Vorwort der Redaktion
Nachfolgend veröffentlichen wir einen Offenen Brief, der von 35 prominenten Israelis, unter anderem Universitätsgelehrte und Preisträger, unterzeichnet wurde. Dieses Dokument wurde anlässlich einer Konferenz in Wien unter dem Titel "Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus - Sicherung jüdischen Lebens in Europa" verfasst. Dieser Konferenz, die am 21. November stattfand, wurde von der österreichischen Bundesregierung in ihrer Funktion als EU-Ratspräsidentschaft organisiert
Die Konferenz stellt den Versuch des europäischen Imperialismus dar, den rassistischen Apartheidstaat Israel zu unterstützen und Antizionisten und Anhänger des palästinensischen Freiheitskampfes zu kriminalisieren. So behauptet das Programm der Konferenz: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“ Der Zweck dieser Behauptung besteht darin, Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen und dadurch Kritikerinnen und Kritiker des israelische Apartheidstaates anzugreifen, zu isolieren und zu kriminalisieren. Wie wir berichteten, wurden Aktivisten der RCIT und andere wiederholt Opfer solcher reaktionären Verleumdungen und Kriminalisierungsversuche. (1)
Der von prominenten Israelis verfasste Offene Brief ist ein bemerkenswertes Dokument als er solche Versuche der Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus durch die europäischen Regierungen vehement kritisiert (nebenbei bemerkt gibt es auch in den USA ähnliche Vorstöße durch fanatische Israel-Unterstützer). Das Dokument stellt zutreffend fest: „Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie Nichtjuden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen.“
Das Dokument ist umso bemerkenswerter als es von Leuten verfasst wurde, die uns politisch in keiner Weise nahestehen. Sie haben nichts mit Marxismus oder konsequenten Antiimperialismus zu tun. Sie können eher als fortschrittliche Liberal bezeichnet werden. Das drückt sich, unter anderem, auch darin aus, dass die Rolle der EU in diesem Dokument zu positiv dargestellt wird. Aber genau aus diesem Grund stellt der Offene Brief eine höchst erfreuliche Entwicklung dar. Er wiederspiegelt die sich ausbreitenden weltweite Ablehnung der fanatischen Offensive des israelischen Imperialismus und seiner Verbündeten in Nordamerika und Europa.
Wir schließen mit einem nachmaligen Verweis darauf, wofür die RCIT und ihre Genossinnen und Genossen in Israel / Besetzten Palästina seit Jahren und Jahrzehnten eintreten: alle Sozialisten und Unterstützer des palästinensischen Freiheitskampfes müssen gegen die israelische Besatzung kämpfen und für die Niederlage des zionistischen Staates und dessen Ersetzung durch einen einzige demokratische, rote Republik der Arbeiter und Bauern im ganzen historischen Palästina eintreten. Ein solcher Kampf beinhaltet auch das Eintreten für ein friedliches Zusammenleben von Arabern und Juden und gegen jeglichen Antisemitismus. (2)
Fussnoten
(1) Siehe dazu folgende Berichte (inclusive den darin enthalteen links zu weiteren Berichten): RKOB: Staatsanwaltschaft in Wien beendet Untersuchung gegen Michael Pröbsting, 09.02.2017, https://www.rkob.net/inland/militarismus-und-repression/keine-anklage-gegen-mp/; RKOB: Austria: Österreich: FPÖ-Parlamentsanfrage gegen die RKO BEFREIUNG. Rechtspopulistische FPÖ, größte Oppositionspartei in Österreich, verleumdet uns für angeblichen „Linksextremismus“, „Antisemitismus“ und „radikalen Islamismus“ und fordert das Innenministerium zu offizielle Ermittlungen gegen uns auf, 29.01.2017, https://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/fp%C3%B6-parlamentsanfrage-gegen-rkob/; RCIT: Stoppt die strafrechtliche Verfolgung von Michael Pröbsting und der Palästina-Solidarität! Der Staat Österreich muss das Verfahren gegen Michael Pröbsting einstellen! https://www.thecommunists.net/home/deutsch/solidaritaet-proebsting/; RKO BEFREIUNG: Anti-Nationale attackieren arabische MigrantInnen bei Demonstration in Solidarität mit Flüchtlingen! Bericht mit Bilder und Videos von der anti-rassistischen Demonstration am 26. November in Wien, https://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/let-them-stay-26-nov-2016/; RKOB: KPÖ schließt RKOB aus und macht den Weg frei für Frauenschläger der Anti-Nationalen Szene. Wiederholter körperlicher Angriff auf Genossin Gunić am Volksstimmefest, Bericht der Revolutionär-Kommunistischen Organisation BEFREIUNG zum Volksstimmefest 2016, 05.09.2016, https://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/bericht-vs-fest-2016/; RKOB: Erster Mai: Gemeinsamer Widerstand gegen rassistische Angriffe. Lautstarke, kämpferische, internationalistische Demonstration trotz rassistischer Übergriffe. Bericht (mit Fotos und Videos) über die multinationale, internationalistische Demonstration am Ersten Mai 2016 in Wien, https://www.rkob.net/wer-wir-sind-1/rkob-aktiv-bei/erster-mai-2016/; RKOB: Sieg! Verfahren gegen RKOB-Sprecher und Palästina-Solidaritätsaktivisten Johannes Wiener eingestellt! Israelitische Kultusgemeinde erleidet Rückschlag bei ihrem Angriff auf Meinungsfreiheit und Palästina-Solidarität 10.1.2013, https://www.rkob.net/international/nordafrika-und-arabischer-raum/verfahren-gegen-wiener-eingestellt/
(2) Siehe dazu z.B. Yossi Schwartz: Anti-Semitism and Anti-Zionism 16 November .2018, https://www.thecommunists.net/theory/anti-semitism-and-anti-zionism/. Für mehr Informationen zum Standpunkt der RCIT und ihre Genossinnen und Genossen in Israel / Besetzten Palästina verweisen wir die Leserinnen und Leser auf unsere Homepages http://www.the-isleague.com und https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/.
Insbesondere möchten wir die Aufmerksamkeit auf folgende programmatische Dokumente lenken:
Das Program der RCIT-Sektion in Israel / Besetzten Palästina: http://www.the-isleague.com/our-platform/ und https://www.thecommunists.net/theory/summary-of-isl-program/
Yossi Schwartz: Israel's War of 1948 and the Degeneration of the Fourth International, http://the-isleague.com/1948-war-5-2013/ und https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/israel-s-war-of-1948/
Michael Pröbsting: Zu einigen Fragen der zionistischen Unterdrückung und der permanenten Revolution in Palästina, https://www.thecommunists.net/theory/permanente-revolution-in-pal%C3%A4stina/
* * * * *
Zu Europa sagen wir: Vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus
Im Kontext ihres EU-Ratsvorsitzes wird die österreichische Regierung am 21. November eine hochrangig besetzte Konferenz unter dem Titel „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus – Sicherung jüdischen Lebens in Europa“ abhalten.
Wir unterstützen voll und ganz den kompromisslosen Kampf der EU gegen Antisemitismus. Das Erstarken des Antisemitismus erfüllt uns mit Sorge. Aus der Geschichte wissen wir, dass dies oft Vorbote von Katastrophen für die gesamte Menschheit war. Das Erstarken des Antisemitismus ist eine reelle Gefahr und sollte der gegenwärtigen europäischen Politik ernsthaft zu denken geben.
Die EU steht aber auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hätte auf der Konferenz in Österreich sprechen sollen, bis er seine Reise absagte, um seine Regierung zu stabilisieren. Er hat hart daran gearbeitet, Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu vermischen.
Zu unserer tiefen Besorgnis sehen wir diese Vermischung auch in der offiziellen Ankündigung der Konferenz durch die österreichische Regierung. Dort heißt es: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“
Diese Worte geben die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) wieder. Mehrere Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus, die sich der Definition anschließen, beziehen sich auf harsche Kritik an Israel. Im Ergebnis kann die Definition gefährlich instrumentalisiert werden, um Israel Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet. Das schreckt jedwede Kritik an Israel ab.
Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie Nichtjuden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Staat Israel seit über 50 Jahren eine Besatzungsmacht ist. Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern unter Besatzung entbehren ihrer Grundrechte, Freiheit und Würde. Gerade in Zeiten, in denen die israelische Besatzung sich in Annexion verwandelt, ist es notwendiger denn je, dass Europa alle Versuche entschieden ablehnt, die freie Meinungsäußerung anzugreifen oder Kritik an Israel durch die falsche Gleichsetzung mit Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.
Europa muss dies auch für die eigene Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit seiner Bekämpfung des Antisemitismus tun. Die Ausweitung dieses Kampfes zum Schutz des israelischen Staates vor Kritik trägt zu der Fehlwahrnehmung bei, dass Jüdinnen und Juden mit Israel gleichzusetzen seien und deshalb verantwortlich für die Handlungen dieses Staates wären.
Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet.