraus:
„Das Proletariat stellt eine mächtige soziale Einheit dar, die sich vollständig und endgültig in den Perioden des angespannten revolutionären Kampfes für die Ziele der ganzen Klasse entfaltet. Aber innerhalb dieser Einheit beobachten wir zugleich eine außerordentliche Mannigfaltigkeit und sogar eine nicht geringe Verschiedenartigkeit. Vom unwissenden und analphabetischen Dorfhirten bis zum hochqualifizierten Maschinisten gibt es eine große Zahl Qualifikationen, Kulturniveaus und Fertigkeiten des Alltagslebens. Schließlich setzt sich jede Schicht, jede Zunft, jede Gruppe aus lebenden Menschen verschiedenen Alters mit verschiedener Vergangenheit und verschiedenen Temperament zusammen. Wenn es diese Mannigfaltigkeit nicht gäbe, so wäre die Arbeit der kommunistischen Partei auf dem Gebiete der Vereinigung und Erziehung des Proletariats die einfachste Sache. Wie schwierig sie aber in Wirklichkeit ist, sehen wir in Westeuropa. Man kann sagen, je reicher die Geschichte eines Landes und damit auch die Geschichte der Arbeiterklasse selbst ist, je mehr Erziehung, Traditionen, Fertigkeiten sie hat, je mehr alte Gruppierungen es in ihr gibt, desto schwieriger es auch ist, sie zu einer revolutionären Einheit zusammenzuschließen. Unser Proletariat ist sehr arm an Geschichte und Tradition. Das hat zweifellos eine revolutionäre Vorbereitung für die Oktoberrevolution erleichtert. Das hat aber zugleich auch seine Aufbauarbeit nach dem Oktober erschwert. Unseren Arbeitern fehlt es – mit Ausnahme seiner obersten Schicht – durch die Bank an den einfachsten kulturellen Fertigkeiten und Kenntnissen (in Bezug auf Sauberkeit, Lese- und Schreibkundigkeit, Genauigkeit usw.). Der europäische Arbeiter hat sich diese Fertigkeiten im Laufe langer Zeit langsam im Rahmen der bürgerlichen Ordnung erworben: darum ist er – durch seine obersten Schichten – auch so stark mit der bürgerlichen Ordnung mit ihrer Demokratie, der freien kapitalistischen Presse und anderen Wohltaten verwachsen. Unserem Arbeiter dagegen konnte unsere verspätete bürgerliche Gesellschaftsordnung fast nichts mehr hiervon geben: darum fiel es dem Proletariat Rußlands auch leichter, mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu brechen und sie umzustürzen. Aus demselben Grund aber ist unser Proletariat in seiner Mehrheit gezwungen, die einfachsten kulturellen Fertigkeiten erst heute, d.h. bereits auf der Grundlage des sozialistischen Arbeiterstaates zu erwerben und zu sammeln.“ [27]
Diese Herausforderungen haben sich auch noch erschwert aufgrund des durch und durch degenerierten und bürgerlichen Charakter der alten reformistischen Führungen der ArbeiterInnenbewegung.
Die revolutionäre Partei im Süden sieht sich anderen, aber ebenso wichtigen Herausforderungen gegenüber. Hier hat das Proletariat oft einen neuen, rohen Charakter, da viele ArbeiterInnen ihren Ursprung in der Bauernschaft haben und daher mit ländlichen, patriarchalen Kulturen verbunden sind.
Die Aufgabe der revolutionären Partei liegt darin, gegen alle Formen der Unterdrückung zu kämpfen und das Proletariat auf Grundlage des gemeinsamen Kampfes für die Befreiung des Proletariats und aller Unterdrückten zu vereinen. Das ist nur möglich, wenn die Bolschewiki-KommunistInnen verstehen, dass die historischen Interessen der ArbeiterInnenklasse nicht auf den ökonomischen Bereich (Löhne, Arbeitsplätze usw.) beschränkt ist, sondern auch die politische (demokratische Rechte, ausländische Unterdrückung etc.) wie auch die ideologisch-kulturelle Sphäre (Religion, bürgerliche Medien, Tradition usw.) einschließt. Lenin erklärte, dass die revolutionäre Partei als “Volkstribun” agieren müsse:
“Man kann nicht genug betonen, dass das noch nicht Sozialdemokratismus ist, dass das Ideal eines Sozialdemokraten nicht der Sekretär einer Trade-Union, sondern der Volkstribun sein muss, der es versteht, auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede Kleinigkeit zu benutzen, um vor aller Welt seine sozialistischen Überzeugungen und seine demokratischen Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen.“[28]
Natürlich wird die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung nicht von ihren oberen, aristokratischen Teilen beherrscht – wie das bei der reformistischen ArbeiterInnenbewegung der Fall ist -, sondern vielmehr von ihren bewusstesten und aktiven Teilen aus der unteren und mittleren proletarischen Schicht.
Zusätzlich zu diese sozialen Teilung ist das Proletariat auch politisch gespalten in ArbeiterInnen, die RevolutionärInnen, Reformisten, Religiöse, Konservative, rechte Chauvinisten und unpolitisch in ihren Ansichten sind.
Daraus folgt, dass die revolutionäre Partei nur dann die ArbeiterInnenklasse führen kann, wenn sie zuerst die fortschrittlichste und militante Minderheit – die proletarische Avantgarde – gewinnt und organisiert. Die revolutionäre Partei ist daher keine Massenpartei, sondern eine Avantgardepartei. [29] Nur in einer revolutionären Situation, wenn die ArbeiterInnenklasse mehrheitlich radikalisiert wird, kann die revolutionäre Partei zur Massenpartei werden.
Die Aufgabe der kommunistischen Vorform einer Partei ist es, eine solche Avantgardepartei aufzubauen. Ihre grundlegende Orientierung erfolgt somit auf die fortschrittlichen Teile der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten – d.h. die bewusstesten und militanten Elemente.
Marxismus, fatalistischer Objektivismus und spontaner Subjektivismus
Eine weitere Grundlage des marxistischen Verständnisses der Avantgardepartei ist die Konzeption der Rolle des subjektiven Faktors in der Geschichte. Die gesamte Schule des Revisionismus basiert auf einer Art fatalistischem Objektivismus, der den Fortschritt in der Geschichte als einen unumkehrbaren Prozess darstellt. Abhängig von der aktuellen Stimmung im Kleinbürgertum und in der Arbeiteraristokratie erklären die Revisionisten “optimistisch”, dass sich die ArbeiterInnenklasse unaufhaltsam in Richtung Sieg bewege. Damit rechtfertigen sie ihre Weigerung, sich im Klassenkampf energisch einzubringen und ihn über systematische Agitation für militantere Kampfformen auf ein höheres Niveau zu heben wie auch gegen die abwieglerische Bürokratie vorzugehen. Die Weigerung der Reformisten, für militantere Kampfformen einzutreten; ihre Opposition gegen die Bildung von Massenaktionskomitees während der Kämpfe; ihre hysterischen Warnungen vor dem bewaffneten Kampf gegen Faschisten oder die Polizei in Zeiten verschärfter Konfrontation (z.B. sozialdemokratische und stalinistische Parteien); die zentristische Annahme, dass das riesige soziale Gewicht des Proletariats es erlauben würde, den Sozialismus auf friedlichem Weg zu erreichen und daher keine ArbeiterInnenmiliz und keinen bewaffneten Aufstand für die Machtergreifung zu benötige (wie es z.B. das CWI und IMT behaupten); ihre Weigerung, die ArbeiterInnen vor dem Verrat der Arbeiterbürokratie zu warnen, weil “das die ArbeiterInnen nicht verstehen” (wie etwa von IST, CWI und IMT behauptet) – all das sind Variationen eines solch revisionistischen fatalistischen Objektivismus.
Eine “ultralinke” Variante solch fatalistischen Objektivismus ist der permanente Bezug auf die “Endkrise” des Kapitalismus und in Konsequenz die Weigerung, eine Reihe von Taktiken zur Intervention in den laufenden Klassenkämpfen zu erarbeiten und umzusetzen. Diese Revisionisten sind unfähig zum Verständnis “der Wichtigkeit klassenbewusster revolutionärer Aktivität in der Geschichte”, die nur von einer revolutionären Partei organisiert werden kann. [30]
Spontaner Subjektivismus, d.h. die Verfolgung radikaler Taktiken ohne Berücksichtigung der konkreten objektiven Kraftverhältnisse zwischen den Klassen ist die andere Seite derselben Medaille. Eine solche Politik wird gewöhnlich von Ultralinken (einschließlich Anarchisten) vorgeschlagen und kann ihren Ausdruck in Wahlboykott (in Perioden geringen Klassenkampfs), in der Weigerung innerhalb von reformistischen Gewerkschaften zu arbeiten etc. finden. [31] Sie schaffen es nicht, den Marxismus als organische, ausgewogene Kombination von Wissenschaft und revolutionärem Willen zu verstehen.
„Der proletarische Revolutionär muss vor allem begreifen, dass der Marxismus, die einzige wissenschaftliche Theorie von der proletarischen Revolution, nichts gemein hat mit fatalistischem Warten auf die „letzte“ Krise. Der Marxismus ist seinem Wesen nach eine Anleitung zu revolutionärem Handeln. Der Marxismus ignoriert nicht Willen und Mut, sondern hilft ihnen auf den richtigen Weg. “ [32]
Auf einem solchen Verständnis beruht auch Lenins Beherrschung der Dialektik und ihre Anwendung auf die Politik in Form einer hoch flexiblen Konzeption revolutionärer Manöver einschließlich abrupter Schwenks. Dieser Gibkost – wie Lenin es nannte – ist ein wesentlicher Bestandteil revolutionärer Politik, denn er ermöglicht der Partei rasches Reagieren auf bedeutsame Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen oder im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse. Trotzki strich das als zentrale Stärke des Bolschewismus heraus:
„Der Marxismus ist eine Methode der historischen Analyse, der politischen Orientierung – nicht eine Ansammlung von Beschlüssen, die auf Vorrat produziert wurden. Der Leninismus ist die Anwendung dieser Methode unter den Bedingungen einer besonderen Epoche. Gerade aus der Kombination der Besonderheiten der Epoche mit dieser Methode erwuchs die mutige, reife, auf sich selbst vertrauende Politik scharfer Wendungen, die Lenin so meisterhaft beherrschte und die er theoretisch erhellt und verallgemeinert hat. [33]
Die Partei als Avantgarde
Von Beginn an war die Konzeption der Avantgardepartei einer der Eckpfeiler des Bolschewismus – Lenin entwickelte sie in seinem Buch Was tun? – und wurde später von der Kommunistischen Internationale als Alternative zum reformistischen, ideologisch ungebundenen Begriff der “Massenpartei” vom Typ der Zweiten Internationale verallgemeinert. Diese Lehren wurden 1920 auf dem zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) in ihren Thesen zur Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution zusammengefasst.
„Die kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der fortgeschrittenste, klassenbewussteste und daher revolutionärste. Die kommunistische Partei wird auf dem Wege der natürlichen Auslese der besten, klassenbewusstesten, opferwilligsten, weitsichtigsten Arbeiter geschaffen. Die kommunistische Partei hat keine von den Interessen der gesamten Arbeiterklasse abweichenden Interessen. Die kommunistische Partei unterscheidet sich von der gesamten Arbeiterklasse dadurch, dass sie eine Übersicht über den ganzen historischen Weg der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit hat und bestrebt ist, auf allen, Biegungen dieses .Weges nicht die Interessen einzelner Gruppen oder einzelner Berufe zu verteidigen, sondern die Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit. Die kommunistische Partei ist der organisatorisch-politische Hebel, mit dessen Hilfe der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterklasse die gesamte Masse des Proletariats und des Halbproletariats auf den richtigen Weg lenkt.“ [34]
Die Komintern warnte vor der Verwischung der Konzepte von Partei und Klasse und betonte die Notwendigkeit, die Avantgarde als separate Partei, die gegen bürgerliche und kleinbürgerliche Einflüsse innerhalb der ArbeiterInnenklasse kämpft und die sich nicht an das Bewusstsein rückständiger ArbeiterInnen anpasst, zu gründen.
“Die Begriffe Partei und Klasse müssen strengstens auseinander gehalten werden. Die Mitglieder der “christlichen” und liberalen Gewerkschaften Deutschlands, Englands und anderer Länder sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Die noch hinter Scheidemann, Gompers und Konsorten stehenden mehr oder minder bedeutenden Arbeiterkreise sind zweifellos Teile der Arbeiterklasse. Unter gewissen historischen Verhältnissen ist es sehr wohl möglich, dass die Arbeiterklasse von sehr zahlreichen reaktionären Schichten durchsetzt ist. Die Aufgabe des Kommunismus besteht nicht in der Anpassung an diese zurückgebliebenen Teile der Arbeiterklasse, sondern darin, die gesamte Arbeiterklasse bis zum Niveau des kommunistischen Vortrupps zu heben. Die Verwechslung dieser zwei Begriffe — Partei und Klasse — kann zu den größten Fehlern und zur Konfusion führen. So ist es z. B. klar, dass trotz der Stimmungen und der Vorurteile eines gewissen Teiles der Arbeiterklasse während des imperialistischen Krieges die Arbeiterpartei um jeden Preis diesen Stimmungen und Vorurteilen entgegenzutreten hatte, indem sie die historischen Interessen des Proletariats vertrat, die erforderten, dass die proletarische Partei Krieg dem Kriege erklärt. So beriefen sich z. B. bei Beginn des imperialistischen Krieges im Jahre 1914 die Parteien der Sozialverräter aller Länder, indem sie die Bourgeoisie ihres “eigenen” Landes unterstützten, stets konsequent auf den entsprechend lautenden Willen der Arbeiterklasse. Sie vergaßen dabei, dass, selbst wenn dem so wäre, es die Aufgabe der proletarischen Partei bei solcher Lage der Dinge sein müsste, den Stimmungen der Mehrheit der Arbeiter entgegenzutreten und trotz alledem die historischen Interessen des Proletariats zu vertreten, So verwarfen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die russischen Menschewiki jener Zeit (die sog. Ökonomisten) den offenen politischen Kampf gegen den Zarismus mit der Begründung, die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit sei noch nicht zum Verständnis des politischen Kampfes gereift. So berufen sich immer die rechten Unabhängigen Deutschlands in allen ihren Halbheiten darauf, dass die “Massen das wünschen”, ohne zu verstehen, dass die Partei dazu da ist, den Massen voranzugehen und ihnen den Weg zu zeigen.” [35]
Ebenso wichtig ist es zu erkennen, dass die Avantgarde, und somit die Avantgardepartei, nur dann als Avantgarde handeln kann, wenn sie in den Massen verankert ist. Ohne Verständnis des aktuellen, oft verwirrten Bewusstseins der Massen, ohne Errichtung starker Brückenköpfe unter den ArbeiterInnen und Unterdrückten, ohne den Gewinn ihres Vertrauens, kann die Avantgardepartei die Massen nicht führen. In einer Notiz fasste Lenin den Charakter einer Avantgardepartei folgendermaßen zusammen:
„Partei = Vorhut
(1) revolutionärer Teil
(2) mit der Masse verbunden“ [36]
Die bolschewistische Konzeption der Partei ist keine rein organisatorische Frage, wie viele postmoderne Kritiker des Leninismus behaupten. Tatsächlich ist sie ein Eckpfeiler der marxistischen Theorie im Feld der Politik, wie Trotzki herausgearbeitet hat:
“So wie die theoretische Struktur der politischen Ökonomie des Marxismus völlig auf der Konzeption des Werts als materialisierter Arbeit beruht, beruht die revolutionäre Politik des Marxismus auf der Konzeption der Partei als Avantgarde des Proletariats. Was immer die gesellschaftlichen Quellen und politischen Gründe für opportunistische Fehler und Abweichungen sein mögen, sie sind ideologisch immer auf ein falsches Verständnis der revolutionären Partei, ihres Verhältnisses zu anderen proletarischen Organisationen und zur Klasse als Ganzes zurückzuführen.” [37]
Führung, Partei und Klasse
Die Arbeiteravantgarde bietet der ArbeiterInnenklasse eine Führung, sowie die Partei eine Führung für die Arbeiteravantgarde bietet und die Parteileitung eine Führung für ihre Mitglieder. [38] Diese führende Rolle basiert auf dem revolutionären Programm, den organisierten Wurzeln der Partei in der Klasse und der eisernen Disziplin und völligen Ergebenheit der Parteimitglieder an die Sache.
Lenin fasste die Erfahrung der Bolschewiki zur Rolle der Führung in seinem Buch “Linker Kommunismus” zusammen:
„Und da taucht vor allem die Frage auf: wodurch wird die Disziplin der revolutionären Partei des Proletariats aufrechterhalten? Wodurch wird sie kontrolliert? wodurch gestärkt? Erstens durch das Klassenbewusstsein der proletarischen Avantgarde und ihre Ergebenheit für die Revolution, durch ihre Ausdauer, ihre Selbstaufopferung, ihren Heroismus. Zweitens durch ihre Fähigkeit, sich mit den breitesten Massen der Werktätigen, in erster Linie mit den proletarischen, aber auch mit den nichtproletarischen werktätigen Massen zu verbinden, sich ihnen anzunähern, ja, wenn man will, sich bis zu einem gewissen Grade mit ihnen zu verschmelzen. Drittens durch die Richtigkeit der politischen Führung, die von dieser Avantgarde verwirklicht wird, durch die Richtigkeit ihrer politischen Strategie und Taktik, unter der Bedingung, dass sich die breitesten Massen durch eigene Erfahrung von dieser Richtigkeit überzeugen. Ohne diese Bedingungen kann in einer revolutionären Partei, die wirklich fähig ist, die Partei der fortgeschrittenen Klasse zu sein, deren Aufgabe es ist, die Bourgeoisie zu stürzen und die ganze Gesellschaft umzugestalten, die Disziplin nicht verwirklicht werden. Ohne diese Bedingungen werden die Versuche, eine Disziplin zu schaffen, unweigerlich zu einer Fiktion, zu einer Phrase, zu einer Farce. Diese Bedingungen können aber anderseits nicht auf einmal entstehen. Sie werden nur durch langes Bemühen, durch harte Erfahrung erarbeitet; ihre Erarbeitung wird erleichtert durch die richtige revolutionäre Theorie, die ihrerseits kein Dogma ist, sondern nur in engem Zusammenhang mit der Praxis einer wirklichen Massenbewegung und einer wirklich revolutionären Bewegung endgültige Gestalt annimmt.“ [39]
Das Verhältnis zwischen der ArbeiterInnenklasse, der Partei und ihrer Führung kann als eines von konzentrischen Kreisen beschrieben werden. Die ArbeiterInnenklasse sammelt sich um die Parteiorganisation, während diese Organisationen von den Parteikadern geführt werden und letztlich die Parteizentrale die Partei insgesamt führt. Nikolai Bucharin, einer der führenden Bolschewiki, arbeitete das Verständnis der Partei zu diesem Verhältnis 1922 in einem Artikel heraus, in dem er die bolschewistische Partei als “eiserne Kohorte” bezeichnete – eine Formel, die gemäß Victor Serge unter den bolschewistischen Kadern sehr populär wurde.
„Seit fünf Jahren besitzt das russische Proletariat die Macht (…) Selbstverständlich sind hier die „Schuldigen“ in erster Linie die allgemeinen historischen Umstände, innerhalb derer die schwarzen Arbeitsbataillone mit eisernem Tritt einherschritten und das verhaßte alte Regime stürzten. (…) Aber zu diesen Bedingungen kam noch etwas dazu: das Vorhandensein einer beispiellos heroischen, eisernen Kohorte der Revolution, unserer Partei, einer Partei, die in der Geschichte der großen Klassenkämpfe einzig dasteht. Die Partei, die durch die harte Schule der illegalen Arbeit gegangen war, die im Pulverkampfe ihren Klassenwillen gestählt, in Qualen, Entbehrungen und Leiden ihre Söhne genährt und herangezogen und die Arbeiterrecken auf den Plan gestellt hatte, denen es vorbehalten blieb, die ganze Welt umzugestalten und zu erobern ...
Zum Verständnis dessen, wie eine solche Partei entstehen konnte, muß man einen flüchtigen Blick auf gewisse Grundzüge ihrer Entwicklung werfen. Vor allem einige Worte über ihren Generalstab. Jetzt erkennen sogar schon unsere Gegner an, daß wir eine erstklassige Führung haben. (…) Aber woher kommt dies? Es kommt von einer sorgfältigen Auswahl der Führer, einer Auswahl, die ihre wirkliche Qualifikation, ihre absolute Gefestigtheit und Willenseinheit garantiert Diese Losungen bilden das Fundament der Parteileitung, und hier verdankt die Panel dem Genossen Lenin sehr viel. Das, was die Philister des Opportunismus als „Antidemokratie, Verschwörertum, persönliche Diktatur, beschränkte Unduldsamkeit“ usw. verschrien, war in Wirklichkeit ein ausgezeichnetes Organisationsprinzip. Die Bildung einer Gruppe Einmütiger, einzig und allein für die revolutionäre Idee brennender und dabei gänzlich in ihren Ansichten übereinstimmender Menschen, bildete die erste notwendige Bedingung für einen erfolgreichen Kampf. Diese Bedingung wurde durch die schonungslose Verfolgung aller Abweichungen vom orthodoxen Bolschewismus sichergestellt. Und diese beständige Selbstreinigung ballte die Reihen dieser innersten Parteigruppe zu der Faust, die keine Gewalt lösen konnte.
Dann scharten sich um diese Faust die ersten Parteikader. Die harte Disziplin des Bolschewismus, die spartanische Gefestigtheit seiner Reihen, das strenge „Fraktionsprinzip“ selbst in Zeiten der Zusammenarbeit mit den Menschewiki, die außerordentliche Einheitlichkeit der Anschauungen, die Zentralisierung der ganzen Reihen waren stets die charakteristischsten Züge unserer Partei. Die gesamten Parteiarbeiter waren der Partei bis aufs letzte ergeben: der „Parteipatriotisnius“, die ausschließliche Hingabe an die Durchführung der Parteiweisungen, der erbitterte Kampf mit feindlichen Gruppierungen, der überall, in den Fabriken und Betrieben, auf offenen Versammlungen und in den Klubs und selbst im Gefängnis geführt wurde, machten aus unserer Partei einen eigenartigen revolutionären Orden. Das war auch der Grund, weshalb der Typ des „Bolschewiken“ allen liberalen und reformistischen Gruppen, allen „Weichen“, „Weitherzigen“, „Duldsamen“ so unsympathisch war. Und ebenso wurde von den Parteimitgliedern ständig Parteiarbeit in den Massen gefordert, Arbeit unter jeder Bedingung ohne Rücksicht auf Schwierigkeiten. Gerade bei diesem Punkte begannen die ersten Differenzen mit den Menschewiki, aber gerade von hier nahm die Auswahl der Kader ihren Anfang. Nicht aus Schwätzern, nicht aus „sympathisierenden Intellektuellen“, nicht aus Mitläufern, die heute hier und morgen dort sind, sondern aus Leuten, die bereit sind, für die Revolution, für das Weitertragen des Kampfes, für den Sieg der Partei überall hinzugehen: ins Zuchthaus, auf die Barrikaden, in die Verbannung, und die sich nicht scheuen, beständige Unrast und Verfolgung auf sich zu nehmen: aus ihnen fügte sich der zweite Ring unserer Partei zusammen: die ersten Kader der bolschewistischen Arbeiter.
Aber bei all dem war unsere Partei doch nie eine Sekte, die sich abschloß und in ihrem eigenen Saft kochte. Man muß dies mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Sie sah niemals in sich einen Selbstzweck, sondern das stählerne Instrument, das die Masse umformt und festigt und das ihr Gestalt gibt. Die ganze Kunst der politischen Dialektik besteht darin, daß, wenn man gefestigte und geschlossene Reihen besitzt, man sich nicht in sich abschließt, nicht zur Sekte wird, sondern eine wirklich vorwärtstreibende Kraft bleibt, die die gigantischen Räder des Mechanismus der ganzen Klasse und der ganzen Masse der Arbeitenden in Bewegung setzt. (…)
So fügte sich der dritte und vierte Ring zusammen, der schon über den Rahmen der Partei hinausging: ein Ring von Arbeiterorganisationen, die unter dem Einfluß der Partei standen, und der Ring der ganzen Klasse und Masse, den die Avantgarde der Partei durch die Organisationen führte.“ [40]
Es ist unerlässlich, dass die revolutionäre Partei oder ihre Vorform diese Konzeption der konzentrischen Kreise während ihres Parteiaufbauprozesses im Auge behält. Ein Auto kann nur fahren, wenn der Motor, die Reifen und die Pedale am richtigen Platz und korrekt miteinander verbunden sind. Ansonsten ist es nur ein nutzloses Wrack. Ähnlich muss die Partei ihre Führung sorgfältig wählen; sie muss ernsthaft ihre parteinahen Organisationen aufbauen usw. Ansonsten wird sie für den Klassenkampf nutzlos.
Natürlich gilt ein solches Konzept nicht nur für eine revolutionäre Partei, sondern auch für ihre Vorformen (also Parteiaufbauorganisationen), ungeachtet gewisser Modifikationen. Die Parteiaufbauorganisationen führen und organisieren die Avantgarde nicht und können daher auch nicht die ArbeiterInnenklasse führen. Sie können nur in Ausnahmefällen und in Gebieten, wo sie bereits erfolgreich Wurzeln im Proletariat und unter den Unterdrückten geschlagen haben, eine Führungsrolle übernehmen. Die Rolle der Führung ist dennoch in den Parteiaufbauorganisationen nicht weniger wichtig und die Rolle der Kader beim Aufbau von parteinahen Vorfeldorganisationen ebenso bedeutsam, um die ArbeiterInnen und die Unterdrückten für die revolutionäre Sache zu organisieren. Ohne Führung und Parteikader wird die Vorform der Partei zu keiner richtigen Avantgardepartei werden, sondern von den riesigen Hindernissen auf dem Weg dorthin überwältigt und verwirrt.
Die revolutionäre Partei trägt politisches Klassenbewusstsein in das Proletariat
Eines der wichtigsten – und ebenso intensiv diskutierten wie falsch verstandenen – Elemente von Lenins Theorie der Partei ist ihre Rolle in der Herausbildung politischen Klassenbewusstseins in der ArbeiterInnenklasse. In Was tun? erklärte Lenin, dass das sozialistische Bewusstsein – definiert als grundlegendes Verständnis der Mechanismen des Kapitalismus hinsichtlich Ausbeutung und Unterdrückung, der Rolle der Klassen und ihrer politischen Vertreter und der entsprechenden Aufgaben des Programms der proletarischen Revolution – nicht spontan aus dem Kampf heraus entstehen kann. Es muss vielmehr auf wissenschaftlichem Weg durch die Partei der revolutionären Männer und Frauen diskutiert und entwickelt und der ArbeiterInnenklasse vermittelt werden.
Diese Idee drückten Lenin und seine UnterstützerInnen in diversen Schriften aus:
„Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen. Deshalb darf man auf die Frage: Was ist zu tun, um den Arbeitern politisches Wissen zu vermitteln? — nicht allein die Antwort geben, mit der sich in den meisten Fällen die Praktiker begnügen—von den Praktikern, die zum Ökonomismus neigen, ganz zu schweigen —, nämlich die Antwort: „Zu den Arbeitern gehen". Um den Arbeitern politisches Wissen zu vermitteln, müssen die Sozialdemokraten in alle Klassen der Bevölkerung gehen, müssen sie die Abteilungen ihrer Armee in alle Richtungen aussenden.“ [41]
“Die Sozialdemokratie reduziert sich nicht auf einfachen Dienst an der Arbeiterbewegung: sie ist die ‚Vereinigung von Sozialismus und Arbeiterbewegung’ (um die Definition K. Kautskys zu gebrauchen, die die Hauptideen des ‚Kommunistischen Manifests’ wiedergibt); es ist ihre Aufgabe, in die spontane Arbeiterbewegung bestimmte sozialistische Ideale hineinzutragen, sie mit sozialistischen Überzeugungen, die auf dem Niveau der modernen Wissenschaft stehen müssen, zu verbinden, sie mit dem systematischen politischen Kampf für die Demokratie als ein Mittel zur Verwirklichung des Sozialismus zu verbinden, mit einem Wort, diese spontane Bewegung mit der Tätigkeit der revolutionären Partei zu einem unauflöslichen Ganzen zu verschmelzen.” [42]
„Wir sind die Partei der Klasse, und deshalb muss fast die gesamte Klasse (und in Kriegszeiten, in der Epoche des Bürgerkriegs, restlos die gesamte Klasse) unter der Leitung unserer Partei handeln, sie muss sich unserer Partei so eng wie möglich anschließen, doch wäre es Manilowerei* und „Nachtrabpolitik", wollte man glauben, dass irgendwann unter der Herrschaft des Kapitalismus fast die gesamte Klasse oder die gesamte Klasse imstande wäre, sich bis zu der Bewusstheit und der Aktivität zu erheben, auf der ihr Vortrupp, ihre sozialdemokratische Partei, steht. Kein vernünftiger Sozialdemokrat hat je daran gezweifelt, dass unter dem Kapitalismus selbst die Gewerkschaftsorganisation (die primitiver, dem Bewusstsein der unentwickelten Schichten zugänglicher ist) außerstande ist, fast die gesamte oder die gesamte Arbeiterklasse zu erfassen.
Es würde bedeuten, nur sich selbst zu betrügen, die Augen vor der gewaltigen Größe unserer Aufgaben zu verschließen, diese Aufgaben einzuengen, wollte man den Unterschied zwischen dem Vortrupp und all den Massen, die sich zu ihm hingezogen fühlen, vergessen, wollte man die ständige Pflicht des Vortrupps vergessen, immer breitere Schichten auf das Niveau dieses Vortrupps zu heben.“ [43]
Im Gegensatz zu den Behauptungen diverser Traditionen – wie die der IST von Tony Cliff oder die von CWI/IMT von Grant/Taffee – gab Lenin diese grundlegenden Erkenntnisse, die er in Was tun? entwickelt hatte, niemals auf. Ganz im Gegenteil wiederholte er später den Gedanken, dass die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse ein sozialistisches Bewusstsein nicht erreichen kann, solange sie von der Bourgeoisie beherrscht und unterdrückt wird.
„Eine ebensolche Beschönigung des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, ein ebensolcher Betrug an den Arbeitern ist anderseits die in den alten Parteien und bei den alten Führern der II. Internationale geläufige Ansicht, dass die Mehrheit der Werktätigen und Ausgebeuteten fähig sei, sich unter den Verhältnissen der kapitalistischen Sklaverei, unter dem Joch der Bourgeoisie, das unendlich mannigfaltige Formen annimmt — um so raffiniertere und zugleich um so grausamere und erbarmungslosere, je zivilisierter das betreffende kapitalistische Land ist —, ein völlig klares sozialistisches Bewusstsein, einen festen sozialistischen Standpunkt und Charakter anzueignen. In Wirklichkeit ist erst dann, wenn die Vorhut des Proletariats, unterstützt von dieser ganzen einzig revolutionären Klasse oder ihrer Mehrheit, die Ausbeuter gestürzt, sie niedergehalten, die Ausgebeuteten aus ihrer Sklaverei befreit und ihre Lebensbedingungen sofort auf Kosten der enteigneten Kapitalisten verbessert haben wird — ist erst dann und im unmittelbaren Verlauf des schärfsten Klassenkampfes die Aufklärung, die Erziehung und die Organisierung der breitesten werktätigen und ausgebeuteten Massen um das Proletariat, unter seinem Einfluss und seiner Führung, ihre Befreiung vom Egoismus, von der Zersplitterung, den Lastern und Schwächen, die durch das Privateigentum erzeugt werden, ihre Umwandlung in einen freien Bund freier Arbeiter möglich. “ [44]
Lenins These, dass das politische Klassenbewusstsein von außen an das Proletariat hineingetragen werden muss, wurde wiederholt diskreditiert und dahingehend verzerrt, dass Lenin der Intelligenzija die Rolle der Führung der ArbeiterInnenklasse zuweisen würde. Dieser Behauptung wird durch ein Zitat Lenins, wie auch Karl Kautskys, aus demselben Buch belegt, in dem er betonte, dass die sozialistische Theorie von Intellektuellen mit einem bürgerlichen Klassenhintergrund entwickelt worden war. [45]
Doch dieser Behauptung ist entgegenzuhalten, dass Lenin in ebenfalls diesem selben Buch und auf derselben Seite – als Kommentar zu Kautsky – schrieb, dass ArbeiterInnen ebenso Teil an der Ausarbeitung der sozialistischen Theorie haben:
“Dies heißt selbstverständlich nicht, dass die Arbeiter an dieser Ausarbeitung nicht teilnehmen. Aber sie nehmen daran nicht als Arbeiter teil, sondern als Theoretiker des Sozialismus, als die Proudhon und Weitling, mit anderen Worten, sie nehmen nur dann und soweit daran teil, als es ihnen in höherem oder geringerem Maße gelingt, sich das Wissen ihres Zeitalters anzueignen und dieses Wissen zu bereichern. Damit aber den Arbeitern dieses häufiger gelinge, ist es notwendig, alles zu tun, um das Niveau der Bewusstheit der Arbeiter im allgemeinen zu heben;” [46]
Wir müssen hinzufügen, dass das für heute umso mehr stimmt, wo – verglichen mit den Zeiten Lenins und Kautskys von vor 100 Jahren – das Bildungsniveau der ArbeiterInnenklasse deutlich gestiegen ist und ArbeiterInnen also besser darauf vorbereitet sind, eine zentrale Rolle darin zu spielen, Artikel zu schreiben und theoretische Positionen zu entwickeln. Außerdem muss auch festgehalten werden, dass gleichzeitig Teile der Intelligenzija proletarisiert wurden.
Zusätzlich kämpften Lenin und die Bolschewiki entschlossen gegen die Ansicht, dass Intellektuelle eine dominante Rolle in der revolutionären Partei spielen sollten. Ganz im Gegenteil betonten sie immer wieder, dass Intellektuelle eine marxistische Organisation nicht dominieren dürfen und nur jene als Mitglieder zugelassen werden sollten, die mit der (klein-)bürgerlichen Klasse und ihren Gewohnheiten brechen und sich der proletarischen Sache unterordnen. Das war eine der Hauptdifferenzen zwischen den Bolschewiki und den Menschewiki zur Zeit der Spaltung 1903/04.
„Unter dem Namen „Minderheit" haben sich in der Partei verschiedenartige Elemente zusammengeschlossen, die miteinander verbunden sind durch das bewusste oder unbewusste Bestreben, die Zirkelbeziehungen, die Organisationsformen aus der Zeit vor der Partei aufrechtzuerhalten (…) Als Hauptkader der Opposition dienten schließlich überhaupt alle jene Elemente unserer Partei, die vorwiegend der Intelligenz angehörten. Im Vergleich zum Proletariat ist die Intelligenz stets individualistischer, schon kraft der Grundbedingungen ihres Lebens und ihrer Arbeit, die ihr nicht unmittelbar eine weitgehende Zusammenfassung der Kräfte gestatten und somit keine unmittelbare Erziehung durch organisierte gemeinsame Arbeit geben. Daher fällt es den intellektuellen Elementen schwerer, sich der Disziplin des Parteilebens anzupassen, und diejenigen von ihnen, die außerstande sind, mit dieser Aufgabe fertig zu werden, entrollen natürlich das Banner des Aufstands gegen die notwendigen organisatorischen Beschränkungen und erheben ihren spontanen Anarchismus zum Kampfprinzip, wobei sie ihn fälschlich als Streben nach „Autonomie", als Forderung nach „Duldsamkeit" usw. bezeichnen. Der Auslandsteil der Partei, wo sich die Zirkel durch eine verhältnismäßig lange Lebensdauer auszeichnen, wo sich die Theoretiker der verschiedenen Schattierungen gruppieren, wo die Intelligenz entschieden überwiegt, musste sich als der Teil erweisen, der am meisten zum Standpunkt der „Minderheit" neigte. Deshalb wurde diese dort auch bald zur wirklichen Mehrheit. In Russland dagegen, wo die Stimme der organisierten Proletarier lauter ertönt, wo auch die Parteiintelligenz dank der lebendigeren und engeren Gemeinschaft mit ihnen in einem mehr proletarischen Geiste erzogen ist, wo die Schwere des unmittelbaren Kampfes die Notwendigkeit der organisierten Einheit der Arbeit stärker fühlen läßt – in Russland ist die Partei entschieden gegen das Zirkelwesen, gegen die desorganisierenden anarchistischen Tendenzen aufgetreten. Sie hat ihre Stellung zu diesen Tendenzen in einer ganzen Reihe von Erklärungen der Komitees und anderer Parteiorganisationen zum Ausdruck gebracht.“ [47]
Während also eine revolutionäre Partei bzw. eine bolschewistische Parteiaufbauorganisation alle ernsthaften Intellektuellen, die mit ihrem nicht-proletarischen Klassenhintergrund brechen und der Sache der Befreiungskampfes der ArbeiterInnenklasse dienen, herzlich willkommen heißen, soll sie nicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen beherrscht werden.
Über Bolschewiki, ihre Mitglieder und ihre Führung
Die Bolschewiki vertraten nicht nur ein derartiges Konzept der revolutionären Partei, sondern unternahmen auch starke und erfolgreiche Schritte hin zur Umsetzung. Bei einer Bevölkerung von 126 Millionen (1897) waren nur 10% IndustriearbeiterInnen, weitere 20 Millionen waren besitzlose Bauern, die sich zu einer zusätzlichen (oft proletarischen) Arbeit gezwungen sahen. [48] Wenn man die enorme Unterdrückung, die furchtbaren Arbeits- und Lebensbedingungen, die kaum Zeit für politische Aktivität ließen und das weit verbreitete rückständige Bewusstsein zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem zaristischen Regime berücksichtigt, fällt es leicht, sich die riesigen Herausforderungen, denen sich MarxistInnen beim Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei gegenübersahen, vorzustellen.
Nichtsdestotrotz waren die Bolschewiki bei der Rekrutierung von ArbeiterInnen für ihre Organisation um einiges erfolgreicher als die zentristischen Menschewiki. In einer soziologischen Studie zum russischen Marxismus zwischen 1898 und 1907 dokumentierte der Historiker David Lane, dass die Bolschewiki schon 1905 eine von der ArbeiterInnenklasse dominierte Organisation waren. Von 8.400 Mitgliedern waren 61,9% ArbeiterInnen (Bauern 4,8%, Angestellte: 27,4%, andere: 5,9%).[49]
Er zeigt auch, dass die Bolschewiki wesentlich mehr ArbeiterInnen in ihren Reihen hatten als ihre sozialdemokratische Konkurrenz. Zum Beispiel hatten die Bolschewiki fünfmal mehr AktivistInnen mit Grundschulbildung als Basismitglieder als die Menschewiki. [50] Lane schließt daraus: “Es scheint wahrscheinlich, dass die Menschewiki vergleichsweise mehr ‘kleinbürgerliche’ Basismitglieder hatten und weniger Unterstützer aus der ArbeiterInnenklasse (…) Hinsichtlich ihrer unteren Rängen in der Partei und insbesondere hinsichtlich ihrer öffentlichen Unterstützung kann gesagt werden, dass die Bolschewiki eine ‘ArbeiterInnenpartei’ waren. Die Mittelschicht oder das ‘Kleinbürgertum’ war eine wichtige Unterstützung für die Menschewiki.”[51]
“Der Bolschewismus wurde an der Basis hauptsächlich vom städtischen Proletariat unterstützt, einschließlich der entwurzelten und neu in die Stadt hinzugezogenen ArbeiterInnen. Die Menschewiki hatten ihre Unterstüzter quer über die Klassenlinien. Insgesamt rekrutierten die Menschewiki mehr aus den besser bezahlten und gebildeten ArbeiterInnen und weniger aus den ärmeren bäuerlichen Zuzüglern.” [52]
Während die Proportion der ArbeiterInnen in der Führung unter der der Basismitglieder lag, hatte die bolschewistische Führung 1917-23 43% ArbeiterInnen, 19% BerufsrevolutionärInnen und 38% aus der Mittelklasse. [53] Eine weitere Studie gibt einen Anteil von ArbeiterInnen mit 60% an. [54] Außerdem waren die bolschewistischen Kader aus der Mittelklasse alle jahrelang in Untergrundarbeit, Gefängnis und Exil erprobte KämpferInnen. Kurz, die bolschewistische Partei war die Partei der militanten ArbeiterInnen und jener Intellektuellen, die den Bruch mit ihrem Klassenhintergrund bewiesen hatten und dem proletarischen Befreiungskampf dienten.
Es muss auch erwähnt werden, dass die Bolschewiki auch darin erfolgreich waren, ihren fortwährenden Kampf für die Befreiung der unterdrückten Nationen durch eine durchgängig multinationale Zusammensetzung ihrer Mitglieder wie ihrer Führung zu untermauern. Als Randnotiz sei darauf hingewiesen, dass das eine ziemliche Errungenschaft darstellt, nachdem das Proletariat sich hauptsächlich in den russisch sprechenden Gebieten des Reichs konzentrierte (mit Ausnahme von Gebieten wie Polen, das seine eigene marxistische Partei hatte). Die Führung der bolschewistischen Partei hatte einen Anteil von 30-42% an Russen (die 44% im Zarenreich ausmachten), d.h. es gab in der Führung zwischen 56 und 70% Nicht-Russen. [55] Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Bolschewiki ein Tribun der unterdrückten Völker waren.
Die Bolschewiki erreichten all das trotz der Tatsache, dass die ArbeiterInnenklasse nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung darstellte und unter Arbeits- und Bildungsbedingungen lebte, die die regelmäßige Teilnahme an revolutionären Aktivitäten extrem schwierig und gefährlich machten.
[1] Michael Pröbsting, der Autor dieses Buchs, wurde im Alter von 14 Jahren politischer Aktivist. Zwei Jahre später, 1984, wurde er Mitglied der von Ernest Mandel geführten Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat). Nach einem Fraktionskampf gegen die zentristische Politik ihrer Führung verließ er sie im Februar 1989 und schloss sich der LRKI (2003 umbenannt in Liga für die Fünfte Internationale) an. Er war Teil der Führung der österreichischen Sektion der LRKI/LFI seit 1989 und der internationalen Führung von 1994 bis zu seinem Ausschluss und dem seiner MitstreiterInnen durch die Mehrheit der Organisation im April 2011. Er war für die LFI seit 1991 hauptamtlich tätig. Nach ihrem Ausschluss gründeten die GenossInnen die Revolutionär-Kommunistische Organisation BEFREIUNG in Österreich und die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz, die heute Sektionen und AktivistInnen in Pakistan, Sri Lanka, Israel/besetztes Palästina, Jemen, Tunesien, Brasilien, USA, Britannien, Deutschland und Österreich hat. Michael Pröbsting ist gegenwärtig als Internationaler Sekretär der RCIT tätig.
[2] Wir verweisen an dieser Stelle LeserInnen auf zwei Dokumente zum Parteiaufbau, die unsere Bewegung bereits veröffentlicht hat und die einen nützlichen Überblick über unseren Standpunkt geben: LFI: The Method and Principles of Communist Organization (2007), in: Documents of the League for the Fifth International, Vol. 1, 2009; LRCI: Theses on the Early Stages of Party Building, in: Trotskyist Bulletin No. 2 (1992). Der zweite Text beinhaltet jedoch irreführende Formulierungen in Bezug auf die Rolle der Intellektuellen in der Vorläuferorganisation einer kommunistischen Partei, die in der vorliegenden Publikation korrigiert werden.
[3] Karl Marx: Thesen zu Feuerbach (1845), in. MEW Bd. 3, S.5 (Hervorhebung im Original). Viele Arbeiten der marxistischen Klassiker wie auch der Kommunistischen Internationale, die im vorliegenden Dokument zitiert werden, sind im marxistischen Internetarchiv www.marxists.org einsehbar.
[4] Friedrich Engels: Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten, in MEW Bd. 21, S. 212
[5] W.I. Lenin: Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve (Die Widerspiegelung des Marxismus in der bürgerlichen Literatur) (1894); in: LW Bd. 1, S. 414.
In einem späteren Artikel drückte Lenin dieses Verständnis energisch aus: “Die Lehre von Marx stößt in der ganzen zivilisierten Welt auf die erbittertste Feindschaft und den größten Hass der gesamten bürgerlichen Wissenschaft (der offiziellen wie der liberalen), die im Marxismus eine Art „schädlicher Sekte" erblickt. Ein anderes Verhalten kann man auch nicht erwarten, denn eine „unparteiische" Sozialwissenschaft kann es in einer
auf Klassenkampf aufgebauten Gesellschaft nicht geben. Jedenfalls ist es Tatsache, dass die gesamte offizielle und liberale Wissenschaft die Lohnsklaverei verteidigt, während der Marxismus dieser Sklaverei schonungslosen
Kampf angesagt hat. In einer Gesellschaft der Lohnsklaverei eine unparteiische Wissenschaft zu erwarten wäre eine ebenso törichte Naivität, wie etwa von den Fabrikanten Unparteilichkeit zu erwarten in der Frage, ob man nicht den Arbeitern den Lohn erhöhen sollte, indem man den Profit des Kapitals kürzt.” (W.I. Lenin: Drei Quellen und Drei Bestandteile des Marxismus (1913), in: LW Bd. 19, S. 3, Hervorhebung im Original)
Ivan K. Luppol, einer der führenden marxistischen Philosophen in der UdSSR der 1920er-Jahre, ein führender Vertreter der philosophischen Schule von Abraham Deborin, die von Stalin 1930/31 zerschlagen wurde, formulierte diesen Gedanken so: „Parteilichkeit, Parteinehmen ist in der Philosophie notwendig und unvermeidlich.“ und „Die Parteilichkeit in der Wissenschaft verpflichtet auch zur Parteilichkeit in der praktischen Tätigkeit. Die theoretische Parteilichkeit liefert ja gerade die Begründung zur praktischen Tätigkeit.” (Iwan K. Luppol: Die materialistische Dialektik und die Arbeiterbewegung (1928); in: Unter dem Banner des Marxismus, II. Jahrgang (1928), S. 229 bzw. 231)
[6] W.I.Lenin: Über einige Besonderheiten der historischen Entwicklung des Marxismus (1910), in: LW Bd. 17, S. 23.
Engels Originaläußerung stammt aus einem Brief von 1886, in dem er die dogmatischen SozialistInnen kritisierte: “Es ist ihnen ein Credo, keine Anleitung zum Handeln.” (Friedrich Engels: Brief an Friedrich Adolph Sorge, 29 November 1886, in: MEW Bd. 36, S. 578)
Trotzki drückte seine Zustimmung zu diesem Gedanken in zahlreichen Formulierungen wie der folgenden aus: „Der proletarische Revolutionär muss vor allem begreifen, dass der Marxismus, die einzige wissenschaftliche Theorie von der proletarischen Revolution, nichts gemein hat mit fatalistischem Warten auf die „letzte“ Krise. Der Marxismus ist seinem Wesen nach eine Anleitung zu revolutionärem Handeln. Der Marxismus ignoriert nicht Willen und Mut, sondern hilft ihnen auf den richtigen Weg.“ (Leo Trotzki: Wohin geht Frankreich? 2. Teil (1935), S. 32f., Hervorhebung im Original)
[7] Karl Marx: Manifest der Kommunistischen Partei (1848), in: MEW Bd. 4, S. 480
[8] Leo Trotzki: Der Neue Kurs (1923); in: Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-1928, Band 1, Westberlin 1976, S. 386
[9] Grigori Sinowjew: Der Krieg und die Krise des Sozialismus (1916/1924), S. 585 (Hervorhebung im Original)
[10] Dazu siehe auch einige informative Artikel von bürgerlichen Akademikern wie: Jacob W. Kipp: Lenin and Clausewitz: The Militarization of Marxism, 1914-1921, in: Military Affairs Bd. 49, 1985, S. 184-191; James Ryan: ‘Revolution is War’: The Development of the Thought of V. I. Lenin on Violence, 1899–1907, in: The Slavonic and East European Review, Bd. 89, No. 2 (April 2011), S. 248-273
[11] Marx bemerkte einmal richtig, „alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen“ (Kapital Bd. 3 in MEW Bd. 25, S. 825)
[12] W.I. Lenin: Notizen eines Publizisten (1910), in: LW Vol. 16, S. 238
[13] W.I. Lenin: Womit beginnen? (1901), in: LW Vol. 5, S. 6
[14] „Die höchste Form der Klassenvereinigung der Proletarier, die revolutionäre Partei des Proletariats“ (Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: LW Vol. 31, S. 35)
[15] Im Gegensatz zum gegenwärtig modernen Mythos, der von Lars Lih und anderen linken Akademiker verbreitet wird, sahen Lenin und die Bolschewiki sich ab 1903 als unabhängige RevolutionärInnen und handelten auch so: „Als Strömung des politischen Denkens und als politische Partei besteht der Bolschewismus seit dem Jahre 1903.“ (W.I. Lenin: Der “linke Radikalismus”, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: LW Vol. 31, S. 9). Auch Trotzki betonte am Ende seines Lebens diesen Punkt: „Die bolschewistische Fraktion führte eine unabhängige Existenz. (…) Was Lenin betraf, so ging es ihm im wesentlichen darum, ob er mit Bogdanow in ein und derselben Organisation bleiben konnte, die zwar „Fraktion“ genannt wurde, aber alle Merkmale einer Partei trug. (…) Die bolschewistische Fraktionspartei führte einen Kampf gegen den Menschewismus, der sich zu dieser Zeit schon als völlig kleinbürgerliche Vertretung der liberalen Bourgeoisie verraten hatte “ (Leo Trotzki: Von einer Schramme – zur Gefahr der Knochenfälle (1940); in: Leo Trotzki: Verteidigung des Marxismus, Berlin 1997, Band II, S. 182)
[16] W.I.Lenin: Bericht in der gemeinsamen Sitzung des gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, des Moskauer Sowjets, der Betriebskomitees und der Gewerkschaften, 22. Oktober 1918, in: LW 28, S. 107
[17] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, Resolution des II.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, 1920; in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S.175
[18] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, Resolution des II.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, 1920; in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S.169
[19] Leo Trotzki: 1917 – Die Lehren des Oktobers (1924)
[20] Leon Trotsky: How to help the Centrists? (1929); in: Writings 1929, S. 398 (unsere Übersetzung)
[21] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit. Resolution des III. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band II, Köln 1984, S.113
[22] Siehe Nikolai Bucharin: Die eiserne Kohorte der Revolution (1922), neu aufgelegt in Karl-Heinz Neumann (Hrsg.), Marxismus Archiv, Bd.I, Marxismus und Politik, Frankfurt/M. 1971, S. 319-323
[23] Leon Trotsky: Notebooks 1933-35. Writings on Lenin, Dialectics and Evolutionism, New York 1986, S. 85
[24] Einen biografischen Überblick zu Kamo – der tatsächlich Ter-Petrosya hieß – gibt: David Shub: Kamo – the Legendary Old Bolshevik of the Caucasus, in: Russian Review, Vol. 19, No. 3 (1960), S. 227-247. Siehe auch: Boris Souvarine: Stalin - Anmerkungen zur Geschichte des Bolschewismus,-München Bernard & Graefe 1980, S. 108-115.
[25] Komintern: Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale, (1920), in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S. 160
[26] Siehe Michael Pröbsting: The Great Robbery of the South. Continuity and Changes in the Super-Exploitation of the Semi-Colonial World by Monopoly Capital. Consequences for the Marxist Theory of Imperialism, Vienna 2013, pp. 69-80 and 228-240. Gekürzte Fassung auf deutsch: Der große Raub im Süden. Ausbeutung im Zeitalter der Globalisierung, Wien 2014
[27] Leo Trotzki: Fragen des Alltagslebens (1923), Berlin 1973, S. 23f.
[28] W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 437 (Hervorhebung im Original)
[29] Die Komintern fasste die Rolle der Avantgardepartei folgendermaßen zusammen: „Die Kommunistische Partei soll die Avantgarde, der führende Vortrupp des Proletariats sein für alle Phasen seines revolutionären Klassenkampfes und der späteren Übergangsperiode zur Verwirklichung des Sozialismus, dieser ersten Stufe der kommunistischen Gesellschaft.“ (Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit. Resolution des III. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band II, Köln 1984, S.106)
[30] Leon Trotsky: Centrist Alchemy or Marxism? (1935); in: Writings 1934/35, pp. 262-263 (unsere Übersetzung)
[31] August H. Nimtz hat vor kurzem eine hervorragende Studie über die Herangehensweise von Lenin und den Bolschewiki an die Arbeit im bürgerlichen Parlament veröffentlicht. Siehe die beiden Bände: Lenin's Electoral Strategy from Marx and Engels through the Revolution of 1905. The Ballot, the Streets—or Both and Lenin's Electoral Strategy from 1907 to the October Revolution of 1917. The Ballot, the Streets—or Both, Palgrave Macmillan, New York 2014
[32] Leo Trotzki: Wohin geht Frankreich? 2. Teil (1935), S. 32f.
[33] Leo Trotzki: Der Neue Kurs (1923); in: Trotzki Schriften Band 3.1., Hamburg 1997, S. 252
[34] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, Resolution des II.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, 1920; in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S.167
[35] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, Resolution des II.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, 1920; in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S.168f.
[36] W. I. Lenin: Materialien zum II. Kongreß der Kommunistischen Internationale (1920); in: LW EB 1917-23, S. 193
[37] Leon Trotsky: The Mistakes of Rightist Elements of the Communist League on the Trade Union Question. Some Preliminary Remarks (1931), (Hervorhebung im Original), in: Leon Trotsky: Trade Unions in the Epoch of Imperialist Decay, Pathfinder, New York 1990, S. 130-131 (unsere Übersetzung)
[38] Trotzki widmete dieser Beziehung in einem seiner letzten Artikel Aufmerksamkeit, bevor er von einem stalinistischen Agenten im August 1940 ermordet wurde: „Das wichtigste, lebendige Element in diesem Prozeß ist die Partei, genau wie im Mechanismus der Partei das wichtige und lebendige Element die Führung ist. Die Rolle und die Verantwortung der Führung in einer revolutionären Epoche ist enorm.“ (Leo Trotzki: Klasse, Partei und Führung: Warum wurde das spanische Proletariat besiegt? Fragen marxistischer Theorie (1940), in: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, Band 2, S.342)
[39] W.I. Lenin: Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: LW Bd. 31, S. 9
[40] Nikolai Bucharin: Die eiserne Kohorte der Revolution (1922), neu aufgelegt in Karl-Heinz Neumann (Hrsg.), Marxismus Archiv, Bd.I, Marxismus und Politik, Frankfurt/M. 1971, S. 319-323
[41] W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 436 (Hervorhebung im Original)
[42] W. I. Lenin: Unsere nächste Aufgabe (1899), in: LW Bd. 4, S. 211
[43] W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904); in: LW Bd. 7, S. 257f
[44] W. I. Lenin: Thesen des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale (1920) in: LW Bd. 31, S. 175
[45] “Wir haben gesagt, dass die Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewusstsein gar nicht haben konnten. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden. Die Geschichte aller Länder zeugt davon, dass die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewusstsein hervorzubringen vermag, d.h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen u.a.m.* Die Lehre des Sozialismus ist hingegen aus den philosophischen, historischen und ökonomischen Theorien hervorgegangen, die von den gebildeten Vertretern der besitzenden Klassen, der Intelligenz, ausgearbeitet wurden. Auch die Begründer des modernen wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, gehörten ihrer sozialen Stellung nach der bürgerlichen Intelligenz an. Ebenso entstand auch in Rußland die theoretische Lehre der Sozialdemokratie ganz unabhängig von dem spontanen Anwachsen der Arbeiterbewegung, entstand als natürliches und unvermeidliches Ergebnis der ideologischen Entwicklung der revolutionären sozialistischen Intelligenz. Zu der Zeit, von der wir sprechen, d.h. um die Mitte der neunziger Jahre, war diese Lehre nicht nur das bereits völlig ausgereifte Programm der Gruppe „Befreiung der Arbeit", sondern sie hatte auch die Mehrheit der revolutionären Jugend in Russland für sich gewonnen.“ (W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 385f)
“Manche unserer revisionistischen Kritiker nehmen an, Marx hätte behauptet, die ökonomische Entwicklung und der Klassenkampf schüfen nicht bloß die Vorbedingungen sozialistischer Produktion, sondern auch direkt die Erkenntnis ihrer Notwendigkeit, und da sind die Kritiker gleich fertig mit dem Einwand, dass das Land der höchsten kapitalistischen Entwicklung, England, von allen modernen Ländern am freiesten von dieser Erkenntnis sei. Nach der neuen Fassung könnte man annehmen, dass auch die österreichische Programmkommission den auf diese Weise widerlegten angeblich ,orthodox-marxistischen' Standpunkt teile. Denn es heißt da: ‚Je mehr die Entwicklung des Kapitalismus das Proletariat anschwellen macht, desto mehr wird es gezwungen und befähigt, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Es kommt zum Bewusstsein der Möglichkeit und Notwendigkeit des Sozialismus etc.’ In diesem Zusammenhang erscheint das sozialistische Bewusstsein als das notwendige direkte Ergebnis des proletarischen Klassenkampfes. Das ist aber falsch. Der Sozialismus als Lehre wurzelt allerdings ebenso in den heutigen ökonomischen Verhältnissen wie der Klassenkampf des Proletariats, entspringt ebenso wie dieser aus dem Kampfe gegen die Massenarmut und das Massenelend, das der Kapitalismus erzeugt; aber beide entstehen nebeneinander, nicht auseinander, und unter verschiedenen Voraussetzungen. Das moderne sozialistische Bewusstsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebenso wenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozess. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz; in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewusstsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes. Dem entsprechend sagt auch das alte Hainfelder Programm ganz richtig, dass es zu den Aufgaben der Sozialdemokratie gehöre, das Proletariat mit dem Bewusstsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen. Das wäre nicht notwendig, wenn dies Bewusstsein von selbst aus dem Klassenkampf entspränge. Die neue Fassung hat diesen Satz von dem alten Programm übernommen und dem eben besprochenen angehängt. Dadurch ist aber der Gedankengang völlig zerrissen worden.“ (Karl Kautsky, zitiert in W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 394f)
[46] W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 395
[47] W. I. Lenin: An die Partei (1904); in: LW Bd. 7, S. 460f. Lenin wiederholte diesen Gedanken oft in diesem Buch, das die Gründe der Spaltung zwischen den Bolschewiki und den Menschewiki diskutierte und bilanzierte.
„Kurzum, die Formel des Genossen Martow wird entweder ein toter Buchstabe, eine hohle Phrase bleiben, oder sie wird hauptsächlich und fast ausschließlich „den Intellektuellen, die durch und durch vom bürgerlichen Individualismus durchtränkt sind" und der Organisation nicht angehören wollen, Nutzen bringen. In Worten verteidigt Martows Formel die Interessen der breiten Schichten des Proletariats; in der Tat wird diese Formel den Interessen der bürgerlichen Intelligenz dienen, die sich vor der proletarischen Disziplin und Organisation scheut. Niemand wird zu leugnen wagen, dass die Intelligenz als besondere Schicht der modernen kapitalistischen Gesellschaft im Großen und Ganzen gerade durch den Individualismus und die Unfähigkeit zur Disziplin und Organisation gekennzeichnet ist (siehe auch die bekannten Artikel Kautskys über die Intelligenz) ; hierdurch unterscheidet sich diese Gesellschaftsschicht unter andrem ungünstig vom Proletariat; darin liegt eine der Erklärungen für die Schwächlichkeit und Wankelmütigkeit der Intelligenz, eine Eigenschaft, die das Proletariat so oft zu spüren bekommt; und diese Eigenschaft der Intelligenz steht in unlöslichem Zusammenhang mit ihren gewöhnlichen Lebensbedingungen und ihren Erwerbsverhältnissen, die sich in sehr Vielem den Verhältnissen der kleinbürgerlichen Existenz nähern (Arbeit als Einzelperson oder in sehr kleinen Kollektiven usw.). Es ist schließlich auch kein Zufall, dass gerade die Verteidiger der Formel Martows als Beispiele Professoren und Gymnasiasten heranziehen mussten! In den Auseinandersetzungen über § 1 sind nicht die Verfechter des breiten proletarischen Kampfes gegen die Verfechter der radikalen Verschwörerorganisation aufgetreten, wie die Genossen Martynow und Axelrod meinten, sondern die Anhänger des bürgerlich-intellektuellen Individualismus sind mit den Anhängern der proletarischen Organisation und Disziplin zusammengestoßen.“ (W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904); in: LW Bd. 7, S. 266f)
„Gerade die Fabrik, die so manchem nur als Schreckgespenst erscheint, ist die höchste Form der kapitalistischen Kooperation, die das Proletariat vereinigte und disziplinierte, die es lehrte, sich zu organisieren, und es an die Spitze aller übrigen Schichten der werktätigen und ausgebeuteten Bevölkerung stellte. Gerade der Marxismus als Ideologie des durch den Kapitalismus geschulten Proletariats belehrte und belehrt die wankelmütigen Intellektuellen über den Unterschied zwischen
der ausbeuterischen Seite der Fabrik (der auf der Furcht vor dem Hungertod beruhenden Disziplin) und ihrer organisierenden Seite (der auf der gemeinsamen, durch die Bedingungen der technisch hochentwickelten Produktion vereinigten Arbeit beruhenden Disziplin). Disziplin und Organisation, die der bürgerliche Intellektuelle so schwer begreift, eignet sich das Proletariat dank der „Schule", die es in der Fabrik durchmacht, besonders leicht an. Die Todesangst vor dieser Schule, das völlige Nichtverstehen ihrer organisierenden Bedeutung sind eben für Denkmethoden charakteristisch, die kleinbürgerliche Existenzbedingungen widerspiegeln und jene Art von Anarchismus erzeugen, die von den deutschen Sozialdemokraten Edelanarchismus genannt wird, d. h. den Anarchismus des „edlen" Herrn, den Herrenanarchismus, möchte ich sagen.“ (W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904); in: LW Bd. 7, S. 395)
„Hier kann und muss der Proletarier, der durch die Schule der „Fabrik" gegangen ist, dem anarchistischen Individualismus eine Lehre erteilen. Der klassenbewusste Arbeiter hat längst jene Säuglingszeit überwunden, in welcher er den Intellektuellen als solchen mied. Der klassenbewusste Arbeiter weiß jenen reicheren Wissensschatz, jenen weiteren politischen Gesichtskreis, den er bei den sozialdemokratischen Intellektuellen findet, zu schätzen. Aber in dem Maße, wie sich bei uns eine wirkliche Partei herausbildet, muss der klassenbewusste Arbeiter lernen, die Mentalität eines Soldaten der proletarischen Armee von der Mentalität eines bürgerlichen Intellektuellen zu unterscheiden, der mit anarchistischen Phrasen prunkt; er muss lernen, die Erfüllung der Pflichten eines Parteimitglieds nicht nur von den einfachen Mitgliedern, sondern auch von den ‚Leuten an der Spitze’ zu fordern, er muss lernen, der Nachtrabpolitik in organisatorischen Fragen mit derselben Verachtung zu begegnen, mit der er in vergangenen Jahren der Nachtrabpolitik in taktischen Fragen begegnet ist!“ (W. I. Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück (1904); in: LW Bd. 7, S. 398f)
[48] Das sind die Zahlen, die der hervorragende russische marxistische Historiker der 1920er M.N. Pokrowski berichtet und die von anderen historisch-ökonomischen Studien über das zaristische russland weitgehend bestätigt wurden (s. M. Pokrowski: Russische Geschichte, Berlin 1930, S.244)
[49] David Lane: The Roots of Russian Communism, Martin Robertson 1969, p. 26. Eine andere Untersuchung, die die 24.000 Mitglieder der Partei im Jahre 1917 analysiert, kommt zu ähnlichen Zahlen: 60.2% der Mitglieder entstammten der ArbeiterInnenklasse, 7.5% der bäuerlichen und 32.2% dem Angestelltenmilieu oder “anderes”. (Siehe T.H. Rigby: Communist Party Membership in the USSR, 1917–1967, Princeton University Press, Princeton 1968, S. 85-87)
[50] David Lane: The Roots of Russian Communism, S. 47
[51] David Lane: The Roots of Russian Communism, S. 47 (unsere Übersetzung)
[52] David Lane: The Roots of Russian Communism, S. 50 (unsere Übersetzung)
[53] Liliana Riga: The Bolsheviks and the Russian Empire, University of Edinburgh, Cambridge 2012, S. 279
[54] Evan Mawdsley: Makers of the Soviet Union Revisited: The Bolshevik Central Committee Elite in the Revolutionary Period, in: Revolutionary Russia Bd. 8 (1995), No. 2, S. 195 – 211
[55] Liliana Riga: The Bolsheviks and the Russian Empire, S. 16
Das kommunistische Konzept einer Avantgardepartei wurde nach den Erfahrungen der Bolschewiki und ihrer Verallgemeinerung durch die Komintern und Trotzkis Vierte Internationale formuliert. Die Komintern betonte, dass RevolutionärInnen immer die konkreten Umstände mit einbeziehen müssen.
„Die Organisation der Partei muß den Bedingungen und dem Zweck ihrer Tätigkeit angepaßt sein. (…) Es kann keine absolut richtige, unveränderliche Organisationsform für die kommunistischen Parteien geben. Die Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes sind in einem unaufhörlichen Verwandlungsprozeß Änderungen unterworfen und diesen Änderungen entsprechend soll auch die Organisation der Avantgarde des Proletariats dauernd nach zweckmäßigen Formen suchen. Gleichfalls werden durch die historisch bestimmte Eigenart jedes einzelnen Landes besondere Anpassungsformen für die Organisation der einzelnen Parteien bedingt.“ [1]
Es macht natürlich einen großen Unterschied, ob eine revolutionäre Partei in der Illegalität im Untergrund arbeiten muss oder ob sie Bedingungen relativ stabiler bürgerlicher Demokratie erlebt; ob sie in einer revolutionären, nicht revolutionären oder konterrevolutionären Situation tätig ist; ob sie Vertreter in der Gewerkschaftsführung oder im Parlament hat; ob sie Entrismusarbeit innerhalb einer reformistischen Partei leistet; ob sie groß oder klein ist; usw.
Doch die Notwendigkeit, die konkreten Umstände mit einzubeziehen, ändert nichts an der Tatsache, dass KommunistInnen die Partei oder ihre Vorformen auf Grundlager einer Reihe von Prinzipien aufbauen müssen. „Die trotz aller Eigenart existierende Gleichheit in den Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes in den verschiedenen Ländern und in den verschiedenen Phasen der proletarischen Revolution ist für die internationale kommunistische Bewegung von grundlegender Bedeutung. Sie ergibt die gemeinsame Grundlage für die Organisation der kommunistischen Parteien aller Länder.“ [2]
Im Folgenden werden die wichtigsten Grundsätze der bolschewistisch-kommunistischen Konzeption der Avantgarde-Partei zusammengefasst. Diese Grundsätze sind für die revolutionäre Partei ebenso anzuwenden wie für bolschewistische Parteiaufbauorganisationen, wenn auch mit manchen Abänderungen, wie wir zeigen werden. Wenn von den Grundsätzen der Partei die Rede ist, ist also immer – sofern nicht eigens hervorgehoben – auch die Parteiaufbauorganisation mitgemeint.
Einheit von Theorie und Praxis
Die zugrundelegende Methode der Parteiarbeit ist das marxistische Prinzip der Einheit von Theorie und Praxis. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Die Theorie verweist auf die Praxis – ansonsten ist sie nur ein lebloses Dogma. Und die Praxis verweist auf die Theorie – ansonsten ist sie blinder Aktivismus ohne strategische Ausrichtung.
Tatsächlich würde Theorie ohne (vergangene) Praxis nicht existieren. Mit anderen Worten ist Theorie verallgemeinerte erlebte Vergangenheit, wie Trotzki einst formulierte:
"Läßt man sich von der Theorie leiten, so heißt das, daß man sich von der Verallgemeinerung der gesamten bisherigen Praxis der Menschheit leiten läßt, um eine bestimmte praktische Aufgabe der Gegenwart möglichst gut zu bewältigen. Vermittelt durch Theorie, erweist sich so das ‚Primat’ der Praxis insgesamt gegenüber den Teilpraktiken." [3]
Daraus folgt, dass der Charakter der marxistischen Theorie gemäß den Bedürfnissen der Praxis strukturiert und konzeptualisiert sein muss und gleichzeitig die Praxis von der Theorie geleitet werden muss. Ein solch dialektisch-materialistischer Zugang zum Verhältnis zwischen Theorie und Praxis ist der einzige Weg, um sich ein korrektes Verständnis bezüglich der Aufgaben der Partei anzueignen.
Abraham Deborin, der führende marxistische Philosoph der UdSSR in den 1920ern vor dem stalinistischen Umbruch, formulierte die Beziehung zwischen Theorie und Praxis sehr gut.
„Um die Wirklichkeit umzugestalten, ist es notwendig, daß die Theorie selbst Wirklichkeit werde, daß sie aktiv-schöpferische Kraft sei, daß, mit einem Wort, die Theorie Praxis werde. Der Marxismus ist eine solche von allen anderen abweichenden Theorie, eine philosophische Weltanschauung, die die Umkehrung der Praxis zur Theorie und der Theorie in die Praxis fordert. Der Marxismus kennt keine Trennung zwischen Theorie und Praxis. Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis erfordert, daß die Theorie praktisch sei und daß die Praxis durch die Theorie erklärt, und selbst zur Theorie werde.“ [4]
Ähnlich bezeichnete Ivan K. Luppol, ein weiterer einflussreicher sowjetischer Philosoph der Schule Deborins, die dialektisch-materialistische Methode in seinem Buch zu Lenins Philosophie als die „Methodologie des Wissens auf der Grundlage des Handelns und Methodologie des Handelns auf der Grundlage des Wissens.“ [5]
Schließlich ist die Einheit von Theorie und Praxis wesentlich für die gesamte Arbeits- und Existenzweise der revolutionären Partei bzw. ihrer Vorform, um ein Kollektiv von AktivistInnen der ArbeiterInnenklasse zu bilden, die passiven Propagandismus ablehnen, und gleichzeitig ideologisch gestählt die korrekte Ausrichtung unter Bedingungen des Kampfes und Drucks seitens des Klassenfeinds wie auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung zu finden. Leo Trotzki formulierte diese grundlegende Wahrheit in einem Brief an die spanische Jugend 1932:
„Die Stärke des Marxismus liegt in der Einheit von wissenschaftlicher Theorie und revolutionärem Kampf. Diese beiden Dinge sollten für die Erziehung der kommunistischen Jugend maßgeblich sein. Das Studium des Marxismus außerhalb des revolutionären Kampfes kann Bücherwürmer, aber keine Revolutionäre hervorbringen. Teilnahme am revolutionären Kampf ohne das Studium des Marxismus muß unvermeidlich Gefahr, Unsicherheit, starke Kurzsichtigkeit mit sich bringen. Man kann den Marxismus als ein Marxist nur durch Teilnahme an Leben und Kampf der Klasse studieren; revolutionäre Theorie wird durch die Praxis bestätigt, und die Praxis durch die Theorie erhellt. Nur diejenigen Wahrheiten des Marxismus, die im Kampf erobert werden, gehen in Fleisch und Blut über.“ [6]
Und der alte Gefährte von Marx und Engels, Wilhelm Liebknecht, fasste die Aufgabe der revolutionären Partei in der Formel “studieren, propagieren, organisieren” gut zusammen.
Die Hingabe der Parteimitglieder
Einheit von Theorie und Praxis bedeutet zuerst, dass die AktivistInnen nicht nur mit den Zielen ihrer Partei übereinstimmen, sondern auch für diese mit allen Mitteln, die die Organisation für notwendig erachtet, kämpfen. Das heißt, dass die totale Hingabe der AktivistInnen gefordert ist: "Die Revolution verlangt die vollständige Hingabe des Menschen.”[7]
Eine Organisation, der es an dieser Voraussetzung der völligen Hingabe ihrer Mitglieder für die revolutionäre Arbeit mangelt, ist für die Sache des proletarischen Befreiungskampfs von vornherein verloren. Mit einer solchen Organisation ist jede Übereinkunft über ein Programm oder eine theoretische Analyse bedeutungslos, weil sie ein bloßes abstraktes Teilen der Sichtweise ohne jede Konsequenz in der Praxis bliebe. Die ParteiaktivistInnen müssen imstande sein, allen Formen von Druck seitens politischer Feinde und “sozialistischer” Gegner zu widerstehen. Nicht zufälligerweise wurden die Bolschewiki als “die Felsenfesten” bezeichnet und nannten sich auch selbst so. [8]
Ein entscheidendes Kriterium zur Unterscheidung einer revolutionär-proletarischen von einer kleinbürgerlichen Partei ist die Haltung ihrer Mitglieder zu den politischen und praktischen Forderungen des Befreiungskampfes. Trotzki drückte das in einer Rede zur Gründung der Vierten Internationale eindrucksvoll aus:
„Unsere Partei fordert jeden von uns total und vollständig. Laßt die Philister ihre eigene Individualität in einen leeren Raum jagen. Sich vollständig der Partei zu geben, bedeutet für einen Revolutionär, sich selbst zu finden. Ja, unsere Partei ergreift jeden von uns ganz. Aber umgekehrt gibt sie jedem von uns größtes Glück: das Bewußtsein, daß wir an dem Aufbau einer besseren Zukunft beteiligt sind, daß wir einen Teil des menschlichen Schicksals auf unseren Schultern tragen und daß unser Leben nicht umsonst gelebt sein wird. Die Treue gegenüber der Sache der Arbeiter erfordert von uns höchste Ergebenheit gegenüber der internationalen Partei. Die Partei kann natürlich auch irren. Aber durch gemeinsame Anstrengungen werden wir ihre Fehler korrigieren. Unwürdige Elemente können in ihre Reihen eindringen. Durch gemeinsame Anstrengungen werden wir sie entfernen. Tausende, die morgen in unsere Reihen eintreten, wird wahrscheinlich die notwendige Erziehung fehlen. Durch gemeinsame Anstrengungen werden wir ihr revolutionäres Niveau heben. Aber wir werden niemals vergessen, daß unsere Partei jetzt den größten Hebel der Geschichte darstellt. Getrennt von ihr, ist jeder von uns nichts; mit ihr in der Hand, sind wir alles.“ [9]
Bei anderer Gelegenheit erklärte er einem sympathisierenden Anwalt, der sich nicht zur völligen Ergebenheit gegenüber der Revolution entschließen konnte:
„Ich sagte zu mir selber, nachdem ich sie aus nächster Nähe beobachtet habe, daß Genossen Revolutionäre sind oder solche bekommen können, die zu solchen Initiativen und zu solchen persönlichen Opfern bereit sind. Denn es ist auf diesem Weg, Genosse Paz, daß Revolutionäre geformt werden. Man kann Revolutionäre haben, die erfahren sind oder unwissend, intelligent oder dumm. Aber es gibt keine Revolutionäre, denen der Wille fehlt, Hindernisse zu zerschlagen, denen die Hingabe und die Einstellung fehlt, Opfer zu bringen. (…) Ich möchte hier nicht auf die Geschichte der russischen Partei in der Zeit der Illegalität eingehen. Die Person, die zur Bewegung gehörte, gehörte ihr nicht nur mit ihren materiellen Mitteln, sondern mit Körper und Seele. Er oder sie identifizierte sich offen mit der Sache und durch einen solchen Prozeß der Erziehung waren wir in der Lage, Kämpfer herauszubilden, die die zahlreichen „Äxte“ der proletarischen Revolution wurden.“ [10]
Gerard Rosenthal, einer der französischen Mitstreiter Trotzkis, berichtete in seinen Memoiren, dass Trotzki vom Mangel an revolutionärer Hingabe bei den westlichen SozialistInnen irritiert war:
„Trotzki’s Hauptinteresse galt des menschlichen Qualitäten eines Revolutionärs: ‚Wir können die Revolution nur mit Menschen durchführen und gewinnen, die sich ganz und ganz dem Kampf widmen. Bei den russischen Revolutionären war das Privatleben konsequent den Erfordernissen des politischen Kampfes untergeordnet.’ Kontakte mit westlichen Genossen hatten ihn enttäuscht: ‚Mit Menschen, die an die erste Stelle ihr Berufsleben, dann ihre Familie und zuletzt die Revolution setzten, ist an eine Revolution nicht zu denken.’“ [11]
James P. Cannon, der historische Führer des amerikanischen Kommunismus und später Trotzkismus, fasste den marxistischen Zugang in einer Schrift, die als Zusammenfassung des Fraktionskampfs gegen die kleinbürgerliche innerparteiliche Opposition um Max Shachtman herausgegeben wurde, zusammen:
“Für uns muß die Partei eine Kampforganisation sein, die einen entschlossenen Kampf um die Macht führt. Die bolschewistische Partei, die den Kampf um die Macht führt, braucht nicht nur interne Demokratie. Sie benötigt ebenso dringend Zentralismus und eiserne Disziplin in der Aktion. (...) Sie (die Führungsgenossen, d.A.) widmen sich ausschließlich der Partei und finden in der Partei und ihren vielfältigen Aktivitäten im proletarischen Bereich völlig persönliche Erfüllung. Für den proletarischen Revolutionär ist die Partei der konzentrierte Ausdruck seines Lebenszweck. Er ist ihr auf Leben und Tod verbunden. Er tritt bedingungslos für die Partei ein, weil er weiß, daß seine sozialistischen Ideale ohne die Partei nicht verwirklicht werden kann. Untreue und Verantwortungslosigkeit gegenüber der Partei ist in seinen Augen das größte aller Verbrechen. Der proletarische Revolutionär ist stolz auf seine Partei. Er verteidigt sie unablässig nach außen. Der proletarische Revolutionär ist diszipliniert, weil die Partei als Kampforganisation ohne Disziplin nicht bestehen kann. Befindet er sich selbst in der Minderheit, dann unterwirft er sich loyal den Beschlüssen der Partei und führt sie aus. Er wartet auf neue Ereignisse, die seine Ansichten bestätigen, oder eine andere Gelegenheit, um die Diskussion neu zu eröffnen.” [12]
Dieses Thema ist in der imperialistischen Welt von besonderer Wichtigkeit angesichts der wenigen revolutionären Situationen und Traditionen. Trotzki, der die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung in Russland mit ihren Pendants im Westen vergleichen konnte, sah den Mangel solch revolutionärer Hingabe als zentrale Schwäche der westlichen sozialistischen Kräfte. Aus Anlass des Todes des alten bolschewistischen Kämpfers Kote Tsintsadze wies Trotzki auf dieses Problem hin:
“Die kommunistischen Parteien im Westen haben bisher keine Kämpfer vom Typ Tsintsadze hervorgebracht. Das ist ihre große Schwäche, verursacht durch historische Gegebenheiten, aber nichtsdestotrotz eine Schwäche. Die Linke Opposition in den westlichen Ländern ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme und sie muss sich dessen sehr bewusst sein.”[13]
Wenn Trotzki über den Mangel an revolutionären KämpferInnen in Westeuropa 1920 besorgt war, was würde er heute sagen, wo es viel weniger revolutionäre Situationen als zu seinen Lebzeiten gibt und damit viel weniger Gelegenheiten zur Heranbildung einer Generation hingebungsvoller kommunistischer AktivistInnen? Die sogenannte Linke ist voller AktivistInnen, die selten auf ihr persönliches Wohlbefinden und Karriere vergessen. Es ist eine der dringlichsten Aufgaben, eine neue Generation kommunistischer KämpferInnen hervorzubringen, die sich der revolutionären Arbeit voll und ganz widmen.
Diese Entwicklung wurde vom enormen Wachstum der städtischen Mittelschicht und Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Ländern und durch die Orientierung der meisten zentristischen Organisationen auf diese und auf die mit ihnen verwandten Schichten sowie auf jene, die darauf hoffen, sich ihr anzuschließen, verstärkt (Universitätsstudenten, Intellektuelle, gut ausgebildete Bereiche der ArbeiterInnenklasse etc.). Als Ergebnis haben die meisten zentristischen und reformistischen Organisationen in Europa und den USA – vor allem ihre Führungen – eine erschreckende Klassenzusammensetzung, d.h. sie sind von Leuten mit einem Hintergrund aus dem fortschrittlichen weißen und Mittelschichtsmilieu dominiert. Eine solche Orientierung beginnt meist früh, während der Studienzeit, wenn jene, die sich einer professionellen Karriere verweigern, als Außenseiter betrachtet werden.
Dieser “europäische Typ des Revolutionärs” hat sich in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen StudentInnenbewegungen herausgebildet, die das Hauptrekrutierungsfeld für die zentristischen und reformistischen Kräfte sind. Ihre Klassenzusammensetzung wurde nicht durch eine Orientierung auf die unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten korrigiert.
Das Ergebnis davon ist personifiziert in Linksintellektuellen wie Tariq Ali, Henri Weber, André Gorz und Robin Blackburn, die alle für eine gewisse Zeit eine Berufskarriere mit “marxistischer” Politik verbanden, bevor sie ihren Aktivismus völlig aufgaben. Eine revolutionäre Bewegung kann nicht auf solch verdorbenen Elementen aufbauen. Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben, eine neue Generation kommunistischer KämpferInnen zu bilden, die sich der revolutionären Arbeit voll und ganz widmen und die von jenen, die behaupten, “das System von innen zu bekämpfen”, indem sie die Karriereleiter hinaufsteigen, abgestoßen sind.
Das Programm zuerst
Zuerst und vor allem braucht die Partei ein klares Verständnis ihrer theoretischen Grundlage und, beruhend darauf, ein revolutionäres Programm. Ohne Programm hat sie keinen politischen Kompass, keine politische Ausrichtung. Lenin stellte bekanntlich bereits 1902 fest: “Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.” [14]
Ein Programm beinhaltet eine Analyse der kapitalistischen Gesellschaft in einer gegebenen politischen Periode, eine Festlegung der allgemeinen sozialistischen Ziele, einen Umriss der Strategie für das Proletariat sowohl für die Machtübernahme wie auch für die wichtigsten Taktiken und Forderungen. Ein Programm muss, wie es die Komintern und die Vierte Internationale nannten, ein “Übergangsprogramm” sein, d.h. ein Programm, das den Weg von der gegenwärtigen Situation bis zur Machtergreifung aufzeigt. In Diskussionen mit GesinnungsgenossInnen erklärte Trotzki die Wichtigkeit eines solchen Programms:
"Was ist nun die Partei? Worin besteht ihr Zusammenhalt? Dieser Zusammenhalt ist das gemeinsame Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben; und dieses gemeinsame Verständnis - das ist das Programm der Partei. Ebenso wie moderne Arbeiter – noch weniger als die Barbaren – nicht ohne Werkzeug arbeiten können, so ist in der Partei das Programm das Instrument. Ohne das Programm muss jeder Arbeiter sein Werkzeug improvisieren, improvisierte Werkzeuge suchen und eines widerspricht dann dem anderen. Nur wenn wir die Avantgarde auf Grundlage einer gemeinsamen Konzeption organisiert haben, dann können wir handeln" [15]
Marx und Engels schrieben das Kommunistische Manifest, das erste wissenschaftliche sozialistische Programm, kurz nachdem sie sich 1847 dem Kommunistischen Bund angeschlossen hatten. Die Zweite Internationale hatte wichtige nationale Programme, das deutsche “Erfurter Programm” oder das französische Programm, geschrieben von Marx. Auch die russischen MarxistInnen verabschiedeten 1903 ein durchdachtes Programm und als sich die Umstände 1917 änderten, schrieb Lenin die sogenannten “April-Thesen” als eine Art Alternativprogramm für die revolutionäre Periode vor dem Oktober 1917. Im März 1919 änderte die Partei ihr Programm offiziell und passte es den neuen Gegebenheiten an. Dieses Programm war eine Richtlinie für die Komintern und ihre programmatischen Resolutionen von 1919 bis 1922. Bald nachdem der Vierte Weltkongress 1922 den Beschluss gefasst hatte, ein Programm zu erarbeiten, degenerierte die Komintern unter dem Gewicht der stalinistischen Bürokratie und das Projekt wurde verschoben und letztlich 1928 durch ein zentristisch stalinistisches Programm ersetzt. Es blieb Trotzkis Vierter Internationale vorbehalten, 1938 – nach einer Reihe von Resolutionen und programmatischen Dokumenten in den Jahren davor – ein kommunistisches Programm auf Grundlage der Übergangsmethode zu verfassen.
Nur wenn KommunistInnen sich auf Grundlage solch revolutionärer Theorie und revolutionären Programms stellen, werden sie konkrete und flexible Taktiken entwickeln können.
„Der Marxismus ist eine Methode der historischen Analyse, der politischen Orientierung – nicht eine Ansammlung von Beschlüssen, die auf Vorrat produziert wurden. Der Leninismus ist die Anwendung dieser Methode unter den Bedingungen einer besonderen Epoche. Gerade aus der Kombination der Besonderheiten der Epoche mit dieser Methode erwuchs die mutige, reife, auf sich selbst vertrauende Politik scharfer Wendungen, die Lenin so meisterhaft beherrschte und die er theoretisch erhellt und verallgemeinert hat. [16]
Es ist ein Merkmal des Zentrismus, dass er sich der Erarbeitung eines Programms, das seine Prinzipien wie auch ihre Anwendung in einer konkreten politischen Lage zusammenfasst, verweigert. Als Ergebnis bestehen alle größeren zentristischen Strömungen (Morenoisten, CWI, IMT, IST usw.) seit Jahrzehnten ohne Programm. Der verstorbene Tony Cliff, einer der Helden des angelsächsischen Pragmatismus unter dem Deckmantel des “Trotzkismus”, entschuldigte seine Ablehnung der Erarbeitung eines Programms gern mit der Behauptung, “es ist besser, eine Waffe als den Plan einer Waffe zu haben”. Letztlich hatte die SWP/IST weder eine Waffe noch einen Plan. Als sie sich scharfen Klassenkampfsituationen gegenüber sahen, schafften sie es wiederholt nicht, eine klare revolutionäre Position einzunehmen, sondern kapitulierten vor den Klassenfeinden (z.B. keine Verteidigung der halbkolonialen Länder wie Argentinien 1982, Irak 1991 und 2003 oder Afghanistan 2001 gegen imperialistische Angriffe; kein Aufruf für einen Generalstreik während des wichtigen britischen BergarbeiterInnenstreiks 1984/85; keine Verteidigung des degenerierten ArbeiterInnenstaats gegen den Imperialismus wie Korea 1950-53 usw.).
Manchmal rechtfertigen Zentristen ihre Verweigerung der Programmarbeit für die aktuelle Periode mit dem Hinweis auf Trotzkis Programm von 1938 als ausreichende Grundlage. Diese “MarxistInnen” verstehen nicht, dass ein Programm die Anwendung der Lehre des Klassenkampfes auf eine konkrete politische Situation mit einer Reihe von Strategien und Taktiken ist, um der Arbeiteravantgarde eine klare Orientierung zu geben. Wenn sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ändert und sich eine neue politische Lage eröffnet – was üblicherweise von entscheidenden Ereignissen in der nationalen oder internationalen Politik verursacht wird –, müssen MarxistInnen das Programm den neuen Bedingungen anpassen. Ansonsten kann das Programm nicht als Handlungsrichtlinie funktionieren, sondern ist eine leblose, sektiererische Darlegung zeitloser Dogmen.
Wie Trotzki in Zusammenfassung der Lehren aus der gescheiterten Deutschen Revolution von 1923 warnte, wird eine Partei, die mit den Entwicklungen des Klassenkampfs nicht Schritt hält, ihre programmatische Klarheit verlieren und, unwillkürlich, zu einem Instrument der nichtproletarischen Klassenkräfte werden.
„Die revolutionäre Partei befindet sich unter dem Druck fremder politischer Kräfte; in jeder Periode ihres Bestehens entwickelt sie andere Mittel, diesen Kräften zu widerstehen und sich ihnen entgegenzusetzen. Bei einer taktischen Neuorientierung und den damit verbundenen inneren Reibungen schwindet die Kraft, sich den zerstörenden äußeren Kräften zu widersetzen. Es besteht daher die Gefahr, daß innere Umgestaltungen der Partei, die im Hinblick auf die Notwendigkeit der taktischen Neuorientierung entstehen, über das Ziel hinauswachsen und verschiedenen Klassentendenzen als Stützpunkt dienen. Einfacher ausgedrückt: eine Partei, die mit den historischen Aufgaben ihrer Klasse nicht Schritt hält, läuft Gefahr, zum indirekten Werkzeug anderer Klassen zu werden oder wird es auch tatsächlich.“ [17]
Eine Vorbedingung für die politische Gesundheit einer Partei ist der Kampf gegen Strömungen innerhalb der Organisation, die nichtproletarische Klassenkräfte reflektieren und die das Parteiprogramm und ihre Methode angreifen. Natürlich werden in jeder gesunden Organisation, die sich nicht vom lebenden Klassenkampf abkapselt, Differenzen vorhanden sein. Solche Differenzen können auf die eine oder andere Weise opportunistische oder sektiererische Tendenzen ausdrücken, die den Druck anderer Klassen wiedergeben. [18] Die Partei und ihre Führung dürfen jedoch gegenüber solchen Entwicklungen nicht passiv bleiben. Sie muss proaktiv handeln und jene Mitglieder, die solche Abweichungen verkünden, zu überzeugen versuchen und zumindest sicherstellen, dass sie keinen dominanten Einfluss innerhalb der Partei gewinnen. Das ist besonders wichtig in den frühen Phasen des Parteiaufbaus, wo programmatische Klarheit eines der Schlüsselelemente zur Gewinnung von AktivistInnen aus der ArbeiterInnenavantgarde ist. Trotzki bemerkte dazu:
“Philister werden darüber kichern, daß wir, eine kleine Minderheit, uns ununterbrochen mit inneren Abgrenzungen beschäftigen. Das wird uns nicht beirren. Gerade weil wir eine kleine Minderheit sind, deren ganze Kraft in theoretischer Klarheit besteht, müssen wir uns erbarmungslos gegen die zweifelhaften Freunde von rechts und links wenden. ”[19]
MarxistInnen lehnen das aktuell moderne Modell einer “pluralistischen linken Partei”, die auf eine solche programmatische Klarheit verzichtet, “um größer zu werden”, ab. Solch faule Methoden waren charakteristisch für die sozialdemokratische Zweite Internationale und führten zum vorherrschenden Einfluss des reformistischen Flügels und der Kapitulation der Partei vor dem Druck des Imperialismus. Lenin und die Bolschewiki betrachteten das als eine der Schlüssellehren ihres Kampfs und des Scheiterns der Zweiten Internationale zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914.
“Der Typus der sozialistischen Parteien in der Epoche der II. Internationale war die Partei, die in ihrer Mitte einen Opportunismus duldete, der sich in den Jahrzehnten der „friedlichen" Periode immer mehr ausbreitete, aber im Verborgenen blühte, der sich den revolutionären Arbeitern anpasste, von ihnen ihre marxistische Terminologie übernahm und jeder klaren, prinzipiellen Abgrenzung aus dem Wege ging. Dieser Typus hat sich überlebt.”[20]
In einem anderen Artikel hielt Lenin fest: “Es gibt nichts Abgeschmackteres, nichts Verächtlicheres und Schädlicheres als die landläufige Idee der revolutionären Philister: die Differenzen „im Hinblick" auf die nächste gemeinsame Aufgabe in der beginnenden Revolution zu ‚vergessen’. Wen die Erfahrung des Jahrzehnts von 1905 bis 1914 nicht von der Dummheit dieser Idee überzeugt hat, der ist für die Revolution rettungslos verloren.”[21]
Die Aufgabe von MarxistInnen ist nicht, so viele ArbeiterInnen wie möglich ungeachtet ihrer politischen Ansicht zu sammeln, sondern so viele ArbeiterInnen wie möglich um ein revolutionäres Programm zu scharen.
„In Lenins Schule haben wir alle gelernt, daß ein Bolschewik die Einheit auf der Grundlage einer proletarisch-revolutionären Linie anstreben muß. [22]
Propaganda und Agitation
Programmarbeit ist für sich genommen kein Ziel. Sie ist ungenügend, wenn sie nicht an die ArbeiterInnenklasse und ihre Avantgarde übermittelt wird, um sie zu bilden und in den Reihen der Partei zu organisieren. Eine der wesentlichsten Aktivitäten der revolutionären Partei ist daher die systematische Verbreitung ihrer Kampfziele und –methoden, wie sie in der marxistischen Theorie und ihrem Programm herausgearbeitet sind. Das wird üblicherweise mit den Mitteln der Propaganda und Agitation in der Zeitung der Organisation, ihren Flugblättern, öffentlichen Reden etc. bewerkstelligt. Plechanow, der Vater des russischen Marxismus, definierte Propaganda als “viele Ideen für ein paar” und Agitation als “ein paar Ideen für viele”. Mit anderen Worten erklärt Propaganda detailliert die verschiedenen Aspekte der marxistischen Analyse, Taktik und notwendigen Aktionen für ein bestimmtes Thema. Agitation andererseits konzentriert sich auf einen oder ein paar wenige Aspekte eines Themas und zieht daraus die für MarxistInnen relevanten Schlüsse.
Das zugrundeliegende Prinzip für das marxistische Programm wie auch für Propaganda und Agitation ist “sagen was ist”. Das heißt, dass MarxistInnen die Wahrheit nicht verbergen dürfen, um Reformisten nicht zu verschrecken oder das rückständige Bewusstsein der Massen herauszufordern. Trotzki fasste diesen Anspruch gut zusammen, als er schrieb: „Ich glaube, daß die marxistische, die revolutionäre Politik im Allgemeinen eine sehr einfache ist: ‚Die Wahrheit aussprechen! Nicht lügen! Die Wahrheit sagen!‘ Das ist eine sehr einfache Politik.“ [23] Ähnlich meinte Rosa Luxemburg in einer Rede auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Amsterdam 1904: „Und nichts ist revolutionärer, als zu erkennen und auszusprechen, was ist.“ [24]
Natürlich sind taktische Flexibilität und pädagogische Anpassung ebenso wichtig in der täglichen revolutionären Arbeit. Doch das darf nicht zur Verwässerung, Verbergung oder sogar zum Gegensatz zu marxistischen Prinzipien führen.
„Das Unglück besteht darin, daß die Epigonen der bolschewistischen Strategie den jungen kommunistischen Parteien als deren Quintessenz das Manövrieren und die Flexibilität anempfehlen, losgelöst von ihrem historischen Ursprung und von ihren prinzipiellen Grundlagen, so daß daraus ein prinzipienlosen Kombinieren wird, das allzuhäufig einem Leerlauf ähnelt. Nicht Flexibilität war was das Hauptcharakteristikum des Bolschewismus, nicht Flexibilität darf es heute sein, sondern seine Unbeugsamkeit. Gerade auf seine Unbeugsamkeit, die ihm seine Feinden und Gegnern vorwarfen, war der Bolschewismus mit Recht stolz. Nicht ein zufriedene ‚Optimismus‘, sondern Unversöhnlichkeit, Wachsamkeit, revolutionäres Mißtrauen, Kampf um jeden Zoll Selbständigkeit sind die grundlegenden Züge des Bolschewismus.“ [25]
MarxistInnen weisen also opportunistische Manöver diverser Zentristen zurück, die – um der ArbeiterInnenbürokratie zu gefallen - behaupten, dass der Befreiungskampf mit gewaltlosen Mitteln gewonnen werden kann oder nahelegen, dass reformistische Führer über Druck von unten dazu gebracht werden könnten, den Weg des aufrechten Klassenkampfs einzuschlagen. (z.B. CWI, IMT, IST, Morenoisten).
Es ist das Programm als Ganzes und die Haltung der SozialistInnen dazu sowie auch deren zentrale politischen Positionen, was den Charakter des Programms ausmacht. Programmatische Schlussfolgerungen zu leugnen, zu verbergen oder zu verzerren, eine korrekte Position zu bedeutsamen Entwicklungen in der Weltpolitik und im Klassenkampf nicht einzunehmen, disqualifiziert SozialistInnen als MarxistInnen. Trotzki war in diesem Punkt unmissverständlich:
„Aber damit erkennen Sie auch an, daß Brandler-Thalheimer keine Revolutionäre sind, denn Revolutionäre werden durch ihre Haltung zu den Grundfragen der Weltrevolution charakterisiert und erkennbar.“ [26]
Das Programm ist die Grundlage der Partei. Doch der Charakter des Programms muss derart sein, dass es bereits die wichtigsten taktischen Schlussfolgerungen in sich trägt. Eine Partei muss immer in der Lage sein, den ArbeiterInnen zu erklären, auf welcher Seite der Barrikade sie im jeweiligen Kampf stehen und mit welchen Mitteln sie den Sieg anstreben sollen.
Ein Lieblingsargument von reformistischen und zentristischen Bürokraten gegen die MarxistInnen ist, dass es “unzeitgemäß” wäre, revolutionäre Taktik zu propagieren und dass man damit den Massen “zu weit voraus” wäre. Das ist ein Standardargument jener, die Lenin in der russischen sozialdemokratischen Bewegung als “Nachtrabpolitiker” bezeichnet hatte. Wenn SozialistInnen nur jene Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aussprechen, die die Massen bereits selber gezogen haben, wozu sollten die Massen sie dann noch brauchen? Offensichtlich waren ja dann die Massen dazu selber fähig, ihren Wissensstand zu erweitern. In diesem Fall wäre es besser, wenn sich diese “sozialistischen” Organisationen auflösen würden. Die Wahrheit ist, dass die Avantgarde und die Massen immer nach Analyse und Perspektive trachten, die, wie sie glauben, mit ihrer Erfahrung übereinstimmt. Wenn MarxistInnen es nicht schaffen, den Werktätigen bei der Vertiefung ihres Verständnisses behilflich zu sein, werden sie sich nach anderen politischen Kräften umsehen, die ihnen politische Erklärungen und Alternativen anbieten. Nur Narren glauben, dass die Massen Ansichten und Positionen zurückweisen, die ihrem aktuellen Bewusstseinsstand voraus sind. in Wirklichkeit ist dieses “Argument” der Reformisten und Zentristen nur ein Vorwand für ihre opportunistische Anpassung an die liberale Bourgeoisie und ArbeiterInnenbürokratie.
Lenin, dessen Partei der Welt zeigte, dass die Propaganda revolutionärer Taktiken die Partei in die Lage versetzen kann, zuerst die Avantgarde und dann die Massen zu gewinnen und sie zum Sieg zu führen, wies solch opportunistische Positionen scharf zurück:
“Für uns heißt es einstweilen, gemeinsam die richtige Taktik zu propagieren, die Ereignisse werden dann im weiteren das Tempo der Bewegung und die (nationalen, lokalen, gewerkschaftlichen) Modifikationen der allgemeinen Richtung bestimmen. (…) Was aber das „Unzeitgemäße" der Revolutionspropaganda betrifft, so beruht dieser Einwand auf einer Begriffsverwirrung, die bei romanischen Sozialisten gang und gäbe ist: Sie verwechseln den Beginn der Revolution mit der offenen und direkten Propaganda der Revolution. In Russland datiert niemand den Beginn der Revolution von 1905 früher als vom 9. Januar; aber die revolutionäre Propaganda im allerengsten Sinne, die Propagierung und Vorbereitung von Massenaktionen, Demonstrationen, Streiks, Barrikaden, wurde schon jahrelang vorher getrieben. Die alte „Iskra" trieb beispielsweise eine solche Propaganda seit Ende 1900, wie Marx sie schon 1847 eingeleitet hatte, zu einer Zeit, als vom Beginn einer Revolution in Europa noch keine Rede sein konnte.“ [27]
Systematisches Kombinieren von Programm und Taktik, diese Taktiken zu propagieren und sie wo immer möglich in die Tat umzusetzen, stellt den einzigen Weg dar, auf dem die revolutionäre Partei die Avantgarde und die Massen beeinflussen und letztlich gewinnen kann. Das ist der einzige Weg, Theorie und Praxis zu vereinen.
Kommunistische Massenarbeit
Nachdem die Aufgabe der revolutionären Partei in der Führung der ArbeiterInnenklasse zur sozialistischen Revolution besteht, muss ihre Arbeit darauf zielen, die Avantgarde und dann die proletarischen Massen zu gewinnen. Die Komintern betonte die Wichtigkeit der Massenarbeit:
„Die erfolgreiche Führung setzt außerdem unbedingt die engste Verbindung mit den proletarischen Massen voraus. Ohne diese Verbindung wird die Führerschaft die Massen nicht führen, sondern bestenfalls hinter ihnen hergehen. Diese organischen Verbindungen werden in der kommunistischen Parteiorganisation durch den demokratischen Zentralismus erstrebt.“ [28]
Das kann nur erreicht werden, wenn RevolutionärInnen ihre Propaganda und Agitation mit der praktischen Arbeit unter den Massen verbinden. Diese Arbeit kann vielfältig sein: einen Streik organisieren, eine Demonstration führen, praktische Unterstützung für Arbeitslose oder Arme organisieren, Arbeit in einer Gewerkschaft und anderen Massenorganisationen, praktische Unterstützung in alltäglichen Angelegenheiten für KollegInnen an Arbeitsplätzen, Schulen oder Wohnorten, Aufstellung von Kandidaten bei Parlamentswahlen, Eintritt in eine reformistische Massenpartei als Fraktion usw. All diese Formen der Massenarbeit sollten mit einer geduldigen Erläuterung der kommunistischen Ziele der Partei einhergehen.
Die Parteimitglieder müssen danach streben, die besten FührerInnen, OrganisatorInnen und AktivistInnen in den auf die Massen ausgerichteten Aktivitäten zu sein. Nur so können sie das Vertrauen der Massen gewinnen. Sie werden oft dazu gezwungen sein, die Einheitsfronttaktik anzuwenden, d.h. die Einheit des Proletariats im Kampf um seine Rechte voranzutreiben, indem sie die offiziellen Führer der ArbeiterInnenbewegung und anderer Massenorganisationen aufrufen, deren Kräfte für einen bestimmten Kampf zu mobilisieren. Das zentrale Ziel ist, Schulter an Schulter mit den ArbeiterInnen zu kämpfen, die bislang noch den nicht-revolutionären Führungen folgen. Gleichzeitig müssen RevolutionärInnen die Massen vor dem wahrscheinlichen Verrat durch die offiziellen Führungen im Laufe des Kampfes warnen und sie für ihre reformistische Politik kritisieren.
Offensichtlich hängt das Ausmaß, in dem eine bolschewistische Organisation Arbeit unter den Massen verrichten kann, sowohl von der aktuellen Klassenkampfsituation als auch von den subjektiven Kräften ab. Je kleiner die Organisation, umso strenger muss sie die Gebiete und Intensität ihrer Arbeit unter den Massen selektieren. Um exemplarische Massenarbeit zu verrichten, sind kommunistische Parteiaufbauorganisationen gezwungen, solche Aktivitäten zu begrenzen. Sie müssen ihre Energie auf dieses oder jenes Gebiet fokussieren und versuchen, nur dort zu intervenieren.
Doch sobald die Organisation ihre grundlegenden programmatischen Ziele geklärt hat – d.h. sobald sie das erste Anfangsstadium einer ideologischen Strömung hinter sich gelassen hat –, sollte sie nach Möglichkeiten zur Massenarbeit Ausschau halten.
Solch exemplarische Massenarbeit ist für die Parteiaufbauorganisation aus vielen Gründen unerlässlich. Erstens können ihre Mitglieder wie auch die Organisation als Gesamtes nur dann im Klassenkampf Erfahrungen sammeln, wenn sie auch an diesem teilnehmen.
Zweitens ist das Hauptziel für Parteiaufbauorganisation die Rekrutierung von Mitgliedern aus den Reihen kämpferischer ArbeiterInnen und Unterdrückter. Das wird nur möglich sein, wenn die Parteiaufbauorganisation Seite an Seite mit diesen AvantgardekämpferInnen kämpft statt sie nur von außen zu belehren.
Drittens können Bolschewiki-KommunistInnen der ArbeiterInnenavantgarde die Bedeutung ihres Programms nur dann in der Praxis erklären, wenn sie als AktivistInnen am Klassenkampf teilnehmen.
Natürlich muss solch exemplarische Massenarbeit offen kommunistisch durchgeführt werden – unter Einbeziehung notwendiger Modifikationen aus Sicherheitsgründen angesichts möglicher staatlicher Repression o.ä.. Ansonsten besteht die Gefahr, dass RevolutionärInnen ihre Arbeit in Propaganda (mit kommunistischem Charakter) und Massenarbeit (mit ökonomistischen Charakter) aufspalten.
Klassenzusammensetzung und Orientierung auf die nicht-aristokratischen Schichten der ArbeiterInnenklasse
Wie bereits in Kapitel I ausgearbeitet, muss die revolutionäre Partei sowie ihre Vorformen eine überwiegend proletarische Zusammensetzung aufweisen. Ansonsten kann sie das politische Klassenbewusstsein nicht in die ArbeiterInnenklasse tragen, kann nicht als Strategin, Organisatorin und Führerin des Klassenkampfs agieren und ihn auch nicht zur siegreichen sozialistischen Revolution führen.
Ebenso wurde bereits festgehalten, dass das Proletariat eine homogene, aber vielschichtige Klasse ist. Es wurde gezeigt, dass die imperialistische Bourgeoisie einerseits darin Erfolg hatte, eine kleine, aber einflussreiche Oberschicht – die Arbeiteraristokratie – zu bestechen. Andererseits gehört die Masse des Proletariats zur unteren Schicht, die oft auch zusätzlichen Unterdrückungsformen (Geschlecht, Alter, Nationalität, Religion usw.) ausgesetzt ist. Außerdem muss erwähnt werden, dass die riesige Mehrheit des Weltproletariats im 21. Jahrhundert – etwa ¾ - im Süden, d.h. außerhalb der alten imperialistischen Metropolen lebt.
Das bedeutet, dass die revolutionäre ArbeiterInneninternationale sich vorwiegend auf die unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse in den alten imperialistischen Ländern und das Proletariat der Länder im Süden orientieren muss. Diese unteren Schichten, die wir im Gegensatz zur aristokratischen Oberschicht als “Massentypus” der ArbeiterInnenklasse – die Komintern verwendete auch den Begriff der „massenproletarischen Elemente“ – bezeichnen können, bilden die riesige Mehrheit des Weltproletariats. [29]
In ihrer Resolution zur Rolle der Kommunistischen Partei meinte die Komintern: „Die wichtigste Aufgabe einer wirklich kommunistischen Partei besteht darin, immer in engster Fühlung mit den breitesten Schichten der Proletarier zu bleiben.“ [30]
Im gleichen Sinne erklärte Trotzki die strategische Ausrichtung des Bolschewismus: „Der Sinn, die Stärke und das Wesen des Bolschewismus bestehen darin, daß er sich nicht an die Oberschichten der Arbeiterklasse wendet, sondern an die unteren Schichten, an die Millionen, an die Unterdrücktesten der Unterdrückten.“ [31]
Die Bolschewiki-KommunistInnen weisen den für Reformisten und Zentristen so typischen Zugang beharrlich zurück, sich nicht an die untere, massenproletarische Mehrheit der ArbeiterInnenklasse, sondern an die privilegierte Oberschicht zu wenden. Die kleinbürgerliche Linke rechtfertigt das mit dem Hinweis auf die höhere Bildung und “Kultur” der Oberschicht. Doch sie vergessen dabei völlig, oder geben es vor, dass diese sogenannte höhere (bürgerliche) Bildung einhergeht mit arroganten Vorurteilen gegen die “rückständigen” Massen der ArbeiterInnen und Bauerschaft sowie mit Privilegien, die diese Schicht an die bürgerliche Ordnung binden.
Trotzki wies auf dieses Merkmal des Reformismus und Zentrismus im Übergangsprogramm hin:
„Alle opportunistischen Organisationen konzentrieren ihrer Natur nach ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die oberen Schichten der Arbeiterklasse und ignorieren demzufolge die Jugend genauso wie die werktätigen Frauen. Nun versetzt aber die Epoche des kapitalistischen Zerfalls der Frau die härtesten Schläge – als Arbeiterin wie als Hausfrau. Die Sektionen der IV. Internationale müssen bei den unterdrücktesten Schichten der Arbeiterklasse und demnach bei den werktätigen Frauen Unterstützung suchen. Sie werden dort unerschöpfliche Quellen der Ergebenheit, der Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft finden.“ [32]
Natürlich wird die revolutionäre Partei ArbeiterInnen aus der Arbeiteraristokratie, die sich ihr aus freiem Willen anschließen wollen, akzeptieren – sowie auch Intellektuelle mit bürgerlichem oder kleinbürgerlichem Hintergrund – sofern sie mit den typischen Schwächen dieser Schicht gebrochen haben.
Die revolutionäre Partei bzw. ihre Vorform muss immer darauf achten, nicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen und Arbeiteraristokraten dominiert zu werden. Wenn eine solche Entwicklung Platz greift, muss die Organisation Wege finden, dem entgegenzusteuern und Schritte zur Korrektur der Klassenzusammensetzung tätigen. Ansonsten läuft die Organisation Gefahr, sich dem Einfluss der politischen Stimmung und Vorurteile der kleinbürgerlichen Intellektuellen und der Arbeiteraristokratie zu sehr auszusetzen.
„Aber man muss jetzt betonen, dass die Partei um so abhängiger von der herrschenden Öffentlichen Meinung ist, je kleinbürgerlicher sie in ihrer Zusammensetzung ist. Das ist ein weiteres Argument für die Notwendigkeit einer mutigen und energischen Neuorientierung zu den Massen hin.“[33]
Das ist die einzige mögliche Anwendung der kommunistischen Methode unter den Bedingungen des heutigen in Niedergang begriffenen Kapitalismus.
Im Gegensatz zu diversen Zentristen betonen Bolschewiki-KommunistInnen, dass der kommunistische Zugang zum Parteiaufbau wie oben ausgeführt nicht nur für entwickelte revolutionäre Parteien gilt, sondern auch für kleinere Parteiaufbauorganisationen. Das war die Theorie und Praxis von Trotzki und seinen Waffengefährten, als sie sich in den späten 1920ern und 1930ern mit dem Aufbau von Parteiaufbauorganisationen konfrontiert sahen. Bei zahlreichen Gelegenheiten bestand Trotzki darauf, dass die kleinen Gruppen der linken Opposition ihre Orientierung und ihre Mitgliederwerbung auf die ArbeiterInnen und besonders auf die unteren Schichten richten müssen. Er schrieb 1932:
“Wenn zehn Intellektuelle, in Paris, Berlin oder New York, die bereits Mitglieder verschiedener Organisationen waren, sich an uns mit dem Ersuchen der Aufnahme in unsere Mitte wenden, würde ich folgenden Rat geben: sie sollen eine Reihe von Tests zu all den programmatischen Fragen durchlaufen; auf Herz und Nieren geprüft werden und danach sollte vielleicht einer oder zwei von ihnen akzeptiert werden.
Der Fall ist völlig anders, wenn sich zehn Arbeiter, die mit den Massen verbunden sind, an uns wenden. Der Unterschied in unserer Haltung zu einer kleinbürgerlichen Gruppe und zu einer proletarischen Gruppe muss nicht erklärt werden. Doch wenn eine proletarische Gruppe in einem Bereich arbeitet, wo es Arbeiter verschiedener Rassen gibt und sie trotzdem nur aus Arbeitern einer privilegierten Nationalität besteht, bin ich geneigt, sie mit Argwohn zu betrachten. Haben wir es da nicht mit der Arbeiteraristokratie zu tun? Ist die Gruppe aktiv oder passiv von einer Sklavenhaltermentalität vergiftet?
Eine ganz andere Sache ist es, wenn wir einer Gruppe von schwarzen Arbeitern gegenüberstehen. Hier bin ich bereit, von vornherein anzunehmen, dass wir mit ihnen Übereinkunft erreichen, sogar wenn eine solche Übereinkunft jetzt noch nicht aktuell ist. Denn die schwarzen Arbeiter können und werden aufgrund ihrer Position an sich nicht danach streben, irgendjemanden abzuwerten, zu unterdrücken, seiner Rechte zu berauben. Sie suchen keine Privilegien und können nicht an die Spitze gelangen außer über den Weg der internationalen Revolution.
Wir können und müssen einen Weg zum Bewusstsein der schwarze Arbeitern finden, der chinesischen Arbeiter, der indischen Arbeiter und all der Unterdrückten im menschlichen Ozean der farbigen Rassen, dem das entscheidende Wort in der Entwicklung der Menschheit gehört.” [34]
In einer Diskussion während seines Besuchs in Kopenhagen 1932 riet Trotzki den GenossInnen bezüglich ihrer Haltung gegenüber Studenten oder Akademikern, dass „die ArbeiterInnenbewegung diese mit größten Mißtrauen begegen muß. (…) [Erst] wenn dieser [für drei, vier oder fünf Jahre] in der Arbeiterbewegung auf diese Weise gearbeitet hat, erst dann ist die Tatsache vergessen, daß dieser ein Akademiker ist, dann verschwindet der soziale Unterschied“ [35]
Es ist daher auch wichtig für die revolutionäre Partei wie auch ihre Vorformen, sich an die proletarische Jugend zu richten. Die Jugend ist gewöhnlich weniger von konservativen Vorurteilen und bürgerlichen Ideologien geprägt und offener gegenüber radikalen Herausforderungen für die bürgerliche Ordnung.
Wenn hier von Jugend gesprochen wird, ist die proletarische Jugend in Abgrenzung zu anderen Volksschichten gemeint, also nicht die kleinbürgerliche und bürgerliche Jugend. Diese Betonung ist wichtig, denn wenn Reformisten und Zentristen heute von Jugend sprechen, meinen sie zumeist Universitätsstudenten mit kleinbürgerlichem oder bürgerlichem Hintergrund bzw. solche, die in diese Schicht aufsteigen wollen. Trotzki machte klar, dass RevolutionärInnen sich – auch als kleine Parteiaufbauorganisation – in ihrer Jugendarbeit auf die proletarische Jugend und nicht auf die Studenten aus den besseren Familien konzentrieren sollten. In der Kritik eines Dokuments zur Jugendarbeit schrieb er 1934:
“Als soziale Basis für die Organisation werden die ‘arbeitenden, arbeitslosen und studierenden Jugend’ angeführt. Wieder rein beschreibend, nicht sozial. Für uns ist es eine Frage der proletarischen Jugend und jener Elemente unter den Studenten, die sich dem Proletariat zuwenden. Arbeitende, arbeitslose und studierende Jugendliche sind für einen Marxisten keineswegs gleichwertige Glieder in der gesellschaftlichen Kette.” [36]
Die Bolschewiki waren sich immer der Bedeutung der Gewinnung der ArbeiterInnenklassenjugend bewusst. Lenin griff die Menschewiki 1906 an, als sie die Bolschewiki für das geringe Durchschnittsalter ihrer Mitglieder kritisierten:
„Anderseits hängt die Zusammensetzung der politisch führenden Vorhut jeder Klasse, einschließlich des Proletariats, ebenfalls sowohl von der Lage dieser Klasse als auch von der Hauptform ihres Kampfes ab. Larin beklagt sich zum Beispiel darüber, dass in unserer Partei die Arbeiterjugend überwiegt, dass wir wenig verheiratete Arbeiter haben, dass sie die Partei meiden. Diese Klage eines russischen Opportunisten erinnert mich an eine Stelle bei Engels (wenn ich nicht irre, in „Zur Wohnungsfrage"). Engels entgegnet einem trivialen bürgerlichen Professor, einem deutschen Kadetten, und schreibt: Ist es nicht natürlich, dass bei uns, in der Partei der Revolution, die Jugend überwiegt? Wir sind die Partei der Zukunft, die Zukunft aber gehört der Jugend. Wir sind die Partei der Neuerer, den Neuerern aber folgt stets die Jugend am liebsten. Wir sind die Partei des aufopfernden Kampfes gegen die alte Fäulnis, zum aufopferungsvollen Kampf aber ist stets die Jugend als erste bereit. Nein, überlassen wir es lieber den Kadetten, „müde" Greise von dreißig Jahren, „gescheiter gewordene" Revolutionäre und Renegaten der Sozialdemokratie aufzulesen. Wir werden stets die Partei der Jugend der fortgeschrittensten Klasse sein!“ [37]
Ähnlich strich Trotzki hervor, dass die Bolschewiki im Gegensatz zu den Menschewiki immer Erfolg in der Heranziehung der proletarischen Jugend hatte.
„In der Illegalität war der Bolschewismus stets eine Partei von jungen Arbeitern. Die Menschewiki stützten sich auf die gediegenen Facharbeiter, die Oberschicht des Proletariats. Herablassend prahlten sie damit gegenüber den Bolschewiki, bis die späteren Ereignisse ihnen unbarmherzig ihre Fehler aufzeigten, denn im entscheidenden Augenblick riß die Jugend die reiferen Schichten und sogar die Alten mit sich.“ [38]
Wenn wir das Durchschnittsalter der ParteiaktivistInnen betrachten, wird der Unterschied zwischen Bolschewiki und Menschewiki offensichtlich. In der zuvor erwähnten Studie von David Lane zu den russischen Bolschewiki und Menschewiki vor 1907, aus der in Kapitel I zitiert wurde, nennt der Autor eine Reihe aussagekräftiger Zahlen. Er zeigt, dass bei den Mittelkadern beider Fraktionen 17% der Bolschewiki unter 19 Jahre alt waren (Menschewiki: 0%), 42% waren zwischen 20 und 24 Jahren alt (Menschewiki: 26%), 24% waren zwischen 25 und 29 Jahren alt (Menschewiki: 46%) und 17% waren über 30 Jahren alt (Menschewiki: 29%).
Unter den Basismitgliedern beider Fraktionen bietet sich ein ähnliches Bild: 22% der Bolschewiki waren unter 19 (Menschewiki: 5%), 37% waren zwischen 20 und 24 Jahren alt (Menschewiki: 30%), 16% waren zwischen 25 und 29 Jahren alt (Menschewiki: 30%) und 26% waren über 30 Jahren alt (Menschewiki: 29%).
Der Autor schlussfolgert daraus: “Diese zwei Tabellen zeigen, dass die Bolschewiki auf der untersten Ebene der Parteiorganisation jünger waren als die Menschewiki und dabei die ‘Aktivisten’ noch mehr als die einfachen Mitglieder. Das legt nahe, dass die bolschewistischen Organisationsstrukturen es den Jungen ermöglichten, leichter auf verantwortungsvolle Posten zu gelangen als die der Menschewiki.” [39]
Das sind wichtige Lehren für RevolutionärInnen heute. Alle Stadien des revolutionären Parteiaufbaus können unmöglich gemeistert werden ohne starke Orientierung auf die proletarische Jugend.
Wenn die Orientierung auf junge ArbeiterInnen zu Lenins Zeiten richtig war, so ist dies heute zehnmal mehr der Fall. Bereits in den 1930ern erklärte Trotzki, dass “die alte Generation (von Revolutionären, d. Hg.) völlig verbraucht und erschöpft ist.” [40]
Das stimmt heute umso mehr! Die vergangenen Jahrzehnte reformistischer und zentristischer Dominanz in der ArbeiterInnenbewegung haben ganze Schichten älterer ArbeiterInnen und sozialistischer AktivistInnen demoralisiert. Die künftige revolutionäre Partei und Internationale kann nur auf den Schultern frischer, kämpferischer und junger ArbeiterInnen aufgebaut werden.
Natürlich wird die Mitgliederzusammensetzung beim Aufbau der Parteivorformen, wenn ihre Kräfte gering sind und das Fundament schwach ist, stärker von den jeweiligen Umständen abhängen, von persönlichen Faktoren, von Zufällen usw. In Fällen, in denen Reformisten und Zentristen starken Einfluss auf die gesamte Avantgarde der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten haben, mag es zu Beginn für Parteiaufbauorganisationen schwierig sein, aus diesen Bereichen AnhängerInnen zu gewinnen. Doch wenn eine Parteiaufbauorganisation sich solchen Schwierigkeiten gegenüber sieht, muss sie einen Plan entwickeln, auf dessen Grundlage sie diese nachteilige Situation überwinden kann und diesen fortwährend umsetzen.
Von Beginn an, also auch in den Parteiaufbauorganisationen, soll in der revolutionären Bewegung nur Platz für jene Intellektuellen sein, die sich der Sache vollkommen widmen, die beständig gegen jede Form von Karrierismus kämpfen, die proletarischen AktivistInnen ohne aristokratische Vorurteile oder Haltung begegnen können und die die Entwicklung letzterer als kommunistische Führer unterstützen.
Taktiken des Aufbaus der revolutionären Partei
Natürlich gibt es verschiedene, situationsabhängige Herangehensweisen und Taktiken beim nationalen und internationalen Aufbau der revolutionären Partei. Nichtsdestotrotz hat die Erfahrung der revolutionären ArbeiterInnenbewegung gezeigt, dass es eine Reihe von Taktiken gibt, die eine Schlüsselrolle in unserer Arbeit einnehmen. Welche Taktik von RevolutionärInnen wann und wie angewendet werden kann, hängt natürlich auch sehr stark vom aktuellen Stadium des Organisationsaufbaus ab – ihrer Größe und ihren Wurzeln in der ArbeiterInnenklasse.
Individuelle Rekrutierung wird immer eine wichtige Rolle im Parteiaufbau spielen, besonders im frühen Stadium. Die bolschewistische Organisation klärt mit einem/r AktivistIn sein oder ihr Einverständnis mit den programmatischen Grundlagen ebenso wie mit den praktischen Aufgaben, die erledigt werden müssen. Während der ersten Periode ist das neue Mitglied ein Kandidat, d.h. der einzige Unterschied zu Vollmitgliedern liegt darin, dass er bzw. sei nur eine symbolische Stimme hat. Wenn die Organisation von der Ernsthaftigkeit und dem Engagement des/r neuen GenossIn überzeugt ist, wird er oder sie zum Vollmitglied.
Bildung parteinaher Organisationen: In ihrem Wunsch, ihre Arbeit in bestimmten Bereichen voranzutreiben, wird die Partei üblicherweise parteinahe Organisationen schaffen (z.B. Jugendorganisationen, Frauenorganisationen, Migrantenorganisationen, Gewerkschaftsfraktionen, Kulturorganisationen etc.). Natürlich muss die Parteiaufbauorganisation selektiver darin sein, wann und welche partei-nahe Organisation sie bilden kann. Doch sogar in diesem frühen Stadium können solche Organisationen sehr nützliche Werkzeuge beim Ausbau der Arbeit sein. Im Gegensatz zur Kaderpartei haben diese Organisationen einen eher lockeren Charakter, die Anforderungen für eine Mitgliedschaft – sowohl hinsichtlich programmatischer Übereinstimmung wie auch im praktischen Engagement – sind niedriger und die Ansprüche an die Mitglieder punkto Disziplin sind weniger streng. Das Ziel dieser Organisationen ist es, an die Partei bzw. Parteiaufbauorganisation kämpferische Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen enger heranzuziehen und so hoffnungsvollen AktivistInnen Erfahrung in der revolutionären Arbeit zukommen zu lassen. Die Partei wird unter diesen GenossInnen die Besten aussuchen und versuchen, sie als Mitglieder der Kaderorganisation zu gewinnen. Die Verbindung dieser Organisationen zur Partei darf nicht zu einer Beziehung der automatischen Unterordnung werden. Ganz im Gegenteil, alle Mitglieder einer parteinahen Organisation sollten ermutigt werden, ihre Ideen vorzubringen und zur Arbeit beizutragen. Die Bolschewiki sammelten sehr wertvolle Erfahrung mit parteinahen Organisationen rund um ihre Partei.
Rekrutierung über Intervention in Massenbewegungen: Wenn KommunistInnen einer fortschrittlichen Massenbewegung gegenüberstehen, ist sie dazu verpflichtet, in beispielhafter Weise zu intervenieren und ihre praktische Intervention mit systematischer kommunistischer Propaganda und Agitation kombinieren. Solche Intervention – sogar wenn sie von einer kleinen kommunistischen Parteiaufbauorganisation durchgeführt wird – kann zu sprunghaften Entwicklungen im Parteiaufbau führen, wenn es den Bolschewiki-KommunistInnen gelingt, ganze Schichten von KämpferInnen im Kampf zu gewinnen. Das war die Erfahrung der US-TrotzkistInnen in den Streiks von Minneapolis 1934 wie auch verschiedener linksradikaler Gruppen 1968. Ähnlich kann die Partei riesige Fortschritte machen, wenn sie die Mehrheit in einer Gewerkschaft oder einer anderen Massenorganisation gewinnt.
Spaltungen und Fusionen: Wenn Linksreformisten oder Zentristen ernsthaft ihr altes Programm und ihre Strategie hinterfragen, sollten Bolschewiki-KommunistInnen bereit sein, sich mit ihnen auszutauschen, um sie letztlich für das revolutionäre Programm und seine Methoden zu gewinnen. Wenn es Übereinstimmung über die nationalen und internationalen programmatischen und praktischen Aufgaben der gegenwärtigen Periode gibt, sollten RevolutionärInnen auf eine Fusion mit solchen Kräften hinarbeiten. Sie müssen sicherstellen, dass eine solche Fusion auf solider politischer Grundlage geschieht, denn sonst wird sie sehr rasch in eine zerstörerische Spaltung münden. Es gibt auch Situationen, in denen methodische Differenzen innerhalb der Partei oder der Parteiaufbauorganisation unlösbar und schädlich für das Erreichen der Parteiziele werden. In einer solchen Situation ist eine Spaltung das kleinere Übel verglichen mit der Gefahr einer langfristigen Lähmung. Wie wohl bekannt, zögerte Lenin nie, sich von Widersachern zu trennen, wenn sie zu einem Hindernis für den revolutionären Parteiaufbau wurden. Die TrotzkistInnen hatten ebensolche Erfahrungen in den 1930ern, als sie sich von verschiedenen Sektierern und Opportunisten abspalteten (z.B. die griechischen Archeo-MarxistInnen, die Nin-Gruppe in Spanien, Sneevliets Partei in den Niederlanden, die Molinier-Gruppe in Frankreich usw.).
Entrismus: In bestimmten Perioden – vor allem in Zeiten großer politischer Umwälzungen – können reformistische und zentristische Organisationen eine interne Krise durchlaufen, in der es lebhafte Debatten gibt, in denen Mitglieder das herkömmliche Programm und die üblichen Strategien hinterfragen. In solchen Zeiten kann es für RevolutionärInnen eine nützliche Taktik sein, sich einer solchen Partei anzuschließen und innerhalb dieser als revolutionäre Fraktion zu arbeiten. In diesen Fällen ist es unerlässlich, offen für das revolutionäre Programm und eine radikal neue Strategie zu argumentieren. Solche Entrismustaktiken können Teile der bolschewistischen Organisation durchführen oder auch die Organisation als Ganzes. Letztlich sind Entrismustaktiken gewöhnlich Kurzzeitprojekte, denn die Koexistenz zwischen RevolutionärInnen und Nicht-RevolutionärInnen innerhalb der gleichen Partei ist auf Dauer unmöglich. Die französischen wie auch die US-amerikanischen TrotzkistInnen führten in den 1930er Jahren erfolgreiche und prinzipientreue Entrismusprojekte durch.
Die Verpflichtung der KommunistInnen zur Arbeit und der demokratische Zentralismus
Einheit von Theorie und Praxis in der Aktivität von Parteimitgliedern bedeutet, dass alle Mitglieder aktiv am Umfang der zahlreichen Aufgaben der Organisation teilhaben. Die Avantgardepartei weist eine Trennung zwischen aktiven und passiven Mitgliedern zurück. Die Partei hat enorme Verantwortung und ebensolche Aufgaben und braucht daher die Mitarbeit jedes einzelnen Mitglieds. Wie die Bolschewikin Elena Stasova zu sagen beliebte, ist jede Aufgabe, auch wenn sie noch so klein erscheint, wichtig und stärkt die Parteiarbeit. [41] Ein Mitglied, das seine oder ihre Verpflichtungen als Parteikader nicht mehr erfüllen kann (abgesehen von Krankheit, persönlichen Problemen oder anderen Gründen vorübergehender Natur), sollte SympathisantIn werden.
Um das bestmögliche Ergebnis aus der Arbeit der Mitglieder zu erlangen, braucht die Partei eine effektive Arbeitsteilung. Dazu darf die Arbeit nicht spontan oder gemäß individueller Vorlieben erledigt werden, sondern muss entsprechend der kollektiven Bedürfnisse und individuellen Fähigkeiten organisiert werden. Dafür wiederum braucht die Partei einen Plan, der die zahlreichen Aufgaben koordiniert und ein Organisationszentrum, das die Umsetzung dieser Pläne überwacht. Mit anderen Worten: eine Partei kann nicht ohne strenge Disziplin und Kontrolle arbeiten.
Die Komintern fasste die bolschewistische Erfahrung auf ihrem Dritten Kongress 1921 in einem herausragenden Dokument – genannt Richtlinien zur Organisationsstruktur, Methoden und Arbeitsinhalten der kommunistischen Parteien – zusammen. Das Dokument hält fest:
„Wenn die kommunistische Tätigkeit ausbleibt und wenn in der Organisation der Parteiarbeit die Passivität der Mitgliedermassen noch immer erhalten bleibt, erfüllt die Partei nicht einmal das Mindeste von dem, was sie durch die Annahme des kommunistischen Programms dem Proletariat versprochen hat. Denn zur ernsten Durchführung dieses Programms ist die Heranziehung aller Mitglieder zu beständiger, alltäglicher Mitarbeit die erste Bedingung. Die Kunst der kommunistischen Organisation besteht darin, im proletarischen Klassenkampf alles und alle auszunützen, zwischen allen Parteimitgliedern die Parteiarbeit zweckmäßig zu verteilen und durch die Mitglieder noch breitere Massen des Proletariats ständig in die revolutionäre Bewegung hineinzuziehen, dabei die Führung über die gesamte Bewegung fest in den Händen zu halten, nicht kraft der Macht, sondern kraft der Autorität, also kraft der Energie, der größeren Erfahrung, der größeren Vielseitigkeit, der größeren Fähigkeit. Eine kommunistische Partei soll also in ihrem Bestreben, nur wirklich aktive Mitglieder zu haben, von einem jeden in ihren Reihen fordern, daß er seine Kraft und Zeit, soweit er überhaupt selbst darüber unter den gegebenen Verhältnissen disponieren kann, zur Verfügung seiner Partei stellt und immer sein Bestes für diesen Dienst hergibt. Zur Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei gehört natürlich in der Regel — unter Voraussetzung der kommunistischen Überzeugung — auch formale Registrierung, eventuell zuerst als Kandidat, dann als Mitglied, regelmäßige Zahlung der festgesetzten Beiträge, das Abonnement der Parteizeitung usw. Das Wichtigste aber ist die Teilnahme jedes Mitgliedes an der täglichen Parteiarbeit. Zum Zwecke der täglichen Parteiarbeit soll in der Regel jedes Parteimitglied stets in eine kleinere Arbeitsgruppe eingegliedert sein: in eine Gruppe, ein Komitee, eine Kommission, einen Ausschuß oder ein Kollegium, in eine Fraktion oder Zelle. Nur auf diese Weise kann die Parteiarbeit ordentlich verteilt, geleitet und ausgeführt werden.“ [42]
Auf Basis einer solch allgemeinen Verpflichtung aller Parteimitglieder zur Arbeit und breitgefächerten Arbeitsteilung funktioniert die Partei gemäß den Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Das heißt kurz gesagt, dass dort, wo die Bedingungen innerparteiliche Demokratie erlauben, die Mitglieder auf Konferenzen über die wichtigsten Angelegenheiten entscheiden und auf dieser Grundlage eine zentrale Führung wählen. Die Führungsorgane haben die Aufgabe, die Parteiarbeit zu organisieren und voranzutreiben. Die Entscheidungen der Führungsorgane sind für alle Mitglieder bindend und müssen umgesetzt werden.
„Die kommunistische Partei muss auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus aufgebaut werden. Das Hauptprinzip des demokratischen Zentralismus bildet die Wählbarkeit der oberen Parteizellen durch die untersten, die unbedingte und unerlässliche Verbindlichkeit aller Vorschriften der übergeordneten Instanz für die untergeordnete und das Vorhandensein eines starken Parteizentrums, dessen Autorität allgemein anerkannt ist für alle führenden Parteigenossen in der Zeit von einem Parteitag bis zum andern.“ [43]
Mitglieder haben das Recht, ihre Kritik an Parteientscheidungen intern auszusprechen. Um die Entscheidungen möglichst wirksam umzusetzen, handelt die Partei aber als Einheit und diskutiert allfällige Differenzen innerhalb der Organisation und nicht öffentlich (außer die Partei beschließt, eine solch interne Debatte an die Öffentlichkeit zu bringen).
„Die Parteimitglieder sind in ihrem öffentlichen Auftreten verpflichtet, sich stets als disziplinierte Mitglieder einer kämpfenden Organisation zu betätigen. (…) Aber auch wenn der Beschluß der Organisation oder der Parteileitung nach der Meinung anderer Mitglieder fehlerhaft sei, dürfen diese Genossen in ihrem öffentlichen Auftreten nie vergessen, daß das schlimmste disziplinarische Vergehen und der schlimmste Fehler im Kampf doch ist, die Einheitlichkeit der gemeinsamen Front zu stören oder gar zu brechen. Es ist die oberste Pflicht jedes Parteimitgliedes, die Kommunistische Partei und vor allem die Kommunistische Internationale gegen alle Feinde des Kommunismus zu verteidigen. Wer dies vergißt und im Gegenteil die Partei oder die Kommunistische Internationale öffentlich angreift, ist wie ein Gegner der Partei zu behandeln.“ [44]
Die zentrale Aufgabe der Führung ist, die Organisation entlang der Beschlüsse des höchsten Parteiorgans, d.h. der Konferenz ihrer Mitglieder, zu leiten. Dafür muss sie ein starkes, einiges und respektiertes Zentrum haben. Wo innerhalb der Partei wesentliche Differenzen bestehen, sollte das auch in der Zusammensetzung des Führungsgremiums abgebildet sein. Gleichzeitig sollte das kleinere Exekutivorgan der Führung so homogen wie möglich sein, um die effektivste Umsetzung der Entscheidungen der höheren Organe zu befördern.
„Aus demselben Grunde sollten auch taktisch abweichende Meinungen ernsthaften Charakters bei der Zentralleitungswahl nicht unterdrückt werden. Viel mehr sollte ihnen in der Gesamtleitung eine Vertretung durch ihre besten Repräsentanten ermöglicht werden. Die engere Leitung jedoch soll, wenn irgend angängig, einheitlich in ihren Auffassungen sein, und sie muß sich, um fest und sicher führen zu können, nicht nur auf ihre Autorität, sondern auch auf eine klare und sogar zahlenmäßig feste Mehrheit der Gesamtleitung stützen können.“ [45]
Der Kampf gegen bürgerliche und kleinbürgerliche Einflüsse in der ArbeiterInnenklasse
Eine der Hauptaufgaben der Partei oder ihrer Vorform ist der Kampf gegen jene Kräfte, die die ArbeiterInnenklasse und ihre Avantgarde in die Irre führen – die Arbeiterbürokratie, Reformisten, Zentristen, offizielle Führungen von Unterdrückten usw. Der Sieg des Proletariats in seinem Kampf um Befreiung gegen die kapitalistische AusbeuterInnenklasse wird nicht zu erreichen sein, wenn die revolutionäre Partei nicht zuerst den Einfluss der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte innerhalb der ArbeiterInnenklasse und unter den Unterdrückten zurückdrängt.
MarxistInnen betonten wiederholt, dass die herrschende Klasse ihre Macht nicht aufgrund ihrer inneren Stärke erfolgreich aufrechterhalten hat, sondern aufgrund der Unterstützung, die sie von der Arbeiterbürokratie erhält. James P. Cannon meinte einst:
“Die Stärke des Kapitalismus liegt nicht in ihm selbst und seinen Institutionen; er überlebt nur, weil er Unterstützung in den Organisationen der Arbeiter hat. Wir erkennen jetzt aus den Lehren der Russischen Revolution und ihren Folgen, dass neun Zehntel des Kampfs für den Sozialismus aus dem Kampf gegen bürgerlichen Einfluss in den Arbeiterorganisationen, einschließlich der Partei, bestehen.” [46]
Im Gegensatz zu jenen zahlreichen postmodernen Linken, die behaupten, dass der Marxismus eine breite pluralistische Strömung ist, die all jene umfasst, die sich von Marx’ Lehren angezogen fühlen, unterscheiden Bolschewiki-KommunistInnen scharf zwischen jenen, die wahrhaft auf Grundlage der von Marx, Engels, Lenin und Trotzki erarbeiteten Methode tätig sind und jenen, die gegen diese Methode systematisch verstoßen, auch wenn sie behaupten, “MarxistInnen” zu sein. Nur erstere können tatsächlich als MarxistInnen betrachtet werden, während letztere entweder Reformisten sozialdemokratischer oder stalinistischer Art oder Zentristen, d.h. solche, die ihre Anpassung an die reformistische Arbeiterbürokratie mit “radikalen” Phrasen und gelegentlichen Zickzackkursen kaschieren, sind.
„Das Mark des Zentrismus ist der Opportunismus. Unter dem Einfluss äußerer Umstände (Tradition, Druck der Massen, politische Konkurrenz) ist der Zentrismus in bestimmten Phasen gezwungen, mit Radikalismus Staat zu machen. Dazu muss er sich selbst überwinden, seine politische Natur vergewaltigen. Indem er sich mit aller Kraft anspornt, gerät er nicht selten an die äußerste Grenze des formalen Radikalismus. Kaum aber schlägt die Stunde ernster Gefahr, kommt die wahre Natur des Zentrismus zum Vorschein.“ [47]
MarxistInnen unterschieden daher immer genau zwischen der proletarischen marxistischen Linie und der kleinbürgerlichen, reformistischen oder zentristischen Linie. Trotzki machte das deutlich, als er die riesige Kluft, die zwischen den Kräften der Vierten Internationale und ihren zentristischen Rivalen wie der spanischen POUM oder der deutschen SAP besteht, erklärte:
„Jedenfalls ist klar, dass die Führung eurer Partei absolut nichts von den fatalen Fehlern der POUM verstanden hat, die aus ihrem zentristischen, nicht-revolutionären, nicht-marxistischen Charakter erwachsen.“ [48]
“Uns trennen nicht Nuancen hinsichtlich der Taktik, sondern fundamentale Fragen. Es wäre absurd und unwürdig, davor die Augen zu schließen, nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Die Differenzen zwischen uns und der SAP fallen sämtlich in den Rahmen der Widersprüche zwischen Marxismus und Zentrismus.” [49]
Tatsächlich repräsentieren Reformismus und Zentrismus einen bürgerlichen Einfluss in den Reihen der ArbeiterInnenbewegung. Mit ihrer Einwirkung auf das Bewusstsein der ArbeiterInnen helfen sie (oftmals unfreiwillig) der herrschenden Klasse dabei, ihre Vorherrschaft über die ArbeiterInnenklasse aufrecht zu erhalten. Die Bolschewiki schrieben in ihrem Programm von 1919:
„Diese Voraussetzungen sind nicht zu verwirklichen, wenn man nicht grundsätzlich und entschlossen mit der bürgerlichen Entstellung des Sozialismus bricht, die in den Oberschichten der offiziellen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien den Sieg davongetragen hat, ihr nicht schonungslos den Kampf ansagt. Eine solche Entstellung ist einerseits die Strömung des Opportunismus und des Sozialchauvinismus, des Sozialismus in Worten, des Chauvinismus in Wirklichkeit, wobei man die Verteidigung der räuberischen Interessen seiner nationalen Bourgeoisie allgemein wie auch insbesondere während des imperialistischen Krieges 1914-1918 durch die verlogene Losung der Vaterlandsverteidigung bemäntelt. Diese Strömung ist dadurch entstanden, daß die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten durch die Ausplünderung der kolonialen und schwachen Völker der Bourgeoisie die Möglichkeit geben, den durch diese Ausplünderung erworbenen Extraprofit zu benutzen, um der Oberschicht des Proletariats eine privilegierte Stellung einzuräumen und sie auf diese Weise zu bestechen, ihr in Friedenszeiten eine erträgliche kleinbürgerliche Existenz zu sichern und die Führer dieser Schicht in ihren Dienst zu stellen. Die Opportunisten und Sozialchauvinisten sind als Lakaien der Bourgeoisie direkte Klassenfeinde des Proletariats, besonders jetzt, da sie im Bündnis mit den Kapitalisten mit Waffengewalt die revolutionäre Bewegung des Proletariats in ihren eigenen wie in fremden Ländern unterdrücken. Eine bürgerliche Entstellung des Sozialismus ist anderseits die gleichfalls in allen kapitalistischen Ländern festzustellende Strömung des „Zentrums", die zwischen den Sozialchauvinisten und den Kommunisten schwankt, die für die Einheit mit den ersteren eintritt und den Versuch unternimmt, die bankrotte II. Internationale zu neuem Leben zu erwecken. Führer des Proletariats im Kampf um seine Befreiung ist nur die neue, die III., die Kommunistische Internationale, von der die K.PR ein Trupp ist.“ [50]
Zahlreiche Reformisten und Zentristen verurteilen die Herangehensweise der Bolschewiki-KommunistInnen als “sektiererisch” wegen ihrer offenen Angriffe auf falsche Programme und schlechte Führungen. Im Gegensatz dazu ziehen wir die Lehre aus dem erfolgreichen Parteiaufbau der Bolschewiki, die die ArbeiterInnenklasse zum Sieg führen konnte, dass eine solch klare Abgrenzung zwischen richtig und falsch die zwingende Voraussetzung für die Organisierung der Arbeiteravantgarde auf einem soliden kommunistischen Programm ist. Die Aufgabe der revolutionären Partei ist es, politisch gegen die reformistischen und zentristischen Kräfte zu kämpfen, um sie zurückzudrängen und letztlich ihren Einfluss zu liquidieren.
Natürlich verhindert der Kampf gegen die Reformisten und Zentristen nicht die Anwendung der Einheitsfronttaktik. Tatsächlich ist die Einheitsfronttaktik nicht nur deshalb wichtig, weil sie die größtmögliche Einheit von ArbeiterInnen im Klassenkampf erlaubt, sondern auch, weil sie der revolutionären Partei hilft, von Reformisten und Zentristen beeinflusste ArbeiterInnen von diesen jeweiligen falschen Führungen wegzubrechen, indem die Überlegenheit des kommunistischen Programms in der Praxis vorgeführt wird.
Lenin und die Bolschewiki erklärten wiederholt, dass die revolutionäre Partei niemals die Bourgeoisie besiegen kann, wenn sie nicht gleichzeitig gegen deren reformistische und zentristische Lakaien innerhalb der ArbeiterInnenbewegung kämpft:
„Der ideologische Kampf des revolutionären Marxismus gegen den Revisionismus am Ausgang des 19. Jahrhunderts bedeutete nur eine Vorstufe zu den großen revolutionären Schlachten des Proletariats, das trotz aller Schwankungen und Schwächen des Spießbürgertums dem vollen Sieg seiner Sache entgegenschreitet.“ [51]
In seinem berühmten Buch zum “Linken Kommunismus”, in dem Lenin die Erfahrung der Bolschewiki zusammenfasste, erklärte er die Wichtigkeit der ideologischen Kämpfe gegen kleinbürgerliche und bürgerliche Strömungen als Vorbereitung auf die Klassenkämpfe.
„Die Jahre der Vorbereitung der Revolution (1903—1905). Überall ist das Nahen des großen Sturmes zu spüren. In allen Klassen Gärung und Vorbereitung. Die Emigrantenpresse im Ausland wirft theoretisch alle Grundfragen der Revolution auf. Die Vertreter der drei Hauptklassen, der drei wichtigsten politischen Strömungen — der bürgerlich-liberalen, der kleinbürgerlich-demokratischen (die sich hinter den Aushängeschildern der „sozial-demokratischen" und der „sozial-revolutionären" Richtung verbirgt) und der proletarisch-revolutionären —, nehmen im äußerst erbitterten Kampf der programmatischen und taktischen Auffassungen den kommenden offenen Kampf der Klassen vorweg und bereiten ihn vor. Alle Fragen, um derentwillen der bewaffnete Kampf der Massen in den Jahren 1905—1907 und 1917—1920 geführt wurde, kann (und soll) man in ihrer Keimform, an Hand der damaligen Presse verfolgen. Und zwischen den drei Hauptrichtungen gibt es natürlich eine Unmenge Zwischen-, Übergangs- und Halbgebilde. Richtiger: im Kampf der Presseorgane, Parteien, Fraktionen und Gruppen kristallisieren sich jene ideologischen und politischen Richtungen heraus, die wirklich klassenmäßig bestimmt sind; die Klassen schmieden sich die nötigen ideologischen und politischen Waffen für die kommenden Schlachten.“[52]
Später verallgemeinerte die Kommunistische Internationale diese Erfahrung in einem Dokument, das auf dem Zweiten Kongress verabschiedet wurde:
„Seit zwei Jahrzehnten wie in Russland, seit einer Reihe von Jahren wie in Deutschland, führt die kommunistische Partei ihren Kampf nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern auch gegen diejenigen “Sozialisten”, welche die Träger der bürgerlichen Beeinflussung des Proletariats sind; sie nahm in ihre Reihen die standhaftesten, weitsichtigsten und fortgeschrittensten Kämpfer der Arbeiterklasse auf. Nur bei Vorhandensein einer derartigen geschlossenen Organisation der Elite der Arbeiterklasse ist es möglich, alle die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich der Arbeiterdiktatur am Tage nach dem Siege in den Weg stellen.“ [53]
„In den Spalten der Presse, in den Volksversammlungen, den Gewerkschaften, den Genossenschaften - überall, wohin die Anhänger der III. Internationale Zutritt erlangen, muß man nicht nur die Bourgeoisie, sondern auch ihre Helfershelfer, die Reformisten aller Schattierungen, systematisch und unbarmherzig brandmarken.“ [54]
Trotzki teilte die Lehren der Bolschewiki und der Kommunistischen Internationale, wie er im Gründungsprogramm der Vierten Internationale festhielt:
„Die IV. Internationale erklärt der Bürokratie der II. und III. Internationale, der Internationale von Amsterdam und der Anarcho-syndikalistischen Internationale sowie ihren zentristischen Satelliten einen unversöhnlichen Krieg; ebenso dem Reformismus ohne Reformen, dem mit der GPU verbündeten Demokratismus, dem Pazifismus ohne Frieden, dem Anarchismus im Dienst der Bourgeoisie, den „Revolutionären“, die die Revolution tödlich fürchten. All diese Organisationen sind nicht Bürgen der Zukunft, sondern faulende Überbleibsel der Vergangenheit. Die Epoche der Kriege und Revolutionen wird von ihnen keinen Stein auf dem anderen lassen.“ [55]
Nationaler und internationaler Parteiaufbau müssen Hand in Hand gehen
Von Beginn an muss eine wahrhaft revolutionäre Partei oder ihre Vorform ein internationales Gebilde sein. Dieses Prinzip wurzelt im Wesen des Kapitalismus und der ArbeiterInnenklasse, die beide von Natur aus international sind. Nur als internationale Organisation können wir eine wirklich internationale Perspektive entwickeln, internationale Erfahrungen verinnerlichen und als internationalistische RevolutionärInnen arbeiten. Wenn eine Gruppe zu lang als nationale Organisation besteht, läuft sie ernsthaft Gefahr, eine national-bornierte Erfahrung und Perspektive zu entwickeln.
Außerdem entspricht der internationale Charakter der Partei dem Wesen des revolutionären Programms und Tätigkeitsfelds. Wie das revolutionäre Programm nur leben, atmen und sich in einer Organisation revolutionärer KämpferInnen entwickeln kann, so kann das internationale Programm wie auch der proletarische Internationalismus und die länderübergreifende Solidarität nur in einer internationalen Organisation bestehen. Ohne sie sind Nationalborniertheit und letztlich nationalistische Abweichungen unausweichlich.
Trotzki bemerkte einmal richtig: “Marxistische Politik ‘in einem Land’ ist genauso unmöglich wie der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ‘in einem Land’.” [56]
Diese Auffassung stimmt sowohl für eine Partei wie auch für ihre Vorform, wie Trotzki in zahlreichen Artikeln und Briefen erklärte:
„Von ihren allerersten Schritten an muss die Opposition daher als internationale Fraktion handeln – wie es die Kommunisten in den Tagen der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests taten oder die Zimmerwalder Linke zu Beginn des Kriegs. In all diesen Fällen waren die Gruppen nummerisch klein oder es handelte sich um isolierte Individuen; nichtsdestotrotz handelten sie als internationale Organisation. In der Epoche des Imperialismus ist eine solche Position hundertmal zwingender als zu Zeiten Marx’.
Wer glaubt, dass die internationale Linke eines Tages sich als Summe nationaler Gruppen von selbst bilden wird und dass daher die internationale Vereinigung auf unbestimmte Zeit verschoben werden kann, bis die nationalen Gruppen ‘stark genug geworden’ sind, gesteht dem internationalen Faktor nur untergeordnete Wichtigkeit zu und geht daher den Weg des nationalen Opportunismus.
Es ist nicht zu leugnen, dass jedes Land seine Eigenheiten hat; doch in unserer Epoche können diese Eigenheiten nur von einem internationalistischen Standpunkt aus untersucht und auf revolutionäre Weise genützt werden. Andererseits kann nur eine internationale Organisation Träger einer internationalen Ideologie sein.
Kann jemand ernsthaft glauben, dass isolierte oppositionelle nationale Gruppen, untereinander gespalten und auf sich alleine gestellt, dazu imstande sind, den richtigen Weg von selbst zu finden? Das ist ein sicherer Weg in die nationale Degeneration, ins Sektierertum und den Ruin. Die Aufgaben, die der internationalen Opposition bevorstehen, sind extrem schwierig. Nur in unauflöslicher Bindung aneinander, nur durch gemeinsame Erarbeitung der Antworten auf all die gegenwärtigen Probleme, nur in der Schaffung ihrer internationalen Plattform, nur durch wechselseitige Überprüfung jeden Schritts, dass heißt nur über die Vereinigung in einen einzigen internationalen Körper werden die nationalen Gruppen der Opposition ihre historische Aufgabe erfüllen können.“ [57]
Wie viele Zentristen heute fanden verschiedene Gruppen in den 1930ern “Argumente”, um die Gründung einer internationalen Organisation für “vorzeitig” zu erklären. In der Antwort auf solche Kritik seitens italienischer Bordegisten schrieb Trotzki 1930:
“Ihre Auffassung von Internationalismus scheint mir falsch zu sein. Für Sie ist die Internationale letztlich die Summe der nationalen Sektionen oder ein Resultat der wechselseitigen Beziehungen zwischen den nationalen Sektionen. Das ist eine zumindest einseitige, nicht dialektische und darum falsche Vorstellung von der Internationale. Bestünde die kommunistische Linke in der ganzen Welt nur aus fünf Personen, so müssten diese gleichwohl gleichzeitig mit einer oder mehreren nationalen Organisationen auch eine internationale Organisation aufbauen. Die nationale Organisation als das Fundament und die internationale als ein Dach zu betrachten, ist falsch. Es handelt sich da um eine Wechselwirkung ganz anderen Typs. Marx und Engels begründeten 1847 die kommunistische Bewegung mit einem internationalen Dokument und mit der Gründung einer internationalen Organisation. Gerade so ging es bei der Gründung der Ersten Internationale. Den gleichen Weg beschritt die Zimmerwalder Linke, als sie die Gründung der III. Internationale vorbereitete. Dieses Vorgehen ist jetzt noch viel zwingender als zur Zeit von Marx. In der Epoche des Imperialismus kann eine revolutionäre proletarische Strömung natürlich in einem Land früher entstehen und Gestalt annehmen als in einem anderen, aber in einem einzelnen Land kann sie nicht bestehen und sich entwickeln. Noch am Tage ihrer Gründung muss sie internationale Verbindungen suchen oder schaffen, eine internationale Plattform und eine internationale Organisation, da man nur auf diesem Wege herausfinden kann, ob eine nationale Politik richtig ist. Eine Strömung, die jahrelang in nationaler Isolation verharrt, verurteilt sich unweigerlich zur Degeneration”.[58]
In einem anderen Dokument kritisierte Trotzki 1935 die deutsche Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) an:
„Wo liegt das ‘tiefgreifende Problem’ in dieser Frage? Man beachte, objektiv ist die neue Internationale notwendig, doch subjektiv ist sie unmöglich. Einfacher ausgedrückt, ohne die neue Internationale wird das Proletariat zerdrückt, doch die Massen verstehen das noch nicht. Und was sonst ist die Aufgabe von Marxisten, wenn nicht die, den subjektiven Faktor auf das Niveau des objektiven zu heben und das Bewusstsein der Massen näher an das Verständnis der historischen Notwendigkeit zu bringen – in anderen Worten, den Massen ihre eigenen Interessen zu erklären, die sie noch nicht verstehen? Das ‘tiefgreifende Problem’ der Zentristen ist tiefgreifende Feigheit angesichts der großen und unaufschiebbare Aufgabe. Die Führer der SAP verstehen die Wichtigkeit klassenbewusster revolutionärer Aktivität in der Geschichte nicht.“ [59]
Im gleichen Geist schrieb Trotzki 1939 an die französischen Piveristen:
„Ohne über eine Lehre, revolutionäre Tradition, ein klares Programm, Massen zu verfügen, verkündet ihr furchtlos eine neue Partei. Mit welchem Recht? Offensichtlich glaubt ihr, dass eure Ideen euch das Recht geben, die Massen zu gewinnen, nicht wahr? Warum wendet ihr dann nicht dasselbe Kriterium auf die Internationale an? Nur weil ihr nicht wisst, wie ihr euch einen internationalen Standpunkt erarbeiten könnt. Eine nationale Partei (auch in der Form einer Aufbauorganisation) ist für euch eine Lebensnotwendigkeit, doch eine internationale Partei gleicht einem Luxus und der kann warten. Das ist schlecht, Guérin, sehr schlecht!“ [60]
In der Anwendung der Parteiprinzipien weisen wahrhafte MarxistInnen es zurück, einen qualitativen Unterschied zwischen nationalem und internationalem Parteiaufbau zu machen. Eine internationale Partei oder ihre Vorform muss auf Grundlage des internationalen demokratischen Zentralismus gegründet werden, d.h. mit einer international einheitlichen programmatischen Linie, Disziplin und Führung. Gegen zentristische Verzerrungen darf es keine Zugeständnisse an rückständige Nationalborniertheit geben – weder im Programm noch im Parteiaufbau.
Der Aufbau einer internationalen Organisation ist immer eine zentrale Aufgabe – für die Partei genauso wie für ihre Vorform. Eine kleinere Parteiaufbauorganisation ist nicht weniger von den materiellen Umständen beeinflusst als eine Partei. Nationalborniertheit ist zerstörerisch für RevolutionärInnen ungeachtet ihrer Anzahl. Die Gesetze des Materialismus – “Das Sein bestimmt das Bewusstsein” – gelten unter allen Umständen! Eine kleine nationale Organisation, die es ablehnt, gleichzeitig international zu wachsen, wird letztlich von Nationalborniertheit zerfressen werden und verliert ihren revolutionären Charakter, wenn sie ihre Ausrichtung nicht energisch korrigiert und sich als Organisation dem Internationalismus praktisch zuwendet.
[1] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit. Resolution des III. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band II, Köln 1984, S.106
[2] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, S.106
[3] Leo Trotzki: Zur Philosophie der Bürokratie, in Trotzki Schriften 3.3, S. 125
[4] Abram Deborin: Lenin – der kämpfende Materialist, 1924, S. 11
[5] Iwan K. Luppol: Lenin und die Philosophie. Zur Frage des Verhältnisses der Philosophie zur Revolution (1928), S. 115
[6] Leo Trotzki: An die spanische Jugend (1932); in: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien, Band 1, S. 164f.
[7] Leon Trotsky: Letter to a Friend in France (1939), in: Leon Trotsky: On France, Monad Press, New York 1979, S. 210 (unsere Übersetzung)
[8] Lenin selbst wies darauf hin: „Es wird ein hartnäckiger Krieg sein. Wir haben es verstanden, lange Jahre vor der Revolution zu arbeiten. Nicht umsonst hat man uns die Felsenfesten genannt.“ (W. I. Lenin: Politische Notizen (1908), in: LW Bd. 13, S. 452)
[9] Leo Trotzki: Über die Gründung der IV. Internationale (1938) in: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale. Schriften zum Programm, S. 110f.
[10] Leo Trotsky: How Revolutionaries are formed (1929), in: Trotsky Writings, Bd. 1929, S. 192f.
[11] So der Bericht des französischen Trotzkisten Gerard Rosenthal nach seinem Besuch bei Trotzki; zitiert in: Leo Trotzki 1879-1940. In den Augen von Zeitzeugen, S. 120
[12] James P. Cannon: Der Kampf für eine proletarische Partei, Frankfurt a.M. 1982, S.28
[13] Leon Trotsky: On the fresh grave of Kote Tsintsadze (1930); in: Writings 1930-31, S. 123 (unsere Übersetzung). Siehe auch Leon Trotsky: What to Expect from the Sixth Congress (1928), in: Leon Trotsky: The Challenge of the Left Opposition (1928-29), S. 155. Tsintsadze war ein alter Bolschewiki georgischen Ursprungs, der – wie Kamo – an zahlreichen bewaffneten Aufständen auf Geheiß der Partei teilnahm. Während des Bürgerkriegs wurde er zum Leiter der Tscheka im Kaukasus und unterstützte Trotzkis Linke Opposition von ihrem Beginn im Jahre 1923 an. Er starb 1930 unter den harten Bedingungen des Exils, zu dem ihn Stalins Regime verurteilt hatte. (Siehe: Boris Souvarine: Stalin - Anmerkungen zur Geschichte des Bolschewismus, Verlag Bernard & Graefe, München 1980, S. 111-114, 449 und 524.
[14] W. I. Lenin: Was tun? (1902), in: LW Bd. 5, S. 379. Lenin wiederholte später diesen Grundsatz immer wieder: „Ohne Programm ist eine Partei als einigermaßen geschlossener politischer Organismus, der bei jeder Wendung der Ereignisse stets die Linie einzuhalten vermag, unmöglich.“ (W. I. Lenin: Über die Wahlkampagne und die Wahlplattform (1911); in: LW Bd. 17, S. 269)
[15] Leo Trotzki: Weitere Diskussionen über das Übergangsprogramm (1938) in: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale. Schriften zum Programm, S. 62
[16] Leo Trotzki: Der Neue Kurs (1923); in: Trotzki Schriften Band 3.1., Hamburg 1997, S. 252
[17] Leo Trotzki: Die Lehren des Oktober (1924); in: Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-1928, Band II, S. 196
[18] Nebenbei bemerkt sei gesagt, dass sogar jene passiven Sekten, die sich vom Druck des Klassenkampfes abkapseln, indem sie daran nicht teilnehmen, einen hohen politischen Preis für ihre Isolierung von den Massen zahlen und dass sie früher oder später trotzdem dem Klassendruck zum Opfer fallen werden, weil menschliche Wesen nicht in Isolation leben können.
[19] Leo Trotzki: Die Verteidigung der Sowjetrepublik und die Aufgaben der Opposition (1929); in: Trotzki Schriften Band 1.1., Hamburg 1988, S. 119
[20] W. I. Lenin: Was weiter? (Über die Aufgaben der Arbeiterparteien gegenüber dem Opportunismus und Sozialchauvinismus) (1915), in: LW Bd. 21, S. 99
[21] W. I. Lenin: Die Niederlage Russlands und die revolutionäre Krise (1915), in: LW Bd. 21, S. 385
[22] Leo Trotzki: Erklärung der Vierundachtzig (1927); in: Trotzki Schriften Band 3.2., Hamburg 1997, S. 743 (Hervorhebung im Original)
[23] The Case of Leon Trotsky. Report of Hearings on the Charges Made Against Him in the Moscow Trials by the Preliminary Commission of Inquiry into the Charges Made Against Trotsky in the Moscow Trials (1937), New York 1968, S. 384 (unsere Übersetzung)
[24] Rosa Luxemburg: Rede über die sozialistische Taktik (am Internationalen Sozialistenkongreß vom 14.- 20. August 1904 in Amsterdam); in: Gesammelte Werke Band 1.2, S. 446
[25] Leo Trotzki: Kritik des Programmentwurfs für die Kommunistische Internationale (1928); in: Schriften 3.2, S. 1315 (Hervorhebung im Original)
[26] Leo Trotzki: Nochmals über Brandler und Thalheimer (12.6.1929), in: Schriften über Deutschland, S. 743
[27] W. I. Lenin: Die revolutionären Marxisten auf der internationalen sozialistischen Konferenz vom 5.-8. September 1915 (1915), in: LW Bd. 21, S. 398-400
[28] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit, S.107
[29] Komintern: Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale, (1920), in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S. 160
[30] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, S.170
[31] Leo Trotzki: Aussichten und Aufgaben im Osten. Rede bei der Feier zum dreijährigen Bestehen der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens (21. April 1924); in: Schriften 2.1 (Über China), S. 62
[32] Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm (1938) in: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale. Schriften zum Programm, S. 42
[33] Leo Trotzki: Von einer Schramme – zur Gefahr der Knochenfälle (1940); in: Leo Trotzki: Verteidigung des Marxismus, Berlin 1997, Band II, S. 151
[34] Leon Trotsky: Closer to the Proletarians of the Colored Races (1932), in: Trotsky Writings, Bd. 1932, S. 112 (unsere Übersetzung). Siehe auch den folgenden Auszug aus einem Brief Trotzkis an die US-amerikanische Linke Opposition aus dem Jahre 1929:
“Soweit ich es beurteilen kann, übernahm Ihre offizielle Kommunistische Partei nicht wenige Merkmale der alten sozialistischen Partei. Das wurde mir klar, als es Pepper gelang, die amerikanische kommunistische Partei in das skandalöse Abenteuer mit der Partei LaFollettes hineinzuziehen. Diese minderwertige Politik des parlamentarischen Opportunismus wurde durch ‘revolutionäres’ Gerede verdeckt, laut dem die soziale Revolution in den Vereinigten Staaten nicht durch das Proletariat, sondern durch die ruinierten Farmer vollzogen werden würde. Als Pepper mir diese Theorie bei seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten verkündete, dachte ich, dass ich es mit einem seltsamen Fall individueller Verirrung zu tun hätte. Mit einiger Mühe erkannte ich, dass es sich um ein gesamtes System handelt und dass die amerikanische kommunistische Partei in dieses System hineingezogen worden war. Dann wurde mir klar, dass diese kleine Partei sich nicht ohne tiefe innere Krisen entwickeln konnte, die sie gegen den Pepperismus und andere böse Krankheiten wappnen würden. Ich kann sie nicht Kinderkrankheiten nennen. Im Gegenteil, es sind Alterskrankheiten, Krankheiten der bürokratischen Sterilität und revolutionären Impotenz.
Deshalb vermute ich, dass die kommunistische Partei viele der Eigenschaften der sozialistischen Partei übernommen hat, die mich trotz ihrer Jugend mit Anzeichen von Altersschwäche erstaunt hat. Für die Mehrheit dieser Sozialisten – ich hatte mit der Führungsschicht zu tun – ist Sozialismus ein Hobby, eine zweitrangige Beschäftigung für ihre Freizeitstunden. Diese Gentlemen widmen sich sechs Tage in der Woche ihren liberalen oder kommerziellen Berufen, schließen ihre Geschäfte nicht ohne Erfolg ab und am siebten Tag widmen sie sich der Beruhigung ihres Gewissens. In meinen Memoiren (Mein Leben, d.Hg.) versuchte ich diesen Typus des sozialistischen Babbit zu skizzieren. Offensichtlich haben es nicht wenige dieser Gentlemen geschafft, sich als Kommunisten zu verkleiden. Sie sind keine intellektuellen Gegner, sie sind Klassenfeinde. Die Opposition darf ihre Orientierung nicht auf die kleinbürgerlichen Babbits ausrichten, sondern auf die proletarischen Jimmie Higginses, für die die Idee des Kommunismus zum Inhalt ihres gesamten Lebens und Tuns wird, wenn sie einmal davon inspiriert sind. Es gibt nichts Ekelhafteres und Gefährlicheres in der revolutionären Aktivität als kleinbürgerlichen Dilettantismus, konservativ, egoistisch, selbstverliebt und unfähig zu Opfern im Namen einer großen Idee. Die fortschrittlichen Arbeiter müssen sich eine einfache, aber unumstößliche Regel zu eigen machen: Jene Führer oder Kandidaten zur Führung, die im friedlichen Alltag nicht bereit sind, ihre Zeit, ihre Kraft, ihre Mittel der Sache des Kommunismus zu opfern, werden in einer revolutionären Periode meist zu echten Verrätern oder wenden sich dem Lager jener zu, die abwarten, auf welche Seite der Sieg fällt. Wenn solche Elemente an der Spitze einer Partei stehen, werden sie diese unzweifelhaft ruinieren, wenn große Prüfungen anstehen. Und nicht besser sind jene hirnlosen Bürokraten, die bei der Komintern anheuern, wie sie es auch bei einem Notar tun würden und sich jedem neuen Boss gehorsam unterordnen.
Natürlich mag die Opposition – d.h. die Bolschewiki-Leninisten – ihre Mitläufer haben, die ohne sich selbst ganz der Revolution zu widmen, diesen oder jenen Dienst der Sache des Kommunismus widmen. Es wäre natürlich falsch, davon keinen Gebrauch zu machen. Sie können ein wesentlicher Beitrag zur Arbeit sein. Doch Mitläufer, auch die ehrlichsten und ernsthaftesten, sollten nicht an die Führung gelangen. Die Führung muss in ihrer Alltagsarbeit mit jenen verbunden sein, die sie führt. Ihre Arbeit muss vor den Augen der Massen vorangetrieben werden, egal wie klein die Massen zum gegebenen Moment sein mögen. Ich würde keinen Cent für eine Führung geben, die per Telegramm aus Moskau oder sonstwo abgerufen werden kann, ohne dass es die Massen bemerken. Eine solche Führung bedeutet vor vornherein den sicheren Bankrott. Wir müssen unseren Kurs auf die jungen Proletarier ausrichten, die wissen und kämpfen wollen und die zu Begeisterung und Selbstaufopferung fähig sind. Aus solchen Leuten müssen wir die wahren Kader der Partei und des Proletariats heranziehen und ausbilden.
Jedes Mitglied der organisierten Opposition sollte verpflichtet werden, einige junge Arbeiter unter seinen Fittichen zu haben, Jungs ab 14 oder 15 Jahren, um mit ihnen in fortwährendem Kontakt zu sein, ihnen bei ihrer Selbstbildung zu helfen, sie in den Fragen des wissenschaftlichen Sozialismus zu lehren und systematisch in die revolutionäre Politik der proletarischen Avantgarde einzuführen. Ein Mitglied der Opposition, das für eine solche Arbeit unzureichend ausgestattet ist, sollte junge Proletarier, die sie rekrutiert hat, an entwickelte und erfahrene Genossen übergeben. Wer sich vor harter Arbeit fürchtet, den wollen wir nicht. Die Berufung eines revolutionären Bolschewiken bringt Verpflichtungen mit sich. Die erste dieser Verpflichtungen ist der Kampf um die proletarische Jugend, um einen Weg zu ihrer unterdrücktesten und verwahrlosesten Schichten zu finden. Sie stehen zuerst unter unserem Banner.
Die Gewerkschaftsbürokraten wie auch die Bürokraten des falschen Kommunismus leben in der Atmosphäre aristokratischer Vorurteile der Oberschicht der Arbeiter. Es wird eine Tragödie, wenn die Oppositionellen auch nur im Entferntesten mit diesen Haltungen liebäugeln. Wir müssen diese Vorurteile zurückweisen und verurteilen; wir müssen jede Spur davon aus unserem Bewusstsein tilgen; wir müssen den Weg zu den Ärmsten finden, zur dunkelsten Schicht des Proletariats, beginnend bei den Schwarzen, die die kapitalistische Gesellschaft zu Parias gemacht hat und die uns als revolutionäre Brüder sehen lernen sollen. Und das hängt völlig von unserer Energie und Hingabe an die Arbeit ab.” (Leon Trotsky: A Letter to the American Trotskyists (1929), in: Trotsky Writings 1929, pp. 133-134, unsere Übersetzung)
[35] Leon Trotsky: On Students and Intellectuals (1932), in: Trotsky Writings, Bd. 1932, S. 333
[36] Leon Trotsky: Against Centrism at the Youth Conference (1934), in: Trotsky Writings, Supplements 1934-40, S. 452
[37] W. I. Lenin: Die Krise des Menschewismus (1906), in: LW Bd. 11, S. 352
[38] Leo Trotzki: Verratene Revolution. Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie? (1936), in: in: Trotzki Schriften Band 1.1., Hamburg 1988, S. 119
[39] David Lane: The Roots of Russian Communism, S. 36f.
[40] Leon Trotsky: Fusion with the Lovestonites? (1938), in: Writings Supplements 1934-40, S. 777 (unsere Übersetzung)
[41] Zitiert bei Alexandra Kollontai: Ich habe viele Leben gelebt… Autobiographische Aufzeichnungen. Dietz, Berlin 1987, S. 107
[42] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit, S.109f.
[43] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, S.174
[44] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit, S.137f.
[45] Komintern: Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien, über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit, S.135
[46] James P. Cannon: E.V. Debs (1956); in: James P. Cannon: The First Ten Years of American Communism, Pathfinder Press, New York 1962, S. 270 (unsere Übersetzung)
[47] Leo Trotzki: Der einzige Weg (1932), in: Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1971, S. 378
[48] Leon Trotsky: Centrism and the 4th International (1939); in: Leon Trotsky: On France, New York 1979, S. 214 (Hervorhebung im Oiginal; unsere Übersetzung)
[49] Leon Trotsky: Centrist Alchemy or Marxism? (1935); in: Writings 1934-35, S. 258 (Hervorhebung im Original)
[50] Programm der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki) (1919); in: Boris Meissner: Das Parteiprogramm der KPdSU 1906-1961, Köln 1962, S. 124;
[51] W. I. Lenin: Marxismus und Revisionismus (1908), in: LW Bd. 15, S. 28
[52] W.I. Lenin: Der „ linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus: in LW Bd. 31, S. 11
[53] Komintern: Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, S.173
[54] Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale. Resolution des II. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S.162
[55] Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm (1938) in: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale. Schriften zum Programm, S. 39
[56] Leon Trotsky: Unifying the Left Opposition (1930); in: Writings 1930, S. 99 (unsere Übersetzung)
[57] Leon Trotsky: An Open Letter to All Members of the Leninbund (1930); in: Writings 1930, S. 91f. (unsere Übersetzung)
[58] Leo Trotzki: Brief an die Redaktion von Prometeo (9. 6.1930), in: Trotzki-Schriften 3.3, S. 296
[59] Leon Trotsky: Centrist Alchemy Or Marxism? (1935); in: Writings 1934/35, S. 262f. (Hervorhebung im Original; unsere Übersetzung)
[60] Leon Trotsky: Centrism and the Fourth International (1939); in: Leon Trotsky: On France, New York 1979, S. 223 (unsere Übersetzung)
Nach der Darlegung der bolschewistisch-kommunistischen Konzeption der revolutionären Partei soll nun ein Überblick über die Geschichte unserer Bewegung und ihrer praktischen Bemühungen beim Aufbau einer solchen Organisation gegeben werden. Beginnen wir mit einer Zusammenfassung der Herausforderungen denen unsere Bewegung am Anfang gegenüberstand.
Wir erkannten, dass der Marxismus mit der Degeneration in den späten 1940ern und frühen 1950ern in eine tiefe Krise geraten war. Wir erkannten, dass die Bruchstücke der Vierten Internationale auf die eine oder andere Weise dem gegen die ArbeiterInnenklasse gerichteten Druck des Stalinismus, der Sozialdemokratie und/oder des kleinbürgerlichen Nationalismus erlegen waren. Alle diese Bruchstücke der Vierten Internationale verrieten die Methode des Übergangsprogramms Leo Trotzkis durch ihre Kapitulation vor den antiproletarischen Klassenkräften. Konkret kapitulierte die Führung der Vierten Internationale und alle Führungen der künftigen Spaltungen – Pablo, Mandel, Cannon, Lambert, Healy, Moreno usw. – entweder vor dem Stalinismus (v.a. dem Titoismus und dem Maoismus), der Sozialdemokratie (z.B. die Labour Partei in Britannien) oder dem bürgerlichen Nationalismus (z.B. MNR in Bolivien 1952, Peron in Argentinien oder die SLFP in Sri Lanka).
Wie wir in anderen Dokumenten analysierten, war die Führung der Vierten Internationale damals durch neue und unerwartete politische Entwicklungen desorientiert – v.a. durch die konterrevolutionären Niederlagen, die die revolutionäre Phase von 1943-47 beendeten, durch die Erstarkung und Ausdehnung des Stalinismus, die Konsolidierung des Kapitalismus und das Versagen der Vierten Internationale, ihre Isolierung von den Massen zu überwinden (mit einigen Ausnahmen wie in Bolivien, Sri Lanka und Vietnam). Sie stand einer neuen Situation gegenüber und konnte Trotzkis Übergangsprogramm nicht auf die neuen Phänomene anwenden und ihre Perspektiven den veränderten Umständen nicht anpassen. Als Ergebnis verzerrte sie das revolutionäre Programm, um sich nicht-revolutionären Kräften – Stalinismus, Sozialdemokratie, kleinbürgerlicher und bürgerlicher Nationalismus –, die alle viel stärker waren als die Vierte Internationale, anzugleichen. [1]
Wir schrieben in einem Aufsatz: “Wir sind uns dessen völlig bewusst, dass die Möglichkeiten zu revolutionärer Arbeit für TrotzkistInnen unter solchen Umständen sehr schwierig sind. Doch ihr zentristisches Versagen bestand nicht darin, dass sie nummerisch schwach waren. Auch lag es nicht darin, dass sie Fehler machten. Nur jene, die nichts tun, machen keine Fehler. Ihr zentristisches Versagen bestand darin, dass sie gegenüber stalinistischen, linken sozialdemokratischen, kleinbürgerlichen und bürgerlich nationalistischen Kräften unkritisch wurden oder sie sogar begrüßten. Ihr zentristisches Versagen bestand darin, dass sie Illusionen in das revolutionäre Potenzial von Tito, Mao Tsetung, Aneurin Bevan, Messali Hadj, General Peron usw. unter den ArbeiterInnen der Avantgarde verbreiteten, statt sie vor dem unausweichlichen Verrat zu warnen. Ihr zentristisches Versagen bestand darin, dass sie darin scheiterten, die Arbeiteravantgarde zu lehren (und es selbst zu verstehen), dass nur eine revolutionäre Partei unter trotzkistischem Banner das Proletariat zum Sieg führen kann. Ihr zentristisches Versagen bestand darin, dass sie statt dessen die Arbeiteravantgarde lehrten, dass ein objektiver revolutionärer Prozess die Titos, die Maos, die Bevans und die Perons dazu bringen würde, den ArbeiterInnen und den Unterdrückten geeignete Führungen für den Sturz des kapitalistischen Systems zu bieten. Kein stalinistischer Agent zwang sie zu diesem zentristischen Versagen! Dieses Versagen war ihr eigener Wille und ihre eigene Verantwortung! Und es ist dieses Versagen, das die zentristische Degeneration der Vierten Internationale und aller ihrer Führungspersonen in den Jahren 1948-52 ausmacht.” [2]
Die revolutionäre Kontinuität, die mit Marx’ und Engels’ Kampf für den Kommunismus in den 1840ern begonnen hatte und vier revolutionäre Internationalen bis in die frühen 1950er umfasste, war nun unterbrochen. Der Marxismus – besser gesagt, die offizielle Fehlinterpretation des Marxismus – wurde vom Stalinismus, der Sozialdemokratie oder vom trotzkistischen Zentrismus dominiert. Das ging Hand in Hand mit zunehmender Verbürgerlichung und Korrumpierung der ArbeiterInnenbewegung durch die ArbeiterInnenbürokratie und –aristokratie. Aus diesen Gründen beschloss die RCIT in ihrem Programm:
“In dieser tiefen Führungskrise – verbunden mit den Möglichkeiten der imperialistischen Bourgeoisie zur systematischen Bestechung der ArbeiterInnenbürokratie und –aristokratie – ist auch die letztendliche Ursache zu suchen für die außergewöhnliche Verbürgerlichung der ArbeiterInnenbewegung und die Entrevolutionierung des Marxismus in der Fassung, wie er vom Linksreformismus, Zentrismus und den linken AkademikerInnen verzerrt wird, in den vergangenen Jahrzehnten.” [3]
Es ist eine unerlässliche und vordringliche Aufgabe der Bolschewiki-KommunistInnen, den Marxismus als wahrhafte, unverfälschte, kämpferische und revolutionäre Tradition, Denkweise und Kampfkraft neu zu konstituieren.
i) Workers Power (Britannien) und die MRCI 1976-1989: Der Beginn des Wiederaufbaus des revolutionären Marxismus
Als Workers’ Power (Britannien) und Irish Workers’ Group 1975 nach ihrer Spaltung von der Cliff’schen Socialist Workers Party (SWP) gegründet wurden, lag es in ihrem Verständnis, dass die Vierte Internationale programmatisch wie organisatorisch zusammengebrochen war und das revolutionäre Erbe somit in Scherben lag. Die Hauptaufgabe war es, den wahrhaften Marxismus neu zu erarbeiten, anzuwenden und angesichts der neuen Entwicklungen des Kapitalismus und des Klassenkampfs in den letzten Jahrzehnten auszuweiten sowie eine Kaderorganisation auf Grundlage eines solchen Programms aufzubauen.
Später sollten sich diese beiden Gruppen die Gruppe Arbeitermacht (Deutschland) sowie Pouvoir Ouvrier (Frankreich) anschließen und im April 1984 gemeinsam eine internationale Tendenz begründen – die Bewegung für eine revolutionär kommunistische Internationale (internationale Abkürzung: MRCI).
Diese Gruppen stimmten der Notwendigkeit der Neuerarbeitung eines Programms auf Grundlage der Übergangsmethode aus Trotzkis Programm von 1938 zu. Sie teilten auch die Ansicht, dass sie eine internationale Tendenz auf den Prinzipien des demokratischen Zentralismus errichten müssten. So hielt die Erklärung Brüderlicher Beziehungen der MRCI fest:
“Der Aufbau einer revolutionären Internationale kann nicht aufgeschoben werden bis nationale Parteien vorhanden sind. Die Internationale muss von Revolutionären gleichzeitig mit den nationalen Parteien errichtet werden. Sie muss auf Basis eines internationalen Programms, das die Arbeit der nationalen Sektionen lenkt und lehrt, gegründet werden. Auf dieser Basis kann und muss sie als demokratische zentralistische Internationale organisiert werden.” [4]
Workers’ Power und die MRCI machten sich energisch an diese Aufgaben. Sie studierten die Degeneration der Russischen Revolution und die Entwicklung des Stalinismus und korrigierten ihre Analysen. Aus der IST/SWP-Tradition kommend neigten sie ursprünglich Cliffs Ansicht zu, dass die UdSSR, China und andere stalinistische Staaten staatskapitalistische Gesellschaften waren. Letztlich kamen die GenossInnen zum Schluss, dass diese Länder degenerierte ArbeiterInnenstaaten waren, in denen die stalinistische Bürokratie die ArbeiterInnenklasse unterdrückte und dass es die strategische Aufgabe war, eine politische Revolution zu organisieren. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden im Buch Die degenerierte Revolution veröffentlicht. [5] Wie weiter unten gezeigt wird, beinhaltete dieses Buch einen theoretischen Fehler hinsichtlich der Zerschlagung des stalinistischen Staatsapparats, den wir später korrigierten.
Eine weitere wichtige theoretische Errungenschaft war eine marxistische Einschätzung der Geschichte und Degeneration der Vierten Internationale und ihrer Spaltungen, die im Buch Die Todesagonie der Vierten Internationale dokumentiert worden ist.
Noch ein wesentlicher Beitrag war die Neuformulierung des leninistischen Verständnisses des Reformismus - Sozialdemokratie und Stalinismus – als bürgerliche ArbeiterInnenparteien durch Workers’ Power. Darunter verstehen wir, dass diese Parteien von einer bürokratischen Kaste mit der Arbeiteraristokratie als ihre Kernschicht dominiert werden. Diese Bürokratie ist ins kapitalistische System integriert und kann nicht reformiert oder zu einem Werkzeug des Klassenkampfs gemacht werden. Gleichzeitig erkannten wir, dass diese Parteien – hinsichtlich ihrer Mitglieder und ihrer Wahlunterstützungen – auf der ArbeiterInnenklasse beruhten und dass es für RevolutionärInnen wichtig war, die Einheitsfronttaktik anzuwenden. [6]
Ein bedeutsamer theoretischer Fortschritt der MRCI war die Diskussion und Verabschiedung der Thesen zur Antiimperialistischen Einheitsfront. In diesem Dokument gingen die GenossInnen zurück zur ursprünglichen antiimperialistischen Position der Kommunistischen Internationale aus der Zeit Lenins und Trotzkis, die später von der Vierten Internationale aufrecht erhalten worden war. Dieses Verständnis umschloss die durchgängige Unterstützung des bewaffneten Kampfs der vom Imperialismus unterdrückten und angegriffenen Nationen. Gleichzeitig dürfen KommunistInnen keine politische Unterstützung den kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Führungen dieser antiimperialistischen Kämpfe geben. [7]
Einen weiteren wichtigen theoretischen Fortschritt bedeutete die Ausarbeitung der Thesen zur Frauenunterdrückung. In diesem Schriftstück erarbeiteten wir eine materialistische Analyse der historischen Wurzeln der Frauenunterdrückung wie auch eine Einschätzung des Erbes der proletarischen Frauenbewegung zu Zeiten Clara Zetkins, Alexandra Kollontais und Inessa Armands. Die Thesen befassten sich auch mit marxistischer Kritik an der als kleinbürgerlich charakterisierten feministischen Bewegung. Schließlich umrissen sie ein kommunistisches Programm und eine Strategie für einen Frauenbefreiungskampf. [8]
Die Neuerarbeitung der Grundlagen der marxistischen Theorie war die wichtigste Errungenschaft von Workers’ Power und der MRCI in dieser Zeit, doch ihre Aktivitäten beschränkten sich nicht nur auf das theoretische Feld. Zum Beispiel war Workers’ Power die einzige linke Organisation, die eine antiimperialistische Position zum Falklandkrieg 1982 einnahm und für die Verteidigung Argentiniens und die Niederlage des britischen Imperialismus eintrat. Ähnlich unterstützten die GenossInnen den irischen nationalen Befreiungskampf gegen die britische Besatzung ohne politische Unterstützung für den kleinbürgerlichen Nationalismus von Sinn Fein.
Während des historischen BergarbeiterInnenstreiks 1984/85, einem der wichtigsten Streiks Westeuropas seit 1968, intervenierten die GenossInnen und wandten revolutionäre Taktikten an. Sie riefen zu einem Generalstreik auf und warnten vor der reformistischen Strategie der Führung Scargill von der NUM und dem Verrat der Bürokratie der TUC. Sie beteiligten sich bei den Anstrengungen, eine breite Basisbewegung der Bergarbeiter zu organisieren. Es gelang jedoch nicht, Bergarbeiter für die Organisation zu gewinnen. [9]
Letztlich gewann die MRCI eine trotzkistische Gruppe in Österreich. Sie gewann auch José Villa, einen Studentenkader aus der bolivianischen POR unter Guillermo Lora, und eine kleine Gruppe GenossInnen um ihn in Bolivien und Peru.
Eine ausführlichere Darlegung der Geschichte der MRCI finden Interessierte in einem längeren Artikel von Richard Brenner, den wir 1999 publizierten. [10]
ii) Die LRCI in der Periode von 1989 – 2001: Der Zusammenbruch des Stalinismus und nationale Befreiungskämpfe
Das Jahr 1989 war sowohl für die Weltpolitik wie auch für unsere Bewegung ein wichtiges. Wie oben erwähnt, hatte sich die MRCI die Aufgabe gestellt, ein neues Programm auf Grundlage der Übergangsmethode zu erarbeiten wie auch eine internationale Tendenz auf Grundlage des Prinzips des demokratischen Zentralismus zu gründen. Im Sommer 1989 diskutierten Delegierte von Gruppen aus Britannien, Irland, Österreich, Frankreich, Deutschland und Peru und verabschiedeten das neue Programm mit dem Titel Das Trotzkistische Manifest. Sie beschlossen, die MRCI in eine internationale Tendenz auf Basis des demokratischen Zentralismus umzuwandeln und wählten eine internationale Führung. Die neue Organisation wurde Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale (internationale Abkürzung: LRCI) genannt. [11]
Trotz ihrer geringen Größe markierte die Gründung dieser neuen Organisation einen wichtigen Schritt vorwärts. Bolschewiki-KommunistInnen hatten nun mehr als sechs Jahrzehnte nach Trotzkis Übergangsprogramm ein revolutionäres Programm erarbeitet. Sie hatten es auch endlich geschafft, nationale Beschränkungen zu überwinden und eine kämpferische marxistische internationale Strömung zu gründen.
1989-1991: Politische Revolution und soziale Konterrevolution in den stalinistischen Ländern
Unsere internationale Tendenz wurde sofort einem Lackmustest unterzogen. In den Jahren 1989-91 durchliefen die stalinistischen Regime in der UdSSR und Osteuropa eine finale Krise. Zusätzlich sah sich das chinesische Regime mit aufständischen StudentInnen und ArbeiterInnen konfrontiert, die es am 4. Juni 1989 brutal mit Panzern niederwalzte. Diese Jahre bildeten eine weltrevolutionäre Phase.
Die LRCI nahm an diesen historischen Ereignissen intensiv in Worten und Taten Anteil. Wir erarbeiteten ein Programm für die politische Revolution in diesen Staaten. Wir verstanden, dass sich die ArbeiterInnenklasse und die Volksmassen gegen die bürokratische Kaste erhob, vorwiegend um demokratischer Forderungen herum (das Recht auf nationale Selbstbestimmung, demokratische Rechte wie Versammlungs- oder Streikrecht etc.). Das war auch kaum überraschend angesichts dessen, dass die Werktätigen von den stalinistischen Diktaturen seit Jahrzehnten unterdrückt worden waren. Es war der Beginn einer politischen Revolution. Die LRCI unterstützte diese Kämpfe um demokratische Rechte und trat für ein revolutionäres Programm ein. Wir erklärten, dass die Massen sich auf einen möglichen stalinistischen Rückschlag vorbereiten müssten (wie er tatsächlich in China geschah) und dass sie den Kampf zu einer politischen Revolution weitertreiben müssten, um die Bürokratie zu überwinden. Wir warnten vor jeder Illusion sowohl in den reform-stalinistischen Gorbatschow-Flügel wie auch in den restaurationistischen Flügel um Jelzin bzw. deren osteuropäische Pendants. Wir riefen zur Gründung von Streikkomitees und Aktionsräten der ArbeiterInnenklasse sowie ArbeiterInnenmilizen auf, um den Aufstand zu einer politischen Revolution voranzutreiben. Und am wichtigsten, wir betonten die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, anstatt die Führung den reform-stalinistischen oder bürgerlich-demokratischen Kräften zu überlassen.
Der Höhepunkt dieses Prozesses war der gescheiterte Janajew-Putsch im August 1991. Zwischen dem 19. und dem 21. August startete das sogenannte Notfallskomitee um Janajew einen Putschversuch. Dessen Plan war, eine stalinistisch-restaurationistische Diktatur zu errichten, wie es die chinesischen Kastenbrüder und -schwestern 1989-92 getan hatten. Sie hätten die bescheidenen Errungenschaften, die die ArbeiterInnen und die Unterdrückten in der UdSSR in den Jahren zuvor erreicht hatten, sofort zunichte gemacht. Diese Errungenschaften umfassten einige minimale demokratische Rechte wie das Demonstrations- oder Streikrecht usw. Während Sektierer über solche grundlegenden Errungenschaften höhnisch lächeln, betrachten wir – und all jene, die historische oder aktuelle Erfahrungen mit Diktaturen haben – sie als wichtige Errungenschaften. Wenngleich sie natürlich nicht ausreichend sind, so sind sie zur Organisierung des Klassenkampfes doch äußerst vorteilhaft.
Während der drei Tage vom 19. bis zum 21. August riefen wir zur Verteidigung dieser Errungenschaften gegen die Bedrohung durch eine stalinistisch-restaurationistische Diktatur nach chinesischem Muster auf. Wir unterstützten jene Kräfte kritisch, die Widerstand gegen den Putsch organisierten – wie die pro-Jelzin-Kräfte, die Demonstrationen, BergarbeiterInnenstreiks und kämpferischen Widerstand organisierten. Gleichzeitig warnten wir vor jedweder Unterstützung für die kapitalistische Restauration. Von dem Moment an, in dem der Putsch niedergeschlagen war und Jelzin die Situation zur Vorantreibung der kapitalistischen Konterrevolution zu nutzen trachtete, warnten wir, dass dies nun der neue Hauptfeind war.
In einer Stellungnahme, die wir am Tag nach der Niederschlagung des Putsches, am 22. August 1991, veröffentlichten, schrieben wir:
“Unser Ziel ist es, die ArbeiterInnenklasse auf dem Hintergrund der Verteidigung ihrer demokratischen Errungenschaften für die Verteidigung ihrer postkapitalistischen Eigentumsverhältnisse und zu gewinnen. Die Zerstörung der demokratischen Errungenschaften (von Pugo/Janajew, d. Red.) hätte es verunmöglicht, das Bewusstsein der Klasse auf die für dieses Ziel notwendige Höhe zu heben.” (…) “Nachdem der Putsch nun gescheitert ist, stellt Jelzin die größte Gefahr für die ArbeiterInnenklasse dar. (…) Jelzin ist kein Freund der ArbeiterInnenklasse. Er verkörpert alle Teile der früheren bürokratischen Kaste, die die Perspektive des bürokratischen Parasitismus auf der Grundlage proletarischer Eigentumsverhältnisse zugusten der Aussicht, eine neue herrschende Klasse in einem wiederhergestellten kapitalistischen Rußlands zu werden, aufgegeben haben. Seine pro-kapitalistische Politik bedeutet Massenarbeitslosigkeit und Zerstörung der Sozialleistungen für dutzende Millionen ArbeiterInnen. Er möchte 120 Millionen sowjetische ArbeiterInnen der ungezügelten imperialistischen Ausbeutung preisgeben. (…) Während die Ereignisse der letzten Woche den Weg zu einer gegen die Freiheiten der ArbeiterInnenklasse gerichteten stalinistischen Konterrevolution blockierten, haben sie ihrer als Katalysator fungierenden Führung die Chance zur Beschleunigung der sozialen Konterrevolution gebracht; die Sache der demokratischen RestaurationistInnen ist gewaltig vorangekommen. Das Tempo des Untergangs der Nomenklatura hat sich ähnlich beschleunigt.”
Wir riefen für “gewählte ArbeiterInnenräte an jedem Arbeitsplatz und in jeder Region” sowie zur “proletarischen politischen Revolution zur Zerschlagung der StalinistInnen-Diktatur und zur Verhinderung der Wiedererrichtung des Kapitalismus” auf. [12]
Am Ende mündete der Prozess, der als politische Revolution der ArbeiterInnenklasse begonnen hatte, in eine soziale Konterrevolution. Das stellte eine historische Niederlage dar, denn es bedeutete die Zerstörung des degenerierten ArbeiterInnenstaats und seiner sozialen Errungenschaften. Der Grund dafür ist, dass Jahrzehnte stalinistischer Diktatur jedwede unabhängige ArbeiterInnenorganisation zerstört und das Proletariat politisch atomisiert hatten. Als Ergebnis gab es keine revolutionäre Partei und es war nicht möglich, eine solche in den wenigen Jahren der politisch revolutionären Krise 1989-91 aufzubauen. Nur die Existenz einer solchen Partei hätte ein siegreiches Ende der politischen Revolution bewirken können.
All das zeigt einmal mehr die konterrevolutionäre Natur des Stalinismus, dessen Herrschaft verheerende Wirkung auf das Bewusstsein und die Organisationen der ArbeiterInnenklasse hatte. Das wurde schon von Trotzki in einer Studie, die er 1939 nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs geschrieben hatte, betont:
„Das wichtigste Kriterium der Politik ist für uns nicht die Umwandlung des Eigentums auf dem einen oder anderen Teilterritorium, wie wichtig sie an und für sich auch immer sein möge, sondern der Wandel in der Bewußtheit und Organisiertheit des internationalen Proletariats und die Steigerung seiner Fähigkeit, alte Errungenschaften zu verteidigen und neue zu machen. Unter diesem allein entscheidenden Gesichtspunkt und aufs Ganze gesehen ist die Politik Moskaus nach wie vor reaktionär und bleibt das Haupthindernis auf dem Wege zur internationalen Revolution.“ [13]
Im Gegensatz zu diversen Zentristen wie die Mandel‘sche Vierte Internationale unterstützte die LRCI weder den Gorbatschow- noch den Jelzin-Flügel. Während Mandel sogar die Möglichkeit einer kapitalistischen Restauration ausschloss, warnten wir vor dieser Gefahr. Im Gegensatz zu den Morenoisten glaubten wir nicht an eine lange “Epoche des Februar”, in der ein scheinbar autonomer Prozess zur politischen Revolution führen würde. Und im Gegensatz zu Cliff und seinen AnhängerInnen – die meinten, dass die stalinistischen Länder schon immer irgendwie kapitalistisch gewesen seien – verstanden wir, dass die Zerstörung der planwirtschaftlichen post-kapitalistischen Eigentumsverhältnisse eine historische Niederlage bedeutete.
Ebensowenig teilten wir die Idiotie verschiedener Sektierer, die die Politisierung und Mobilisierung von Millionen ArbeiterInnen gegen die stalinistische Bürokratie als “Konterrevolution” betrachteten. Wenn sie von der “Verteidigung des degenerierten ArbeiterInnenstaats” sprachen, meinten sie in Wahrheit die bürokratischen Regime, die sie mit Hilfe der stalinistischen Panzer retten wollten. Diese Sektierer vermieden es, sich zu fragen, warum die ArbeiterInnen nicht auf die Straßen strömten, um den Stalinismus zu verteidigen?! Warum brachen denn diese Regime ohne jedwede Unterstützung von Teilen der ArbeiterInnenklasse zusammen?! Im Gegensatz zu ihnen orientieren sich MarxistInnen an der ArbeiterInnenklasse und ihren Kämpfen um ihre Rechte und versuchen ihnen durch die Arbeit innerhalb ihrer Massenbewegung dabei zu helfen, ihre Illusionen zu überwinden statt den totalitären Staatsapparat zu unterstützen, der diese ArbeiterInnen jahrzehntelang unterdrückt hatte.
Wir argumentierten 1989-91 nicht nur für ein solches Programm der politischen Revolution, wir schickten auch einige GenossInnen – darunter auch den Autor dieses Büchleins – nach Ostdeutschland, in die UdSSR, nach Jugoslawien, Polen, Ungarn und Rumänien. Wir gewannen wichtige Erfahrungen in diesen Massenbewegungen und schlossen eine Reihe Kontakte mit fortschrittlichen AktivistInnen.
Unsere wichtigste und nachhaltigste Intervention war jene in Ostdeutschland, die bereits im November 1989 ihren Anfang nahm, als wir durch die stalinistischen Grenzposten mit unserem verborgenen Propagandamaterial kommen mussten. Es gelang uns, eine Reihe junger ostdeutscher ArbeiterInnen zu gewinnen, die eine neue Sektion der LRCI gründeten und letztlich mit der westdeutschen Sektion fusionierten.
Schließlich half uns unsere Erfahrung in der politischen revolutionären Krise ebenso wie in der kapitalistischen Konterrevolution in der UdSSR und Osteuropa dabei, einen früheren theoretischen Fehler zu korrigieren. Wie oben erwähnt, beinhaltete unser 1982 veröffentlichtes Buch Die degenerierte Revolution einen Fehler, da es behauptete, dass die Aufgabe der proletarischen Revolution – die Zerschlagung des Staatsapparats – bereits durch die stalinistische Machtübernahme 1948-50 vollendet worden war. Folglich dachten wir irrigerweise, dass dies keine strategische Aufgabe der politischen Revolution mehr wäre. Diese unrichtige Position war bereits von einer Minderheit von Workers’ Power in den 1980ern abgelehnt worden und diese gewann durch die Erfahrung von 1989-91 weitere UnterstützerInnen. Wir argumentierten richtigerweise, dass die bürgerlich-bürokratische Staatsmaschinerie (d.h. Polizei, stehendes Heer, Bürokratie) in den stalinistischen Ländern kein proletarisches Instrument ist, sondern eines der kleinbürgerlichen Bürokratie, die der Bourgeoisie viel näher steht als der ArbeiterInnenklasse. Daher erforderte die politische Revolution nicht Reform, sondern Zerschlagung des stalinistisch-bonapartistischen Staatsapparats. Diese Position erhielt schließlich eine Mehrheit auf dem Vierten Kongress der LRCI im Jahre 1997. [14]
Ein weiterer theoretischer Fehler, den wir in den frühen 1990er Jahren gemacht hatten, war unser Konzept der “moribunden ArbeiterInnenstaaten”. Während wir sofort das reaktionäre Wesen der Ereignisse erkannten, als die offen bürgerlich-restaurationistischen Kräfte in der UdSSR und Osteuropa an die Macht gelangten, dachten wir, nachdem die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nicht sofort implementiert worden waren (und werden konnten), dass es eine Ungenauigkeit wäre, bereits von kapitalistischen Ländern zu sprechen. Stattdessen charakterisierten wir diese Länder als “moribunde ArbeiterInnenstaaten”. Tatsächlich missverstanden wir Trotzki, der erklärte, dass der Klassencharakter eines Staats von der Klasse bestimmt wird, die den Staat kontrolliert. Nach einer internen Debatte korrigierten wir diesen Fehler auf unserem Fünften Kongress im Jahr 2000. [15]
Eine weitere dauerhafte Errungenschaft unserer näheren Analyse des Zusammenbruchs des Stalinismus war unsere Studie der marxistischen Diskussion zum Verhältnis zwischen Plan und Markt während der Diktatur des Proletariats. Das führte zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein ArbeiterInnenstaat seine Wirtschaft plant und mündete in eine Reihe längerer Artikel wie auch in eine Schrift mit dem Titel Plan versus Markt. [16]
1991: Der imperialistische Angriff gegen den Irak
Ein weiteres Schlüsselerlebnis in den frühen 1990ern war der imperialistische Angriff auf den Irak im Jänner 1991. Die bürgerliche Diktatur unter Saddam Hussein hatte Kuwait im August 1990 erobert und die westlichen imperialistischen Mächte nutzen dies – mit der Unterstützung des Sowjetregimes Gorbatschows wie auch des syrischen Regimes von Assad – als Vorwand für einen massiven militärischen Aufmarsch im Nahen Osten. Die Imperialisten griffen die irakische Armee in wenigen Wochen an und zerschlugen sie. Das rief einen Aufstand der schiitischen und kurdischen ArbeiterInnen und Bauernschaft Anfang März 1991 hervor. Die Imperialisten bevorzugten eine schwache Diktatur unter Saddam vor einem siegreichen Aufstand der Massen und orderten daher ihre Truppen zum Stillstand, während die Baath-Armee den Aufstand niederschlug.
Unsere Organisation nahm eine klar antiimperialistische Position zu diesem Krieg ein. Wir riefen zur Niederlage für die imperialistischen Aggressoren und zum militärischen Sieg der irakischen Kräfte auf. Gleichzeitig lehnten wir jedwede politische Unterstützung für das Baath-Regime ab. Wir unterstützten den schiitisch-kurdischen Aufstand und riefen zu einer ArbeiterInnen- und Bauernregierung auf.
Unser klar antiimperialistischer Standpunkt brachte uns in harschen Konflikt mit den Reformisten und Zentristen. Der sowjetischen Führung folgend unterstützten die meisten “kommunistischen” Parteien das UN-Embargo gegen den Irak, das im Herbst 1990 als Vorbereitung für den imperialistischen Schlag erlassen worden war. Das CWI – wie auch viele andere Zentristen – lehnte es ab, den Irak zu verteidigen und nahm eine neutrale Position ein. Einige Sektierer vermengten die notwendige Verteidigung des Irak mit politischer Unterstützung für den Baathismus und unterstützten sogar dessen Manöver zur Erhaltung oder Ausweitung seiner Macht (wie bei der Invasion Kuwaits oder der brutalen Repression des Volksaufstands im März).
1992-1995: Die Balkankriege
In Jugoslawien – einem multinationalen Land – führte der Zusammenbruch des Stalinismus zu einer Implosion des Bundesstaates. Die nationalen Teile der bürokratischen Kaste spalteten sich und begannen kapitalistische Eigentumsverhältnisse einzuführen. In einem solch dramatischen Transformationsprozess konnten sie nur auf Machterhaltung hoffen, wenn sie nationalen Hass schürten, um ihre Leute hinter sich zu versammeln.
Die serbische Bürokratie unter Milosevic begann diesen Prozess 1987 mit der Intensivierung der Unterdrückung des kosovarischen Volks sowie der systematischen Unterwerfung anderer Provinzen (Montenegro, Kosovo und Vojvodina). Als Ergebnis konnte Belgrad die Hälfte der acht Stimmen in der Föderationsführung kontrollieren und damit die anderen Republiken mit Unterdrückung bedrohen. Die slowenische wie auch die kroatische Bürokratie unter Tudjman strebten nach Eigenstaatlichkeit. Letzterer kombinierte das mit chauvinistischer Unterdrückung der serbischen Minderheiten in Ostkroatien und der Region Knin. Natürlich versuchten die westlichen imperialistischen Mächte zu intervenieren, doch anfänglich gab es unterschiedliche Strategien, wie das am besten anzustellen wäre: Deutschland und Österreich unterstützten von Anfang an den Separatismus, im Gegensatz zu Britannien und den USA.
Die LRCI verteidigte das Recht auf nationale Selbstbestimmung und verteidigte somit Slowenien gegen die Angriffe der jugoslawischen Armee im Juni 1991. Wir nahmen im Krieg zwischen Serbien und Kroatien eine defätistische Position ein, weil beide Seiten in den Krieg zogen, um den anderen zu unterdrücken. Gleichzeitig verteidigten wir das Recht auf Selbstbestimmung für nationale Minderheiten (wie der SerbInnen in Kroatien). Wir warnten, dass der von den herrschenden Regimen angezettelte Nationalismus als Ablenkung von der kapitalistischen Restauration diente. Wir riefen zum Sturz des restaurationistischen Regimes und der Schaffung einer ArbeiterInnenrepublik und einer sozialistischen Balkanföderation auf.
In den frühen 1990ern reiste der Autor dieser Zeilen wiederholt als Vertreter der LRCI nach Serbien und knüpfte Kontakte zu fortschrittlichen AntikriegsaktivistInnen. Wir übersetzten eine Reihe von Dokumenten ins Bosnisch-Kroatisch-Serbische und verteilten sie auf dem Balkan wie auch unter MigrantInnen in Österreich. Außerdem waren wir 1992 Mit-Organisatoren einer Demonstration von 1.500 meist serbischen ArbeitsmigrantInnen gegen die chauvinistische antiserbische Welle, die damals die imperialistische und kleinbürgerliche “öffentliche Meinung” so stark beherrschte. Es gab zwei Sprecher auf dieser Demonstration – Pröbsting und einen serbischen Genossen mit Migrationshintergrund – und wir riefen zur Opposition sowohl gegen die imperialistische Kampagne wie auch gegen den serbischen Nationalismus auf. [17]
Im April 1992 provozierten die chauvinistischen Kräfte – vor allem jene um den serbischen Nationalisten Karadzic – den Krieg in Bosnien und Herzegowina. Das brachte unaussprechliches Leid für die bosnischen Muslime und jene Serben und Kroaten, die der nationalistischen Teilung Bosniens durch die serbischen und kroatischen Chauvinisten Widerstand geleistet hatten. Gemäß einem 2008 veröffentlichten Bericht zum Krieg von 1992-95, geschrieben vom Vorsitzenden der bosnischen Delegation an die Vereinten Nationen wurden 200.000 Menschen getötet, 12.000 davon Kinder, bis zu 50.000 Frauen vergewaltigt und 2,2 Millionen wurden zur Flucht gezwungen (in einem Land von etwa 4 Millionen Einwohnern).
Wir prangerten die reaktionäre bosnische Regierung von Alija Izetbegovic scharf an, die – wie die Bürokratien anderer Republiken – nach der Restaurierung des Kapitalismus strebte und darin versagte, das bosnische Volk vor den chauvinistischen Aggressoren zu verteidigen. Wir riefen zu internationaler Unterstützung für den Befreiungskrieg des bosnischen Volks auf und kombinierten das mit der Perspektive einer multinationalen ArbeiterInnenrepublik in Bosnien als Teil einer sozialistischen Balkanföderation. Wir verurteilten den US- und EU-Imperialismus, die den bosnischen Widerstand mit einem Waffenembargo abwürgten und deren UN-Truppen mit den serbischen Chauvinisten kollaborierten, als z.B. der Schlächter General Mladic den Massenmord an 8.000 muslimischen Männern in Srebenica im Juli 1995 organisierte.
Die LRCI war Teil der Kampagne “Internationale ArbeiterInnenhilfe”, die Medizin, Kleidung etc. für die ArbeiterInnen in Tuzla und anderswo zur Verfügung stellte, der Autor dieser Zeilen fungierte als österreichischer Koordinator dieser Kampagne. Wir riefen zu Waffenlieferungen und internationale Freiwilligenbrigaden in Unterstützung des bosnischen Widerstand auf und verurteilten das NATO-Bombardement im Sommer 1995, das die bosnischen Befreiungskräfte stoppte, als sie gerade Fortschritte zu machen begannen und Gebiete rückeroberten, die sie in den ersten Kriegsjahren verloren hatten.
Während viele Zentristen entweder neutral blieben und manche sogar den serbischen Chauvinismus unterstützten, stand die RCIT/LRCI für den Sieg des bosnischen Volks und die Niederlage der reaktionären serbischen Chauvinisten und kombinierte das mit der Perspektive einer sozialistischen Balkanföderation.
In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass wir zu Beginn des Krieges einen Fehler machten. Erst mit Verspätung, nach einigen Monaten, erkannten wir, dass der Bosnienkrieg von Beginn an ein Genozid war. Wir hatten in den ersten Monaten nach dem April 1992 eine defätistische Position eingenommen und die bosnische Seite erst ab Herbst 1992 verteidigt. Das war ein Fehler und wir hätten die bosnische Seite gegen die serbischen (und kroatischen) Chauvinisten von Anfang an verteidigen sollen. Innerhalb der internationalen Führung der LRCI argumentierte der Autor dieser Zeilen gemeinsam mit anderen GenossInnen für eine Korrektur der Linie der LRCI. Auf einem internationalen Leitungstreffen im Juli 1995 schlug Pröbsting folgende Stellungnahme vor:
“Die Hauptschwäche unserer Position während dieser Periode (der Anfangsphase des Krieges, d. Red.) war, dass der furchtbare Genozid nicht nach dem Herbst begonnen hatte, sondern sich die größten Eroberungen des muslimischen Gebiets durch die bosnischen SerbInnen während dieser Periode ereigneten. Wir begannen mit der Verteidigung der Muslime erst, als sie bereits ihre schwersten Niederlagen erlitten hatten. Als wir im November 1992 unsere Taktik änderten, erwähnten wir zwei entscheidende Tatsachen: i) den Bruch der muslimisch-kroatischen Allianz und ii) die Entscheidung des Imperialismus, keine volle Militärintervention zu unternehmen. Beide Gründe waren nicht ausreichend, um eine qualitativ neue Situation zu schaffen. Der Bruch der Allianz mit den Kroaten, so wichtig er war, hätte nicht entscheidend für unsere defensistische Position sein sollen, denn diese Allianz an sich veränderte die Situation des begangenen Genozids gegen die Muslime (in dieser ersten Periode) nicht und tut es auch jetzt (seit seiner Erneuerung im März 1994) nicht. Trotz des Bestehens dieser Allianz wurden die Muslime (und Kroaten) zwischen April und November 1992 aus vielen Teilen des Landes vertrieben. Diese Allianz war nicht stark genug, um der Offensive der Karadziz-Chauvinisten entgegenzutreten. Die fallengelassene volle imperialistische Militärintervention hätte ebenso wenig entscheidend für unsere Taktik sein sollen. Wir wissen, dass die Hauptgründe für den Krieg im internen Kräftegefüge Jugoslawiens und Bosniens lagen. Wir hätten unsere Taktik sofort im Fall einer imperialistischen Intervention ändern sollen, doch es war nicht korrekt zu argumentieren, dass die Möglichkeit einer solchen Intervention ausreichend dafür war, die MuslimInnen und die multiethnischen BosnierInnen nicht zu verteidigen.”
Diese Position erhielt jedoch nur von einer signifikanten Minderheit Unterstützung und wurde somit überstimmt.
1995 erlebte die LRCI eine Spaltung durch eine kleine Opposition in unseren Reihen, die pro-stalinistische und pro-serbische chauvinistische Positionen unterstützte. Die Spaltung schloss die kleinen bolivianischen und peruanischen Gruppen um José Villa wie auch einen Teil der neuseeländischen Sektion ein. Abgesehen von der Tatsache, dass Villa, der aus wohlhabenden Verhältnissen stammt, sich jahrelang als Mini-Caudillo und prinzipienloser Intrigant unfähig zu kollektiver Disziplin präsentiert hatte, erwiesen sich diese GenossInnen als nicht dazu imstande, die Wichtigkeit der demokratischen Frage, vor allem in Perioden scharfer Klassenwidersprüche und des Fehlens einer sozialistischen Führung, zu begreifen. [18]
1997-1999: Der nationale Befreiungskampf im Kosovo und der Krieg der NATO gegen Serbien
Das Regime Milosevic wollte seine Rückschläge wettmachen, indem es die Unterdrückung des kosovarischen Volks intensivierte. In den 1990er Jahren zerschlug es den heldenhaften BergarbeiterInnenstreik und versuchte, die Boykottkampagne gegen öffentliche Institutionen niederzuschmettern. [19] Letztlich begann 1997 ein bewaffneter Aufstand unter der Führung der kleinbürgerlich-nationalistischen UCK, die aus der hoxhaistischen LPK hervorgegangen war. Er mündete in einen Bürgerkrieg. Die Imperialisten versuchten, den Aufstand mit dem sogenannten Rambouillet-Abkommen in Grenzen zu halten. Doch der Aufstand ging weiter. Nun nutzte die NATO den Bürgerkrieg als Vorwand, um ihre militärische Präsenz auf dem Balkan auszubauen und begann einen Luftkrieg gegen Serbien. Der schloss mit der Beendigung der serbischen Besatzung, doch gleichzeitig wurde der Kosovo nun zu einem von NATO und EU besetzten Gebiet. Das wurde durch den Verrat der UCK-Führung, die im Nachkriegskosovo als Instrument der NATO diente, unterstützt.
Die LRCI unterstützte den nationalen Befreiungskampf der Kosovo-AlbanerInnen von Anfang an. Die Kosovo-AlbanerInnen waren seit 1913 von Serbien national unterdrückt worden und hatten immer Unabhängigkeit von Belgrad gefordert. Wir standen für den Sieg des Aufstands und riefen für eine kosovarische ArbeiterInnenrepublik auf. Wir gewährten der kleinbürgerlichen UCK-Führung keine politische Unterstützung und verteidigten gleichzeitig Serbien gegen das NATO-Bombardement.
Wir begannen 1997 mit kosovo-albanischen Migranten in Österreich zusammenzuarbeiten und organisierten Solidaritätsarbeit. Als sich der bewaffnete Aufstand nach dem Massaker von Drenzia am 6. März 1998 ausweitete, organisierte die Gemeinde eine Massenkundgebung von 3.000 albanischen ArbeitsmigrantInnen und Jugendlichen in Wien. Die österreichische Sektion wurde eingeladen, eine Rede zu halten. Ich sprach als unser Repräsentant und drückte unsere Solidarität mit dem nationalen Befreiungskampf für einen unabhängigen Kosovo der ArbeiterInnen und Bauern aus und warnte vor jedweder Einmischung durch den NATO-Imperialismus.
Einmal mehr können wir – im Gegensatz zu Zentristen, die die Kosovo-Albaner nicht unterstützten – stolz berichten, dass wir mit der Unterstützung des kosovarischen Aufstands eine prinzipientreue Position sowohl in der Propaganda wie auch in der Praxis eingenommen haben, kombiniert mit einer sozialistischen Perspektive und dem Aufruf zur Niederlage der NATO gegen Serbien.
1994 bis heute: Der Aufstand des tschetschenischen Volks gegen die russische Besatzung
Die zwei russischen Besatzungskriege gegen das tschetschenische Volk – der erste von 1994-96 und der zweite seit Ende 1999 – waren in dieser Zeit ebenso bedeutsam. Gegen das Wunsch des tschetschenischen Volks nach Unabhängigkeit begann Moskau einen unglaublich brutalen Krieg. Während des ersten Kriegs massakrierte es etwa 100.000 TschetschenInnen und während des zweiten weitere 50.000 (in einem Land mit nur einer Million Einwohnern!). Der Sieg des tschetschenischen Guerillakriegs 1996 war ein beeindruckendes Erlebnis – man vergleiche das kleine tschetschenische Volk mit Russlands 143 Millionen! – und zeigte einmal mehr, wie viel ein vom ganzen Volk unterstützter Befreiungskrieg gegen eine demoralisierte Großmacht erreichen kann. Während das Putin-Regime bis jetzt das Land besetzt hält, besteht der Widerstand auf niedrigem Niveau weiterhin. Dieser Widerstand wird mittlerweile hauptsächlich von kleinbürgerlichen islamistischen Kräften dominiert.
Wir unterstützten den tschetschenischen Befreiungskampf von Beginn an und riefen zur Niederlage der russischen Besatzungskräfte auf. Wir gewährten den kleinbürgerlichen und islamistischen Führungen keine politische Unterstützung und riefen zu einer unabhängigen ArbeiterInnen- und Bauernrepublik Tschetschenien auf.
Die Tschetschenienkriege lieferte den Hintergrund für eine eingehendere Analyse des russischen Kapitalismus. Im März 2001 entwarf Pröbsting ein Dokument, in dem er die Entwicklung der kapitalistischen Restauration in Russland in den 1990ern analysierte und erklärte, wie das Land sich zu einer imperialistischen Macht entwickelt hatte. Er schlug auf einem Führungstreffen der LRCI eine Resolution in diesem Sinne vor. Seine Resolution wurde leider zurückgewiesen, weil die Mehrheit irrigerweise davon ausging, dass Russland zu einem halbkolonialen Land geworden war.
Das zeigte, dass bereits in den 1990ern, als die LRCI noch eine revolutionäre Strömung war, die Mehrheit ihrer Mitglieder enorme Probleme damit hatte, Lenins Imperialismustheorie anzuwenden, wenn sie mit neuen Entwicklungen konfrontiert waren. Ein längerer interner und kontroversieller Diskussionsprozess war nötig, um diese inkorrekte Einschätzung des russischen Imperialismus zu korrigieren.
Auf dem nächsten Kongress der LRCI im April 2003 brachte Pröbsting wieder eine Resolution zum russischen Imperialismus vor und nun erlangte diese Position eine knappe Mehrheit der Delegiertenstimmen.
Die Schwierigkeiten im Parteiaufbau in den 1990er Jahren und der Kampf gegen passiven Propagandismus
Die 1990er Jahre waren für den Parteiaufbau eine schwierige Zeit. Um es mit den Worten von James P. Cannon auszudrücken, könnte man von unseren “Hundstagen” sprechen. Nach dem Niedergang der degenerierten ArbeiterInnenstaaten und dem Sieg des Imperialismus in Osteuropa wie auch im Golfkrieg begann eine demokratisch-reaktionäre Phase. Sie führte zur Krise und Demoralisierung großer Teile der ArbeiterInnenbewegung. Die stalinistische Weltbewegung brach zusammen, die sozialdemokratische Linke wurde noch weniger links und viele Zentristen verzweifelten. Sie sprachen von der “Mitternacht des Jahrhunderts” und dem “Ende der Epoche des Oktober”.
Wir verzweifelten nicht, denn uns war bewusst, dass die Beseitigung des Stalinismus langfristig positive Konsequenzen haben würde und dass die Niederlagen in Osteuropa die strukturellen Widersprüche des Weltkapitalismus nicht aufheben konnten und damit früher oder später zu neuen Perioden kapitalistischer Krise und Klassenkampf führen würden.
Zuerst und vor allem forderten die historischen Umbrüche, dass RevolutionärInnen ein korrektes theoretisches Verständnis und programmatische Orientierung erarbeiteten. Unsere Organisation hat diesen Test gut bestanden. Wir erwiesen uns als fähig, ein Programm der politischen Revolution gegen die stalinistischen Regime unter konkreten Umständen anzuwenden und konnten es weiterentwickeln. Die wenigen theoretischen Fehler, die wir machten, wurden später korrigiert. So war es die Hauptaufgabe in dieser Periode, das revolutionäre Programm zu verteidigen, um die Kader für künftige Kämpfe zu konsolidieren und zu bilden; wir bestanden die Prüfung.
Doch die Niederlagen der 1990er Jahre und unser Fokus auf programmatische und theoretische Debatte hatte für unsere Entwicklung auch wesentliche negative Aspekte. Sie trugen zu einer Entwicklung bzw. Verstärkung einer konservativen, nach innen gerichteten Mentalität unter Teilen unserer Mitgliederschaft bei, die sich gern haupsächlich internen Diskussionen widmete und vielleicht die Zeitung auf Demonstrationen verkaufte (und in einigen Fällen sogar Gewerkschaftsarbeit leistete). Doch viele Mitglieder waren im Aktivismus unerfahren oder standen ihm und der offenen kommunistischen Teilnahme an Massenbewegungen und –kämpfen sowie der Auseinandersetzung mit im Marxismus ungebildeten Menschen sowie der Rekrutierung neuer AktivistInnen von außerhalb der Szene der alteingesessenen Linken sogar ablehnend gegenüber. Das war ein entscheidender Punkt, vor allem weil wir verstanden hatten, dass wir uns an die Jugend wenden mussten, die von den demoralisierenden Auswirkungen des Stalinismus und seinem Zusammenbruch viel weniger betroffen waren als die älteren ArbeiterInnen.
Letztlich war das nicht überraschend. RevolutionärInnen werden wie alle Menschen von den Umständen, in denen sie leben und dem herrschenden “Zeitgeist” beeinflusst. Veränderungen der Weltlage oder des Klassenkampfs können oft zum Verlust von MitstreiterInnen führen, die von den neuen historischen Notwendigkeiten aufgrund der veränderten Klassenkampfbedingungen überfordert sind. Solche Epochenumbrüche mögen den einen oder die andere KommunistIn zu Beginn schockieren, doch es darf kein Hindernis dabei sein, die nötigen Schritte zu unternehmen. Wie Lenin sagte:
„Diejenigen Kommunisten aber, die weder in Illusionen noch in Verzagtheit verfallen, die sich die Kraft und Geschmeidigkeit des Organismus bewahren, um beim Herangehen an diese überaus schwierige Aufgabe wiederholt „von Anfang zu beginnen", sind nicht verloren (und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie sein).“ [20]
Gemeinsam mit anderen Führungskadern drängte Pröbsting auf eine Neuorientierung der LRCI in Richtung der wiederauflebenden Klassenkämpfe in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Uns war bewusst, dass, wenn wir nicht neue Schichten von AktivistInnen erreichten, unsere Mitgliederzahl schrumpfen und zunehmend konservativer in ihren Ansichten werden würde. Doch unseren Bemühungen wurde mit offener Ablehnung von einigen und passivem Widertstand von noch viel mehr GenossInnen begegnet. Als Ergebnis verloren wir in den 1990en eine Reihe von ihnen. Die britische Sektion hatte am Ende des Jahrzehnts weniger als die Hälfte ihres Mitgliedstandes von 1990. Bis zum Jahr 2000 verlor auch die österreichische Sektion mehr als die Hälfte ihrer GenossInnen, die nicht bereit waren, sich selbst in Wort und Tat hin zur Aufnahme exemplarischer Massenarbeit und Rekrutierung aus neuen Schichten neu zu orientieren. Die Erfahrung lehrte uns, dass, während es möglich sein kann, Resolutionen zu einer aktivistischen, nach außen gerichteten Orientierung zu verabschieden, es sehr schwierig sein kann, diese GenossInnen zur Änderung ihrer Haltung zu veranlassen, sodass sie eine solche Neuorientierung auch umsetzen konnen.
Das war eine von vielen Erfahrungen, die wir in unserem Fortschreiten machen mussten. Jene von uns, die daraus lernten, waren nicht überrascht oder bedrückt während der folgenden internen Kämpfe, sondern nahmen ganz im Gegenteil jede Auseinandersetzung auf, die nötig war, um die marxistischen Reihen frei von revisionistischen Abweichungen zu halten.
Wir machten auch viele Fortschritte, etwa durch den Gewinn einer Gruppe in Schweden und später in der Tschechischen Republik. Wir bauten auch eine kleine Gruppe in Australien auf, indem wir Kader aus Neuseeland transferierten. Wir unterstützten auch die deutsche Sektion durch die Transferierung einiger Kader aus Österreich und der Gewinnung einer ex-lambertistischen Gruppe von GewerkschafterInnen.
Drei wesentliche Hauptschwächen blieben bestehen: Die verbleibende Mehrheit hat die Lehren der vergangenen internen Kämpfe nicht in vollem Umfang begriffen. Wir blieben eine weitgehend europäische Strömung mit kaum einem Mitglied in der halbkolonialen Welt. Außerdem setzte sich unsere Strömung weitgehend aus Intellektuellen, Studenten und Arbeiteraristokraten zusammen. Diese Schwächen sollten noch schwer auf der LRCI lasten und ein schlechtes Erbe begründen.
Diskussion zum Charakter der Periode
Eine wichtige Debatte der LRCI in den 1990er Jahren war die Diskussion zum Charakter der Periode. Die Mehrheitsposition – angenommen am Zweiten Kongress im Jänner 1992 – war, dass die Ereignisse 1989-91 eine “demokratisch-reaktionäre Phase” eröffnet hätten, die aber nur die erste Phase einer “welthistorisch revolutionären Periode” wäre. Während wir mit der Einschätzung übereinstimmten, dass die Niederlagen von 1991 eine kurzzeitige “demokratisch-reaktionäre Phase” eröffnet hätten, konnten der Autor dieser Zeilen und andere GenossInnen die Ansicht, dass wir in eine “revolutionäre Periode” eingetreten wären, nicht teilen. Wir argumentierten, dass sich die kapitalistische Krise noch nicht in dem Maß vertieft hatte, dass daraus eine massive Destabilisierung der Weltpolitik und der globalen Wirtschaft resultieren würde. Wir erklärten, dass solche Entwicklungen unausweichlich vor uns lägen, doch dass das erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen würde. Der Charakter der Periode der 1990er Jahre war eher einer des “Übergangs”.
Entsprechend brachte Pröbsting auf den LRCI-Kongressen 1994 und 1997 Resolutionen vor, verlor jedoch die entsprechenden Abstimmungen. Letztlich konnte er jedoch auf dem fünften Kongress im Jahr 2000 eine Mehrheit für seine Position gewinnen. Dass Jahr um Jahr entgegen ihrer Erwartungen kein revolutionäres Ereignis von weltweiter Bedeutung stattfand, half sicherlich dabei, die GenossInnen für unsere Analyse zu gewinnen. Im folgenden geben wir den Schlüsselabschnitt der bei diesem Kongress verabschiedeten Resolution aus der Feder des Autors dieser Zeilen:
“Während die LRKI die Herausforderungen der neuen Periode in den 1990er Jahren im programmatischen Sinne bestand, mißverstand sie ihren genauen Charakter. Wir schätzten die Periode in einem überoptimistischen Sinne als eine revolutionäre ein. Wir erwarteten eine kurzfristige Vertiefung der kapitalistischen Gegensätze, der Rivalität zwischen den Großmächten und - als eine Konsequenz dessen – einen massiven Aufschwung von Klassenkämpfen und das Auftreten von revolutionären Situationen. In Wirklichkeit gestaltete sich dieser Prozeß wie oben angeführt jedoch langsamer und widersprüchlicher als erwartet. Tatsächlich verhinderten genannte Faktoren, daß diese Periode einen revolutionären Charakter annahm. Das bedeutet nicht, daß die LRKI die Entwicklungsrichtung des weltweiten Klassengleichgewichts völlig falsch einschätzte. Wir irrten uns im Tempo, nicht in der grundlegenden Richtung der Dynamik der kapitalistischen Widersprüche. Tatsächlich nehmen die Elemente der Stabilität des imperialistischen Weltsystems ab und jene der Instabilität zu, was sich auch im Ende der demokratisch-konterrevolutionären Phase 1997/98 ausdrückte. Aber die Periode, die das vergangene Jahrzehnt bis heute umfaßt, trug keinen revolutionären, von scharfen Widersprüchen gekennzeichneten Charakter. Im Rahmen des „globalen Kapitalismus“ und der fortgesetzten US-Hegemonie gelang dem Imperialismus eine relative, vorübergehende Stabilisierung, die – um in historischen Analogien zu sprechen - mehr an 1896-1913 als an 1914-1948 erinnert. Diese Periode trug mehr einen – zukünftige weltpolitische Explosionen vorbereitenden – Charakter. Man kann sie als eine Übergangsperiode oder eine des Interregnums bezeichnen.“ [21]
Die Mehrheit der GenossInnen machte trotz ihrer inkorrekten Position zum Charakter der Weltperiode keine wesentlichen taktischen Fehlern. Doch ihr Fehler in der Einschätzung leistete jenen pessimistischen GenossInnen innerhalb und OpponentInnen außerhalb der LRCI unnötigen Vorschub, die gegen uns polemisierten. Und noch wichtiger, es zeigte eine theoretische Verwirrung der GenossInnen der Mehrheit und trug zur Verwirrung unter künftigen Mitgliedern bei, die zutiefst desorientiert waren, als schließlich 2008/09 eine tatsächlich revolutionäre Periode begann.
Letztlich muss man leider sagen, hat die Mehrheit der führenden GenossInnen darin versagt, die der marxistischen Charakterisierung von historischen Perioden zugrundeliegende Methode zu verstehen. Jede Veränderung der Weltlage zeigte, wie sie mit geschlossenen Augen umher stolperten, unfähig zur korrekten Analyse des Wesens der Periode und zum Verständnis der Konsequenzen. Diese Unfähigkeit zusammen mit ihrem Unwillen, wenigstens unsere korrekte Analyse zu akzeptieren, war langfristig ein entscheidender Faktor, der zur Degeneration der gesamten Organisation führte. Dazu mehr weiter unten.
In diesen Diskussionen zum Charakter der Periode legte der Autor dieses Buches einen Ausblick auf künftige Entwicklungen in der Weltpolitik dar, auf die sich RevolutionärInnen vorbereiten sollten. Geschrieben im Frühjahr 2000 gab dieser Ausblick eine Prognose, die durch die Ereignisse des folgenden Jahrzehnts bestätigt werden sollten. Hier ein Auszug aus dem oben zitierten Kongressdokument von Pröbsting:
„Einer neuen, revolutionären Krisenperiode entgegen
Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das imperialistische System – vermutlich noch in diesem Jahrzehnt - einen scharfen Einbruch und die Eröffnung einer neuen, revolutionären Krisenperiode erleben. Die Gründe dafür lauten: i) Anhäufung explosiver Widersprüche der imperialistischen Wirtschaft, ii) fortgesetzte Entwicklung der Blockbildung und der inner-imperialistischen Rivalität, iii) Fehlen wichtiger Voraussetzungen für eine neue Boom-Periode (wie z.B. massive Vernichtung von Kapital, klare imperialistische Führungsmacht, historische Niederlagen für die Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren), iv) in vielen Ländern ist die Arbeiterklasse nach wie vor nicht entscheidend besiegt und erlebt einen Aufschwung an Kämpfen.
Diese neue Periode wird von einer verschärften Rivalität zwischen den imperialistischen Großmächten gekennzeichnet sein. Bislang wurden diese Widersprüche durch das bleierne Gewicht der USA überdeckt, aber „unterirdisch“ verschaffen sie sich Geltung und schreiten voran (Aufbau einer eigenständigen EU-Armee, Schritte Richtung Aufrüstung Japans, wiederholte Handelskonflikte). Ebenso fehlen dem US-Imperialismus die Ressourcen, um China und Rußland in eine Art weltpolitische Allianz integrieren zu können. Vielmehr werden die Widersprüche zwischen Moskau, Peking und Washington zunehmen, wobei Rußland und China die USA nicht auf globaler, sondern nur auf regionaler Ebene herausfordern können (z.B. Kaukasus, Zentralasien, Taiwan, Südchinesische See)
Diese neue Periode wird von einer Tendenz zu verschärfter regionaler Blockbildung geprägt sein, v.a. um die USA (NAFTA, Lateinamerika), die EU (Osteuropa, Nordafrika) und Japan (Teile Asiens). Dies bedeutet auch zunehmende Angriffe auf die unterdrückten Völker der Halbkolonien und der Versuch der verstärkten Unterordnung dieser unter das imperialistische Kommando (z.B. „Dollarisierung“, Stationierung imperialistischer Truppen bis hin zu Bildung von Protektorat a la Balkan).
Insgesamt wird die vor uns liegende Periode von einer Zunahme der weltpolitischen Instabilität gekennzeichnet sein. So wird es in Zukunft mehr Bürgerkriege und zwischenstaatliche Kriege geben, zuerst einmal in den schwächsten Kettengliedern des imperialistischen Weltsystems – den halbkolonialen Staaten. (siehe Afrika, Balkan, Kaukasus usw.)
Vor dem Hintergrund der krisenhaften kapitalistischen Entwicklung verschärft sich für das Kapital der Zwang, die Arbeiterklasse weltweit anzugreifen. In den Ländern, wo die Bourgeoisie auf betrieblicher Ebene noch nicht das Kräfteverhältnis signifikant zu ihren Gunsten verschieben konnte – v.a. in Kontinentaleuropa und Japan -, wird es zu massiven Attacken auf die Belegschaften kommen. Angesichts des Aufschwunges an Klassenkämpfen und der Wiederbelebung von Gewerkschaften, die in der Vergangenheit schwere Niederlagen einstecken mußten (AFL-CIO in den USA) können wir mit scharfen Zusammenstößen zwischen den Klassen rechnen. (…)
Vor dem Hintergrund verschärfter ökonomischer und weltpolitischer Widersprüche wird auch die Bedeutung nationaler und demokratischer Kämpfe zunehmen. Gerade weil die imperialistischen Großmächte nach immer tieferer Durchdringung und Unterwerfung der Halbkolonien (und ex-stalinistischer Staaten) drängen, aber gleichzeitig nicht eine wirtschaftliche und politische Stabilisierung dieser Regionen gewährleisten können, werden nationale Rebellionen gegen die Großmächte oder deren Handlanger zunehmen. Aus dem gleichen Grund werden die bürgerlichen Klassen mehr und mehr gezwungen sein, ihre Herrschaft mit autoritären Methoden aufrechtzuerhalten. Entsprechende Zusammenstöße mit der Arbeiterklasse (und dem Kleinbürgertum) wird die Folge sein. Diese Kämpfe können und werden sich in der einen oder anderen Form mit sozialen Protesten und Aufständen verbinden.
Dies sind die Faktoren, die internationale Konflikte bis hin zu Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen wieder ins Zentrum der Weltpolitik rücken werden. Dies sind die Faktoren, die eine revolutionäre Periode ausmachen. Dies sind die Faktoren, die den Aufbau einer neuen, revolutionären Masseninternationale dringender denn je und realistischer denn je machen. Im Feuer unzähliger Klassenschlachten, Niederlagen und Siege von Revolutionen werden neue Avantgardeschichten des Proletariats und der Jugend politisch geprägt. Vor diesem Hintergrund werden die Ideen des revolutionären Kommunismus auf fruchtbaren Boden fallen. Die neue revolutionäre Internationale wird dann die proletarische Vorhut um sich scharen können.“ [22]
iii) Die LRCI/LFI in der Periode von 2001 – 2008: Eine vorrevolutionäre Periode der imperialistischen Kriege und des Widerstands
Das Jahr 2001 erlebte den Beginn der neuen Periode in der Weltpolitik mit den Angriffen vom 11. September und dem imperialistischen Krieg gegen Afghanistan sowie auch den wachsenden Antiglobalisierungsprotesten. Diese Ereignisse zeigten, dass die imperialistische Weltordnung weniger stabil geworden war, imperialistische Kriege im Süden sollten gewohnter Anblick werden, der Massenwiderstand in den halbkolonialen Ländern stieg an und Massenbewegungen gegen die Auswirkungen des globalen Kapitalismus nahmen sogar in den imperialistischen Ländern zu. Das alles eröffnete eine neue politische Periode, die nicht mehr vom Zusammenbruch des Stalinismus dominiert war, sondern von der Offensive der Monopole und imperialistischen Großmächte und vom Massenwiderstand dagegen. Pröbsting zog daraus im Herbst 2001 den Schluss, dass diese neue Periode einen vorrevolutionären Charakter hatte, d.h. eine Periode zunehmender Widersprüche im Weltkapitalismus und verschärfter Klassenkämpfe, der an einem bestimmten Punkt in eine revolutionäre Periode einmünden würde.
Diese Charakterisierung wurde von den gesünderen Elementen innerhalb der Führung geteilt, von anderen hingegen mit scharfer Ablehnung betrachtet. Letztere waren einer konservativen, passiv propagandistischen Perspektive zugeneigt, die bereits auf ihre künftige Degeneration hinwiesen. Doch allmählich überwanden wir diesen Widerstand, zumindest oberflächlich, und auf dem Sechsten Kongress im April 2003 wurde unsere Charakterisierung übernommen. Die Quellen der Meinungsverschiedenheit blieben unterschwellig aufrecht und sollten umso schärfer zu einem späteren Zeitpunkt ausbrechen.
2001: Der imperialistische Angriffskrieg gegen Afghanistan
Unmittelbar nach den Vorfällen vom 11. September warnte die LRCI, dass der US-Imperialismus und seine Verbündeten diese als Vorwand zur “Vorbereitung eines anhaltenden Kriegs gegen die Völker der Dritten Welt, v.a. jene, die zurückschlagen” nutzen würden. Wir riefen zur Niederlage des imperialistischen Kriegszugs auf und beschlossen unsere Stellungnahme mit der Losung: “Für die Verteidigung eines jeden Staats oder jedes Volkes, das zum Ziel von Vergeltungsangriffen der USA und der NATO gemacht wird.” [23]
Als der Krieg gegen Afghanistan herannahte, gaben wir Stellungnahmen und Flugblätter mit der Schlagzeile “Verteidigt Afghanistan! Nieder mit dem Imperialismus!” heraus. Gleichzeitig verurteilten wir die Taliban als reaktionäre Kraft. Wir unterstützten ihren militärischen Widerstand, gaben ihr aber keine politische Unterstützung. Als die Imperialisten das Land erfolgreich besetzt hatten und ein Guerillakrieg zur nationalen Befreiung begann, hielten wir unseren antiimperialistischen Standpunkt aufrecht.
Das brachte uns in scharfen Gegensatz zu den meisten Zentristen, die den Aufruf zur Verteidigung Afghanistans mit der Behauptung ablehnten, dass man kein von radikalen Islamisten, wie die Taliban es sind, geführtes Land unterstützen könne. Der Pazifismus der Zentristen spiegelte ihre Anpassung an die liberale Intelligenzija und die Arbeiterbürokratie wieder, die wiederum unter dem Einfluss der gewaltigen imperialistischen PR-Kampagne “Kampf gegen den Terrorismus”, der “uns alle bedroht” stand. [24] Kurz gesagt markierten der Afghanistankrieg und die folgende Besatzung die Klassenlinie zwischen wahrhaften MarxistInnen, die einen unzweideutigen antiimperialistischen Standpunkt einnehmen und den Zentristen, die ihre Anpassung an den Imperialismus durch sozialpazifistische Phrasen kaschieren.
In den Wochen vor Beginn des Afghanistankriegs gab es bei einigen GenossInnen der Workers’ Power-Führung gewisse Schwankungen, sie nahmen keine klar antiimperialistische Position ein, d.h. Verteidigung der Taliban gegen die imperialistischen Großmächte. Doch die LRCI-Führung intervenierte und der Fehler wurde korrigiert.
Unsere Sektionen nahmen an Antikriegsmobilisierungen teil und in Österreich konnten wir erste Kontakte zu muslimischen Migrantengemeinden knüpfen. Diese Kontakte und unsere Erfahrung in der Zusammenarbeit mit diesen Brüdern und Schwestern sollten sich als unbezahlbar für unsere künftige exemplarische Massenarbeit erweisen.
In diesem Zusammenhang weisen wir auch auf die Palästina-Solidaritätsarbeit hin, die die LRCI mit Beginn der Zweiten Intifada im September 2000 startete. Einige GenossInnen gingen als Teil der Internationalen Solidaritätsbewegung nach Palästina. Wir kombinierten diese praktische Arbeit mit Propaganda für unsere langjährige Position der Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes mit dem strategischen Ziel der Zerschlagung des zionistischen Staats und seiner Ersetzung durch eine multinationale palästinensische ArbeiterInnen- und Fellachenrepublik vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer.
Wir nahmen auch an den Solidaritätsdemonstrationen mit dem libanesischen Widerstand gegen die israelischen Angriffe im Sommer 2006 teil.
2003 – 2011: Der Krieg im Irak und der Kampf gegen den Imperialismus
Wie vorhergesehen war der Krieg gegen Afghanistan nur der Beginn einer imperialistischen Offensive zur Unterwerfung des Nahen Osten. Von Herbst 2002 an bereiteten sich die USA und Britannien auf einen weiteren Krieg gegen den Irak vor. Das rief eine Massenantikriegsbewegung auf der ganzen Welt hervor, auch in den imperialistischen Metropolen. Auf ihrem Höhepunkt – dem internationalen Aktionstag am 15. Februar 2003 – demonstrierten zwischen 15 und 20 Millionen Personen auf der ganzen Welt gegen die Kriegstreiber Bush und Blair. Dieser Moment – definitiv die eindrucksvollste Massenbewegung in den imperialistischen Ländern seit 1968 – erhielt zusätzlichen Auftrieb mit dem Beginn der Angriffe durch die USA und Britanniens am 20. März. Wenngleich die Imperialisten das Land erfolgreich eroberten, sahen sich sich bald einem bewaffneten Massenwiderstand gegenüber. Ihre Besatzung wurde so kostspielig und sogar in der eigenen Bevölkerung so unbeliebt, dass die Regierungen der USA und Britannien ihre Kräfte 2011 abziehen mussten.
Basierend auf unserem antiimperialistischen Programm rief die LRCI zur Verteidigung des Irak und zur Niederlage der imperialistischen Aggressoren auf. Gleichzeitig lehnten wir jede politische Unterstützung für baathistische oder islamistische Kräfte ab. Innerhalb der Antikriegsbewegung kämpften wir gegen die reformistischen und pazifistischen Kräfte, die die UN anriefen, “eine Lösung zu finden” und gegen jene, die gleichermaßen beide Seiten, die USA/Britannien und den Irak, verurteilten.
Die Sektionen der LRCI spielten in den Massendemonstrationen gegen den Krieg eine aktive Rolle. Die österreichische Sektion konnte die exemplarische Massenarbeit am weitesten entwickeln und sollte in Antikriegsprotesten eine führende und initiative Rolle spielen. Beim SchülerInnenstreik am 20. März 2003 konnten wir auf ein beträchtliches Kontingent an SchülerInnen mobilisieren. Danach waren wir zentraler Teil einer Antikriegskoalition, die eine Reihe von Protestaktionen ins Leben rief. Der Höhepunkt war am 21. Juni 2006, als US-Präsident Bush Wien besuchte. Allein an diesem Tag initiierten wir für den Vormittag einen SchülerInnenstreik, an dem 5.000 SchülerInnen teilnahmen. Gleichzeitig rief unsere Koalition – gemeinsam mit einer reformistisch-dominierten Koalition – zu einer Massendemonstration am Abend auf, an der 25.000 Menschen teilnahmen. Kurz davor war der Autor diese Buchs von einem Gericht wegen des Anführens einer Protestaktion mit ein paar Dutzend AktivistInnen gegen eine von Zionisten organisierte kriegstreiberische Veranstaltung verurteilt worden.
Diese exemplarische antiimperialistische Massenarbeit – gemeinsam mit unseren Kampagnen und SchülerInnenstreiks gegen Kürzungen im Bildungswesen – bildete das wichtigste Gebiet, das der österreichischen Sektion die Rekrutierung neuer Schichten von AktivistInnen und den Aufbau einer nennenswerten Jugendorganisation erlaubte. Wir kombinierten scharfe Kritik der Politik diverser Reformisten und Zentristen mit einer flexiblen Anwendung der Einheitsfronttaktik. Dem ging eine unvermeidliche heftige interne Debatten zuvor zu Fragen der strategischen Neuorientierung und Methoden des Parteiaufbaus und dem daraus resultierenden Verlust einer Reihe von Mitgliedern. Doch dadurch gelang es uns eine Organisation vorzubereiten und aufzubauen, die zur Umsetzung dieser Linie bereit und fähig war. Das Ergebnis war ein rasches Wachstum sowohl der österreichischen Sektion wie auch der Jugendorganisation. Jene Mitglieder, die sich als unwillig für revolutionäres Engagement erwiesen, hatten unsere Organisation verlassen und bald ihre organisierte politische Aktivität insgesamt aufgegeben.
Revolutionäre Entwicklungen in Lateinamerika: Argentinien, Venezuela, Bolivien und die Bolivarische Bewegung
Die neue Periode fand ihren Ausdruck auch im Aufschwung des Klassenkampfs in Lateinamerika. In Argentinien riefen die kapitalistische Krise und die fortwährenden neoliberalen Angriffe im Dezember 2001 einen spontanen Massenaufstand hervor – das sogenannten Argentinazo -, der verschiedene Präsidenten binnen weniger Wochen zum Rücktritt zwang. Während dieses Aufstandes spielten die Piqueteros (arbeitslose AktivistInnen) und die proletarische Jugend eine zentrale Rolle. Eine Reihe von dem Bankrott nahen Unternehmen – darunter so bekannte wie Zanon und Brukman – wurden von ihren Beschäftigten übernommen und die Produktion wurde unter ArbeiterInnenkontrolle fortgeführt. Gleichzeitig blieben die meisten Gewerkschaften unter der Kontrolle der Bürokratien der Peronisten und der CTA, die alles taten, um diese revolutionäre Situation verdampfen zu lassen.
2002 wurde der Autor dieses Buchs zweimal als Repräsentant der LRCI nach Argentinien entsandt und verbrachte dort fast ein halbes Jahr. Während dieser Zeit arbeiteten wir mit der PTS, einer größeren trotzkistischen Organisation des Landes, zusammen. Leider wurden die Diskussionen ohne konkrete Ergebnisse beendet, weil wir unsere politischen Differenzen nicht überwinden konnten (z.B. die Anwendung der Einheitsfronttaktik gegenüber Reformisten und Gewerkschaften einschließlich der Taktik der ArbeiterInnenpartei). [25] Wichtiger noch war die prinzipielle Ablehnung der PTS, Schritte hin zu einer gemeinsamen internationalen Arbeit zu unternehmen. Das wurde von einer konservativen Tendenz innerhalb der Mehrheit der LRCI-Führung auch noch bestärkt, die sich ebenfalls unseren Bemühungen entgegenstellte, die Diskussionen mit der PTS voranzutreiben.
Rückblickend muss dieser Konservativismus scharf verurteilt werden. Er zeigte den Unwillen, sich AktivistInnen aus halbkolonialen Ländern zu nähern, in einer Zeit, in der das zu einer enormen Verbesserung der Klassenzusammensetzung der LRCI geführt hätte (d.h. zur Überwindung der Begrenztheit, die einer Organisation anhaftet, die bloß im imperialistischen Europa existiert). Fortschritte in unserer Diskussion mit der PTS hätte zu einer Fusion führen können, der möglicherweise eine Spaltung gefolgt wäre. Doch zu dieser Zeit hätte es eine eindeutige Verbesserung in der Zusammensetzung der Organisation und in der kollektiven Erfahrung ihrer Mitglieder wie auch eine bedeutsame numerische Vergrößerung bedeutet. Der Autor dieser Zeilen muss selbstkritisch bilanzieren, dass er damals nicht heftig genug und mit allen notwendigen Konsequenzen gegen den Konservativismus unter der Mehrheit der LRCI-Führung in dieser Frage angekämpft hat.
1998 kam Hugo Chavez in Venezuela an die Macht, getragen von der gewaltigen Welle des Wunsches der Volksmassen nach Überwindung ihrer sozialen Notlage. Er sah sich bald starker Feindschaft sowohl seitens der heimischen Bourgeoisie wie auch seitens des US-Imperialismus gegenüber, was im April 2002 in einen Putschversuch mündete. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts unternahm die Regierung Chavez verschiedene staatskapitalistische Maßnahmen (wie die Verstaatlichung der Ölgesellschaft PDVSA) und schuf Wohlfahrtsprogramme für die Armen (die sogenannten misiones). Er verband das mit stark antiimperialistischer und sozialistischer Propaganda – einschließlich des Aufrufs zu einer neuen Fünften Internationale – und initiierte eine kontinentumgreifende Bewegung, die oft als Bolivarische Bewegung bezeichnet wurde.
Eine ähnliche Bewegung entstand in Bolivien, wo Evo Morales 2005 zum Präsidenten gewählt worden war. Er hatte ebenso die Unterstützung der meisten Gewerkschaften, Bauerngenossenschaften und anderer Massenorganisationen. Wie in Venezuela rief sein Programm von Sozialreformen und begrenzter staatlicher Intervention in die Wirtschaft den Widerstand der rechten Parteien und der westlichen Imperialisten hervor. Später kamen in Ecuador und in Peru ähnliche Regierungen an die Macht. Zunehmend arbeiteten sie mit den aufstrebenden imperialistischen Mächten China und Russland zusammen.
Viele Reformisten wie auch Zentristen (z.B. das IMT von Alan Woods) priesen die bolivarischen Regime als “sozialistisch”. Sie glaubten Chavez’ Versprechen, den “bolivarischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts” zu errichten und unterstützten die Bolivarische Bewegung. Tatsächlich waren die bolivarischen Regime nicht “sozialistisch”, sondern hatten einen bürgerlichen, linkspopulistischen Charakter. Sie repräsentieren Volksfrontregierungen, die enge Verbündete des chinesischen und russischen Imperialismus sind.
Das darf RevolutionärInnen nicht zur Ignorierung der Tatsache verleiten, dass die bolivarischen Regierungen große Unterstützung unter antiimperialistisch und sozialistisch gesinnten ArbeiterInnen und der Bauernschaft hatten. Es reicht nicht aus, einfach nur die bolivarische Volkfrontlerei anzuprangern. Deshalb argumentierte unsere Bewegung – bei gleichzeitiger scharfer Kritik an der bolivarischen Politik – für die Anwendung der Einheitsfronttaktik. Wir verteidigen die bolivarischen Regime gegen Putschpläne wie auch gegen imperialistischen Druck. Wir riefen zu gemeinsamen Aktivitäten mit diesen Kräften auf und hätten – im Falle der Gründung einer “Fünften Internationale” durch wenn Chavez 2009/10 – als revolutionäre Fraktion innerhalb einer solchen Internationale gegen die bolivarische Fehlführung zu kämpfen getrachtet. Das Ziel muss es sein, die Volksfront aufzubrechen und die ArbeiterInnenklasse als unabhängige Kraft zu konstituieren.
Die Antiglobalisierungsbewegung
Die sich verschärfenden Widersprüche der kapitalistischen Globalisierung und die imperialistischen Kriegsoffensiven riefen wachsenden Protest der Massen hervor. Die Antiglobalisierungsbewegung ging erstmals 1999 anlässlich der Verhandlungen der WTO in Seattle (USA) auf die Straße, 2001 wurde sie zur Massenbewegung. Die größten Mobilisierungen fanden bei den Treffen der großen imperialistischen Mächte – den G7-Gipfeln – statt. Hier gab es auch große Versammlungen des Weltsozialforums (WSF) bzw. des Europäischen Sozialforums (ESF).
Von besonderer Bedeutung waren die Mobilisierungen gegen die G7-Gipfel in Genua (Italien) im Sommer 2001 sowie auch in Heiligendamm (Deutschland) 2007. Beide wurden zu internationalen Massenmobilisierungen und es kam zu heftigen Zusammenstößen mit dem Repressionsapparat. Die LRCI mobilisierte beachtliche internationale Kontingente auf diese Veranstaltungen. Besonders errinnerungswürdig waren die Tage der Straßenkämpfe in Genua, als der junge Aktivist Carlo Giuliani von Carabinieri ermordet wurde. Am Tag nach dem Mord nahmen 400.000 Menschen an einem Massenprotest teil. In diesen Mobilisierungen und Schlachten bewiesen wir, dass wir zu einer Organisation geworden waren, die nicht nur gute Propaganda verbreiten, sondern auch die nötigen Taten setzen konnte. Zwei unserer GenossInnen wurden im Zuge dessen verhaftet – darunter der Autor der vorliegenden Zeilen.
Es gab auch verschiedene ESF-Konferenzen, an denen wir mit nennenswerten Delegationen teilnahmen. Auf diesen Konferenzen argumentierten wir für eine an der ArbeiterInnenklasse orientierte Strategie und für kämpferische Mobilisierungen. Wir stellten den reformistischen und kleinbürgerlichen Führungen, die jedwede demokratische Struktur ablehnten, die Perspektive einer organisierten und demokratisch kontrollierten Bewegung entgegen. Die reformistischen Kräfte – hauptsächlich eine Koalition der ex-stalinistischen Partei der Europäischen Linken mit einigen Gewerkschaftsbürokraten und kleinbürgerlichen Führungspersonen der “Zivilgesellschaft” und mit Unterstützung von Zentristen wie der IST unter Cliff – wollten ungestört ihre politischen Manöver im Hinterzimmer durchziehen. Eines der Werkzeuge der Reformisten war dabei das sogenannte “Konsensprinzip”, was bedeutete, dass Entscheidungen nur dann getroffen werden konnten, wenn jeder im Raum ihnen zustimmte. Das ermöglichte den Bürokraten, unangenehme Entscheidungen zu verhindern.
Innerhalb der LRCI-Führung hatten wir eine kontroversielle Diskussion über den Charakter der Antiglobalisierungsbewegung. Pröbsting argumentierte für Unterstützung und Teilnahme an der Bewegung als revolutionäre Opposition bei gleichzeitiger Klarstellung des die Klassengrenzen verwischenden Wesens der Bewegung aufgrund der starken Präsenz der kleinbürgerlichen Kräfte der “Zivilgesellschaft”. Er bezeichnete die Bewegung als “Antiglobalisierungsbewegung”. Die Mehrheit der LRCI-Führung hingegen bagatellisierte den widersprüchlichen Klassencharakter und sah die Bewegung als “antikapitalistische Bewegung”. Das legte fälschlicherweise nahe, dass die Bewegung zumindest subjektiv gegen den Kapitalismus selbst gerichtet war. Doch das war definitiv nicht der Fall, die Erklärungen des Sozialforums und das Bewusstsein vieler AktivistInnen sprachen sich vorwiegend gegen Neoliberalismus und Krieg aus, aber nicht gegen den Kapitalismus per se. Diese Differenzen führten innerhalb der LRCI-Führung gelegentlich zu Konflikten bezüglich der Taktik, die gegenüber der Führung des Sozialforums eingeschlagen werden sollte. Nicht alle LRCI-Führer waren etwa damit glücklich, als wir – und eine Reihe von AntikriegsaktivistInnen – auf der ESF-Konferenz in London 2004 dagegen protestierten, als die Organisatoren einen Führer der irakischen Kommunistischen Partei als Sprecher eingeladen hatten. Wir waren dagegen, weil seine Partei von Beginn an Teil der Verwaltung der US-Besatzung im Irak war. Zur Empörung der SWP/IST-Führung, die seine Anwesenheit verteidigte, verunmöglichte unser Protest die Rede des irakischen KP-Führers.
Die Krise des Reformismus und die Taktik der Neuen ArbeiterInnenpartei
Die Verschärfung der Klassenwidersprüche und die neoliberale Politik der sozialdemokratischen Parteien in Europa brachten eine Krise und den Niedergang des Reformismus hervor. Das führte zur Bildung neuer reformistischer oder zentristischer Parteien links von der Sozialdemokratie. Bemerkenswert darunter waren die Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) in Frankreich, RESPECT geführt von George Galloway in Britannien und die Linkspartei in Deutschland. Später erlebte auch die ex-stalinistische Partei der Europäischen Linken (PEL) in einigen Ländern einen Aufschwung (SYRIZA in Griechenland, Izquierda Unida in Spanien), wohingegen sie sich in Italien dadurch schwer diskreditierte, als die Rifondazione Comunista die neoliberale Volksfrontregierung von Romano Prodi unterstützte und für die Teilnahme an der italienischen Besatzung Afghanistans sowie für Pensionskürzungen stimmte.
Die LRCI antwortete auf die Krise der Sozialdemokratie, indem sie die Taktik der Neuen ArbeiterInnenparteien anwendete, d.h. den Aufruf an Gewerkschaften und fortschrittliche AktivistInnen, mit der Sozialdemokratie zu brechen und sich im Aufbau einer Neuen ArbeiterInnenpartei zu vereinigen. Wir argumentierten, dass eine solche Partei ein revolutionäres Aktionsprogramm aufweisen müsse. Wir machten auch klar, dass wir die Annahme eines solchen Programms nicht als Vorbedingung für unsere Teilnahme an der Gründung betrachteten. Wir kritisierten die reformistischen und zentristischen Führungen der neuen Parteien links von der Sozialdemokratie, deren strategische Orientierung gewöhnlich mehr an Wahlen ausgerichtet war als am Aufbau einer Massenpartei über Beteiligung von und Mobilisierung für Massenkämpfe.
Während unsere britischen GenossInnen sich nicht an der RESPECT-Partei von George Galloway beteiligten, waren unsere deutschen GenossInnen einige Zeit in der WASG tätig (die später mit der ex-stalinistischen PDS zur Linkspartei fusionierte) und französische GenossInnen waren Teil der NPA.
Im Sommer 2008 initiierte die österreichische Sektion gemeinsam mit verschiedenen zentristischen und linksreformistischen Gruppen (z.B. das CWI, Stalinisten, türkische Migrantengruppen, frühere Sozialdemokraten) eine linke Wahlliste, nachdem die österreichische Sozialdemokratie von einer schweren internen Krise betroffen war.
Das Wahlbündnis scheiterte, doch es ermöglichte uns die Rekrutierung einer Reihe Jugendlicher und Werktätiger und trug durch die Debatten, die wir im Wahlbündnis hervorriefen, zur Schulung unserer Mitglieder wie auch unseres Umfeld bei. Wir erhielten dadurch auch einige Bekanntheit, als unsere Spitzenkandidatin Nina Gunić auf einer Pressekonferenz die “Enteignung der Superreichen” forderte. Diese antikapitalistische Losung provozierte nicht nur Aufschreie unter bürgerlichen Kommentatoren, sondern auch unter reformistischen und zentristischen Kräften innerhalb des Wahlbündnisses. [26]
Interne Debatten und Spaltung 2006
Auf dem Sechsten Kongress 2003 diskutierte die LRCI die Losung der Gründung der Fünften Internationale. Wir argumentierten, dass das “trotzkistische” Milieu einmal mehr bewiesen hatte, dass es völlig unfähig sei, den Herausforderungen des Klassenkampfes mit der Bereitstellung revolutionärer Antworten entgegenzutreten. Wir erklärten, dass es nötig sei, sich an neuen Schichten von ArbeiterInnen und Jugendlichen zu orientieren, die über keine “trotzkistische” Bildung verfügten. Wir verstanden die Losung der Fünften Internationale auch als Anwendung der Taktik der Neuen ArbeiterInnenpartei auf internationaler Ebene, d.h. die Annäherung an radikale, linksgerichtete Teile der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten, die nach einer politischen Alternative Ausschau hielten.
Eine nennenswerte Minderheit unserer Strömung war gegen diese Losung. Das tat sie, weil sie unsere Orientierung auf neue und radikalisierte Schichten von Werktätigen und Jugendlichen ablehnte und die Hinwendung zur traditionellen Linken und traditionelle Gewerkschaftskreise bevorzugte. Letztlich wurde die Losung der Fünften Internationale mehrheitlich angenommen und unsere Organisation in “Liga für die Fünfte Internationale” (LFI) umbenannt.
Außerdem diskutierten und beschlossen wir angesichts der Tatsache, dass Anfang der 2000er Jahre eine neue Periode begonnen hatte, ein neues Programm. [27]
Die Verschärfung der Klassenwidersprüche und -kämpfe eröffnete die Gelegenheit, sich Massenbewegungen zuzuwenden und neue Schichten junger AktivistInnen zu rekrutieren. Die LRCI war dabei in einigen Ländern sehr erfolgreich (Österreich, Deutschland, Britannien), während in anderen sich die GenossInnen als nicht dazu imstande erwiesen, die Gruppe aufzubauen und über Jahre stagnierten (Schweden, Tschechische Republik, Frankreich).
Alles in allem war es offensichtlich eine positive Entwicklung. Allerdings verschärfte diese Entwicklung die Spannungen innerhalb der Organisation zwischen der konservativen Minderheit, die eine passiv-propagandistische Ausrichtung bevorzugte, und jenen, die die Orientierung auf aktuelle Kämpfe und Rekrutierung neuer AktivistInnenschichten unterstützten. Die meisten Gegner der Losung der Fünften Internationale sollten in der britischen Sektion bald darauf einen Fraktionskampf beginnen, der die innerparteilichen Diskussionen 2004-06 beherrschte.
Die Minderheit, die sich später als Tendenz und dann als Fraktion konstituierte, griff die Taktik der Neuen ArbeiterInnenpartei an und stellte bald unsere gesamte Einschätzung der Periode in Frage. Sie beeinspruchten unsere Charakterisierung der Periode als “vorrevolutionär”. Sie behauptete, dass der Kapitalismus in den 1990er Jahren eine “lange Welle des Aufschwungs” erreicht hätte, in der die Produktivkräfte wachsen würden. Sie prognostizierten, dass dieser Aufschwung bis etwa 2015 andauern würde. Sie bezichtigte uns des “Katastrophismus”, weil wir festhielten, dass die Globalisierung die Widersprüche der kapitalistischen Weltwirtschaft vertieft – und nicht verringert – hatte. Für uns war klar, dass Chinas Aufstieg in der Weltwirtschaft nicht zu einem neuen Aufschwung führen würde, sondern vielmehr die Rivalität zwischen den Großmächten verstärkt. Pröbsting schrieb mehrere längere Dokumente, in denen er darlegte, dass die globale Perspektive dieser Minderheit sowohl empirischen Tatsachen wie auch Lenins Imperialismustheorie völlig widersprach. Wie er schrieb, “ent-leninisierten” sie den Leninismus. Ihre gesamte Perspektive war bezüglich des Kapitalismus optimistisch und hinsichtlich des Klassenkampfs und Parteiaufbaus pessimistisch.
Schließlich spaltete sich die Fraktion, die die Hälfte der Mitglieder der britischen Sektion umfasste, aber nur wenig Einfluss in der restlichen LFI hatte, im Sommer 2006 ab. Ebenso bildeten im Mai 2006 eine Handvoll Mitglieder der österreichischen Sektion eine Fraktion mit einer ähnlich passiv-propagandistischer Ausrichtung. Sie spalteten sich bereits nach wenigen Wochen ab.
Die Zukunft dieser Fraktion war eher tragisch-komisch. Ihre Weltlageeinschätzung betreffs des “langen Aufschwungs bis 2015” fand zwei Jahre nach der Spaltung mit der größten Rezession seit 1929 und dem Beginn einer neuen Periode des kapitalistischen Niedergangs ein trauriges Ende. Sie gründeten eine Gruppe mit dem Namen “Permanent Revolution”, die national beschränkt war, publizierten ein paar Ausgaben einer Zeitung und lösten sich letztlich 2013 auf. Das österreichische Gegenstück hatte sich schon weniger als ein Jahr nach der Spaltung aufgelöst und vom organisierten politischen Leben verabschiedet. Bezeichnenderweise bedauerten der rechte Flügel der LFI und wesentliche Elemente der britischen Sektion später den Kampf gegen diese verrotteten Elemente.
Überraschenderweise fanden es unsere britischen GenossInnen schwierig, auf die absurden Behauptungen der Fraktion zum Charakter der Periode und der Weltökonomie zu antworten, obwohl sie die Zurückweisung der Taktik der Neuen ArbeiterInnenpartei durch ebendiese korrekt kritisierten. Bis kurz vor der Spaltung im Sommer 2006 waren alle Dokumente zu diesem Thema von Pröbsting verfasst worden. Die Methode der konservativen Minderheit aber auch die Lähmung der Mehrheit der GenossInnen zeigten, wie tief der angelsächsische Empirizismus und Eklektizismus in der britischen Sektion reichte. Die Folge davon war, dass in der gesamten Geschichte der LRCI es kaum Artikel oder Debatten zur, geschweige denn ein allgemeines Verständnis der marxistischen Philosophie gab. Es stellte sich heraus, dass die meisten führenden GenossInnen nichts von den philosophischen Debatten in der Sowjetunion in den 1920er Jahren - vor dem endgültigen Triumph des Stalinismus – wussten, vor allem nichts über die führende philosophische Schule der materialistischen Dialektiker um Abram Deborin, Iwan K. Luppol und N.A. Karew. [28] Die österreichische Sektion veröffentlichte in ihrem theoretischen Journal einige Artikel zur marxistischen Philosophie, doch das war offensichtlich nicht genug.
Eine weitere Einsicht aus dieser Debatte war die Erkenntnis des weitverbreiteten Eklektizismus unter den britischen GenossInnen in der Frage der marxistischen politischen Ökonomie. Dies zeigte sich in den frühen 1990er Jahren in Seminaren zur politischen Ökonomie, als verschiedene führende britische GenossInnen mit Ben Fine und seiner Zurückweisung des marxistischen Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate sympathisierten. Andere wie Dave Brown und deutsche und österreichische GenossInnen verteidigten richtigerweise den orthodoxen marxistischen Standpunkt einschließlich der Theorie des Zusammenbruchs (wie schon zuvor von Leo Trotzki und Henryk Grossmann). In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wurden reformistische Ökonomisten wie David Harvey unter den britischen GenossInnen populär. Die Leugnung der Wichtigkeit marxistischer Philosophie führte zu ernsthaften Schwächen in der Anwendung der marxistischen Methode im Bereich der Ökonomie (und nicht nur hier!).
Diese Probleme zeigten sich auch in den langen und teilweise scharfen internen Debatten, die wir rund um die Produktion des Buchs hatten, das 2008 unter dem Titel “The Credit Crunch” veröffentlicht wurde. Es gab eine ein Jahr lang andauernde Kontroverse zu Pröbstings Essay “Imperialism, Globalization and the Decline of Capitalism” – das Teil dieses Buchs ist. Sie wurde ausgelöst durch die Ablehnung von Pröbstings – in den Augen verschiedener führender GenossInnen – “kühnen” Behauptung, dass der Kapitalismus sich im Niedergang befinde und dass die Produktivkräfte stagnieren würden. [29] Letztendlich bewegten sich die britischen GenossInnen und näherten sich unserem Verständnis an, doch diese lange und kontroversielle Diskussion war kein Zufall. [30]
Es ist ironisch und komisch, dass Pröbstings angeblich so “kühne” Behauptung bald durch den Beginn der historischen Krise des Kapitalismus 2008 bewiesen werden sollte – was allerdings bei unseren Kontrahenten keinerlei Selbstkritik hervorrief.
Ein weiterer Ausdruck dieser Schwäche war das Versagen der LRCI/LFI – trotz entsprechender Pläne seit den frühen 1980ern – in der Weiterentwicklung der Imperialismustheorie Lenins und deren Anwendung an die modernen Bedingungen. Im Rückblick ist es angesichts der vorhandenen Schwierigkeiten im Verständnis der Imperialismustheorie nicht überraschend, dass die GenossInnen sich selbst nicht in der Lage sahen, diese Pläne zu erfüllen.
All diese Schwierigkeiten zeigten, wie wichtig es für eine bolschewistische Organisation ist, eine solide theoretische marxistische Basis in marxistischer Philosophie und politischer Ökonomie zu haben.
Wachstum… und Vorboten künftiger Probleme: Klassenzusammensetzung, Orientierung und unser Kampf gegen den Aristokratismus
Die Spaltung im Jahr 2006 führte zu einer Verminderung der Mitgliederzahl der Organisation. Die Organisation war dadurch jedoch geeinter, versehen mit einer klaren politischen wie auch organisatorischen Perspektive für ihren künftigen Aufbau. Das legte die Basis für das folgende Wachstum in Österreich, Britannien und Deutschland. Wir wurden nicht nur nummerisch gestärkt, sondern erhielten auch frische und dynamische Kräfte in unseren Reihen – einschließlich einiger talentierter junger Kader. Der Erfolg stellte sich als zwiespältig heraus, da eine große Anzahl dieser neuen Rekruten Universitätsstudenten oder Jugendliche mit Orientierung auf die akademische Welt waren. Das brachte kleinbürgerlichen ideologischen Einfluss und ebensolche Denkweisen, die schick in der fortschrittlichen akademischen Welt waren (z.B. Skeptizismus, Postmodernismus und Eklektizismus), in die Organisation und verschärfte bereits bestehende Probleme.
Wir erkannten bald die potenziellen Schwierigkeiten und den Bedarf, ihnen entgegenzutreten, um die Organisation enger an die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten heranzuführen. Angesichts der steigenden Anzahl von MigrantInnen in der europäischen ArbeiterInnenklasse und der prominenten Rolle muslimischer MigrantInnen in der Antikriegsbewegung erkannten wir die Wichtigkeit dieser Frage. Almedina “Nina” Gunić, eine bosnische Genossin mit Migrationshintergrund und Führerin der österreichischen Sektion, spielte eine wesentliche Rolle in der Anregung der Diskussion zu diesem Thema. Mit ihrem Rat und ihrer Erfahrung schrieb der Autor dieser Zeilen Ende 2005 einen ersten Entwurf der Thesen zur Migration und die Strategie der revolutionären Integration. [31] Eine Konferenz der österreichischen Sektion im Jänner 2006 stimmte den grundlegenden Aussagen dieser Thesen zu und verabschiedete verschiedene Losungen. Diese umfassten die Anwendung der alten bolschewistischen Losung des “Rechts auf Verwendung der eigenen Muttersprache”, was die Abschaffung der offiziellen Amtssprache und das Recht nationaler Minderheiten auf den Gebrauch ihrer Erstsprache bei Behörden wie auch in Schulen und Universitäten miteinschloss. Diese Position stand natürlich in scharfen Gegensatz zu dem tiefsitzenden Sozialchauvinismus der offiziellen ArbeiterInnenbewegung. Die meisten Zentristen betrachteten es als die beste Option, MigrantInnen zum Erwerb der deutschen Sprache zu drängen, so dass sie sich besser eingliedern können. Das war nebenbei einer der größeren Konflikte, die wir mit dem CWI und den Stalinisten in unserem Wahlbündnis in Österreich im Sommer 2008 hatten.
Eine weitere Schlussfolgerung, die wir aus diesen Diskussionen zogen, war die Notwendigkeit für die Sektionen der LRCI und ihrer Jugendorganisationen in Europa, ganz bewusst MigrantInnen, insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund zu gewinnen. Wir argumentierten, dass die Sektionen wie auch ihre Führungen die Zusammensetzung der multinationalen ArbeiterInnenklasse widerspiegeln sollte. Während Österreich dabei erfolgreich war – Mitglieder und Führung hatten immer einen MigrantInnenanteil von 20-40% -, konnten die anderen europäischen Sektionen kaum MigrantInnen oder entsprechende Jugendliche gewinnen. Zum Beispiel rekrutierte die britische Sektion während ihrer gesamten Geschichte seit den 1970ern fast keine schwarzen und asiatischen GenossInnen. [32]
Ähnlich kritisierten wir die Tatsache, dass die LFI viel zu wenig weibliche Mitglieder hatte und noch weniger weibliche Führungspersonen. 2010 waren nur 18% der LFI-Mitglieder in Europa Frauen und die einzige Frau im Internationalen Exekutivkomitee war unsere Genossin Nina Gunić. [33] Wir erklärten, dass die LFI es zur Priorität machen müsse, mehr Frauen zu gewinnen – besonders aus der ArbeiterInnenklasse – und Frauen zu Führerinnen zu entwickeln. Natürlich stimmten dem alle bei jeder Gelegenheit zu … doch es änderte sich nichts.
Als Ergebnis unserer ernsthaften Bemühungen in der Rekrutierung von Frauen initiierten wir ein “Revolutionäres Frauenkollektiv”, woraus später eine “Revolutionäre Frauenorganisation” wurde. Am Höhepunkt unserer Arbeit war unsere Frauenorganisation Teil einer breiten Einheitsfront in einer Demonstration für gleiche Rechte im März 2011. Mehr als 10.000 Frauen und Männer nahmen an dieser Demonstration teil und Genossin Nina Gunić war unter jenen, die dort eine Rede hielten. Unsere Frauenorganisation traf auf heftigen Widerstand innerhalb der LFI und kurz, nachdem wir im April 2011 ausgeschlossen worden waren, wurde diese auch aufgelöst.
Unser Verständnis für die Dringlichkeit und die bewussten Bemühungen zur Gewinnung von MigrantInnen (inklusive Jugendliche) zu unternehmen, war Teil einer allgemeinen strategischen Perspektive, von der wir die GenossInnen in der LFI überzeugen wollten. Wir erklärten, dass je mehr die Klassenwidersprüche und Kämpfe sich verschärften, es umso wichtiger wird, dass die LFI ihre Zusammensetzung ändert und proletarischer wird. Wir erklärten, dass, um im Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei voranzukommen, wir eine Organisation mit zumindest einem hohen Anteil an revolutionären ArbeiterInnen und Unterdrückten werden müssten. Wir betonten, dass wir uns bei der Gewinnung von ArbeiterInnen und Arbeiterjugendlichen nicht auf die Arbeiteraristokratie, sondern auf die unteren und mittleren Schichten hin orientieren müssten. Das Problem der LFI war nicht nur, dass sie keine MigrantInnen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gewinnen konnte, sondern dass sie überhaupt kaum ArbeiterInnen (außer aus den privilegierteren und gebildeteren Schichten) oder Arbeiterjugendliche gewinnen konnten. Die GenossInnen hatten ein Klassenproblem, konnten es aber nicht zugeben.
Wir erhoben die Kritik, dass die LFI in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung – vorwiegend Intellektuelle, Universitätsstudenten und Arbeiteraristokraten – nicht imstande wäre, die Herausforderungen des Klassenkampfs zu meistern. Außerdem betonten wir, dass wir bewusste Anstrengungen unternehmen müssten, um mehr Arbeiter, Migranten und Frauen in die Führung zu bringen.
Einige GenossInnen in der internationalen Führung stimmten unseren Vorschlägen gelegentlich zu, viele protestierten und manchmal – wie bei einem internationalen Leitungstreffen im März 2008 – rief es heftige Zusammenstöße hervor. Unser Vorschlag auf dem LFI-Kongress 2010, bewusst Arbeiter-, Migranten- und Frauenkader zu entwickeln und sie gegenüber kleinbürgerlichen Intellektuellen positiv zu diskriminieren, rief ebenso heftige Polemiken, um nicht zu sagen Aufschreie hervor. Unser Vorschlag wurde letztlich auf dem Kongress mit 36% zu 64% der Stimmen abgelehnt.
Im Zusammenhang damit argumentierten wir – seit 1995 in der österreichischen Sektion und systematischer für die gesamte LRCI seit 2000 -, dass die Sektionen nicht nur nach Wachstum streben dürfen, sondern auch tiefere Wurzeln in der ArbeiterInnenklasse und bei den Unterdrückten schlagen müssen. Dazu müssen sie ihre Rolle als reine Propagandagruppe überwinden und kämpferische kommunistische Organisationen werden, die – zusätzlich zur Propaganda – Agitation und exemplarische Massenarbeit betreiben.
Gelegentlich erhielten wir platonische Unterstützung für diese Ausrichtung, öfter hörten wir, dass eine solche Veränderung der LFI-Sektionen nicht möglich sei. Über die Jahre hinweg zeigte die österreichische Sektion, dass es möglich war. Im Rückblick auf die Periode seit 2003 war die österreichische Sektion – trotz unvorteilhafter Klassenkampfsituation – die erfolgreichste der europäischen LFI-Sektionen in der Umsetzung exemplarischer Massenarbeit und in der Rekrutierung aus diesen Kämpfen heraus. Und dies ging keineswegs auf Kosten unserer Propagandaaufgaben: wir hatten eine monatliche Zeitung, ein theoretisches Journal und publizierten eine Reihe von Broschüren.
Zusätzlich zur schon erwähnten Antikriegsarbeit nahm die Sektion und ihre Jugendorganisation die Arbeit in Schulen auf, mit Schwerpunkt auf Kampagnen gegen Kürzungen im Bildungsbereich. Unsere Jugendarbeit erreichte im April 2009 einen neuen Höhepunkt, als wir eine Serie von Schulstreiks gegen Bildungskürzungen initiierten. Am ersten und am zweiten Streik beteiligten sich jeweils 1.500 Wiener SchülerInnen. Nach diesen Erfolgen sprangen fast alle Jugendorganisationen auf (sogar die konservativen) und letztlich gingen in Österreich 60.000 SchülerInnen auf die Straße – der größte SchülerInnenstreik in der Geschichte des Landes.
Weiters intensivierten wir unsere Arbeit mit den MigrantInnen. Wir waren aktiver Teil der Solidaritätskampagne mit dem palästinensischen Befreiungskampf und arbeiteten mit muslimischen MigrantInnen zusammen sowohl während des Gaza-Kriegs 2008/09 wie auch beim Protest gegen den zionistischen Mord an türkischen SolidaritätsaktivistInnen im Juni 2010. Wir gewannen dafür viel Respekt und konnten – trotz unvermeidlicher Zusammenstöße mit konservativen Führungsfiguren – mehrfach tausende MigrantInnen auf diesen Demonstrationen erreichen und erhielten oft begeisterte Rückmeldung. [34]
Es gab eine Gelegenheit, bei der die britische Sektion und ihre Jugendorganisation ebenfalls in der Position waren, eine gewisse Rolle im Klassenkampf zu spielen. Dies geschah während der Studentenbewegung 2010. Doch verfolgten sie keinen unabhängigen und kommunistischen Kurs und konnten keine neuen Mitglieder gewinnen. Am Ende beschleunigte ihre führende Rolle in der Studentenbewegung nur noch die opportunistische Annäherung ans kleinbürgerliche Milieu.
Wir erklärten, dass wir Organisationen aufbauen müssen, die – bis zu einem bestimmten Grad und auf exemplarischen Gebieten – eine gewisse Rolle im Klassenkampf spielen können. Die GenossInnen verstanden nicht, dass die Schwäche unserer Klassenzusammensetzung – zu wenige Arbeiter und proletarische Jugendliche, Migranten und Frauen – mit dem Konzept der Konzentration auf intellektuelle propagandistische Aufgaben in Zusammenhang stand. Die LFI hatte eine interne Kultur, in der GenossInnen, die über marxistische Theorie Bescheid wussten oder wohlformulierte Artikel schreiben konnten, hochangesehen waren (“ein vielversprechender Kader”), während GenossInnen mit proletarischen Hintergrund, die ArbeiterInnen und Unterdrückte ansprechen, bei praktischer Arbeit helfen oder organisieren konnte, nie dieselbe Wertschätzung erfuhren. Außerdem versuchten sie nicht einmal, die Entwicklung der ArbeitergenossInnen zu Arbeiterintellektuellen zu unterstützen. Viel mehr ging ihr Bestreben dahin, viele Intellektuelle aus der Mittelschicht, die die Propaganda- und Theoriearbeit führen wollten, zu rekrutieren.
Später nannten wir dieses Problem “Aristokratismus”, d.h. eine politische und praktische Ausrichtung, auch im Parteiaufbau, auf Intellektuelle, Studenten und Arbeiteraristokraten.
Die Führung wies die Idee, dass eine schlechte Klassenzusammensetzung für die LFI ein Problem wäre, brüsk zurück. Sie behauptete, dass in kleinen Organisationen derartige Zusammensetzungen notwendig und unvermeidlich wären. In einem Brief argumentierte die Führung der deutschen Sektion, dass die soziale Zusammensetzung der kämpfenden Propagandagruppe wie der LFI-Sektionen einen „überdurchschnittlich viele Studierende oder besser ausgebildete, politische interessierter ArbeiterInnen umfassen wird (FacharbeiterInnen).“[35] Das war so, meinten sie, “der vorherrschenden Bedeutung der Propaganda.” Die österreichischen UnterstützerInnen der LFI-Mehrheit argumentieren ähnlich in einer Stellungnahme: “Es ist vollkommen natürlich, dass kämpfende Propagandagruppen mit sehr hohen Anforderungen an eine Mitgliedschaft tendenziell nicht von den untersten Schichten dominiert sind.” [36] Nach der Spaltung betonten sie die vorherrschende Rolle von Intellektuellen in den kommunistischen Vorparteiorganisationen noch mehr:
„Der Kern der marxistischen Strategie für die Erlangung des Sozialismus war stets die Erkenntnis, die theoretischen Errungenschaften der sozialistischen Bewegung, die in der Geschichte von Intellektuellen erarbeitet worden sind, mit den führenden Elementen der eigenen ArbeiterInnenorganisationen und -bewegungen zu verschmelzen. Unterschiedene Etappen oder Phasen sind in diesem Verschmelzungsprozess in der Geschichte beobachtbar. Es beginnt mit einer sehr kleinen Anzahl von revolutionären Intellektuellen, die sich der Sache der ArbeiterInnenklasse verschrieben haben und eine ideologische Strömung formen. Ihre erste Aufgabe besteht in der Verbreitung eines revolutionären Programms in der Arbeiterklasse. Propagandagruppen bilden dann ArbeiterInnenkader und Kaderparteien heraus, die vorwiegend aus ArbeiteraktivistInnen bestehen und eine anerkannte politische Strömung innerhalb der ArbeiterInnenklasse darstellen. Das Stadium einer revolutionären Massenpartei ist erreicht, wenn ein erfolgreiches Eingreifen einer Kaderpartei in einer zugespitzten gesellschaftlichen Krise darin mündet, die Führung von entscheidenden Teile der Gesamtklasse zu übernehmen.“ [37]
Mit anderen Worten erfordert der Kampf für die Interessen der ArbeiterInnenklasse mit einem kommunistischen Programm “Bildung”, d.h. bürgerliche Bildung. Daher ist es, gemäß der LFI-Führung, für die Masse der globalen ArbeiterInnenklasse – v.a. in der halbkolonialen Welt –, die über relativ weniger Bildung verfügt, schwierig, den Anforderungen des Typs kommunistischer Organisation, wie ihn die LFI aufbauen will, gerecht zu werden. Andererseits sind, gemäß LFI-Führung, die gut ausgebildeten Intellektuellen und Arbeiteraristokraten (ein disproportional hoher Anteil davon lebt in den imperialistischen Ländern) besser geeignet, kommunistische Parteivorformen aufzubauen. Solch arroganter Nonsens hat nichts mit Marxismus zu tun! Ist es tatsächlich “nur natürlich”, dass eine Organisation zur Gründung der künftigen revolutionären Partei, die das Ziel der Befreiung der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten hat, dass diese Organisation nicht von ArbeiterInnen, Frauen, Migranten, unterdrückten Nationen geführt und nicht einmal in ihrer Zusammensetzung von ihnen dominiert wird, obwohl sie die absolute Mehrheit in der Welt bilden? Solch ein aristokratischer Standpunkt mag “nur natürlich” für das fortschrittliche kleinbürgerliche linke Milieu in den imperialistischen Ländern sein, für den Rest der Welt ist er “nur absurd”.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass unsere Bemühungen, die Arbeit der LFI auf die Gewinnung von AktivistInnen aus den unteren und mittleren Schichten der ArbeiterInnenklasse zu orientieren, gescheitert sind. Verschiedene GenossInnen waren mit dieser Orientierung durchaus einverstanden, es erwies sich jedoch für sie als schwierig – und letztlich unmöglich -, den modus operandi und die politische Kultur der Organisation so zu ändern, dass Rekrutierung und Konsolidierung neuer proletarischer Mitglieder möglich geworden wäre. Im Rückblick überschätzten wir die Möglichkeit, die GenossInnen davon zu überzeugen, die Liga praktisch (nicht nur in Worten, sondern auch in Taten) auf die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten auszurichten. Oder um es anders zu sagen: wir unterschätzten, wie sehr es das Bewusstsein der GenossInnen von ihrer Klassenlage bestimmt war, in welchem Ausmaß ihre ungünstige Klassenzusammensetzung es ihnen verunmöglichte, unsere Bemühungen mitzutragen, die Liga über bewusste Anstrengungen in unserer Massenarbeit zu proletarisieren.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und Unterdrückten waren für diese GenossInnen und ihr tägliches Leben zu weit entfernt und erschienen ihnen daher oft in absurder und illusionärer Weise. Zum Beispiel leugnete einer der früheren Führer der britischen Sektion, Luke Cooper, ein weißer Mittelschichtsintellektueller par excellence, der auf der Richmond University in London unterrichtet, vehement, dass sich ein großer Teil von MigrantInnen in seinem Land als MigrantInnen und nicht als Briten definiert. Sein Argument war, dass jeder Migrant sich selbst über spezifische, individuelle und einzigartige Begrifflichkeiten definiert, die nichts zu tun haben mit dem Verständnis anderer individueller MigrantInnen. Wenig überraschend stand Cooper in keinerlei regelmäßigem Kontakt zu MigrantInnen (zumindest nicht aus der ArbeiterInnenklasse). Es war geradezu amüsant, wie selbstbewusst die meisten Führungspersonen der LFI über die Rekrutierung und Entwicklung von ArbeiterInnen, Frauen, Migranten und anderen Unterdrückte zu Kadern sprechen, ohne dabei jemals Erfolg gehabt zu haben – und zwar nicht nur über Jahre, sondern über Jahrzehnte hinweg.
Für uns war es eine wichtige Lehre und half uns, unsere Prioriäten im Parteiaufbau klarer zu setzen und unsere neuen Mitglieder beim Aufbau der RCIT dementsprechend auszuwählen. Als Ergebnis wird unsere Organisation heute hauptsächlich von ArbeiterInnen aus der unteren und mittleren Schicht der ArbeiterInnenklasse und von ArbeiterInnen aus halbkolonialen Ländern geführt.
Wachstum in Südasien
Ein ebenso wichtiger Erfolg in den Jahren 2007/08 war, dass wir mit TrotzkistInnen in Paktistan und Sri Lanka in Kontakt kamen. Eine Gruppe mit dem Namen Socialist Party of Sri Lanka (SPSL), die sich kurz davor vom CWI abgespalten hatte, kontaktierte uns und nach Diskussionen und Besuchen schlossen sie sich der LFI an. Sie hatten eine proletarische Zusammensetzung und machten in wichtigen Bereichen wie dem Gesundheitswesen und bei den tamilischen PlantagenarbeiterInnen Gewerkschaftsarbeit. Sie hatten nicht viele tamilische Mitglieder, doch sie verteidigten unter sehr schwierigen Bedingungen – im Gegensatz zum CWI – das Recht der Tamilen auf nationale Selbstbestimmung.
Wir kamen auch in Kontakt mit einer kleinen Gruppe SozialistInnen um einen früheren Studentenkader aus der IMT-Gruppe in Pakistan. Sie war 2007/08 mit vorrevolutionären Entwicklungen konfrontiert, als eine Massenbewegung aus Rechtsanwälten und Studenten gegen die Handlungen von Armeechef und Diktator Pervez Musharraf protestierte, der verfassungswidrig den Obersten Richter des pakistanischen Höchstgerichts Iftikhar Muhammad Chaudhry seines Amtes enthoben hatte. Diese Protestbewegung sollte eine politische Krise hervorrufen, die letztlich die Diktatur Musharrafs zu Sturz brachte. Unsere GenossInnen intervenierten in die Bewegung und kombinierten Unterstützung für die demokratischen Forderungen mit einer sozialistischen Perspektive. Als Ergebnis wuchs die Gruppe im nennenswerten Ausmaß, nannte sich selbst Revolutionary Socialist Movement (RSM) und wurde zu einer Sektion der LFI.
Die RSM verfügte über eine Ortsgruppe in Kashmir (im nördlichen Teil dieser Region, da der südliche Teil von Indien besetzt und unterdrückt wird). Nach Diskussionen entwarf der Autor dieser Zeilen eine Resolution, die sich für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Kaschmir aussprach, die von der Sektion befürwortet und angenommen wurde.
Der Erfolg der Sektion in der Rekrutierung einer ganzen Schicht von Universitätsstudenten, die die Gruppe bald dominieren würden, führte zu dem Problem einer ungesunden Klassenzusammensetzung. Sie wurde empfänglich für kleinbürgerliche ideologische Einflüsse, wie bald zu sehen sein sollte.
iv) 2008-2011: das Versagen der LFI, sich den Herausforderungen der revolutionären Periode der historischen Krise des Kapitalismus zu stellen
Die große Rezession von 2008/09 und ihre Folgen hatten enorme Auswirkungen sowohl für die Weltwirtschaft wie auch für die Weltpolitik. Sie eröffnete eine neue welthistorische Periode revolutionären Charakters: die Produktivkräfte befinden sich im Niedergang, die Hauptwidersprüche zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat und den Unterdrückten, zwischen den imperialistischen Monopolen und Staaten und den halbkolonialen Völkern und zwischen den imperialistischen Plünderern selbst – all diese Widersprüche intensivieren sich in einem Ausmaß, dass das Kräftegleichgewicht ständig aus dem Gleichgewicht bringt. Die inneren Widersprüche des Kapitalismus verschärfen sich derart, dass sie unausweichlich vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen wie auch konterrevolutionäre Entwicklungen hervorbringen. Mit anderen Worten, die Steigerung der Klassenwidersprüche stellt die Machtfrage – welche Klasse beherrscht die Gesellschaft – öfter als in den vergangenen Perioden. [38] Die gegenwärtige Periode ist daher eine, in der die Zerstörung des Kapitalismus und der historische Sprung vorwärts zum Sozialismus auf der Tagesordnung steht oder – wie es Georg Lukács sagt - die von der “Aktualität der Revolution” gekennzeichnet ist. [39]
Falsches Verständnis des Charakters der Periode
Es war uns von Beginn an klar, dass diese neue revolutionäre Periode alle RevolutionärInnen einem entscheidenden Test unterziehen würde. Wir wussten, dass es vordringlich war, den Charakter der neuen Periode zu verstehen und daraus die richtigen Schlüsse für den Parteiaufbau daraus zu ziehen. Pröbsting formulierte diese Position erstmals in einer kurzen Resolution, die auf einem internationalen Führungstreffen Anfang Jänner 2009 vorgestellt wurde.
“Die neue Periode ist von einer historischen Krise des Kapitalismus gekennzeichnet. Es ist eine Periode nicht nur von einigen Jahren, sondern hat einen länger dauernden Charakter. Es ist eine Periode, in der die “Kurve der kapitalistischen Entwicklung“ (Trotzki) nach unten geht und in der die Produktivkräfte und die gesellschaftliche Entwicklung sich eher zurückentwickeln als vorwärts schreiten. Es ist eine Periode, in der kurzzeitige Boomphasen nicht ausgeschlossen, aber krisengeschüttelt sind; das vorherrschende Kennzeichen ist jedoch eine depressive Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Weltpolitik wird von wachsender Instabilität und Rivalität gezeichnet sein, denn der imperialistische Hegemon – die Vereinigten Staaten von Amerika – ist nicht mehr imstande, die Welt zu beherrschen. Angesichts dieser Krise wird die imperialistische Bourgeoisie enorme Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse und die unterdrückten Völker führen und das Ergebnis davon wird ein massiver Anstieg des Klassenkampfes sein. Deshalb wird diese Periode von einer Reihe Kriegen, vorrevolutionärer, revolutionärer und konterrevolutionärer Situationen geprägt sein. Deshalb ist die neue Periode eine revolutionäre Periode.
Die ArbeiterInnenklasse betritt diese neue Periode mit einer tiefen Führungskrise. Die offiziellen Führungen sind eng in den bürgerlichen Staatsapparat und seine Verwaltung integriert. Die revolutionären Kräfte andererseits sind extrem schwach. Doch gleichzeitig werden die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten neue Kampfverbände und neue Avantgarden bilden. Bereits bestehende Avantgardeelemente – derzeit unter reformistischer Führung – werden ihre Leitung in Frage stellen und mit ihnen in Konflikt kommen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe marxistischer RevolutionärInnen, sich an diese kämpferischen und voranstrebenden Elemente mit Propaganda und Agitation zu wenden, mit ihnen in den Kampf zu ziehen und nach der Führung zu streben, indem sie Forderungen an die bestehende Führung richten und die Einheitsfronttaktik anwenden. Unsere Aufgabe ist es, die besten Elemente der Avantgarde für den Bolschewismus zu gewinnen und zu rekrutieren. Die strategische Aufgabe der neuen Periode ist es, die revolutionäre Partei auf nationaler und internationaler Ebene aufzubauen.”
Diese Resolution – die auch Unterstützung von führenden deutschen GenossInnen erhielt – verfehlte knapp eine Mehrheit und eröffnete eine intensive und kontroversielle Debatte. Die Mehrheit – mit ihrer Basis in der britischen Sektion – argumentierte bald nicht nur gegen die Beschreibung der Periode als eine “revolutionäre”, sondern begann nun grundsätzlich sich gegen die Charakterisierung von Perioden zu wenden. Diese Gruppe der GenossInnen wies nun auch unseren Zugang der Vergangenheit zurück, in wir Perioden als “revolutionär”, “vorrevolutionär”, “übergangsweise” oder “konterrevolutionär” bezeichneten. Der Eklektizismus, den wir schon in den Jahren zuvor beobachtet hatten, erreichte nun neue und gefährlichere Ausmaße.
In den nächsten eineinhalb Jahren wurden eine Reihe von Dokumenten verfasst, sowohl von uns wie von unseren Gegenspielern, doch letztlich sollte die Gruppe der Eklektiker auf dem LFI-Kongress im Sommer 2010 eine knappe Mehrheit gewinnen.
Wenn wir die beiden Jahrzehnte voller Diskussionen um das Wesen der Periode zusammenfassen, können wir festhalten, dass wir seit den frühen 1990ern in der Lage waren, das Wesen der Dynamik jeder Periode – und damit die entsprechenden Aufgaben – korrekt zu erfassen und so den Charakter der nächsten Periode vorherzusehen. So waren wir auf die Änderungen im Klassenkampf vorbereitet, wurden nicht von Überraschungen gelähmt oder durch abrupte Umbrüche verwirrt. Wer Trotzkis Feststellung zustimmt, dass “die Stärke des Marxismus liegt in der Fähigkeit zu Prognose”, muss zum Schluss kommen, dass die Mehrheit der LFI von dieser Muse weitgehend unberührt blieb. [40]
Unser Verständnis des revolutionären Charakters der Periode blieb nicht nur auf das Feld der Theorie und Analyse beschränkt. Wir wendeten es auch auf die Gebiete der Taktik und des Parteiaufbaus an. Wir zogen den Schluss, dass angesichts des Wesens der neuen Periode als eine der historischen Krise des Kapitalismus es unvermeidlich ist, dass die herrschende Klasse große Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse führt (massive Sparpakete usw.). So argumentierten wir, dass die LFI in jenen Fällen, in denen breite kapitalistische Angriffe stattfinden, für einen Generalstreik agitieren und diese Forderung an die Gewerkschaften stellen sollte. Das wurde jedoch von der Mehrheit der LFI-Führung als “ultralinks” zurückgewiesen. Die britische Sektion ging sogar so weit, die SWP zu kritisieren, als letztere den TUC im Herbst 2010 zur Organisierung eines Generalstreiks gegen die Angriffe der Regierung aufrief!
Sie rechtfertigten ihren Opportunismus mit der Feststellung, dass KommunistInnen Taktiken fahren sollten, die auf die Politik der offiziellen Führung der ArbeiterInnenbewegung “reagieren”. Das war nun eine Position, die ihre nachtraberische Anpassung an das links-reformistische und zentristische Milieu, das sich an die Arbeiterbürokratie anpasst, widerspiegelte. Die tatsächliche Aufgabe von KommunistInnen ist es, für Taktiken einzutreten, die für die ArbeiterInnenklasse in einer bestimmten Situation objektiv notwendig sind, um den Kampf gegen die Angriffe der KapitalistInnen zu organisieren.
Falsches Verständnis der Unterdrückung von MigrantInnen und des Wesens der Arbeiteraristokratie
Wie bereits erwähnt entwickelten wir im Sommer 2010 eine ausgedehnte These zum Wesen der Unterdrückung von MigrantInnen in den imperialistischen Ländern und die revolutionäre Strategie des Befreiungskampfs.
Wir argumentierten, dass MigrantInnen in den imperialistischen Ländern national unterdrückte Minderheiten seien, die in ihrer überwiegenden Mehrheit überausgebeutete Arbeitskräfte darstellen. Als Konsequenz verteidigen wir ihre Rechte einschließlich des Rechts auf die Verwendung ihrer Muttersprache in Schulen und bei Behörden. Auf dem LFI-Kongress im Juni 2010 erhielten wir eine knappe Mehrheit (58% zu 42%) für unser Programm in dieser Frage, in dem wir für die Abschaffung der offiziellen Staatssprache und für das Recht des Gebrauchs der eigenen Muttersprache eintraten.
Trotz dieses Siegs blieb dieser Punkt höchst umstritten. Führende LFI-GenossInnen waren strikt dagegen. Sie meinten, dass MigrantInnen in Europa keine nationalen Minderheiten seien und dass ihre Assimilation in die herrschende Nation fortschrittlich wäre. [41]
Tatsächlich brachen diese GenossInnen mit unserer bisherigen programmatischen Methode. [42] auch wenn die LFI nie eine tiefere theoretische und programmatische Analyse von Migration erarbeitet hatte, hatten wir zumindest in unserem Gründungsprogramm – dem Trotzkistischen Manifest – eine weitgehend korrekte Definition des Charakters der Unterdrückung von MigrantInnen festgehalten, die die Grundlage für unsere späteren Analysen war:
“Wir bekämpfen die ‘Mini-Apartheid’-artigen Beschränkungen der demokratischen Rechte, die überall in der Welt den immigrierten Arbeitern und Arbeiterinnen auferlegt werden. Diese Beschränkungen sind Mittel, um die Überausbeutung dieser Immigranten und die Spaltung der Arbeiterklasse eines Landes entlang rassischer oder nationaler Linien zu erleichtern.”
“Zusätzlich sog der Nachkriegsboom Millionen von Arbeitern aus den Halbkolonien in die imperialistischen Kernländer, aus einer Halbkolonie in die andere und aus weniger entwickelten in höher entwickelte imperialistische Länder. Diese Wanderarbeiter und eingewanderten Arbeiter sind auch rassisch unterdrückt (…) Die rassisch Unterdrückten erleiden Diskriminierung in der Ausbildung und in allen Bereichen der sozialen Vorsorge. Sie sind bei der Arbeit einer Überausbeutung ausgesetzt.” [43]
Als Ergebnis ihres mangelnden Verständnisses der Unterdrückung von MigrantInnen konnte die Mehrheit der LFI keine konsistente Kampfstrategie für die revolutionäre Befreiung von MigrantInnen entwickeln. Sie erklärten, dass wir aktiv nur für das Recht von MigrantInnen, die Sprache der Mehrheitsnation zu lernen, kämpfen sollten, aber nicht für das gleichwertige Recht, die eigene Muttersprache in Schulen zu sprechen. Wenn sie ihre Muttersprache lernen wollten, sollten sie das in ihrer Freizeit tun. Schulen sollten diese Möglichkeit nur dann anbieten, wenn es eine offizielle Forderung der MigrantInnenorganisationen wäre. [44] Ein anderer Genosse schrieb, dass unsere Forderungen nach multilingualen Klassen “nur absolutes Chaos oder nationale Spaltung bedeuten kann”. Das ist natürlich die alte sozialchauvinistische Angst, dass, wenn MigrantInnen nicht in der Mehrheitssprache erzogen werden, das in “Spaltung und Chaos” münden würde. Tatsächlich gibt es heute schon zahlreiche vielsprachige Klassen in Wien – und das ganz ohne Chaos! [45] All diese Argumente gegen unsere Strategie der revolutionären Integration spiegelten nur die fundamentale Abgehobenheit dieser GenossInnen von der Welt der MigrantInnen und ihren Aristokratismus auf diesem Gebiet wider – bewusst oder unbewusst verteidigten sie die Privilegien der dominanten weißen Nationen.
Im Gegensatz dazu sagten wir, dass Assimilation von MigrantInnen/nationalen Minderheiten in die herrschende Nation an sich nicht fortschrittlich ist. Unter unterdrückerischen Bedingungen sollten MarxistInnen weder Assimilation noch nationale Separation als etwas an sich Fortschrittliches betrachten. Lenin argumentierte stets nicht für Assimilation, sondern für Fusion auf vollkommen freiwilliger und gleichwertiger Grundlage. Das ist natürlich nur im Sozialismus möglich. Heute ist es wesentlich, für die Einheit der vielsprachigen ArbeiterInnenklasse auf Basis eines gemeinsamen Kampfes einzutreten. Das wiederum erfordert, durchgängig für gleiche Rechte aller Unterdrückten und Ausgebeuteten zu kämpfen. Der Kampf um gleiche Rechte inkludiert auch die Forderung nach Abschaffung jedweder Bevorzugung der dominierenden Nationalität. Daher kämpften wir für die Abschaffung der Staatssprache, wie es die Bolschewiki auch taten. Letztlich wurde unsere Position mit einer 6:2-Mehrheit auf dem IEC im Dezember 2010 zurückgewiesen.
Eine weiterer Ausdruck dieses Aristokratismus war der Protest der Mehrheit der Führung der Sektion in Sri Lanka – mit Unterstützung der Mehrheit der Führung der LFI – gegen die Losung eines “Sozialistischen Tamil Eelam”. Im zweiten Teil des LFI-Kongresses in Asien im Jänner 2011 wagte es der Autor dieser Zeilen zu sagen, dass RevolutionärInnen, falls die Mehrheit der TamilInnen in Sri Lanka einen unabhängigen Staat befürworteten, die Losung eines “sozialistischen Tamil Eelam ” erheben sollten. Wir wurden für die Aufgreifung dieses Themas schwer verurteilt – laut der Mehrheit der Führung der Sektion von Sri Lanka, mit Zustimmung der Mehrheit der LFI-Führung, hätten wir uns das nur erlauben dürfen, wenn sie im Vorhinein der Diskussion dieses Themas zugestimmt hätte. Der wahre Grund für die Empörung war, dass das einzige tamilische Mitglied in der SPSL-Führung ebenso wie andere Mitglieder der Sektion diese Losung im Gegensatz zur Mehrheit unterstützte. [46] Tatsächlich wurde eine Losung, die eine grundlegende leninistische Position in der nationalen Frage darstellt – die Unterstützung der Loslösung eines unterdrückten Volkes, wenn dessen Mehrheit das wünscht – für die SPSL und die Mehrheit der LFI zum Skandal.
Diese aristokratische Abgehobenheit geht Hand in Hand mit einer unvollständigen Aneignung des leninistischen Programms zur nationalen Befreiung seitens der LFI. So traten sie gegen die Anwendung von Lenins Programm für unterdrückte Nationen auf (Autonomie, Selbstregierung, Recht auf Gebrauch der eigenen Muttersprache usw.). Sie griffen auch unser Beharren darauf, dass sich Lenins Programm an die unterdrückten Nationen, nicht an die unterdrückenden Nationen richtet, an.
Die andere Seite der Medaille des Aristokratismus der Mehrheit lag in ihrer Zurückweisung der leninistischen Position, dass die Arbeiteraristokratie eine kleine Oberschicht der ArbeiterInnenklasse darstellt, die politisch rückständig und von der Bourgeoisie bestochen ist. Sie glauben vielmehr, dass die Arbeiteraristokratie der am besten organisierte und kämpferischste Teil der Klasse ist, der seine Privilegien aufgrund seiner Kämpfe errungen hat. Die Mehrheit der LFI verwässerte Lenins Theorie, indem sie den Charakter einer bestochenen, pro-imperialistischen Schicht eliminierte und stattdessen die Privilegien der Aristokratie als Ergebnis des Kampfgeists darstellte. “Während die ‘ArbeiterInnenaristokratie’ mit der Mittelschicht hinsichtlich eines höheren Einkommens und sogar des ‘Lebensstils’ vieles gemeinsam hat, sind die Wurzeln dieser Privilegien nicht ‘Tradition’ und das Wohlwollen der Bourgeoisie, sondern der Klassenkampf des Proletariats und die Stärke der ArbeiterInnenorganisationen.” [47]
Stattdessen reduzierten sie das Konzept der Arbeiteraristokratie auf die empirische Beobachtung, dass diese besser bezahlt ist: „Im Herzen des Konzepts der ‘ArbeiterInnenaristokratie’, wie es von Lenin verwendet wird, steht die simple Idee, dass die ArbeiterInnenklasse sozial differenziert und ökonomisch geschichtet ist.“ [48]
Daraus schlossen einige LFI-Führer, dass die Arbeiteraristokratie einen großen und wichtigen Teil der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern bildete – in Diskussionen wurde dieser auf etwa ein Drittel des Proletariats geschätzt – und somit “das Kernstück der ArbeiterInnenklasse, ohne das die Revolution nicht zum Erfolg gelangen kann.”
Während die LFI-Führung den fortschrittlichen Charakter der Arbeiteraristokratie opportunistisch überschätzt, unterschätzt sie die Bedeutung der mittleren und unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und der national unterdrückten Schichten.
Diese theoretischen Differenzen waren nicht zufällig. Sie reflektierten vielmehr die lang anhaltende – de facto seit ihrer Existenzgründung Jahrzehnte davor – Isolation der LFI in Europa von den ArbeiterInnen der mittleren und unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse, den MigrantInnen, Schwarzen und anderen nationalen/rassischen Minderheiten. Eine Reihe von GenossInnen zeigte den subjektiven Willen, diese Isolation zu überwinden, doch es fehlte ihnen die theoretische Einsicht in das Problem wie auch die Bereitschaft, mit ihrer Orientierung auf das Milieu der kleinbürgerlichen Linken und Intelligenzija zu brechen. Als Ergebnis übernahm die Mehrheit immer mehr die reformistischen und zentristischen Vorurteile, verzerrte die leninistische Konzeption, entwickelte eine von der ArbeiterInnenklasse und den MigrantInnen isolierte Praxis und übernahm letztlich politisch und praktisch zentristische Positionen.
Die praktische Demonstration des Zentrismus der LFI während des Augustaufstands 2011 in Britannien
Eine deutliche Demonstration der Wandlung der LFI in eine zentristische Organisation war ihre feige und zynische Haltung angesichts des August-Aufstandes in Britannien im Jahr 2011. Während dieses historischen Ereignisses erhoben sich die untere Schicht der ArbeiterInnenklasse und die national und rassisch Unterdrückten, nachdem die Polizei Mark Duggan erschossen hatte. Gemäß Scotland Yard kämpften damals mehr als 30.000 ArbeiterInnenjugendliche, Schwarze und MigrantInnen auf der Straße gegen die Polizei und verliehen ihrer Wut zwischen dem 6. und 10. August Ausdruck. Sie zwangen die Regierung aus Tories und Liberal-Demokraten, 16.000 Polizisten auf die Straßen zu mobilisieren, um den Aufstand niederzuschlagen und sogar die Armeekräfte gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Trotz aller Beschränkungen und Schwächen war das definitiv einer der wichtigsten Klassenkämpfe in Britannien seit dem BergarbeiterInnenstreik 1984/85. Um einen aktuelleren Vergleich zu bemühen – es war eine größere Ausgabe der jüngsten Proteste und Unruhen in Ferguson nach dem Polizeimord an Mike Brown.
Die Bedeutung der Ereignisse verstehend, veröffentlichte die RCIT sofort diverse Dokumente, die die Einschätzung dieses Vorfalls und die Strategie, mit der die Avantgarde der ArbeiterInnen und Unterdrückten antworten sollten, behandelten. Zusätzlich sandte die österreichische Sektion eine Delegation von drei GenossInnen nach London. [49]
Natürlich waren während dieser Unruhen der bürgerliche Staat und die Medien voll von geheuchelter Empörung und Verleumdung gegen die aufständische Jugend. Wie erwartet fügten sich die kleinbürgerliche Linke und die Intellektuellen diesem Druck und verurteilten entweder offen den Aufstand oder blieben passiv. Die opportunistische Orientierung von Workers’ Power und der LFI auf das fortschrittliche kleinbürgerliche Milieu führte unweigerlich dazu, dass sie unter dem Druck dieses Umfelds kapitulierten.
Zu ihrer Ehrenrettung stellte sich Workers’ Power gegen die reaktionäre Verurteilung des Aufstands seitens anderer Zentristen wie CWI, Labour Linke und die Stalinisten. Doch sie betrachteten die Proteste als verständliche, sogar gerechtfertigte, aber hoffnungslose lokale Krawalle ohne Perspektive. Schlimmer noch, sie machten Zugeständnisse an die kleinbürgerliche öffentliche Meinung, indem sie die Motivation der Massen in diesem Aufstand relativierten. Sie schrieben in ihrer Stellungnahme: “Einige sind von Hass auf die Polizei und Wut auf diese Gesellschaft motiviert – andere von der Aussicht auf Plünderung ansässiger Geschäfte – einige von beidem.”[50] Während das irgendwie richtig war, nahmen sie in einer anderen Stellungnahme eineinhalb Wochen später nach dem Ende des Aufstands eine völlig passive Haltung zum ganzen Geschehen ein. [51] Sie riefen nicht dazu auf, sich den Erhebungen anzuschließen oder sie zu unterstützen; sie brachten keinerlei Agitationsmaterial heraus und sie weigerten sich selbst teilzunehmen (siehe mehr dazu weiter unten). Sie wendeten nicht die Einheitsfronttaktik an um Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zum Zusammenschluss, zur Unterstützung und Ausbreitung des Aufstands aufzurufen. Auch machten sie keinen einzigen Vorschlag an die zehntausenden Jugendlichen, wie sie den Kampf führen und ausdehnen könnten, mit Ausnahme des einzigen Satzes “Wir unterstützen Selbstverteidigung”.
Während sie nach dem Aufstand richtigerweise die ArbeiterInnenbewegung dazu aufriefen, die Armen gegen die staatliche Repression zu verteidigen, versagten sie während des Aufstands darin, dieselbe ArbeiterInnenbewegung dazu aufzurufen, ihn zu unterstützen und sich ihm anzuschließen.
Die Vernachlässigung der unteren Schichten und der national unterdrückten Teile der ArbeiterInnenklasse in Theorie und Praxis fand im August-Aufstand ihren vollen praktischen Ausdruck. Die LFI entschied bewusst, keine organisierte Intervention in den Aufstand durchzuführen, trotz der Tatsache, dass er mehrere Tage anhielt und ungeachtet der vorteilhaften Bedingungen. Für die LFI existierten nämlich tatsächlich extrem vorteilhafte Bedingungen, denn erstens fand der Aufstand in London statt, wo die LFI ihre stärkste Ortsgruppe hat. Zweitens hielt die LFI zur selben Zeit, vom 5. bis 7. August, ihre internationale Jugendkonferenz ab und zwischen dem 8. bis 12. August fand das internationale REVO-Lager nahe bei London statt. Gemäß einem öffentlichen REVO-Bericht nahmen an diesem Lager mehr als 80 Menschen teil. [52] Sie hätten leicht eine Delegation von mehreren Dutzend GenossInnen zur Intervention, Teilnahme und Diskussion in diesen Aufstand entsenden können, um gemeinsam am konkreten Kampf mit der proletarischen Jugend zu lernen. Einige junge GenossInnen schlugen auch vor, sich den Protesten anzuschließen, doch die Führung der LFI wies diesen Vorschlag unerbittlich zurück. Nach einer Abstimmung wurde den GenossInnen verboten, sich dem Aufstand anzuschließen.
Statt einer Intervention in den Klassenkampf genossen die LFI und REVOLUTION ihr Sommerlager bei London, während zehntausende Jugendliche auf der Straße kämpften! In einer öffentlichen Stellungnahme mit dem Titel “Sommer, Sonne, Sozialismus – das war heuer unser internationales Sommerlager” berichten die GenossInnen über “interessante Workshops” und die “Gelegenheit zu Sport und Freizeitaktivitäten auf dem Lagerareal”.
“Täglich verfolgten wir die Ereignisse der „Riots“ in London und diskutierten darüber Campplenum. So verabschiedeten wir zum Beispiel eine Resolution und einen internationalen Bündnisaufruf, gegen Polizeigewalt und über die Umstände der britischen Jugend. Da wir als Jugendorganisation natürlich auch gerne feiern, wurden abends am großen Lagerfeuer oder im Gemeinschaftszelt Party gemacht. Am Donnerstag war „Broken Dialect“, eine antikapitalistische Hip-Hop Crew, zu Gast und danach DJ´s, die für uns auflegten. Das Camp bot viel Raum für Mitglieder, Sympathisanten und Kontakte, um politische Diskussionen zu führen, aber auch, um neue Freundschaften zu schließen.”[53]
Wir verurteilten diese erbärmliche Haltung der LFI: “Dieser offizielle REVO-Bericht macht deutlich, was der praktische Zugang dieser Organisation zu einem Massenaufstand der unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse, der vor ihren Augen stattfindet, ist. Veröffentlicht zwei Wochen nach den Unruhen ist er nichts anderes als eine Bestätigung und Rechtfertigung des Zusammenbruchs der grundlegenden revolutionären Haltung von LFI/REVO. Diese SonntagssozialistInnen schämen sich nicht, über interessante Workshops und ihre abendlichen Parties zu berichten, während gleichzeitig die Polizei die ArbeiterInnenklassenjugend, die auf den Barrikaden kämpfte, tötete und prügelte. Und sie sind dreist genug, gleichzeitig die Losung “Mit der ArbeiterInnenjugend – gegen die Polizei” zu veröffentlichen. Welch ein Zynismus, welch ein kleinbürgerlicher Zusammenbuch jedweden auch nur in Ansätzen vorhandenen revolutionären Rückgrats! (…)
Es ist leicht, einen Aufstand der MigrantInnen in den französischen Vororten im Herbst 2005 zu unterstützen und Taktiken für sie zu entwickeln, wenn man nicht in Frankreich ist. Es ist leicht, ein Aktionsprogramm für die Revolution in Tunesien, Ägypten oder Libyen zu schreiben. Doch wenn sich ein Aufstand der unteren Schichten des Proletariats im eigenen Land, in der eigenen Stadt (!) ereignet, sind sie nicht dazu fähig, die korrekte Taktik oder irgendein revolutionäres Aktionsprogramm für die KämpferInnen anzuwenden oder es überhaupt zu entwickeln und lehnen sogar ab, sich ihnen auf den Barrikaden anzuschließen. Als der Aufstand auf dem Tahrir-Platz in Kairo stattfand, sandte die LFI zwei GenossInnen nach Ägypten, um Augenzeugenberichte zu verfassen. Als es einen Aufstand daheim gab, sandten sie nicht einmal zwei GenossInnen auf die Barrikaden, um – zumindest – Augenzeugenberichte zu verfassen, ganz zu schweigen von möglichen Interventionen. Die absolute Mehrheit der sogenannten MarxistInnen in der LFI/REVO bevorzugen programmatische Diskussionen (und Spaß), während vor der eigenen Haustür ein Aufstand stattfindet.
Was die Führung von WP/LFI/REVO nicht versteht, ist, dass der Marxismus nicht ohne Teilnahme am Klassenkampf gelernt und verinnerlicht werden kann. Natürlich kann eine kleine Propagandagruppe nicht an jedem einzelnen Kampf teilnehmen. Doch wir sprechen hier nicht über ein Bagatellereignis. Wir sprechen über einen der wichtigsten Klassenkämpfe in Britannien seit 1984/85 in Städten, in denen zu diesem Zeitpunkt WP/LFI/REVO aufgrund des REVO-Lagers bei London – insgesamt 100 Leute verfügbar hatte.” [54]
Trotzki zog einst folgende Trennlinie zwischen dem Bolschewismus und dem Zentrismus, die auch heute für die Charakterisierung der LFI sehr wichtig ist: während ersterer die Unterdrückten in ihrem Kampf unterstützt, betrachten die Zentristen das als “Abenteurertum” und beschränken sich lieber auf die Verteidigung der Unterdrückten gegen die bürgerliche Repression:
„Nichtsdestoweniger überschreitet Ledebours Position auch in dieser Frage nicht die Grenzen des Zentrismus. Ledebour fordert den Kampf gegen koloniale Unterdrückung, er wird im Parlament gegen Kolonialkredite stimmen, er wird die kühne Verteidigung der Opfer eines unterdrückten Kolonialaufstandes auf sich nehmen. Aber Ledebour wird nie teilnehmen an der Vorbereitung eines Kolonialaufstandes. Solch eine Arbeit hält er für Putschismus, Abenteurertum, Bolschewismus. Und hier liegt der Kern der Sache. Was den Bolschewismus in der nationalen Frage kennzeichnet, ist, dass er die unterdrückten Nationen, selbst die rückständigsten, nicht nur als Objekte, sondern auch als Subjekte der Politik betrachtet. Der Bolschewismus begnügt sich nicht mit der Anerkennung ihres ‚Rechtes’ auf Selbstbestimmung und mit parlamentarischen Protesten gegen die Mißachtung dieses Rechtes. Der Bolschewismus dringt tief in die unterdrückten Nationen ein, erhebt sich gegen die Unterdrücker, verbindet ihren Kampf mit dem Kampf des Proletariats der kapitalistischen Länder, unterweist die unterdrückten Chinesen, Inder und Araber in der Kunst des Aufstandes und nimmt die volle Verantwortung für diese Arbeit vor dem Angesicht der zivilisierten Henkersknechte auf sich. Hier erst beginnt auch der wahre Bolschewismus, d.h. der revolutionäre Marxismus der Tat. Was vor dieser Grenze stehenbleibt, bleibt alles Zentrismus.“ [55]
Nach dem Aufstand zogen wir den Schluss, dass Workers’ Power und die LFI den Rubikon zum Zentrismus endgültig überschritten hatten. Sie hatten einen großen Praxistest des Klassenkampfs, der – buchstäblich – vor ihrer Haustür stattgefunden hatte, nicht bestanden. Es handelte sich um einen Aufstand eines Kernbereichs der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten. Es zeigte sich, dass unsere vorangegangenen Warnungen und Kritiken zu ihrer aristokratischen Ausrichtung weg von diesen Teilen der ArbeiterInnenklasse absolut richtig waren. Nach einem Degenerationsprozess waren sie letztlich zu einer zentristischen Organisation geworden.
Versagen im Verständnis des Zentrismus und im Kampf gegen ihn
Ein weiteres grundlegendes Thema unseres innerparteilichen Kampfes war der Charakter des Zentrismus und wie er bekämpft werden sollte. In der Debatte zur IMT unter Grant behauptete der führende österreichische Genosse des LFI-Mehrheitslagers, dass sie “eine von vielen Strömungen des Marxismus” seien, wenngleich keine revolutionären MarxistInnen. Er sagte, dass einige zentristische Organisationen dem reformistischen Lager angehören würden und andere dem marxistischen. Das war eine Rechtfertigung für seine Weigerung, irgendeine Kritik zur IMT (oder einer anderen zentristischen Gruppe) anlässlich ihrer opportunistischen Rolle während eines sechswöchigen Universitätsstreiks in Wien im Herbst 2009 zu veröffentlichen.
Als die LFI noch eine revolutionäre Organisation war, verfügte sie über eine marxistische Charakterisierung des Zentrismus als eine kleinbürgerliche Strömung.
“Zweitens ist es ein Fehler zu meinen, dass der Zentrismus der Fragmente der Vierten Internationale ‘besonders’ ist, weil er ‘keine direkte Reflexion der dem Proletariat fremden gesellschaftlichen Kräfte bildet’. Jeder Zentrismus reflektiert genau das gesellschaftliche Gewicht des Kleinbürgertums, einer Schicht, die zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat schwankt. Seit die Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Ländern dank ihrer Anteile am Ertrag der Superprofite über die bequemen Lebensbedingungen des Kleinbürgertums verfügt, ist ein solches Bewusstsein nicht (wie die Theoretiker der WSL gern glauben) auf kleine Geschäftsleute oder Akademiker beschränkt. Die Geschichte der Vierten Internationale nach 1948 ist die Geschichte der Kapitulation vor diesen Kräften, entweder vor kleinbürgerlichen utopischen Programmen der Stalinisten, z.B. die chinesischen und vietnamesischen kommunistischen Parteien oder vor kleinbürgerlichen Nationalisten, z.B. Algerien, Nicaragua. Die Vermutung, dass diese Possen und Verrätereien nicht einen ‘völligen Bruch mit dem Programm des Bolschewismus’ bedeuten würden, ist eine Besudelung des Programms von Lenin und Trotzki.” [56]
Auch lehnte die LFI, als sie noch eine revolutionäre Strömung war, Charakterisierungen des Zentrismus als Spielart des Marxismus als unsinnig ab. Wir hielten als Ziele einer marxistischen Organisation fest: “Diese Fusion von Kommunismus und ArbeiterInnenbewegung kann nicht vonstatten gehen, wenn der Kommunismus bereits durch die Anpassung an bürgerliche oder kleinbürgerliche Ideologien verstümmelt worden ist. Die erste Aufgabe einer kommunistischen Parteiaufbauorganisation, die Vorbedingung ihres Erfolgs bei der Schaffung einer proletarischen Partei, muss daher die Verteidigung des Marxismus vor den unaufhörlichen Versuchen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen sein, den wissenschaftlichen Sozialismus zu revidieren und somit seines revolutionären Inhalts zu berauben. Daher ist die Verteidigung des Marxismus mit dem Mittel der Polemik gegenüber allen Varianten des Revisionismus, Reformismus, Zentrismus, Ökonomismus/Chwostismus, Stalinismus, Maoismus, Populismus, Postmodernismus, Syndikalismus, Opportunismus, des Sektierertums und des Anarchismus eine der allerersten Aufgaben der kommunistischen Parteiaufbauorganisation.” [57]
Heute “entdeckt” die LFI, dass der Zentrismus eine Spielart des Marxismus ist. Statt ihre GenossInnen zu kritisieren, griffen uns die anderen Führenden der LFI-Mehrheit für unser “Sektierertum” und unsere “Einseitigkeit” an: “Wir haben extrem einseitige und daher falsche Charakterisierungen betreffend den Zentrismus von Michael Pröbsting auf dem IEC gehört. Er sagte, dass Zentrismus ganz einfach nicht marxistisch sei oder dass sein wesentlicher Grundzug darin besteht, dass er ‘verrät’. Dieses Ausbügeln von Widersprüchen, indem nur die ‘letztendlichen’ Positionen der marxistischen Klassiker zitiert werden, könnte zu ebenso schweren Fehlern führen wie jene in die entgegengesetzte Richtung. Es ist möglich, sektiererische Fehler hinsichtlich zentristischer Gruppierungen genauso wie opportunistische Fehler zu machen.” [58] Die Mehrheit argumentierte auch, dass “das Wesen des Zentrismus seine Bewegung” sei.
Diese Stellungnahmen zeigten, dass die GenossInnen mit dem marxistischen Verständnis des Zentrismus, der zuallererst und vor allem Anpassung an die Arbeiteraristokratie und die kleinbürgerliche Intelligenz ist – einschließlich vieler Zick-Zack-Schwenks –, gebrochen haben. Es gehörte einst auch zum traditionellen Verständnis der LRCI, dass der Zentrismus nicht “eine von vielen Strömungen des Marxismus” ist. Ganz im Gegenteil verstanden wir Zentrismus als eine dem Marxismus und seiner Methode fremde Strömung.
“Außerstande, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen, fußt die theoretische Methode des Zentrismus v.a. auf Impressionismus: eine leichtfertige Entwicklung von ‘neuen Theorien’ für eine stets ‘neue’ Wirklichkeit, wobei Lehre und Methode des Marxismus mit Füßen getreten werden.” [59]
Diese Abweichung zeigte neuerlich, dass sich die LFI-Führung zunehmend an das zentristische Milieu anpasst. Nur ein Beispiel: Im Sommer 2009 – mitten in der Großen Rezession – fand eine Konferenz der Führung des Europäischen Sozialforums in Wien statt, wo gleichzeitig die LFI ihr Leitungstreffen abhielt. Wie gewöhnlich kam bei der ESF-Konferenz nichts heraus und ihre Führer beklagten ihre Ohnmacht, irgendetwas tun zu können. Als Pröbsting auf einem anschließenden internen LFI-Führungstreffen im Juni 2009 erklärte, dass das Versagen der ex-stalinistischen Partei der Europäischen Linken und der Gewerkschaften auf dem ESF zur Mobilisierung für ein Programm des Kampfs gegen die allgemeinen Angriffe der Bourgeoisie einen “Verrat” darstellten und das Versagen der Zentristen, sie dafür zu kritisieren, ihre “Feigheit” zeigte, traf er auf starken Widerstand der Führer der LFI-Mehrheit (der oben von unseren Opponenten zitierte Vorfall in der LFI betraf dieses IEC-Treffen).
In einem Internen Bulletin der LFI, das ein Jahr nach unserem Ausschluss veröffentlicht wurde, fasste die Führung zusammen, dass es ihr 2010 zunehmend klar geworden sei, dass wir “Gegner unserer (also der LFI, d. Red.) strategischen Ausrichtung” geworden wären. Das war für sie offensichtlich aufgrund von Pröbstings “einseitiger Betonung der Positionen, die er auf dem Kongress selbst darlegte, wurde aber noch klarer bei seinen Interventionen beim darauf folgenden ESF.” [60] Tatsächlich wagten es die GenossInnen Gunić und Pröbsting auf dem Europäischen Sozialforum in Istanbul im Sommer 2010, das Versagen der ESF-Führung hinsichtlich des Aufbaus einer ernsthaft kämpferischen und demokratisch strukturierten Bewegung in den vergangenen Jahren sowie bei der Mobilisierung gegen die strategische Offensive der KapitalistInnen seit Beginn der Großen Rezession zu kritisieren. Während die Führer der LFI-Mehrheit darüber verärgert waren (was sie uns natürlich nicht offen sagten), weil sie sich vor der dadurch möglichen Gefährdung ihrer “freundschaftlichen” Beziehungen zu diesen ESF-Spitzen fürchteten, erhielten unsere Reden Unterstützung und Applaus von einem beträchtlichen Teil der Teilnehmenden dieser Konferenz, die ebenso tief enttäuscht von der Inaktivität der ESF-Führung waren. Übrigens: trotz aller diplomatischen Bemühungen der LFI-Führung konnten sie aus ihrem Opportunismus keinen Vorteil erzielen, da die ESF-Bürokraten sie einfach ignorierten. Die Richtigkeit unserer Kritik war von der Realität bald bewiesen. Der Bankrott des ESF während der kapitalistischen Krise war für alle so offensichtlich – auch für sie selbst -, dass das Treffen in Istanbul 2010 das letzte sein sollte. Seither ersetzen die ex-stalinistischen Bürokraten der PEL sie durch sogenannte Altersummits (Alternativengipfel).
Uns bleibt ein nicht mehr als ein Schulterzucken angesichts der Anschuldigungen gegen unser sogenanntes “Sektierertum”. Jahrelang haben wir mit unserer exemplarischen Massenarbeit in Österreich bewiesen, dass wir – mehr als andere LFI-Sektionen - Massenarbeit leisten können ebenso wie Einheitsfrontarbeit mit Sozialdemokraten, Stalinisten, Führern von Migrantengemeinden und Zentristen. Während die Mehrheitsführung irrigerweise glaubte, dass sie die Zentristen gewinnen könnte, indem sie Kritik durch Diplomatie ersetzte, wussten wir aus langer Erfahrung, dass diese Kräfte nur dann mit RevolutionärInnen kooperieren, wenn letztere über eine Organisation, die eine kritische numerische Größe überschritten hat, verfügt.
Tatsächlich näherte sich seitdem die Mehrheitsführung der LFI dem Zentrismus an. Sie verwendet den Begriff “Zentrismus” kaum in ihrer Propaganda und bevorzugt stattdessen Kategorien wie “radikale Linke” oder “revolutionäre Linke”. Sie hoffen auf eine prinzipienlose Annäherung an die zentristischen Kräfte. Als Ergebnis schloss sich Workers’ Power nach unserem Ausschluss nacheinander diversen Projekten der “pluralistisch linken Einheit” an: zuerst dem “Antikapitalistischen Netzwerk”, danach machten sie dem “Internationalen Sozialistischen Netzwerk” den Hof und gegenwärtig setzen sie ihre Hoffnungen auf die “Linke Einheit”. [61] Die ersten beiden waren kleinbürgerliche Projekte, die bald zusammenbrachen oder - im Fall der “Linken Einheit” - zu einem äußerst reformistischen Miniwahlprojekt mit einer Zusammensetzung aus demoralisierten alten Linken und einigen postmodernistischen Universitätsstudenten degenerierten. Die deutsche Sektion orientiert sich ebenso auf einen zentristischen Zusammenschluss namens “Neuen antikapitalistische Organisation”. [62] In ihrer Stellungnahme zu unserem Ausschluss im April 2011 rief die österreichische Sektion die linken Gruppen auf, zusammenzukommen und “an einer linken Konferenz zur Diskussion und Überwindung von Differenzen” teilzunehmen. Wenig überraschend widmete nicht eine einzige linke Gruppe dem Aufruf dieser Narren auch nur die geringste Aufmerksamkeit.
Als die LRCI/LFI eine revolutionäre Organisation war, hegte sie keinen Zweifel über die Notwendigkeit des offenen Kampfs gegen alle Formen von Zentrismus. So schrieben wir im “Trotzkistischen Manifest“: “Der Kampf gegen den Zentrismus aller Schattierungen ist ein entscheidendes Merkmal beim Aufbau jeder Internationale gewesen.” [63] Es ist die Aufgabe der RCIT, diese Tradition, von der die LFI abgekommen ist, weiterzuführen.
Letztlich hat die Kapitulation der LFI vor dem Zentrismus viele Mitglieder demoralisiert und sie verlor in Folge davon zwischen 2011 und 2013 die Hälfte ihrer GenossInnen in Europa.
Spaltung, Niedergang und weitere politische Degeneration der LFI
Die Mehrheit der LFI-Führung betrachtete uns natürlich als Hindernis in ihrem Kurs zum Zentrismus. Wie bereits erwähnt, begannen sie in der zweiten Jahreshälfte 2010 im Geheimen einen Kampf gegen uns. Mit massiver Intervention von anderen Sektionen und Rekrutierung neuer Mitglieder in aller Eile gelang es ihnen, uns auf der Konferenz der österreichischen Sektionen im Februar 2011 eine Niederlage zuzufügen. In öffentlichen Stellungnahmen wurde “eine kritische Einschätzung unserer eigenen politischen Geschichte” [64] seitens der österreichischen Sektion angekündigt, die eine kritische Überprüfung zu ihrer (d.h. unserer jahrzehntelangen) bisherigen Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf gegen den Zionismus mit einschloss. Kurz, wir sahen uns einem politischen und organisatorischen Schwenk zu sowohl programmatischen Themen (Zentrismus, die Frage der Migration, Methoden der Taktik wie etwa die Anwendung der Generalstreikslosung usw.) wie auch zu Belangen des Parteiaufbaus (Orientierung auf Universitätsstudenten und Arbeiteraristokratie versus untere und mittlere Schichten der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückte) gegenüber. Wir bildeten daher eine Fraktion, die sich “Bolschewistische Opposition” nannte, um für die Wiederaufnahme der revolutionären Linie zu kämpfen und diese Themen mit der gesamten LFI zu diskutieren. Aus Angst vor einer solchen Diskussion entschieden sie sich uns möglichst rasch loszuwerden und vorsorglich auszuschließen. Dies geht auch aus einem internen Bilanzpapier, dass die LFI auf ihrem Kongress zwei Jahre nach unserem Ausschluss annahm. Darin warfen sie uns vor, dass wir als Fraktion „eindeutig prinzipienlose Manöver unternahmen um eine internationale Anhängerschaft zu gewinnen“. [65] Bezeichnenderweise haben sie uns jedoch zu keinem Zeitpunkt – weder vor noch nach unserem Ausschluss – irgendein „prinzipienlose Manöver zur Gewinnung einer internationale Anhängerschaft“ benennen können. Auch nicht in ihren Internen Bulletins nach unserem Ausschluss. Der tatsächliche Grund ist schlichtweg, dass unsere OpponentInnen fürchteten, wir könnten tatsächlich eine nennenswerte „internationale Anhängerschaft“ in der LFI gewinnen. Daher mussten sie uns so rasch wie möglich los werden.
Daher suspendierten sie uns ein paar Wochen nach Gründung der Fraktion und untersagten uns die Teilnahme an den Ortsgruppentreffen der österreichischen Sektion. Dem Autor dieser Zeilen wurde darüberhinaus verboten, an den wöchentlichen Treffen des Internationalen Sekretariats teilzunehmen, obwohl er gewähltes Mitglied dieses Organs war. Am 1. April 2011 fand schließlich ein internationales Führungstreffen in Wien statt und als erster Punkt auf der Tagesordnung wurden wir – zwei langjährige Mitglieder der internationalen Führung und drei Führungskader der österreichischen Jugendorganisation – ausgeschlossen.
In der letzten Ansprache vor unserem Ausschluss warnten wir die GenossInnen, dass sie mit uns das revolutionäre Korrektiv verlieren und in den Zentrismus abdriften werden. Das sollte sich bald als richtig erweisen, wie sich beim August-Aufstand in Britannien herausstellte. Weiters sah sich die LFI ein paar Monate nach unserem Ausschluss einem neuerlichen Fraktionskampf gegenüber. Ihr rechter Flügel, der stark unter den Universitätsstudenten verwurzelt war und der sich als besonders tatkräftig dabei gezeigt hatte, uns hinauszudrängen, beschleunigte seine Anpassung an den Zentrismus. Letztlich verzichtete dieser rechte Flügel auf das Konzept der leninistischen Avantgardepartei und schlug eine liquidatorische Linie ein. Unter den Führern dieser liquidatorischen Gruppe waren Luke Cooper und Simon Hardy aus der britischen Sektion, Roman Birke (der Hauptführer in Österreich), Gunnar W. (langjähriger Hauptführer in Schweden) und Ales S. (langjähriger Hauptführer in der Tschechischen Republik). Workers’ Power wurde damit nummerisch auf den Stand von ihrer Gründung im Jahre 1976 zurückgeworfen, die Jugendorganisationen in Britannien, Schweden und der Tschechischen Republik wurden aufgelöst, die tschechische Sektion existiert nicht mehr, die österreichische Sektion besteht aus einer Handvoll Universitätsstudenten und ist nur ein Schatten ihrer Vergangenheit usw.
Theorie und Propaganda haben entsprechend gelitten. Die LFI musste die Publikation ihres englischsprachigen Journals Trotskyist International, das zweimal jährlich bis zum Sommer 2010 im Buchformat herausgegeben worden war, einstellen. Im Sommer 2014 konnte Trotskyist International als A4-Journal erneut erscheinen, doch nach ein paar Ausgaben endete auch dieser Versuch und die Zeitung von Workers’ Power musste ihren Erscheinungsrythmus von monatlich auf fünf Ausgaben jährlich reduzieren.
Programmatisch hat die LFI ihre zentristische Abweichung vom revolutionären Programm beschleunigt fortgesetzt. Sie versagte wiederholt darin, einen revolutionären antiimperialistischen Standpunkt einzunehmen. Als die LRCI/LFI noch eine revolutionäre Organisation war, unterstütze sie den militärischen Kampfs der Taliban – der islamischen Fundamentalisten in Afghanistan – gegen die imperialistische Besatzung. Doch in ihrem Aktionsprogramm 2014 hat Workers’ Power ihre Losung zur Unterstützung des antiimperialistischen Kampfs in Afghanistan aufgegeben. [66] Außerdem lehnte es die zentristische LFI ab, sich auf die Seite der muslimischen Volksmassen zu stellen, als diese die westlichen imperialistischen Botschaften in vielen Ländern im September 2012 angriffen, auf die Seite des militärischem Kampfs der Islamisten in Mali gegen die französischen Besatzer im Jahre 2013, oder an die Seite der Islamisten im Irak und in Syrien, die von den USA und ihren Alliierten seit August 2014 angegriffen werden. Als die LRCI/LFI eine revolutionäre Organisation war, sandte sie keine Kondolenzbriefe an die Familie eines gefallenen Soldaten der britischen Armee. Das hat sich geändert und Workers’ Power erklärte öffentlich, dass sie “mit der Familie des Opfers mitfühlt”, nachdem Islamisten einen britischen Soldaten im Dienst während des Woolwich-Angriffs im Mai 2013 getötet hatten. [67]
Ein weiteres Beispiel der rapiden Degeneration der LFI zum Zentrismus ist ihre Anpassung an den russischen Imperialismus. Das zeigte sich in der grotesken Verteidigung der Teilnahme der LFI und ihre aktive Rolle bei der notorisch pro-russischen imperialistischen Yalta-Konferenz im Juli 2014 zur Unterstützung der Donbass-Republiken in der Ukraine. Diese Konferenz war von Aleksey Anpilogow und dem russischen linken Intellektuellen Boris Kagarlitzky organisiert worden. Anpilogow ist Befürworter des extremen großrussischen Chauvinismus und regulärer Kollaborateur der russischen antisemitischen rechtsgerichteten Zeitung Zavtra. Die zwei Erklärungen der Konferenz wurden jeweils von Richard Brenner von der LFI und von Maxim Schewtschenko, einem Mitglied von Putins “Menschenrechtsrat” wie auch des Izborsky Klubs, entworfen. Der Izborsky Klub ist ein eurasischer rechtsgerichteter chauvinistischer Think-Tank, geführt von Aleksandr Prochanow, dem Herausgeber der Zavtra und hat unter seinen Mitgliedern Aleksandr Dugin, den Führer der russischen rechtsextremen eurasischen Bewegung sowie Putins Berater Sergej Glaziew. Eine weitere wichtige Figur auf der Konferenz war Wladimir Rogow und seine rechtsgerichtete chauvinistische Slawische Wacht. Mit anderen Worten, die Konferenz gewährte “sozialistische” Mäntelchen sowohl Vertretern des extremen großrussischen Chauvinismus und Imperialismus als auch dem Putin-Regime. [68]
Die LFI versucht nun skandalöserweise, diese Yalta-Konferenz als fortschrittliche Manifestation zu präsentieren und behauptet, dass ihre Führungsfiguren “linksgerichtet” und “stalinistisch” wären (z.B. wird der rechte Putin-Unterstützer Schewtschenko von der LFI als “linker Journalist” bezeichnet). [69] Die LFI spielt auch die Teilnahme russischer Chauvinisten herunter, indem sie erklärt, dass sie nur “Nationalisten” wären und dies mit der Teilnahme an einer Konferenz mit arabischen Nationalisten gleichzusetzen wäre. Wie es heute so oft geschieht, “vergessen” sie das Detail, die verschiedenen Klassencharaktere der nationalistischen Bewegungen mit einzubeziehen. Für MarxistInnen ist es prinzipienfest, mit kleinbürgerlichen nationalistischen Bewegungen aus halbkolonialen Ländern auf Basis der Einheitsfronttaktik zusammenzuarbeiten (z.B. wie die IRA in den 1970ern und 1980ern, die kolumbianische FARC oder die Hamas heute). Doch es ist für MarxistInnen unzulässig, mit Nationalisten einer imperialistischen Großmacht (wie Russland) zusammenzuarbeiten, die noch dazu aggressive die Ausdehnung ihres Reichs vorantreibt! [70]
Tatsächlich war die Yalta-Konferenz eine von Vertretern des imperialistischen Putin-Regimes und der extrem rechtsgerichteten eurasischen Bewegung in Russland organisierte und geführte. Kurz, es war eine Konferenz zur Unterstützung des russischen Imperialismus. Sie war das russische Äquivalent einer Konferenz für, sagen wir, die syrischen Rebellen, organisiert von einem rechtsgerichteten US-Institut wie dem American Enterprise Institute oder dem zionistischen American Israel Public Affairs Committee. Nebenbei: ein paar Wochen später organisierte derselbe Aleksey Anpilogow eine zweite Konferenz im gleichen Hotel in Yalta, zu der führende europäische Faschisten und Halbfaschisten wie die britische BNP, der französische Front National, Ungarns Jobbik, Belgiens Vlaams Belang und andere eingeladen waren. [71]
Während die österreichische Sektion bis zu unserem Ausschluss 2011 eine aktive und prominente Rolle in der palästinensischen Solidaritätsbewegung gespielt hatte, zeigte sich die verbliebene LFI-Gruppe während der Gazakriege 2012 und 2014 auf keiner einzigen Demonstration – mit der einen Ausnahme, bei der sie allerdings buchstäblich am Ende einer Demonstration von 20-30.000 Menschen marschierte, um ihre Distanz zu den Muslimen öffentlich zu machen! Die deutsche Jugendgruppe ruft bereits dazu auf, “KriegstreiberInnen und UnterdrückerInnen, Netanyahu, Hamas, Fatah, Obama oder Merkel” zu bombardieren. Mit anderen Worten, sie setzten den US- und den israelischen Imperialismus mit palästinensischen Organisationen wie Fatah und Hamas gleich! Im Gegensatz dazu unterstützen wir, als die LFI und REVOLUTION noch einem revolutionären Programm folgten, den palästinensischen Widerstand gegen die israelische Besatzung bedingungslos und verteidigten sogar bürgerliche und kleinbürgerliche palästinensische Organisationen gegen Zionisten und Imperialisten. [72]
Auf ideologischer Ebene hat die LFI ihre Theoretisierung der Führungsrolle der Intellektuellen in kommunistischen Parteivorformen vertieft, wie wir weiter oben aufzeigten. [73] Letztlich führte die Ausrichtung auf das fortschrittliche kleinbürgerliche linksgerichtete Milieu und ihre programmatische Degeneration – immer im Namen der Vermeidung von “Sektierertum” und um Teil einer “starken und vereinten radikalen Linken” zu werden – die LFI in politische Konfusion und nummerischen Niedergang. Opportunismus zahlt sich nicht aus.
v) die gegenwärtige Entwicklung: Gründung und Aufstieg der RCIT seit 2011
Wie gesagt war unser Ausschluss ein Präventivschlag der Mehrheitsfraktion in der LFI-Führung, um kritische Debatten unter den Mitgliedern der LFI zu vermeiden. Natürlich versetzte uns das in eine sehr schwierige Lage. Wir waren fünf AktivistInnen in einem einzigen Land. Bis zu einem gewissen Grad erinnerte uns das an den schon oben zitierten Ausspruchs Trotzkis im Jahre 1929, nach dem Ausschluss aus der Linken Opposition in der UdSSR und dem folgenden gewaltigen Rückschlag für ihre Kräfte: “Wenn es im Exil auch nicht einmal 350 Getreue sind, die zu unserem Banner stehen, sondern nur 35 oder gar nur drei; das Banner wird bleiben, die strategische Linie wird bleiben, und die Zukunft wird bleiben.” [74]
Doch wir sahen keinen Grund zur Verzweiflung, weil wir auf unser Programm, unsere Analyse der Weltlage, unsere strategische Linie und unsere Erfahrung vertrauten. Wir entschieden, dass wir als Bolschewiki-KommunistInnen die Pflicht hätte, die revolutionäre Tradition, von der sich die LFI entfernte, fortzuführen, die marxistische Theorie und ihr Programm weiter zu entwickeln und – angereichert mit unserer Erfahrung aus der Vergangenheit – die revolutionäre Organisation national wie international neu aufzubauen. Trotz unserer ursprünglich sehr geringen Größe waren wir optimistisch, denn wir wussten, dass wir im Vergleich zu der Organisation, die wir verlassen hatten, wie eine kleine, aber sehr scharfe Axt waren, während sie zu einem – im Verhältnis zu uns – großen Schaumgummihammer geworden war. Wir gingen aus der Spaltung mit einem klareren Verständnis dessen, was wir zu tun hatten und was wir vermeiden mussten, hervor, während die GenossInnen, die wir zurückgelassen hatten, sich in einem Zustand politischer Verwirrung befanden, was unausweichlich in weitere Spaltungen, Niedergang und der Verstärkung ihres politischen Sumpfcharakters münden musste.
Wir waren uns der Gefahr der nationalen Isolation bewusst und daher der dringlichen Notwendigkeit gleichzeitig mit der nationalen Organisation auch eine internationale aufbauen mussten. Während unser frühzeitige Ausschluss uns von der Diskussion über die umstrittenen Fragen mit anderen LFI-Mitgliedern abschnitt, hatten wir uns doch einen gewissen Ruf unter ihnen erarbeitet. Wir wurden von aktiven und ehemaligen Mitgliedern in Sri Lanka, Pakistan und den USA kontaktiert und schlossen bald enge Verbindungen zu ihnen. GenossInnen in Pakistan rund um das Zentralkomiteemitglied Shujat Liaqat und die Ortsgruppe Kaschmir gründeten eine Fraktion als Protest gegen die Annäherung der Führung an die Gewerkschaftsbürokratie und ihr Versagen in der Unterstützung des nationalen Befreiungskampfs in ihrem Land. Tamilische GenossInnen in Sri Lanka einschließlich M. Thangavel, der das einzige tamilische Führungsmitglied und verantwortlich für die Arbeit bei den PlantagenarbeiterInnen war, schlossen sich uns an und begannen mit Gewerkschaftsarbeit. Die GenossInnen fusionierten später mit einer trotzkistischen Gruppe aus mehrheitlich tamilischen ArbeiterInnen um K. Kamalanathan. Außerdem schlossen sich uns auch weitere Mitglieder der österreichischen LFI-Sektion und ihrer Jugendorganisation an.
Wir entwarfen ein internationales Programm für die internationale Organisation, das nach Diskussionen und Abänderungen beschlossen wurde. [75] In Folge gründeten wir die Revolutionär Kommunistische Internationale Tendenz im April 2012 mit Sektionen in Pakistan, Sri Lanka, den USA und Österreich. Im April 2013 schloss sich uns die Internationale Sozialistische Liga (ISL) in Israel/Besetztes Palästina an, deren prominentestes Mitglied, Yossi Schwartz, fünf Jahrzehnte Kampferfahrung als jüdischer Kommunist gegen den Zionismus und in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf gesammelt hat. Bald danach führten Diskussionen mit einer kleinen Gruppe brasilianischer GewerkschafterInnen zu einer Fusion und sie bildeten die Corrente Comunista Revolucionária. Außerdem gewannen wir UnterstützerInnen im Jemen, Tunesien, Britannien und Deutschland. [76] Wir arbeiten und debattieren mit verschiedenen anderen sozialistischen Organisationen und AktivistInnen in anderen Ländern. Als Ergebnis des Wachstums unserer Sektionen und des Zugewinns neuer Gruppen stellen die früheren LFI-Kader heute nur einen kleinen Anteil an der Mitgliederschaft der RCIT dar.
Wachstum und exemplarische Massenarbeit
Zweifelsohne versetzte uns unser Ausschluss angesichts unserer nummerischen Schwäche und unserer anfänglichen nationalen Isolation in eine sehr schwierige Ausgangslage. Doch das erwies sich auch als großer Vorteil: wir konnten marxistische Theorie und Propaganda entwickeln wie auch unsere Methoden des Parteiaufbaus ohne Hindernisse und Kompromisse umsetzen. Im Rückblick überwog das alles die Schwierigkeiten bei Weitem.
Im Gegensatz zu uns sind die LFI-Führer davon überzeugt, dass kleine kommunistische Gruppen von Intellektuellen, Studenten und Arbeiteraristokraten dominiert sein müssten. Die praktische Erfahrung hat dieser Diskussion ein Ende bereitet: wir errichteten eine Organisation – international wie auch in Österreich - , die von Anfang an von ArbeiterInnen und der proletarischen Jugend in der Mitgliedschaft und in der Führung dominiert war und die einen hohen Anteil an MigrantInnen und Angehöriger nationaler Minderheiten aufweist.
Trotz unserer ursprünglich geringen Größe verstanden wir, dass wir uns nicht auf einen Studienzirkel zurückziehen durften, sondern die Organisation durch eine Kombination von Theorie, Propaganda und Agitation sowie exemplarischer Massenarbeit aufbauen mussten.
Unsere GenossInnen in Pakistan arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen, es gibt staatliche Repression gegen Organisationen, die den nationalen Befreiungskampf ernsthaft unterstützen. Nichtsdestotrotz erlebten sie massives Wachstum über Gewerkschaftsarbeit, Teilnahme an ArbeiterInnen- und StudentInnenprotesten wie auch Protesten gegen nationale Unterdrückung und marxistische Bildungsarbeit.
GenossInnen in Sri Lanka konzentrieren sich auf Organisationsarbeit unter tamilischen PlantagenarbeiterInnen. Sie tun das im Zusammenhang mit einer extrem schwierigen Situation im Land, die durch eine historische Niederlage, die die TamilInnen 2009 erlitten hatten, als der damalige Präsident Mahinda Rajapaksa den de facto unabhängigen tamilischen Staat, geführt von der LTTE, zerschlug und zehntausende TamilInnen ermordete, gekennzeichnet ist.
In Palästina/Israel leisten die GenossInnen gegen den chauvinistischen Zionismus Wiederstand und unterstützen offen den palästinensischen Befreiungskampf – einschließlich des Aufrufs zur Niederlage der israelischen Armee und des militärischen Siegs für den von der Hamas geführten Widerstand des Volks von Gaza der letzten Jahre. [77] Eines unserer jüngeren Mitglieder, der 16jährige Hila Slutzky, erlangte nationale Prominenz durch die Initiierung einer Kampagne gegen sexistische, gegen junge Frauen gerichtete Bekleidungsvorschriften an Schulen. [78]
In Brasilien spielte das Führungsmitglied der CCR Joao Evangelista, langjähriger Gewerkschaftsführer, eine aktive und prominente Rolle während des längsten LehrerInnenstreiks in der brasilianischen Geschichte im Frühling 2014. [79]
In Österreich führte einer unserer Genossen eine Besetzung in einer Fabrik während eines nationalen MetallarbeiterInnenstreiks im Oktober 2011 an. [80] Unsere prominente Rolle in der palästinensischen Solidaritätsbewegung während des Gazakriegs im November 2012 führte zu einem (fehlgeschlagenen) Versuch der Zionisten, unseren Genossen Johannes Wiener wegen “Aufwiegelung” vor Gericht zu bringen, weil er auf einer Demonstration eine anti-zionistische Rede gehalten hatte. [81] Wir gründeten eine neue Jugendorganisation mit dem Namen RED*REVOLUTION, im Dezember 2013 die zwei SchülerInnenstreiks initiierte – am zweiten Streik nahmen 15.000 SchülerInnen teil – und nationale Bekanntheit erlangte (einschließlich eines TV-Auftritts ihres Sprechers Marc Hangler). [82] Außerdem spielen wir eine prominente Rolle in der Solidaritätsbewegung mit dem Kampf gegen die Militärdiktatur in Ägypten und knüpften enge Verbindungen mit dieser sowie der syrischen Migrantengemeinde. [83] Wir gewannen auch die Mehrheit der AktivistInnen der größten und am stärksten proletarisch ausgerichteten Ortsgruppe der sozialdemokratischen Jugendorganisation in Wien und gründeten mit ihnen eine neue ArbeiterInnenorganisation mit dem Namen ROTER WIDERSTAND. [84] Sowohl die Jugendorganisation RED*REVOLUTION wie auch ROTER WIDERSTAND sind politisch mit der österreichischen Sektion der RCIT verbunden. Heute ist die österreichische Sektion stärker als je zuvor. Neben Pröbsting gehören der Führung GenossInnen aus der ArbeiterInnenklasse wie Johannes Wiener (Gärtner), Marc Hangler (Kellner), Almedina Gunić (Kellnerin), Marko Nikolic (Sozialarbeiter), Simon Müllauer (Lehrlinge) und andere an. Diese Führungspersonen spiegeln die Klassenzusammensetzung unserer gesamten Sektion gut wider.
Das Wachstum unserer Sektionen und unsere Ausdehnung in neue Länder haben viele GenossInnen mit Erfahrungen aus Ländern mit höchst unterschiedlichen Klassenkampfbedingungen in unsere Reihen gebracht. Das gibt uns die Gelegenheit, viel voneinander zu lernen. Wir hatten immer große programmatische Übereinstimmung mit der ISL zu den Aufgaben der permanenten Revolution in Israel/Besetztes Palästina, doch die Diskussionen und die Zusammenarbeit mit diesen GenossInnen trugen sowohl bei den früheren LFI-Kadern wie auch bei ihnen dazu bei, unsere theoretische Analyse und die Perspektiven zu vertiefen und weiter zu entwickeln. Ebenso gewannen wir aus der reichhaltigen Gewerkschaftserfahrung unserer brasilianischen GenossInnen wie auch aus der Gruppe tamilischer GenossInnen, die früher Mitglieder einer healyistischen Gruppe in Sri Lanka waren. Dasselbe gilt für die frühere sozialdemokratische Jugendgruppe in Österreich, die wir gewonnen haben.
Marxistische Theorie und Propaganda
Die Gründung der RCIT ermöglichte es uns auch, unsere theoretische Arbeit unabhängig vom Eklektizismus der LFI-Führung voranzutreiben. Neben der Ausarbeitung eines neuen Programms erarbeiteten wir auch Aktionsprogramme für Pakistan, Sri Lanka, Israel/Palästina und Österreich. Außerdem machten wir große Fortschritte auf dem Gebiet der marxistischen Theorie. Während die LFI immer von der Notwendigkeit der Entwicklung der Imperialismustheorie redete (und es bis jetzt nicht schaffte), hat die RCIT ein umfassendes Buch dazu herausgegeben, das die Entwicklung des Imperialismus und die Überausbeutung der halbkolonialen Welt in den letzten Jahrzehnten wie auch das Programm des marxistischen Antiimperialismus analysiert. Wir veröffentlichten darüberhinaus auch weitere Bücher über die kapitalistische Restauration in Kuba sowie über die Entwicklung von Griechenland als moderne Halbkolonie. Dazu kommen noch zahlreiche Studien und Essays zu verschiedensten theoretischen Fragen (inklusive der Analyse von Russland sowie China als aufstrebende imperialistische Großmächte).
Außerdem publiziert die RCIT eine Reihe von Studien und Schriften zur Arabischen Revolution, zur Geschichte der Kriege Israels und unser Programm der permanenten Revolution für den palästinensischen Befreiungskampf, zu Chinas Aufstieg als imperialistische Macht, zur Entwicklung des russischen Imperialismus, zum Bürgerkrieg in der Ukraine, zur Verschärfung der inner-imperialistischen Rivalität, zu Alkoholismus und die bolschewistische Tradition des Kampfs dagegen, zu Migration und revolutionäre Integration, zu Befreiungskämpfen und imperialistischer Einmischung, die Geschichte der zentristischen Degeneration der Vierten Internationale, zu Kapitalismus und Klassenkampf in Bangladesh, zum Putsch in Ägypten, zu Krise und Klassenkampf in Griechenland, und zum Augustaufstand in Britannien. Außerdem haben wir Bildungsmaterial herausgegeben, das ArbeiterInnen und Jugendliche in den Marxismus einführt. [85]
Die RCIT veröffentlicht ein monatliches englischsprachiges Journal und eine Website mit täglich neuen Artikeln. Es gelingt uns, zu den wichtigsten internationalen Ereignisse Stellungnahmen zu veröffentlichen und wir publizieren regelmäßig Berichte über bedeutsame Vorfälle in den Ländern, in denen wir Sektionen haben und arbeiten. Unsere Website beinhaltet Material auf Englisch und 18 weiteren Sprachen. Die RCIT gibt darüberhinaus auch ein deutschsprachiges theoretisches Journal heraus. Die österreichische Sektion veröffentlicht eine Monatszeitung, die Publikationen anderer Sektionen haben einen selteneren Erscheinungsrythmus.
Natürlich gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir haben noch immer einen langen Weg vor uns, um unser Ziel des Aufbaus starker revolutionärer Parteien und der Fünften ArbeiterInneninternationale zu erreichen. Verglichen mit dem, was zur Erreichung dieser Ziele nötig ist, sind wir immer noch sehr klein. Doch wir haben aus unserer Erfahrung gesehen, dass wir über eine korrekte Analyse der Weltlageentwicklung, das korrekte Programm zum Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und die korrekten Methoden zum Aufbau kommunistischer Kampforganisationen, die in Zeiten wie der jetzigen wachsen können, verfügen. Das gibt uns die Sicherheit, diese Arbeit fortzusetzen und zuversichtlich auf die kommenden Jahre zu blicken.
[1] Zur vollständigen Analyse der Degeneration der Vierten Internationale und ihrer Teile siehe unser Buch Workers Power (Britain) and Irish Workers Group: The Death Agony of the Fourth International, London 1983. Siehe auch Michael Pröbsting: Healy’s Pupils Fail to Break with their Master. The revolutionary tradition of the Fourth International and the centrist tradition of its Epigones Gerry Healy and the ”International Committee” – A Reply from the RCIT to ”Socialist Fight”, October 2013, in: Revolutionary Communism No. 16, November 2013, http://www.thecommunists.net/theory/healy-and-fourth-international/
[2] Michael Pröbsting: Healy’s Pupils Fail to Break with their Master, S. 36
[3] RCIT: Das Revolutionär Kommunistische Manifest, 2012, S. 26, http://www.thecommunists.net/rcit-manifesto/ (Hervorhebung im Original)
[4] MRCI: Declaration of Fraternal Relations, in: Permanent Revolution No 2 (1984), S. 45 (unsere Übersetzung). Aus uns nicht bekannten Gründen erschien der betreffende Absatz dieser Erklärung nicht in der von der deutschen Gruppe Arbeitermacht veröffentlichten Übersetzung. (Siehe MRCI: Deklaration der brüderlichen Beziehungen, Nummer 3 der Schriftenreihe der GAM, S. 25).
[5] Diese Analyse wurde dokumentiert in: Workers Power: The Degenerated Revolution. The Origin and Nature of the Stalinist States (1982). Die bedeutendsten Genossen bei der Erarbeitung der programmatischen Grundlagen von WP und MRCI waren Dave Hughes und Dave Stockton, beides Gründungsmitglieder von Workers Power und deren Vorläufern in den frühen 1970ern. Hughes starb leider 1991. Genosse Stockton hingegen blieb der einflussreichste Denker der LRKI/LFI. Als Führungsfigur mit kreativer Intelligenz, historischem Wissen und außergewöhnlicher Sensibilität spielte er eine zentrale Rolle in der Entwicklung unserer Positionen und in der Bildung einer Reihe von Kadern. Sein Versäumnis, der zentristischen Degeneration der LFI 2010/11 nichts entgegengesetzt zu haben, löscht sein revolutionäres Vermächtnis nicht aus.
[6] Siehe dazu Workers Power: Thesis on Reformism – the Bourgeois Workers’ Party (1983), in: Permanent Revolution No. 1 (1983)
[7] MRCI: Theses: The Anti-Imperialist United Front, in: Permanent Revolution No. 5 (1987)
[8] MRCI: Thesis on Women’s Oppression, in: Trotskyist International No. 3 (1989)
[9] Um genau zu sein, gewann WP drei Bergarbeiter, verlor sie aber nach kurzer Zeit wieder.
[10] Richard Brenner: An ongoing history: the LRCI ten years on, 30.6.1999, in: Trotskyist International, No. 26 (1999), pp. 18-29
[11] LRCI: The Trotskyist Manifesto, London 1989, http://www.thecommunists.net/theory/trotskyist-manifesto/
[12] LRCI: The Failed Coup in the USSR (22 August 1991), in: Trotskyist International No. 7 (Sept. 1991 – Jan 1992), S. 5f. (auf deutsch: Der Putsch in der Sowjetunion, in: ArbeiterInnenstandpunkt, Nr. 37, September 1991, S.2-5
[13] Leo Trotzki: Die UdSSR im Krieg (1939); in: Trotzki Schriften Band 1.2., Hamburg 1988, S. 1292
[14] Siehe die Resolution dazu in der zweiten Ausgabe unseres Buchs The Degenerated Revolution. Der Hauptvertreter dieser Position war Keith Harvey, ein talentierter und intelligenter Genosse, der eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unseres Programms während der Ereignisse von 1989-91 spielte. Leider geriet er immer mehr unter den Einfluss der konservativen und demoralisierten Vorurteile der progressiven Mittelklasse und ArbeiterInnenaristokratie. Er spaltete sich 2006 gemeinsam mit einer passiv-propagandistischen Minderheit von uns ab und zog sich letztlich aus der organisierten politischen Aktivität völlig zurück.
[15] Siehe: Richard Brenner: The Error of the ‘Moribund Workers State’ – a Correction, in: Workers Power, No. 248 (November 2000), S. 12-13. Der Hauptvertreter dieser Korrektur war Richard Brenner. Brenner war ein Genosse mit sowohl der Fähigkeit zum kreativen Denken wie auch der beste Redner und Autor von WP. Diese Stärken brachten ihm viel Feindschaft seitens der zentristischen Linken in Britannien ein. Leider ist er ebenso herausragend, was mangelnde Selbstdisziplin und die Fähigkeit zum kollektiven Arbeiten betrifft. Sein politisches Scheitern 2010/11 wurde durch sein Versäumnis, mit der Mittelklasse zu brechen und sein Leben der revolutionären Arbeit zu widmen, beschleunigt und er wurde zu einem Unterstützer des Kurses der zentristischen Degeneration der LFI. Seither zieht er sich zunehmend als öffentliche Figur der WP und der LFI zurück.
Unsere Diskussion wurde von einer Broschüre mit dem Titel “The Marxist Theory of the State and the Collapse of Stalinism” positiv beeinflusst. Sie wurde1995 von der Workers International League veröffentlicht, eine britische Gruppe, die sich schon vor langem aufgelöst hat.
[16] Siehe LRKI: Plan versus Market: Economics and Politics in the Transition from Capitalism to Communism, in: Trotskyist Bulletin No. 9 London 1996. Die größten Beiträge zu dieser Arbeit stamen von Keith Harvey and Fritz Haller, einem früheren Genossen der österreichischen Sektion.
[17] Dazu veröffentlichten wir einen detaillierten Bericht: Michael Gatter: Yugoslavia: bringing the War to Austria, 29.9.1992, http://www.fifthinternational.org/content/yugoslavia-bringing-war-austria
[18] Die bolivianischen und peruanischen Gruppen lösten sich bald auf und José Villa, völlig demoralisiert, wurde ein pro-zionistischer Journalist. Im Gegensatz zu diesen beiden südamerikanischen Gruppen blieb die neuseeländische Gruppe um Dave Brown politisch aktiv. 2009/10 entwickelten sie – gleichzeitig mit, aber unabhängig von uns – eine korrekte und durchdachte Analyse des aufstrebenden chinesischen Imperialismus. Sie riefen auch – sogar früher, als wir es offiziell taten – für die Fünfte Internationale auf. Es gelang ihnen, eine viel bessere Position zur Arabischen Revolution und den damit verbundenen demokratischen Fragen einzunehmen als sie es in den frühen 1990er Jahren taten. Leider haben sie sich noch nicht vollständig aus ihrer sektiererischen und ökonomistischen Tradition gelöst und hängen stark einer nationalzentrierten Methode des Parteiaufbaus an. Zur vollständigen kritischen Einschätzung durch die RCIT siehe: Michael Pröbsting: The Military’s Coup d'État in Egypt: Assessment and Tactics. A reply to the criticism of the WIVP and the LCC on the meaning of the Military’s Coup d'État and the slogan of the Revolutionary Constituent Assembly, 17.7.2013, in: Revolutionary Communism No. 12, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/egypt-meaning-of-coup-d-etat/; Michael Pröbsting: The Coup d'État in Egypt and the Bankruptcy of the Left’s “Army Socialism”. A Balance Sheet of the coup and another Reply to our Critics (LCC, WIVP, SF/LCFI), 8.8.2013, in: Revolutionary Communism No. 13, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/egypt-and-left-army-socialism/; Michael Pröbsting: Thailand: Shall Socialists Defend the Government Against the Military Coup? Reply to a Neo-Bordigist Polemic of the “Liaison Committee of Communists”, 24.5.2014, in: Revolutionary Communism No. 23, June 2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/asia/thailand-coup-reply/
[19] Der Autor dieses Buchs besuchte den Kosovo 1994 und sammelte mit der serbischen staatlichen Repression Erfahrungen aus erster Hand, als er kurzfristig vom Geheimdienst UDBA entführt wurde.
[20] W.I.Lenin: Notizen eines Publizisten (1922); in: LW, Bd. 33, S. 191
[21] Resolution on the World Situation and its historic Place in the Imperialist Epoch; in: LRCI IIB 129 (23 August 2000) Congress Documents of the V. LRCI Congress.
[22] ASt resolution for the V. LRCI Congress: Thesis on the world situation and its historic place in the imperialist epoch (Dieser Auszug wurde auf der der Vorbereitung des LRCI-Kongresses dienende österreichischen Sektionskonferenz angenommen, auf dem Kongress selber jedoch abgelehnt.)
[23] LRCI: Fight imperialist hypocrisy! Reject individual terrorism! Stop US military retaliation! Statement on 9/11 Attacks by the International Secretariat of the LRCI, 13.9.2001, http://www.thecommunists.net/worldwide/north-america/resolution-on-9-11/
[24] See Michael Pröbsting: The Great Robbery of the South, pp. 336-370; dt. Fassung: Der große Raub des Südens
[25] Außerdem muss festgehalten werden, dass die Führung der PTS eine zu konservative Haltung bezüglich ihrer Piquetero-Bewegung hatte, die die führende Kraft während der revolutionären Krise war. Die korrekte Betonung der zentralen Bedeutung des Industrieproletariats seitens der PTS ließ sie übersehen, dass RevolutionärInnen sich dem gesamten Proletariat zuwenden und die Bedeutung seiner unteren Schichten erkennen müssen. Als Ergebnis konnte die PTS während der revolutionären Periode im Jahr 2002 im Gegensatz zu anderen „trotzkistischen“ Parteien wie der PO nicht mehr wachsen.
[26] Hier ist eine unvollständige Auswahl einiger Artikel aus der bürgerlichen Presse, die das Statement von Nina Gunić anprangern:
Die Presse: Linksprojekt will die "oberen Zehntausend" enteignen, 22.07.2008, http://diepresse.com/home/politik/neuwahlen/400293/index.do?_vl_backlink=/home/index.do
DER STANDARD: Linksprojekt will "die oberen 10.000" enteignen, 22.07.2008, http://derstandard.at/?url=/?id=1216325364129
Kronen Zeitung: Sehr linkes Ziel: Linksprojekt will die "oberen 10.000" enteignen, 22.7.2008, http://www.krone.at/index.php?http%3A//www.krone.at/krone/S25/object_id__108413/hxcms/index.html
ÖSTERREICH: Linksprojekt will "obere 10.000" enteignen, 22. Juli 2008, http://www.oe24.at/zeitung/oesterreich/politik/neuwahlen/article335452.ece
Christoph Rella: Die Rückkehr der Sozialisten, 22.7.2008, http://www.wienerzeitung.at/DesktopDefault.aspx?TabID=3858&Alias=wzo&cob=362076
[27] LFI: From Protest to Power – Manifesto for World Revolution, London 2003. Der Programmentwurf stammt von Richard Brenner und Dave Stockton.
[28] Man muss zu ihrer Verteidigung anmerken, dass der Großteil dieser Debatte niemals ins Englische übersetzt worden ist. Andererseits gibt es eine Reihe englischsprachiger akademischer Bücher zu diesem Thema, die allen an marxistischer Philosophie Interessierten zur Verfügung stehen. Konsequenterweise stehen britische Marxisten meist unter dem Einfluss von Althussers Strukturalismus (z.B. Alex Callinicos von der SWP) oder George Lukács (z.B. John Rees) oder, schlimmer, von Scharlatanen wie Žižek. Doch es gibt einige Organisationen, die durch ihre gesamte Geschichte des politischen Aktivismus stolpern ohne auch nur irgendein Interesse an marxistischer Philosophie zu zeigen (z.B. the SPEW/CWI).
[29] Siehe Michael Pröbsting: Imperialism, Globalization and the Decline of Capitalism (2008), in: Richard Brenner, Michael Pröbsting, Keith Spencer: The Credit Crunch – A Marxist Analysis (2008), http://www.thecommunists.net/theory/imperialism-and-globalization/. Auf deutsch: Imperialismus, Globalisierung und der Niedergang des Kapitalismus, in: Revolutionärer Marxismus 39, August 2009, http://www.thecommunists.net/theory/imperialismus-und-globalisierung/
[30] Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass Richard Brenner große Anstrengungen unternahm zur Vertiefung seines Wissens der marxistischen politischen Ökonomie und entwickelte letztlich ein solides und profundes Verständnis. Auf dieser Grundlage schrieb er eine Reihe ausgezeichneter Artikel, die im Buch Credit Crunch veröffentlicht wurden.
[31] Leider konnten zu dieser Zeit die Thesen nicht zur Veröffentlichung fertiggestellt werden und wir gaben zu diesem Thema nur einige Artikel in Druck. Als wir schließlich eine ausführliche Version dazu im Herbst 2010 fertig hatten und sie als Broschüre veröffentlichten, rief dies einen scharfen Konflikt innerhalb der LFI-Führung hervor, wie weiter unten zu lesen sein wird. Siehe Michael Pröbsting: Marxismus, Migration und revolutionäre Integration (2010); in: Revolutionärer Kommunismus, Nr. 7, http://www.thecommunists.net/publications/werk-7
[32] Wie wir in unseren Thesen zur Migration betonten, beziehen wir uns mit diesem Begriff hauptsächlich auf MigrantInnen (bzw. deren Kinder) aus halbkolonialen Ländern. Ein deutscher Student oder Manager, der nach Österreich oder Britannien für Studium oder Arbeit auswandert, kann nicht wirklich als Migrant betrachtet werden.
[33] Die Sektionen in Pakistan und Sri Lanka weisen einen niedrigeren Anteil weiblicher Mitglieder auf, doch dürfen die objektiven Schwierigkeiten in diesen von patriarchalen Traditionen beherrschten Ländern nicht außer Acht gelassen werden. Während eines Besuchs in Sri Lanka im Frühling 2010, spielte Genossin Gunić, die Frauensekretärin der LFI, eine wesentliche Rolle in der Unterstützung der GenossInnen zur Gründung einer Frauenorganisation.
[34] Beispiele können auf Videos von Reden von Nina Gunić and Michael Pröbsting auf der Gaza-Solidaritäts-Demonstration eingesehen werden. Siehe z.B. Nina Gunić on 16.1.2009, https://www.youtube.com/watch?v=stSfp9ZGPxE&list=PL1471A456DE52F1D5; Michael Pröbsting on 9.1.2009, https://www.youtube.com/watch?v=azVN2x37g30&list=PL1471A456DE52F1D5&index=1 and https://www.youtube.com/watch?v=Z6Lh4_t9OVQ&index=2&list=PL1471A456DE52F1D5
[35] Brief der deutschen Führung an die österreichische Sektionskonferenz, 3.2.2011, in: Internes Bulletin der Liga der Sozialistischen Revolution Nr. 383, 4.2.2011
[36] Antwort der österreichischen UnterstützerInnen der LFI-Mehrheit an die “Bolschewistische Opposition”, Februar 2011, in: Internes Bulletin der Liga der Sozialistischen Revolution Nr. 385, 23.2.2011
[37] LFI: Trotzkismus im 21. Jahrhundert (Resolution des 9. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, April 2013), in: Revolutionärer Marxismus Nr. 47, S. 218 (unsere Hervorhebung)
[38] Für genauere Analyse der historischen Epoche seit 2008/09 und ihre widersprüchlichen Entwicklungen verweisen wir auf unser Buch The Great Robbery, S. 372-382. (Die deutsche Ausgabe, 2014 bei Promedia-Verlag erschienen, trägt den Titel “Der große Raub des Südens”).
[39] Georg Lukács: Lenin. Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken (1924), https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lukacs/1924/lenin/
[40] Leo Trotzki: Die Internationale Revolution und die Kommunistische Internationale. Dritter Teil: Ergebnisse und Perspektiven der chinesischen Revolution. Ihre Lehren für die Länder des Ostens und die gesamte Komintern (1928); in: Trotzki Schriften Band 2.1., Hamburg 1990, S. 363
[41] Die Führung der deutschen Sektion schrieb im Dezember 2010 in einem Brief: “ Wir erkennen aber als MarxistInnen an, dass die kapitalistische Produktionsweise durch die Entwicklung des Weltmarktes immer auch eine Tendenz zur „Assimiliation“ oder „Integration“ von Minderheiten hat. Diese Tendenz ist progressiv, wie auch schon Lenin und anderen MarxistInnen unterstrichen.”
[42] Das gilt für das gesamte Programm der LFI: Der Autor dieses Buchs entwarf das Manifest, das auf dem LFI-Kongress 2010 angenommen wurde. In ihrer praktischen Politik bewegte sich die LFI jedoch immer mehr vom revolutionären Gehalt des Programms weg.
[43] LRKI: Das Trotzkistische Manifest, Wien 1989, S. 52 and S. 121
[44] Im selben Brief schrieb die Führung der deutschen Sektion: “ Wir unterstützen auch die Forderung nach dem Recht auf muttersprachlichen Unterricht. Wir teilen aber nicht die Position, dass wir die Ausübung dieses Rechts unabhängig vom Willen der Migrantengemeinden oder -gruppen fordern. Es ist unserer Meinung nach kein Zufall, dass (jedenfalls in Deutschland) diese Forderung von der großen Mehrzahl der MigrantInnen selbst nicht aufgestellt wird, dass keine einzige progressive Migrantenorganisaion, das fordert.” Tatsächlich bewiesen wir den deutschen GenossInnen – die kaum MigrantInnen in ihren Reihen haben -, dass es bereits eine Reihe von MigrantInnenorganisationen gibt, die das Recht auf Bildung in ihrer Muttersprache in Schulen und Universitäten fordern. Doch um ihre Argumentationslinie aufrecht zu erhalten, erklärten einige führende GenossInnen, dass diese MigrantInnenorganisationen politisch rückständig wären und daher nicht die Avantgarde der MigrantInnenjugend repräsentieren, die angeblich nur die offizielle Landessprache (Deutsch) lernen will und kein Interesse daran hätte, sich die eigene Muttersprache zum Gebrauch in ihrer Ausbildung und im Alltagsleben anzueignen. Diese GenossInnen sind sich offensichtlich des Bestehens einer Reihe fortschrittlicher Organisationen wie der deutschen LehrerInnengewerkschaft oder linker MigrantInnenorganisationen nicht bewusst, die ebenso das Recht auf Gebrauch der Muttersprache im Bildungswesen fordern.
[45] Siehe unsere Resolution zu Schulen: Einheit durch Kampf für Gleichberechtigung! Resolution für das Recht auf Muttersprache für MigrantInnen an den Schulen, in: Revolutionärer Kommunismus, Nr. 7, August 2011, http://www.thecommunists.net/publications/werk-7
[46] Gemäß den Sitzungsberichten eines Treffens der Mehrheit der Führungen von SPSL und LFI nach dem Kongress, versprachen letztere der sri-lankesischen Leitung: „Die anwesenden Mitglieder des IS versicherten die SPSL, dass sie daran arbeiten würden, eine Wiederholung solcher Vorfälle zu vermeiden.“
[47] LFI: Resolution on the Working Class, 10.12.2009, http://www.fifthinternational.org/content/resolution-working-class
[48] Luke Cooper: Theories of late capitalist development: Harvey and Callinicos on contemporary imperialism, in: Fifth International Volume 3 Issue 4, Autumn 2010, p. 21
[49] Für eine ausgedehnte Analyse des August-Aufstandes und von Augenzeugenberichte von GenossInnen der RCIT verweisen wir auf folgende Dokumente: Nina Gunić and Michael Pröbsting: The strategic task: From the uprising to the revolution! These are not "riots" – this is an uprising of the poor in the cities of Britain!, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/britain-uprising-of-the-poor; The August Uprising in Britain - A Report of the RKOB delegation on its visit in London in August 2011, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/britain-report-from-uprising; Michael Pröbsting: What would a revolutionary organisation have done? August uprising of the poor, the nationally and racially oppressed in Britain, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/britain-august-uprising/; Michael Pröbsting: Five days that shook Britain but didn’t wake up the left. The bankruptcy of the left during the August uprising of the oppressed in Britain: Its features, its roots and the way forward, http://www.thecommunists.net/theory/britain-left-and-the-uprising/. Alle Dokumente wurden im Journal der RCIT Revolutionary Communism No. 1 (September 2011) veröffentlicht.
[50] Workers Power: With the working class youth of London – against the police, Statement from 8 August, http://www.workerspower.co.uk/2011/08/with-the-working-class-youth-of-london-%E2%80%93-against-the-police/
[51] Nach dem Aufstand und aus sicherer zeitlicher Distanz war die WPB dazu gezwungen, unsere Charakterisierung des Aufstands zu akzeptieren - sie übernahmen sogar den Namen, den wir ihm verliehen: „August-Aufstandes“. Sie schrieben: “Die Unruhen vom August 2011 werden als Aufstand der ArbeiterInnenjugend gegen Repression, Rassismus und die Rezession in Erinnerung bleiben.”... “In allen Fällen war es eine Mischung von Menschen, Klassen und Motivationen jener, die auf die Straße gingen. Wie Revolutionen bringen sogenannte ‘Unruhen’ Menschen aus allen unteren Klassen auf die Straße, doch das heißt nicht, dass es unmöglich wäre, die dominanten Gruppen und die wesentlichen Klasseninteressen, die die Handlungen bestimmen, auszumachen. Hauptsächlich war es ein Aufstand der ArbeiterInnenjugend gegen Polizeibrutalität, Rassismus und Schikane und die dem zu Grunde liegenden Bedingungen, denen sich die ArbeiterInnenklasse heute gegenüber sieht.” (Workers Power: The political situation in Britain after the August uprising; Resolution on the political situation after the riots, 19.8.2011, http://www.workerspower.co.uk/2011/08/political-situation-after-the-august-uprising/)
[52] REVO Deutschland: Sommer, Sonne Sozialismus – das war unser diesjähriges internationales Sommercamp, 29. August 2011, http://www.onesolutionrevolution.de/?p=1645
[53] REVO Germany: Sommer, Sonne Sozialismus – das war unser diesjähriges internationales Sommercamp, 29. August 2011, http://www.onesolutionrevolution.de/?p=1645 ()
[54] Michael Pröbsting: Five days that shook Britain but didn’t wake up the left. The bankruptcy of the left during the August uprising of the oppressed in Britain: Its features, its roots and the way forward, 1.9.2011, http://www.thecommunists.net/theory/britain-left-and-the-uprising/ (unsere Übersetzung)
[55] Leo Trotzki: Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats (1932); in: Schriften über Deutschland, S. 246f.
[56] Workers Power/Irish Workers Group: The Death Agony of the Fourth International and the Tasks of Trotskyists today (1983), S. 82
[57] LFI: Methoden und Grundsätze der kommunistischen Organisation, in: Revolutionärer Marxismus 43, S. 26
[58] IS Majority: It is time to call a halt! A reply to the “Bolshevik Opposition”, in: Internes Bulletin der Liga der Sozialistischen Revolution Nr. 386, 2.3.2011
[59] LRKI: Das Trotzkistische Manifest, S. 130f.
[60] LFI: IS Report to Council, April 2012, in: IIB 221 (April 2012), S. 9
[61] Seit Erscheinen des Buches im Jänner 2015 hat die LFI in Britannien auch dieses Projekt aufgegeben und hat sich nun überhaupt als eigenständige Organisation aufgelöst um als Zeitungsprojekt (Red Flag) innerhalb der Labour Partei zu agieren.
[62] Siehe dazu den Artikel von Manfred Meier von der RCIT Deutschland: Was kann man aus dem Scheitern der NaO lernen?, 14.12.2015, http://www.diekommunisten.net/deutschland/nao-endet/
[63] LRKI: Das Trotzkistische Manifest, S. 131
[64] Siehe: AST: Spaltung in der LSR, 1.4.2011, http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=7; AST: LSR wird wieder AST, 14.6.2011, http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=61
[65] LFI: Balance Sheet since the last Congress, Resolution of the 9th Congress, in: International Internal Bulletin No. 232 (April 2013)
[66] Workers Power: An Action Programme for Britain, http://www.workerspower.co.uk/2014/04/an-action-programme-for-britain/
[67] Siehe RCIT: After the Woolwich attack in Britain: Stop imperialist war-drive and racism! Socialists must not solidarize with Britain’s professional army but with the anti-imperialist resistance!, 24.5.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/britain-woolwich-attack/; Workers Power: Statement on the killing of a British soldier in Woolwich, 23.5.2013, http://www.workerspower.co.uk/2013/05/british-soldier-killed-woolwich-london
[68] Siehe dazu z.B. Manifesto of the People’s Front for the Liberation of Ukraine, Novorossiya and Transcarpathian Rus, 24.07.2014, http://solidarityantifascistukraine.wordpress.com/2014/07/24/manifesto-of-the-peoples-front-for-the-liberation-of-ukraine-novorossiya-and-transcarpathian-rus/; No to the war in eastern Ukraine! Yalta Declaration, http://www.rogerannis.com/no-to-the-war-in-eastern-ukraine-declaration-of-yalta-crimea-antiwar-conference/; Paul Goble: Izborsky Club Says Only a Eurasian Empire Can Save Peoples of Russia, September 23, 2013, http://windowoneurasia2.blogspot.ca/2013/09/window-on-eurasia-izborsky-club-says.html; Paul Goble: Influential Izborsky Club has No Time for Liberalism, Human Rights or Diversity, Commentator Says, January 10, 2013, http://windowoneurasia2.blogspot.co.at/2013/01/window-on-eurasia-influential-izborsky.html; Izborsky Club proposed the idea of big bang of the Russian Federation, 25.6.2009, http://survincity.com/2009/06/izborsky-club-proposed-the-idea-of-big-bang-of-the/; Izborsk's energy, 28.9.2012, http://ru-facts.com/news/view/2703.html
AWL: A Popular Front for Russian Nationalism, 23 July, 2014, http://www.workersliberty.org/story/2014/07/23/popular-front-russian-nationalism; Dale Street: A reply to Richard Benner on the Yalta conferences, Ukraine and Russia, AWL, 29 September, 2014, http://www.workersliberty.org/node/23934; International Yalta Conference "The Global Crisis and Confrontation in Ukraine", 26.07.2014, http://rusvesna.su/english/1406322126
[69] Die Verteidigung der Yalta-Konferenz durch die LFI findet sich in zwei Artikeln dazu:
Richard Brenner: The Yalta Conference on Solidarity with the Resistance in South East Ukraine, LFI, 23/09/2014, http://fifthinternational.org/content/yalta-conference-solidarity-resistance-south-east-ukraine
Marcus Halaby: Smears and social-imperialism, the politics of the “third camp” on Ukraine, LFI, http://www.workerspower.co.uk/2014/11/smears-and-social-imperialism-the-politics-of-the-third-camp-on-ukraine/
[70] Zur Analyse und Position der RCIT zum BürgerInnenkrieg in der Ukraine siehe:
Michael Pröbsting: The Uprising in East Ukraine and Russian Imperialism. An Analysis of Recent Developments in the Ukrainian Civil War and their Consequences for Revolutionary Tactics, 22.October 2014, http://www.thecommunists.net/theory/ukraine-and-russian-imperialism/
RCIT: After the Fascist Pogrom in Odessa: Advance the Struggle against the Counterrevolution in the Ukraine! Commemoration for the Fallen Fighters in the Struggle against the Counterrevolution! All Out for the International Day of Antifascist Solidarity on 8 May! 6.5.2014, in: Revolutionary Communism No. 23, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/after-odessa-pogrom/ RCIT: Counterrevolution and Mass Resistance in the Ukraine, 17.4.2014, in: Revolutionary Communism No. 22, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/mass-resistance-in-ukraine/
Joint Statement of the RCIT and the Movement to Socialism (MAS, Russia): Ukraine: Rivalry between Imperialist Powers escalates after Right-Wing Coup: Stop the Imperialist Saber-Rattling! 2.3.2014, in: Revolutionary Communism No. 21, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/ukraine-war-threats/
MAS: Ukraine/Russia: The victory over the imperialist colonialism is impossible without the proletarian revolution! in: Revolutionary Communism No. 21, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/mas-declaration-5-3-2014/
RCIT and MAS: Right-Wing Forces Take Power in the Ukraine: Mobilize the Working Class against the New Government! 25.2.2014, in: Revolutionary Communism No. 19, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/right-wing-coup-in-ukraine/
MAS: No to the Terror of the Bandera-Fascists! Stop the Repression against the Communists of Ukraine! 22.2.2014, in: Revolutionary Communism No. 19, http://www.nuevomas.blogspot.co.at/2014/02/no-to-terror-of-bandera-fascists-stop.html
RCIT: “Ukraine: Neither Brussels nor Moscow! For an independent Workers’ Republic!” 18.12.2013, in: Revolutionary Communism No. 18, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/ukraine-neither-brussels-nor-moscow/
Für eine detaillierte Analyse Russlands als imperialistischer Großmacht siehe:
Michael Pröbsting: Lenin’s Theory of Imperialism and the Rise of Russia as a Great Power. On the Understanding and Misunderstanding of Today’s Inter-Imperialist Rivalry in the Light of Lenin’s Theory of Imperialism. Another Reply to Our Critics Who Deny Russia’s Imperialist Character, August 2014, http://www.thecommunists.net/theory/imperialism-theory-and-russia/
Michael Pröbsting: Russia as a Great Imperialist Power. The formation of Russian Monopoly Capital and its Empire – A Reply to our Critics, 18 March 2014, in: Revolutionary Communism No. 21, http://www.thecommunists.net/theory/imperialist-russia/
Michael Pröbsting: Russia and China as Great Imperialist Powers. A Summary of the RCIT’s Analysis, 28 March 2014, in: Revolutionary Communism No. 22, http://www.thecommunists.net/theory/imperialist-china-and-russia/
Michael Pröbsting: More on Russia and China as Great Imperialist Powers. A Reply to Chris Slee (Socialist Alliance, Australia) and Walter Daum (LRP, USA), 11 April 2014, in: Revolutionary Communism No. 22, http://www.thecommunists.net/theory/reply-to-slee-on-russia-china/
[71] Siehe dazu: Anton Shekhovtsov: Russian and European fascists reverse the 1945 Yalta Conference, 28 August 2014, http://anton-shekhovtsov.blogspot.co.at/2014/08/1984-russian-and-european-fascists.html
AWL: Another Yalta conference, 29 August, 2014, http://www.workersliberty.org/node/23635
[72] REVO Germany: 3. Intifada? 21. November 2014, http://www.onesolutionrevolution.de/allgemein/3-intifada/
[73] Siehe LFI: Trotzkismus im 21. Jahrhundert (Resolution des 9. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, April 2013), in: Revolutionärer Marxismus Nr. 47, S. 218
[74] Leon Trotsky: How to help the Centrists? (1929); in: Writings 1929, S. 398 (unsere Übersetzung)
[75] Siehe RCIT: Das Revolutionär Kommunistische Manifest, 2012, http://www.thecommunists.net/rcit-manifesto/
[76] Siehe z.B. die Websites unserer GenossInnen in Brasilien (http://elmundosocialista.blogspot.com), Israel/Palästina (http://www.the-isleague.com/), Britannien (https://rcitbritain.wordpress.com/), Deutschland (http://www.diekommunisten.net/) und Österreich (http://www.rkob.net).
[77] Siehe zahlreiche Artikel unserer ISL-GenossInnen auf http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/ sowie auf ihrer Website http://www.the-isleague.com/.
[78] Siehe Women’s Oppression in Israel: Studs? Rather we need more Amazons and real heroes! Interview with Hila Slutsky by the Youth Organization RED*REVOLUTION, 7 September 2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/women-in-israel-1/; Hila Slutsky: Israel: Violence against Women during the Gaza war, 19.08.2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/violence-women-gaza-war/ as well as https://www.facebook.com/mafsikot?fref=photo
[79] Siehe Brasilien: Rede von RCIT Gewerkschafter auf dem LehrerInnenkongress, Rede von J.Evangelista, Führungsmitglied einer lokalen Gewerkschaftsniederlassung in São Paulo und Abgeorndeter zum Nationalkongress von SINPEEM in Brasilien, 4.11.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/latin-america/brazil-speech-at-trade-union-congress/; CCR: Brasilien: Bericht und Video von CCR (RCIT Brazil) zur LehrerInnengewerkschaftsversammlung am 4. April 2014, 8.4.2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/latin-america/report-sinpeem-4-4-2014/; CCR: Bericht über die LehrerInnengewerkschaftsversammlung am 11. April 2014, 19.4.2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/latin-america/report-sinpeem-11-4-2014/
[80] Siehe Metallerstreik: Vorläufiger Erfolg bei der Betriebsbesetzung in Kärnten, Interview mit Christian Hoff, Mitglied des Streikkomitees und Aktivist des RKOB, http://www.rkob.net/inland/interview-mit-hoff/
[81] Victory! The Charge against RKOB Spokesperson and Palestine Solidarity Activist Johannes Wiener has been dropped! Austria: Israelite Cultus Community suffers defeat in its attack on Free Speech and Palestine Solidarity, Statement of the RKOB, 10.1.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/solidarity-with-wiener-won ; Austria: Israelite Cultus Community attempts to criminalize partisanship for the Palestinian Resistance! Charge of “Sedition” against RKOB Spokesperson and Palestine Solidarity Activist Johannes Wiener is a Pretext for Attack on Freedom of Expression, Statement of the RKOB, 20.12.2012, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/no-criminalization-of-solidarity-with-palestine; Austria: Pro-Israeli War-Mongers try to throw 20-year old Palestine Solidarity Activist into Prison. RKOB spokesperson Johannes Wiener is accused of „sedition” because of a Pro-Palestine speech during the Gaza War, Statement of the RKOB, 13.12.2012, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/no-to-criminalization-of-rcit-activist; Statements in Solidarity with RCIT Activist Johannes Wiener, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/solidarity-with-johannes-wiener.
[82] Siehe unsere Berichte auf english: Austria: School Students protest against attack on education rights! 25.11.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/austrian-school-students-protest/; Austria: School Students go on strike for their education rights! 5.12.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/austria-school-student-strike/; Austria: Successful School Student Strike on 6.December 2013! 6.12.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/austria-successful-school-student-strike/; Austria: Red*REVOLUTION calls for a second School Student Strike on December 12! 10.12.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/austria-2-school-student-strike-on-12-12/; Austria: The Great Second School Student Strike on December 12! (with Photos and Videos), 12.12.2013, http://www.thecommunists.net/worldwide/europe/austria-the-great-second-school-student-strike/; Für mehr Berichte auf deutsch siehe Website von Red*REVOLUTION at: http://www.redrevolution.at
[83] Auf http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/ gibt es zahlreiche Berichte, Bilder und Videos von Solidaritätsdemonstrationen gegen die ägyptische Diktatur. Hier zwei Berichte mit with Videos von der Demonstration in Österreich gegen die Militärdiktatur vom 20.4.2014, http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/egypt-solidarity-demo-in-austria-20-4-2014/ mit zwei Reden von Michael Pröbsting: http://www.youtube.com/watch?v=qDS2DdNSg0E&list=UUCSUT4RYehM3d6by9il4AIw und http://www.youtube.com/watch?v=pP3hcl-O0-o&list=UUCSUT4RYehM3d6by9il4AIw; Siehe auch eine Rede von Marc Hangler auf einer Kundgebung vom 14.8.2014, http://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/schweigemarsch-%C3%A4gypten-14-08-2014/; eine Rede von Johannes Wiener auf einer Kundgebung vom 4.5.2014, http://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/freies-aegypten-demo-04-05-2014/.
[84] Siehe Austria: Founding Conference of a new Workers Organization, 11.11.2014, http://www.thecommunists.net/rcit/austria-roter-widerstand/
[85] Siehe z.B. folgende Publikationen von Almedina Gunić: Alkohol ist Opium für das Volk. Eine Studie über Alkoholismus früher und heute, die Haltung der revolutionären Arbeiterbewegung und die Lehren für KommunistInnen, August 2014, http://www.thecommunists.net/theory/alkoholismus/; von Johannes Wiener: 100 Fragen und Antworten zum Sozialismus (Diese Broschüre wurde auf deutsch, englisch, portugiesisch und hebräisch veröffentlicht), http://www.thecommunists.net/theory/100-f-a-zum-sozialismus/; Johannes Wiener: Das ABC des Marxismus. Teil 1: Die Welt in der wir leben; von Yossi Schwartz: The Origins of the Jews, July 2015, http://www.thecommunists.net/theory/origins-of-jews/; Israel's War of 1948 and the Degeneration of the Fourth International, May 2013, http://www.thecommunists.net/theory/israel-s-war-of-1948/; Israel’s Six-Day War of 1967. On the Character of the War, the Marxist Analysis and the Position of the Israeli Left, July 2013, http://www.thecommunists.net/theory/israel-s-war-of-1967/; Was the People's Democratic Republic of Yemen a Deformed Workers State? August 2015, http://www.thecommunists.net/theory/south-yemen/. Weitere Publikationen von Michael Pröbsting sind: The Great Robbery of the South. Continuity and Changes in the Super-Exploitation of the Semi-Colonial World by Monopoly Capital. Consequences for the Marxist Theory of Imperialism, RCIT Books, Vienna 2013, http://www.great-robbery-of-the-south.net/great-robbery-of-south-online/download-chapters-1/chapter14/; Greece: A Modern Semi-Colony. The Contradictory Development of Greek Capitalism, Its Failed Attempts to Become a Minor Imperialist Power, and Its Present Situation as an Advanced Semi-Colonial Country with Some Specific Features, November 2015, http://www.thecommunists.net/theory/greece-semi-colony/; Cuba’s Revolution Sold Out? The Road from Revolution to the Restoration of Capitalism, August 2013, http://www.cuba-sold-out.net/; China‘s transformation into an imperialist power. A study of the economic, political and military aspects of China as a Great Power, in: Revolutionary Communism No. 4, http://www.thecommunists.net/publications/revcom-number-4; Lenin’s Theory of Imperialism and the Rise of Russia as a Great Power. On the Understanding and Misunderstanding of Today’s Inter-Imperialist Rivalry in the Light of Lenin’s Theory of Imperialism. Another Reply to Our Critics Who Deny Russia’s Imperialist Character, August 2014, http://www.thecommunists.net/theory/imperialism-theory-and-russia/; Russia as a Great Imperialist Power. The formation of Russian Monopoly Capital and its Empire – A Reply to our Critics, 18 March 2014, in: Revolutionary Communism No. 21, http://www.thecommunists.net/theory/imperialist-russia/; The British Left and the EU-Referendum: The Many Faces of pro-UK or pro-EU Social-Imperialism. An analysis of the left’s failure to fight for an independent, internationalist and socialist stance both against British as well as European imperialism, August 2015, http://www.thecommunists.net/theory/british-left-and-eu-referendum/; The Struggle for Democracy in the Imperialist Countries Today. The Marxist Theory of Permanent Revolution and its Relevance for the Imperialist Metropolises, August 2015, http://www.thecommunists.net/theory/democracy-vs-imperialism/; Is Lenin’s Theory of Imperialism Incompatible with the Concept of Permanent Revolution? Some Notes and Answers to Arguments by Our Critics, May 2015, http://www.thecommunists.net/theory/imperialism-theory-and-permanent-revolution/; The Uprising in East Ukraine and Russian Imperialism. An Analysis of Recent Developments in the Ukrainian Civil War and their Consequences for Revolutionary Tactics, 22.October 2014, http://www.thecommunists.net/theory/ukraine-and-russian-imperialism/; On some Questions of the Zionist Oppression and the Permanent Revolution in Palestine. Thoughts on some exceptionalities of the Israeli state, the national oppression of the Palestinian people and its consequences for the program of the Bolshevik-Communists in Palestine, May 2013, http://www.thecommunists.net/theory/permanent-revolution-in-palestine/; Healy’s Pupils Fail to Break with their Master (Reply to Socialist Fight / LCFI). The revolutionary tradition of the Fourth International and the centrist tradition of its Epigones Gerry Healy and the ”International Committee”, October 2013, http://www.thecommunists.net/theory/healy-and-fourth-international/; The Coup d'État in Egypt and the Bankruptcy of the Left’s “Army Socialism”. A Balance Sheet of the coup and another Reply to our Critics (LCC, WIVP, SF/LCFI), 8.8.2013, http://www.thecommunists.net/theory/egypt-and-left-army-socialism/; Liberation struggles and imperialist interference. The failure of sectarian ‘antiimperialism’ in the West: Some general considerations from the Marxist point of view and the example of the democratic revolution in Libya in 2011, in: Revolutionary Communism, No. 5; www.thecommunists.net/theory/liberation-struggle-and-imperialism; see more at: http://www.thecommunists.net/theory/
Unsere 25jährige Arbeit im Aufbau einer nationalen und internationalen bolschewistischen Organisation hat uns mit reicher Erfahrung ausgestattet. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Lehren zusammen.
Die Unersetzlichkeit einer bolschewistischen Organisation – national und international
Im Rückblick auf 25 Jahre bolschewistischen Parteiaufbau können wir – trotz der Rückschläge, die wir neben unseren Erfolgen erlebt haben – eindeutig sagen, dass eine demokratisch und zentral organisierte Tendenz für die Verteidigung des revolutionären Programms und die Heranbildung neuer Schichten kommunistischer AktivistInnen unerlässlich ist. Kleinbürgerliche Intellektuelle und ihre postmodernen Zirkel kommen und gehen und hinterlassen irgendwelche “Theorien”, an die sich ein Jahr später niemand mehr erinnert. Diverse amorphe “pluralistische” Gruppen wie das “Antikapitalistische Netzwerk” oder das “Internationale Sozialistische Netzwerk” in Britannien sind nur ein paar wenige der jüngsten Beispiele dafür.
Ebenso unerlässlich ist es für RevolutionärInnen, nationale Isolation zu vermeiden und regelmäßig mit GenossInnen auf der ganzen Welt, die der gleichen Organisation angehören, zusammenzuarbeiten und sich auszutauschen. Das ist zwar keine Gewähr dafür, keine Fehler zu machen, doch wenn eine Gruppe ihre nationale Isolation selbstzufrieden akzeptiert, ist sie auf Dauer dazu verurteilt, politisch zu degenerieren. Um das zu vermeiden, investiert die RCIT große Anstrengungen in die Produktion internationaler Propaganda in verschiedenen Sprachen.
Die Einheit von Theorie und Praxis muss in allen Bereichen der Parteiarbeit umgesetzt werden
In allen Bereichen der Parteiarbeit muss auf strikteste Umsetzung der Einheit von Theorie und Praxis geachtet werden. Natürlich muss dieser Lehrsatz entsprechend den konkreten Umständen angewendet werden. Das Programm darf nie als Ansammlung allgemeiner Prinzipien gesehen werden, vielmehr müssen diese Prinzipien mit Taktiken und Losungen für den Kampf kombiniert werden. Das ermöglicht uns, das Programm als konkretes Aktionsprogramm zu präsentieren und so AktivistInnen erklären zu können, worin die praktischen Schlussfolgerungen der kommunistischen Prinzipien aktuell liegen. Das Prinzip der Einheit von Theorie und Praxis erlaubt uns auch, Propaganda mit exemplarischer Massenarbeit zu kombinieren. Damit können wir unser Programm in der Tat einer größeren Avantgarde demonstrieren und neue Schichten von AktivistInnen erreichen.
Außerdem stellt das sicher, dass wir keine Phrasendrescher gewinnen, sondern nur jene, die bereit sind für unser Programm auch zu kämpfen. Damit verbunden ist auch unser Anspruch, dass organisatorische Arbeit in der Partei oder ihrer Vorform nicht weniger wichtig ist als Propaganda- oder theoretische Arbeit. In der LFI begegneten wir einer verbreiteten dilettantischen Haltung bezüglich der Aufgaben des Parteiaufbaus, die trotz intensiver Anstrengungen diverser GenossInnen nicht korrigiert werden konnte. Eine revolutionäre Gruppe muss zur organisatorischen Seite des Parteiaufbaus einen ernsthaften Zugang haben, wie er in führenden Bolschewiki wie Nadezhda Krupskaja, Jelena Stasova, Jakow Swerdlow oder Leonid Krasin personifiziert worden ist. Wir schätzen unsere mit organisatorischen und technischen Fähigkeiten begabten GenossInnen um nichts weniger als jene, die gute PropagandistInnen oder TheoretikerInnen sind.
In Zusammenhang damit steht ein Verständnis, dass es zum Aufbau einer kommunistischen Parteiaufbauorganistion in ihren anfänglichen Stadien nicht ausreicht, individuelle GenossInnen mit dem einen oder anderen Talent zu haben. Vielmehr ist ein Kollektiv von AktivistInnen nötig, die zusammen die nötigen Fähigkeiten – Verständnis der marxistischen Theorie, PropagandistInnen wie auch AgitatorInnen und disziplinierte OrganisatorInnen – kombinieren und gemeinsam ein homogenes Team bilden. Das geschieht nicht automatisch oder durch Annahme von Resolutionen, sondern erfordert bewusste Planung und Begleitung in Schulung und Auswahl. Und das nicht nur einmal, sondern als Prozess, der fortwährend wiederholt wird, um ein solches Kollektiv an AktivistInnen zu erneuern und zu erweitern.
Weiters haben wir nicht nur das Ziel des Aufbaus einer ArbeiterInnenorganisation verkündet, sondern es – nach langen internen Kämpfen in der LFI – mit der Gründung und Entwicklung der RCIT auch erreicht. Allem kleinbürgerlichen Skeptizismus zum Trotz haben wir in der Praxis bewiesen, dass es wünschenswert, möglich und notwendig ist, kommunistische Parteiaufbauorganisation inklusive deren Führungen mit vorwiegend proletarischer Klassenzusammensetzung aufzubauen.
Eine weitere Form der Umsetzung der Einheit von Theorie und Praxis ist die Fähigkeit der revolutionären Organisation, jegliche Tendenzen in Richtung Routine zu vermeiden und auf plötzliche Ereignisse des Klassenkampfs rasch und entschlossen reagieren zu können. Solch eine Anwendung von Lenins Politik der “scharfen Wendungen” hat wiederholt eine wichtige Rolle in der Geschichte unserer Strömung gespielt. Sie hat uns dazu befähigt, immer wieder eine initiative und führende Rolle in der Organisation von Massenaktionen wie etwa einer Reihe von SchülerInnenstreiks und anderen Protesten zu spielen.
All das zeigt auch die zentrale Bedeutung der Führung in einer revolutionären Partei bzw. der Parteivorform. Die Führung – die üblicherweise die erfahrensten und engagiertesten GenossInnen umfasst – spielt eine zentrale Rolle im raschen Verständnis neuer Entwicklungen im Klassenkampf, den Möglichkeiten für den Parteiaufbau wie auch Schwierigkeiten und eventuellen Gefahren für die Organisation. Solch eine Führung darf nicht nur einseitig aus GenossInnen mit theoretischen und literarischen Fähigkeiten bestehen, sondern muss auch jene erfassen, die wesentlich für die organisatorischen Aufgaben und die Massenarbeit sind.
Letztlich ist die Einheit von Theorie und Praxis auch für die Beurteilung der Entwicklung von Organisationen und AktivistInnen unerlässlich. Wenn wir eine zentristische Gruppe sehen, die sich in einem Veränderungsprozess befindet, beurteilen wir sie nicht nur anhand ihres Programms (so wichtig das auch ist), sondern wir blicken auch auf ihre Klassenzusammensetzung, auf ihre Aktivitäten, auf ihre Perspektiven. Dasselbe gilt ebenso für die Einschätzung von Individuen.
Eine derartige Einschätzung muss auch die spezifischen nationalen Bedingungen und den Charakter der Periode, in der RevolutionärInnen arbeiten, in Betracht ziehen. Eine einseitige Überbetonung von Propaganda ist immer falsch. Unter konterrevolutionären Bedingungen, wo GenossInnen strikt gegen den Strom schwimmen müssen, ist das aber weniger problematisch. Überbetonung von Agitation und Mangel an Propaganda und theoretischer Schulung ist immer ein Problem, doch dies gilt weniger in Zeiten des Aufschwungs des Klassenkampfs als während reaktionärer Phasen.
Die Zentralität des revolutionären Programms
Wir haben oft festgehalten, dass die Partei ohne ein korrektes Programm keinen politischen Kompass hat. Wir wiesen immer jene Zentristen zurück, die meinten, es sei “unmöglich, ein revolutionäres Programm zu erarbeiten”, ohne zuerst über eine “Partei nennenswerter Größe” zu verfügen oder “eine erfolgreiche Revolution erlebt” zu haben. Mit solchen Argumenten hätten Marx und Engels das Kommunistische Manifest nicht geschrieben und die russischen MarxistInnen hätten 1903 kein Parteiprogramm erarbeiten können. So wie die ArbeiterInnenklasse zu jeder Zeit eine revolutionäre Partei braucht, muss eine revolutionäre Organisation bei jeder politischen Wetterlage einen politischen Kompass haben. Sie braucht ihn ungeachtet ihrer nummerischen Stärke oder Schwäche. Die Verweigerung, ein revolutionäres Programm auszuarbeiten, garantiert den Weg in politische Verwirrung und Degeneration. Ein kommunistisches Programm legt ein unverzichtbares Fundament für den Aufbau und die Entwicklung der revolutionären Kontinuität.
RevolutionärInnen müssen aus den Erfahrungen der ArbeiterInnenbewegung wie auch aus ihren eigenen lernen. Im RCIT-Programm hielten wir fest: “Das Programm von uns Bolschewiki-KommunistInnen ist die Kodifizierung, die Zusammenfassung und Verallgemeinerung der Lehren der vergangenen Klassenkämpfe sowie der erfolgreichen und gescheiterten Versuche im Aufbau einer revolutionären Weltpartei.” [1]
Ohne unsere programmatischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte hätte unsere Strömung nicht als revolutionäre Kraft überleben können. Unser Programm wies uns in historischen Perioden wie dem Zusammenbruch des Stalinismus, dem imperialistischen “Krieg gegen den Terror” oder bei Arbeitskämpfen und Aufständen von Unterdrückten die richtige Richtung. Ohne das Programm wären wir wie die Zentristen geendet, die eher von den verschiedenen Stimmungen der bürgerlichen öffentlichen Meinung, der Arbeiterbürokratie und der kleinbürgerlichen Intelligenzija getrieben worden ist. Das führt zu einer prinzipienlosen Zick-Zack-Politik, die sowohl die unvollständige Radikalisierung der ArbeiterInnen bzw. der Jugendlichen wie auch die Kapitulation vor nicht-proletarischen Kräften widerspiegelt. Unser ernsthafter Zugang zum Programm hat uns außerdem dazu befähigt, es weiterzuentwickeln, wenn es Schwächen hatte und gegen Abweichungen innerhalb unserer Strömung anzukämpfen.
Weiterentwicklung von Programm und Theorie
Das Verständnis der Notwendigkeit eines revolutionären Programms muss Hand in Hand mit dem Wunsch der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Programms und der Theorie des Marxismus gehen. Angesichts der ständigen Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und des Klassenkampfs ist das notwendigerweise eine permanente Aufgabe. Im RCIT-Programm schrieben wir:
“Bedeutet das, dass unser Programm ‘das letzte Wort’ ist? Nein, natürlich nicht. Es gibt kein ‘letztes Wort’, denn die Welt steht nie still. So wie sich die Gesellschaft als solche ständig weiter entwickelt, die ArbeiterInnen und Unterdrückten stets neue Erfahrungen sammeln, so muss auch ein Programm von seiner Natur her immer weiter entwickelt werden. Es muss neue Entwicklungen, neue Erfahrungen, neue Lehren mit einschließen, denn sonst verkommt es zu einem leblosen Dogma. (…) Wie wir bereits sagten, betrachten wir unser Programm keineswegs als ‘letztes Wort’. Viele Erfahrungen der revolutionären Bewegungen weltweit konnten aufgrund unserer bislang auf wenige Länder beschränkten Existenz nur unzureichend berücksichtigt werden. Die RCIT ist gegenwärtig eine noch kleine internationale Organisation mit AktivistInnen in Asien, Europa und Nordamerika. Wir sind uns daher der Unzulänglichkeiten unseres Programms vollkommen bewusst.” [2]
Auch Lenin betonte einen solchen Zugang zur marxistischen Theorie:
„Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares; wir sind im Gegenteil davon überzeugt, dass sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozialisten nach allen Richtungen weiterentwickeln müssen, wenn sie nicht hinter dem Leben zurückbleiben wollen. Wir sind der Meinung, dass es für die russischen Sozialisten besonders notwendig ist, die Theorie von Marx selbständig weiterzuentwickeln, denn diese Theorie liefert lediglich die allgemeinen Leitsätze, die im einzelnen auf England anders angewandt werden als auf Frankreich, auf Frankreich anders als auf Deutschland, auf Deutschland anders als auf Russland. Darum werden wir in unserer Zeitung gern Artikel über theoretische Fragen bringen und fordern alle Genossen zu einer offenen Erörterung der strittigen Punkte auf.“ [3]
Wir sehen daher die von uns bisher geleistete Erarbeitung eines revolutionären Programms und unsere Weiterentwicklung der marxistischen Theorie nicht als Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir haben erlebt, dass Diskussionen und Zusammenarbeit mit RevolutionärInnen aus anderen Ländern unser Verständnis immer noch mehr erweitert und vertieft hat. Das wird zweifelsohne auch in Zukunft so sein.
Außerdem haben wir auf verschiedenen Gebieten unserer theoretischen Arbeit im Verlauf der Geschichte unserer Bewegung Schwächen entdeckt. Folglich haben wir diese und diverse blinde Flecken korrigiert (z.B. bzgl. Imperialismustheorie, MigrantInnen, der Frage der Schwarzen, der nationalen Frage, Verzerrungen von Lenins Verständnis der Arbeiterbürokratie, der Theorie des Parteiaufbaus, der Losung der Arbeiterregierung, des verpflichtenden Militärdiensts, der halbkolonialen europäischen Länder und ihrem Beitritt zur EU usw.).
Es gibt jedoch noch mehr zu tun als theoretische und Forschungsarbeit. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: so müssen wir unsere Analyse der Arbeiteraristokratie vertiefen oder auch das Programm zur Frauenbefreiung in der halbkolonialen Welt. Eine weitere wichtige Aufgabe für MarxistInnen ist die Weiterentwicklung der marxistischen Philosophie – ansetzend an die Ausarbeitungen der marxistischen Klassiker und der dialektisch-materialistischen Schule Deborins in der UdSSR in den 1920er Jahren und unter Zurückweisung verschiedener revisionistischer Abweichungen wie des Strukturalismus oder der Frankfurter Schule.
Wichtigkeit der exemplarischen Massenarbeit
Unsere Erfahrung hat die Bedeutung exemplarischer Massenarbeit auch für eine kleine kommunistische Parteivorform gezeigt. Ohne eine solche Arbeit ist eine kleine Gruppe dazu verurteilt, eine passiv-propagandistische Sekte zu werden, auch wenn sie über das beste Programm der Welt verfügt. Die exemplarische Massenarbeit verhalf uns zu wichtigen Erfahrungen und zu neuen im Klassenkampf erprobten AktivistInnen.
Gleichzeitig erlebten wir Gruppen – innerhalb wie außerhalb der LFI –, die nicht zur Massenarbeit willens oder fähig waren und die zu Sekten degenerierten. Eine Gruppe kann nicht über längere Zeit einen gesunden kommunistischen Kampgeist aufrecht erhalten, wenn sie nicht regelmäßig als KommunistInnen Arbeit unter den Volksmassen leistet. Natürlich muss solche Massenarbeit mit kommunistischer Propaganda und Agitation und mit offener Flagge der bolschewistischen Organisation stattfinden, um neue AktivistInnen zu gewinnen. Natürlich mögen in Fällen Ausnahmen notwendig werden, in denen ernsthafte Gefahren für kommunistische AktivistInnen bestehen und damit die Parteiarbeit in diesem Bereich gefährdet wird. KommunistInnen werden auch die Betonung zwischen Propaganda, Theorie und Schulung einerseits und Agitation und Massenarbeit andererseits gemäß dem Charakter der Periode unterschiedlich gewichten. Zum Beispiel wird in einer konterrevolutionären Phase das Gewicht mehr auf Seiten von Propaganda, Theorie und Schulung liegen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Auswahl der Bereiche für exemplarische Massenarbeit ist das Kriterium, wie sie getroffen wird. Für uns ist nicht relevant, welcher Bereich von der kleinbürgerlichen Linken als interessant angesehen wird. Für uns ist das Hauptkriterium, welche Themen und welche Kämpfe für die unteren und mittleren Schichten der ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten wichtig sind, denn es sind diese Schichten, die wir vor allem für unsere Reihen gewinnen wollen.
Spaltungen und Fusionen
In unserer Geschichte haben wir eine Reihe von Spaltungen und Fusionen erlebt. Wenn methodische Differenzen unlösbar werden und zu endloser Lähmung führen, ist eine Spaltung meist zu bevorzugen. Die Erfahrungen der österreichischen Sektion zeigten uns, dass wir jedes Mal, wenn wir eine Spaltung erlebt hatten, nicht nur politisch reifer und entschlossener daraus hervorgingen, sondern auch – zwei oder drei Jahre danach – nummerisch stärker waren als vor der Spaltung. Auch können wir sagen, dass wir, wenn wir mit der LFI-Mehrheit nicht gebrochen hätten, programmatisch und organisatorisch degeneriert und numerisch geschrumpft wären.
Systematische Abweichungen vom echten Marxismus zu tolerieren und zu hoffen, dass solche innerparteilichen Probleme sich von selbst lösen mögen, ist eine Methode, die in die sichere Degeneration führt. Das war auch eine wichtige Lehre, die die Trotzkis Linke Opposition 1927 gelernt hatte:
“Die Arbeiter, die überwältigende Mehrheit in den sozialistischen Parteien des Westens vor dem imperialistischen Krieg, waren unbedingte Gegner eines opportunistischen Abgleitens. Aber sie waren nicht in der Lage, die damals noch unbedeutenden opportunistischen Fehler rechtzeitig zu korrigieren. Sie unterschätzten deren Bedeutung. Sie begriffen nicht, daß die erste ernsthaften historischen Erschütterung nach der langen Periode einer friedlichen Entwicklung, die eine mächtige Arbeiterbürokratie und Arbeiteraristokratie hervorbrachte, nicht nur die Opportunisten, sondern auch die Zentristen zwingen würde, vor der Bourgeoisie zu kapitulieren, und daß die Masse in diesem Augenblick entwaffnet dastehen könnte. Wenn man den revolutionären Marxisten, den Vertretern des linken Flügel der II. Internationale in der Zeit vor dem Krieg etwas vorwerfen kann, dann nicht, daß sie die Gefahren des Opportunismus übertrieben hätten, als sie diesen eine national-liberale Arbeiterpolitik nannten, sondern daß sie sich auf die proletarische Struktur der damaligen sozialistischen Parteien, auf den revolutionären Instinkt des Proletariats, auf die Verschärfung der Klassenwidersprüche verlassen haben, die Gefahr in der Praxis unterschätzten und die revolutionäre Unterklassen nicht energisch genug dagegen mobilisierten. Diesen Fehler werden wir nicht wiederholen.” [4]
Natürlich gibt es keinen Grund für KommunistInnen, eine Spaltung leichtfertig herbeizuführen. Doch sie sollten sich davor auch nicht fürchten, wenn sich Differenzen als zu tief und unversöhnlich erweisen. Parteiaufbau ohne Spaltungen ist unmöglich. Deshalb merkte Engels einst an:
„Übrigens hat schon der alte Hegel gesagt: Eine Partei bewährt sich dadurch als die siegende, dass sie sich spaltet und die Spaltung vertragen kann. Die Bewegung des Proletariats macht notwendig verschiedne Entwicklungsstufen durch; auf jeder Stufe bleibt ein Teil der Leute hängen und geht nicht weiter mit; daraus allein schon erklärt sich, weshalb die ‚Solidarität des Proletariats’ in der Wirklichkeit überall in verschiednen Parteigruppierungen sich verwirklicht, die sich auf Tod und Leben befehden wie die christlichen Sekten im Römischen Reich unter den schlimmsten Verfolgungen.“ [5]
Ein wichtiges Instrument, die Gefahr von Spaltungen zu reduzieren, ist die Fähigkeit der Führung, mögliche Probleme in der Parteiarbeit zu antizipieren und rasch zu intervenieren, um allfälligen Schaden zu minimieren. Eine solch sensible und flexible Haltung der Führung diente uns mehrfach in der Unterstützung von GenossInnen, die dem einen oder anderen Problem in seiner/ihrer Entwicklung gegenüberstanden und bei dessen Überwindung ohne unnötige Spannungen oder Konflikte.
Andererseits erlebten wir auch eine Reihe positiver Erfahrungen beim Zusammenschluss mit Organisationen, die aus einem anderen politischen Hintergrund kommen. Wir betrachten Übereinstimmung im Programm hinsichtlich des revolutionären Kampfs in der gegenwärtigen Periode wie auch hinsichtlich der strategischen Aufgaben und Methoden im Parteiaufbau als wesentlich für eine Fusion. Im Gegensatz zu verschiedenen Sekten sehen wir Übereinstimmung bei vergangenen historischen Ereignissen, die keine direkte Relevanz für die gegenwärtige Periode haben, nicht als notwendige Vorbedingung für eine Fusion. Man kann sagen, dass eine konsistente revolutionäre Linie zu Übereinstimmung sowohl bei vergangenen wie auch gegenwärtigen Ereignissen führen muss. Dem stimmen wir zu. Doch eine revolutionäre Partei wie auch eine Parteiaufbauorganisation wird unausweichlich GenossInnen und Gruppen in ihren Reihen haben, die nicht “konsistent” sind. Das Leben ist voller Widersprüche und RevolutionärInnen wären dumm und sektiererisch, die Möglichkeit auszuschließen, mit Kräften zusammenzuarbeiten und sich mit ihnen zu verbinden, mit denen sich letztlich tiefe methodologische Übereinstimmung ergeben könnte. Bei ihrem Zusammenschluss im August 1917 verlangten die Bolschewiki niemals von Trotzkis Mezhraionka, ihren falschen Standpunkt in der Vergangenheit zur Frage der Einheit innerhalb der russischen Sozialdemokratie aufzugeben. Auch verlangte Trotzki nicht von Sneevliet und seiner Revolutionären Sozialistischen Partei, die vor 1933 gegen die Orientierung der Linken Opposition auf eine Reform der Kommunistischen Internationale waren, eine derartige Selbstkritik, als sie sich 1933/34 den Kräften der Vierten Internationale anschlossen. Das gleiche sehen wir bei Trotzkis Herangehensweise an die Taktik des Blocks der Vier, der damals die von Jakob Walcher geführte SAP miteinschloss – einer Strömung, die Brandlers völlig falsche Haltung während der gescheiterten deutschen Revolution im Herbst 1923 teilte.
Diese Methode des Parteiaufbaus ermöglichte uns die Heranziehung von Gruppen und Individuen, die einen anderen politischen Ursprung haben und andere Traditionen kennen als die Gründungskader der RCIT. Sie hat uns ermöglicht, sowohl in unseren vier Gründungssektionen wie auch bei der Gewinnung neuer Gruppen unterschiedlichste Erfahrungen aufzunehmen. Heute stellen frühere LFI-Mitglieder außerhalb der US-Sektion nirgendwo auch nur eine nennenswerte Minderheit unserer Mitgliederschaft.
Verankerung der kommunistischen Parteiaufbauorganisation in der ArbeiterInnenklasse
Auf lange Sicht hat die Klassenzusammensetzung einer revolutionären Organisation enorme Konsequenzen für ihr politisches Schicksal. Natürlich ist es möglich, dass eine kleine Gruppe mit einer nicht-proletarischen Zusammensetzung beginnt und vorerst hauptsächlich Intellektuelle und Arbeiteraristokraten in ihren Reihen hat. Das ist keine Tragödie … solange die GenossInnen sich dieses Problems bewusst sind und Maßnahmen unternehmen, um ihre Klassenzusammensetzung systematisch zu verbessern.
Wenn sie dabei scheitern, werden sich die GenossInnen eine schlechte Mentalität aneignen und es wird immer schwieriger, ArbeiterInnen und proletarische Jugendliche zu gewinnen. Wir haben erlebt, wie während unseres Kampfs in der LFI GenossInnen unter den Einfluss abwechselnder politischer Modeerscheinungen in den Bann der fortschrittlichen kleinbürgerlichen Intelligenzija gerieten (postmodernistischer Skeptizismus, Attraktivität von pluralistischen linken Einheitsprojekten, Mangel an Hingabe, Schwierigkeiten im Gespräch mit und in der Gewinnung von ArbeiterInnen und proletarischen Jugendlichen usw.)
Jede revolutionäre Organisation, die sich ernsthaft unter den massenproletarischen Elementen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten verankern will – und nicht der Intelligenzija und der Arbeiteraristokratie –, muss von Anfang an ihre Mitglieder stark darauf hin orientieren, an der Seite der Volksmassen zu arbeiten. Sie muss gegen jede Form von aristokratischem Vorurteil kämpfen und prüfen, ob ihre Mitglieder dazu willens und fähig sind, zu lernen, in und mit den proletarischen Massen zu arbeiten.
Gemäß unserer Erfahrung ist es ebenso wichtig, dass eine revolutionäre Organisation aktiv die Entwicklung ihrer Mitglieder aus den unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten zu Kadern vorantreibt. Sie muss engagierte Mitglieder bewusst auswählen und sie darin unterstützen, zu FührerInnen zu werden. Es ist die Feuerprobe für Erfolg oder Scheitern einer revolutionären Organisation als proletarische Kampforganisation, ob es ihr gelingt, eine Reihe von Kadern aus den unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten zu bilden, so dass diese einen signifikanten Anteil ihrer Führung darstellt. Alles in allem sollte sie danach streben, eine überwiegend proletarische Zusammensetzung der Führung aufzuweisen.
GenossInnen mit nicht-proletarischem Hintergrund, die bereit sind, mit ihren Klassenverbindungen zu brechen und auf ihre Privilegien, den relativen Wohlstand und ihre Karrierechancen zu verzichten; die ihre gesamte Zeit als VollzeitparteiarbeiterInnen der Organisation widmen oder bewusst einen proletarischen Arbeitsplatz innerhalb der unteren Schichte unserer Klasse annehmen; die Mittelschichtskarrieristen ablehnen; und die bescheiden ihr Bestes geben, um die ArbeitergenossInnen zu Kadern heranzubilden – solche hingebungsvollen KommunistInnen werden in unseren Reihen immer willkommen sein, ungeachtet ihrer Klassenherkunft.
Kampf gegen Linksreformismus und Zentrismus
Eine bolschewistische Organisation kann nur für ein revolutionäres Programm kämpfen, wenn sie entschlossen ist, gegen jene zu kämpfen, die die Ideen des Marxismus entstellen. Der Kampf um Ideen findet nicht in einem Vakuum statt, sondern spiegelt den Kampf zwischen den Klassen wider. Er kann also nur als Kampf zwischen Gruppen von Menschen (Parteien, Gewerkschaften, Institutionen etc.) stattfinden. MarxistInnen kämpfen gegen jene, die die revolutionären Schlussfolgerungen des Marxismus im Namen des “Marxismus” zurückweisen. Sie nehmen den Kampf auf, weil diese Linksreformisten und Zentristen unter der Avantgarde nur Verwirrung können.
Diskussionen und Zusammenarbeit mit solchen Gruppen ist dann sinnvoll, wenn sich diese – oder Teile davon – in einem Prozess der Hinterfragung und des Wegbrechens von ihren zentristischen Wurzeln befinden. Es kann auch notwendig sein, sich linksreformistischen und zentristischen Gruppen taktisch zuzuwenden, wenn diese radikalisierte neue Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten um sich scharren.
Abseits solcher Situationen ist es jedoch falsch, sich auf dieses kleinbürgerliche linke Milieu zu orientieren. Eine revolutionäre Organisation sollte sich darauf orientieren, neue ArbeiterInnen und Jugendliche zu gewinnen, die sich dem Klassenkampf anschließen und nach einer Alternative suchen. Diese Schichten sind frische Kräfte im Klassenkampf und von entstellten marxistischen Ideen unbelastet.
In einem unserer Dokumente zu den Perspektiven der Weltlage merkten wir hinsichtlich der Frage des Parteiaufbaus in der gegenwärtigen Periode an:
“Genau wegen ihrer Orientierung auf die Arbeiterbürokratie und die kleinbürgerliche Intelligenzija ist die Masse des zentristischen und linksreformistischen Milieus zunehmend durchsetzt von Pessimismus, Skeptizismus, Klagen über den Mangel der ‘linken Einheit’, hysterischer Abkehr vom ‘leninistischen Hyper-Zentralismus’ und vom Konzept der ‘Avantgardepartei’ sowie voll des Lobes für das Liquidatorentum. Wahre RevolutionärInnen hingegen orientieren sich auf die neuen, kämpferischen Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten, die nach einem Programm und einer Strategie für den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung suchen. Das ist die Grundlage unseres Optimismus und unsere Stärker. Jene, die sich in eine revolutionäre Richtung entwickeln wollen, müssen sich von der Orientierung auf den zentristischen und linksreformistischen Sumpf lösen und sich im gesunden, kämpferischen proletarischen Milieu verwurzeln.
Das heißt nicht, dass RevolutionärInnen die reformistischen Parteien oder die zentristischen Gruppen ignorieren sollen. Die Politik der Einheitsfronttaktik bleibt aufrecht, solange die Notwendigkeit zum harten Kampf zur Beseitigung dieses revisionistischen Einflusses in der Arbeiteravantgarde gegeben ist. In erster Linie aber orientiert sich die RCIT auf neue AktivistInnen und Initiativen aus den Reihen der ArbeiterInnen und der Unterdrückten. Nur aus diesen Schichten werden neue vielversprechende Kräfte und eine neue Dynamik erwachsen. Und solche Entwicklungen können die gesünderen Elemente in den Reihen des Linksreformismus und Zentrismus beeinflussen und dazu beitragen, sich von der verrotteten Methode der Revisionisten zu lösen.
RevolutionärInnen müssen tiefgreifend verstehen, dass der Kapitalismus nicht nur eine neue historische Periode massiver Instabilität und scharfer Wendungen erreicht hat, sondern dass das auch in der ArbeiterInnenbewegung so ist. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Jene Kräfte, die den Charakter der Periode und ihre daraus hervorgehenden Aufgaben nicht begreifen, sind dazu verurteilt, immer mehr zu degenerieren und nach rechts gedrängt zu werden. Jene Kräfte aber, die sich einem Verständnis der extrem antagonistischen Natur der gegenwärtigen Periode annähern, die sich den Massen in ihrem Kampf anschließen wollen – vor allem den unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und den Unterdrückten -, ohne arrogant über deren ‘rückständiges Bewusstsein’ zu spotten und die entschlossen sind, kompromisslos für das revolutionäre Programm zu kämpfen und die reformistischen und zentristischen Verräter angreifen – diese Kräfte können sich erneuern und eine gesunde und äußerst positive Rolle im Kampf für den Aufbau der neuen Weltpartei der sozialistischen Revolution spielen.
Im Bewusstsein der Beschränktheit historischer Vergleiche muss man erkennen, dass die gegenwärtige Periode bis zu einem gewissen Grad Ähnlichkeiten mit den Jahren nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zeigt. In dieser Periode ging die ArbeiterInnenbewegung durch tiefe Krisen, Spaltungen und Veränderungen. In dieser Periode trat die Fäulnis der zentristischen Mehrheit der Zweiten Internationale – die bereits vor 1914 bestand, aber weniger sichtbar war – voll hervor. Die Orientierung und Taktik Lenins und seiner Unterstützer sind für die Bolschewiki-KommunistInnen heute äußerst lehrreich.” [6]
Derart ist eine Reihe von Lehren, die wir in der RCIT aus unserer Erfahrung gezogen haben. Wir leben und handeln in lebendiger Geschichte, wir können sicher sein, dass die nächsten Jahre noch mehr Erfahrungen mit sich bringen werden. Um die vor uns liegenden Gelegenheiten zu nutzen, werden wir weiterhin auf Grundlage unseres marxistischen Programms und der erprobten Methoden des Parteiaufbaus arbeiten. Wir rufen RevolutionärInnen auf der ganzen Welt auf, sich uns im Kampf für das wichtigste Ziel anzuschließen, solange das kapitalistische Ausbeutungssystem besteht: den Aufbau revolutionärer Parteien und der Fünften ArbeiterInneninternationale!
[1] RCIT: Das Revolutionär Kommunistische Manifest, S. 5
[2] RCIT: Das Revolutionär Kommunistische Manifest, Wien 2012, S. 4f.
[3] W. I. Lenin: Unser Programm (1899), in: LW Bd. 4, S. 205f.
[4] Leon Trotsky: Platform of the Joint Opposition (1927), , S.1006 (Hervorhebung im Original)
[5] Friedrich Engels: Brief an August Bebel, 20. Juni 1873. in: MEW 33, S. 591
[6] RCIT: The World Situation and the Tasks of the Bolshevik-Communists (March 2013). Theses of the International Executive Committee of the Revolutionary Communist International Tendency, March 2013, in: Revolutionary Communism No. 8, S. 42, http://www.thecommunists.net/theory/world-situation-march-2013/