von Michael Pröbsting
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
Einleitung
I. Was ist Faschismus?
Vom Monopolkapital gefördert...
...um dem Monopolkapital zu dienen
Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung. Atomisierung der ArbeiterInnenklasse
Militante Bewegung auf der Straße
Reaktionäre Mobilisierung der Mittelschichten
Exkurs 1: Die Bedeutung der Ideologie im Faschismus
II. Faschismus heute in Österreich
Ist die FPÖ faschistisch?
Warum wird der Faschismus heute wieder stärker?
III. Marxistische versus reformistische Faschismustheorie
Stalinistische Definition
Volksfront-Politik
Austromarxistische Definition
Exkurs 2: Die historische Schuld von KPD und SPD am Siege Hitlers
Exkurs 3: Die Frage der Zukunftsperspektiven des Faschismus oder die Hoffnung auf die Vernunft der herrschenden Klasse und der reformistischen Bürokratie. Eine Kritik an der Ted Grant/CWI-Tradition
IV. Wie den Faschismus bekämpfen?
Einheitsfront
Verbotslosung?
Aktive Selbstverteidigung
Revolution
Für den Aufbau einer revolutionären Kampfpartei! Für den Aufbau der 5. ArbeiterInnen-Internationale!
Glossar
* * * * *
Vorwort der RKOB zur Neuauflage der Faschismus-Broschüre 2011
Europaweit werden die Nazis immer aktiver. In Ungarn gewann die rechtsradikale Jobbik-Partei zuletzt 12,2% der Stimmen und wurde damit drittstärkste Partei. In Deutschland gelang der NPD bereits mehrmals der Einzug in Landesparlamente. Und auch in Österreich erheben die rechten Recken immer frecher ihr Haupt.
Das ist keine überraschende Entwicklung. Mit der schwersten Weltwirtschaftskrise seit 1929 begann eine Periode der historischen Krise des Kapitalismus. Sie markiert den Übergang des kapitalistischen Systems zu einer Etappe des Zerfalls und Niedergangs. Wir Bolschewiki-Kommunistinnen und -Kommunisten bezeichnen daher diese Periode als eine welthistorisch revolutionäre Periode. Darunter verstehen wir eine Periode, in der Sieg oder Niederlage des Proletariats im Kampf um die Macht – also revolutionärer Sturz der herrschenden Klasse oder historische Niederlagen für die ArbeiterInnenklasse durch die imperialistische Konterrevolution – darüber entscheiden werden, ob am Ende dieser Periode der Menschheit Sozialismus oder Barbarei bevorsteht.
Angesichts der tiefen Krise ihres Systems setzt die Klasse der KapitalistInnen alles daran, um ihre Profite auf Kosten der ArbeiterInnenklasse, der Jugendluchen, MigrantInnen und Frauen zu retten. Daher jagt ein Sparpaket das nächste, daher greifen die UnternehmerInnen Löhne und Arbeitsrechte an.
Doch die Führungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie sind vollkommen unfähig und unwillens, die Interessen der breiten Bevölkerung in dieser historischen Krisenperiode des Kapitalismus zu verteidigen. Sie verhandeln und packeln mit den Reichen. Die Ausgebeuteten und Unterdrückten sind für sie bestenfalls Verhandlungsmasse in Ringen um einen Platz in der Regierung oder sozialpartnerschaftlichen Gremien zu ergattern.
Dieses Versagen der offiziellen ArbeiterInnenbewegung treibt nicht wenige arbeitslose Jugendliche in die Hände der Rechten. „Vielleicht kann uns der Strache ja wirklich erlösen? Die Nazis sind zumindest radikal…“ Solche und ähnliche Gedanken mögen manchen verwirrten Jugendlichen und ArbeiterInnen durch den Kopf gehen.
Umso wichtiger ist der entschlossene Kampf gegen den Faschismus mit allen notwendigen Mitteln. Hierbei gilt es eine möglichst breite Einheit der ArbeiterInnenklasse zu erreichen, d.h. auch die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Organisationen dafür zu gewinnen. Gleichzeitig müssen wir die zaudernde, bremsende, den Kampf letztlich untergrabende Haltung der reformistischen Kräfte bekämpfen, die – wenn überhaupt – ausschließlich auf „friedlichen“, bürgerlich-demokratischen Weg gegen rechts und Faschismus aktiv sind.
Dieser Kampf gegen rechts muß verbunden werden mit einem Kampf für demokratische und soziale Rechte. Denn um den Faschisten das Wasser abzugraben, reicht der Kampf gegen sie nicht aus. Das Problem muß bei der Wurzel gepackt werden. Es gilt die Grundlagen der wachsenden Armut, der Benachteiligung usw. anzugreifen. Daher beinhaltet der antifaschistische Kampf auch den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, gegen die Sparprogramme usw. Daher die Notwendigkeit innerhalb der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung insgesamt für einen konsequenten Kampf gegen die Angriffe der Regierung einzutreten (inklusive der Mittel des Generalstreiks, wie wir es in Ansätzen bereits in anderen europäischen Ländern sehen).
Ebenso beinhaltet er den Kampf für die völlige Gleichberechtigung sowie gegen die nationale Unterdrückung und die Überausbeutung der MigrantInnen. Das bedeutet sowohl den Kampf für Forderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit als auch den Kampf für das Recht der MigrantInnen auf Muttersprache auf gleichberechtigter Grundlage im Unterricht sowie bei Ämtern. Nur durch den gemeinsamen Kampf von migrantischen und inländischen ArbeiterInnen und Jugendlichen und dem Kampf für die völlige Gleichberechtigung kann die internationale Einheit der ArbeiterInnenklasse hergestellt werden!
Der konsequente Kampf gegen den Faschismus und die Verbindung dessen mit dem Kampf gegen den Kapitalismus als dem Nährboden des rechtsradikalen Gefahr erfordert eine klare Analyse, ein ausgearbeitetes Programm des Kampfes sowie eine Organisation, die diese Perspektive in die Bewegungen und Kämpfe hineinträgt. Der notwendigerweise langwierige Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus passiert nicht spontan, sondern muß geplant und organisiert werden. Es bedarf eines Zusammenschlusses der AktivistInnen, um diesen Kampf mit einem strategischen Programm und einem organisatorischen Plan auszustatten. Mit anderen Worten, der Kampf gegen den Faschismus kann nur dann erfolgreich verlaufen, wenn er von einer revolutionären Partei geführt wird.
Für dieses Ziel arbeiten wir, die AktivistInnen der Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung (RKOB), seit Jahren und teilweise Jahrzehnten. Wir haben in der Vergangenheit die Liga der Sozialistischen Revolution (LSR; vor 2007 nannten wir uns ArbeiterInnenstandpunkt) sowie die Jugendorganisation REVOLUTION aufgebaut. Die politische Degeneration und die Wegentwicklung von der revolutionären Tradition eines Teils dieser Organisationen haben dazu geführt, daß die Gründungsmitglieder der RKOB im Frühjahr 2011 auf bürokratische Weise ausgeschlossen wurden.
Ein Wort zur Abwärtsentwicklung der Rest-LSR. Der verbliebene Teil hat als Ausdrucks seiner Abkehr von der revolutionären Vergangenheit auch seinen Organisationsnamen abgelegt und nennt sich jetzt „ArbeiterInnenstandpunkt“. Doch außer dem Namen hat dieser „ArbeiterInnenstandpunkt“ nichts mit der früheren Organisation zu tun. (1) Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen. Im damaligen ArbeiterInnenstandpunkt traten wir konsequent gegen chauvinistische und rassistische Strömungen auf. Wir organisierten daher gemeinsam mit anderen Gruppen Protestaktionen gegen eine antinationale Veranstaltung im März 2005, die für den Atombombeneinsatz gegen den Iran warb sowie gegen Moslems hetzte. Ebenso waren wir an einer Gegenkundgebung gegen eine politisch ähnliche Kundgebung unter dem Titel „Stop the Bomb“ im September 2007 in Wien beteiligt. Für die Protestaktion im März 2005 wurde der damalige Sprecher des ArbeiterInnenstandpunkt und heutige RKOB-Sprecher, Michael Pröbsting, vor Gericht gestellt und verurteilt. Und bei der Kundgebung im September 2007 kam es wiederholt zu versuchten gewaltsamen Übergriffen von antinationalen Pro-Israel-Kräften gegen die Anti-Kriegs-DemonstrantInnen. Der heutige „AST“ hat mit dieser konsequent antiimperialistischen Politik nichts mehr zu tun. Er sucht dagegen nun eine engere Zusammenarbeit ausgerechnet mit diesen antinationalen, zionistischen Kräften (der sogenannten „Autonomen Antifa“) sowie mit Organisationen wie den Perspektiven und der marxist*in, in denen antinationales Gedankengut verbreitet ist. (Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus, wie es von der EU gepredigt wird)
Wir dagegen führen die Tradition von ASt/LSR weiter und legen daher unsere Broschüre gegen den Faschismus aus dem Jahr 2006 neu auf. Wir hoffen, daß der Text den LeserInnen ein besseres Verständnis des Faschismus sowie der zu seiner Bekämpfung notwendigen Strategie vermittelt.
Der Kampf gegen den Faschismus ist gerade unter Jugendlichen wichtig. AktivistInnen der RKOB haben daher im Juni 2011 gemeinsam mit anderen Jugendlichen die Jugendorganisation Rote Antifa gegründet. Unser Ziel ist der Aufbau einer starken, multinationalen Jugendorganisation, die sich auf die ArbeiterInnenklasse orientiert und deren Kampf gegen den Faschismus nicht vorrangig im linken Uni-Milieu stattfindet (wie das bei vielen kleinbürgerlichen Linken der Fall ist), sondern auf der Straße in den ArbeiterInnenbezirken.
Ein solcher Kampf muß mit aller Konsequenz geführt werden, da der Faschismus jedes Zögern der ArbeiterInnenbewegung blutigst straft. Zu welchen Mitteln faschistische Kräfte bereit sind, zeigt nicht nur die Vergangenheit. Die Übergriffe verschiedenster faschistischer Gruppen enden heute oft tödlich für die Opfer. Beispiele dafür sind die Brandlegungen der Lager der Roma durch faschistische und rechtsradikale Kräfte in Italien, die mit etlichen Toten, vor allem Kindern, alten Menschen und Kranken einhergehen. Ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit ist der Anschlag auf das Camp der Sozialistischen Jugend Norwegens, die von einem mit FaschistInnen in Kontakt stehenden Rechtsradikalen verübt wurde. Dabei wurden von ihm auf der Ferieninsel Utöya über 90 Menschen hingerichtet. Gerade solche Beispiele zeigen wie notwendig militante, antifaschistische Selbstverteidigung ist. Sie zeigen auch wie blutig jedes Zögern der ArbeiterInnenbewegung bestraft wird, wenn sie sich der militanten Verteidigung gegen FaschistInnen verweigert.
Den Opfern aller faschistischen Übergriffe zu gedenken bedeutet somit auch, es nicht mehr so weit kommen zu lassen. In diesem Sinne: Gewalt gegen Gewalt, Klasse gegen Klasse, Sozialismus oder Barbarei!
RKOB, Juli 2011
Anmerkungen:
(1) Eine ausführliche Darlegung der Hintergründe dieser bürokratischen Ausschlüsse findet sich in unserer Gründungserklärung „Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung gegründet“. Dieses als Sondernummer unseres Zentralorgans Revolutionäre Befreiung im April 2011 herausgegebene Dokument kann unter unserer Kontaktadressen bestellt werden.
Einleitung
Das zunehmend provokante Auftreten Rechtsradikaler in Österreich, die Wahlerfolge von NPD und DVU in Deutschland oder der Einzug Le Pens in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl 2002 belegen das Ansteigen der faschistischen Gefahr in Europa. Dies ist kein Zufall, sondern Ausdruck der Periode scharfer sozialer und politischer Gegensätze, in der sich der Kapitalismus weltweit und gerade auch in Europa befindet. In solchen Perioden der Umwälzung, der gesellschaftlichen Zerrüttung und der zunehmenden Aggressivität der herrschenden Klasse, wächst auch oft der Zustrom zu den Faschisten. Es gilt also, sich praktisch und theoretisch auf eine zunehmende faschistische Bedrohung einzustellen.
Doch ein erfolgreicher Kampf gegen den Faschismus erfordert nicht nur eine entschlossene, organisierte Praxis, sondern auch ein theoretisches Erfassen dieses politischen Phänomens und eine daraus abgeleitete politische Strategie.
Dies ist umso wichtiger, als heutzutage in Österreich – aber nicht nur hier – mit dem Begriff „Faschismus“ viel Schindluder betrieben. Sowohl Linksliberale als auch Autonome und AnarchistInnen sind z.B. rasch mit entsprechenden Etikettierungen bei der Hand, wenn es um die Verurteilung einer repressiven Polizeimaßnahme oder neuer Überwachungsgesetze geht. Andererseits neigen etablierte bürgerliche Politiker und Medien zur Verharmlosung wirklicher Faschisten.
I. Was ist Faschismus?
Oft wird der Begriff Faschismus verwendet, um besonders brutale Vorgangsweisen des Staatsapparates, diktatorische Herrschaftsformen oder rechte, rassistische Parteien zu bezeichnen. So verständlich dies als emotionaler Wutausbruch auch sein mag, so untauglich ist die Verwendung wissenschaftlicher politischer Kategorien als Schimpfwörter. Für uns MarxistInnen ist Faschismus kein Schimpfwort, sondern ein wissenschaftlicher politischer Begriff, um eine bestimmte reaktionäre politische Bewegung zu kennzeichnen. Ein inflationärer Gebrauch des Begriffs "Faschismus" würde letztlich nur das Einzigartige und besonders Bedrohliche von faschistischen Bewegungen verwischen.
Aber kommen wir nun zu unserer Definition des Faschismus, um sie danach genauer darzulegen und zu begründen:
Marxistische RevolutionärInnen bezeichnen jene reaktionären Kräfte als faschistisch, die die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung vernichten und die bürgerliche Demokratie ausschalten wollen. Ihr Ziel ist die Errichtung einer totalitären Diktatur, um in Zeiten der kapitalistischen Krise die Herrschaft des Monopolkapitals – der großen Konzerne und Banken – aufrechtzuerhalten und ihren Interessen zu dienen. Dieses Ziel versuchen sie in erster Linie nicht auf dem parlamentarischen Weg oder durch einen bloßen Staatsstreich zu erreichen, sondern durch die Mobilisierung einer reaktionären, kleinbürgerlichen Massenbewegung auf der Straße sowie des systematischen Terrors gegen Linke und andere "Volksfeinde" wie z.B. Juden oder ImmigrantInnen.
Vom Monopolkapital gefördert...
In seiner gesamten Geschichte hat der Faschismus bewiesen, daß er den Interessen der herrschenden Klasse dient – also den Kapitalisten und den für diese arbeitenden Spitzen des Staatsbürokratie. Mussolini, Hitler, Franco u.a. waren nie in der Lage, die Macht durch die eigene Stärke ihrer Bewegung oder durch den Sieg bei Parlamentswahlen zu erobern. Nur durch die immense Finanzierung durch die Konzernherren – für die die Namen Krupp, Stinnes und Thyssen stellvertretend genannt seien – und durch den immensen Druck, den das Großkapital auf die führenden Kreise der bürgerlichen Systems ausübten, konnten Mussolini bzw. Hitler an die Macht gelangen.
Seit Beginn der revolutionären Krise 1918-1923 finanzierte das Monopolkapital rechtsradikale Kampforganisationen. Für die Reichen und Superreichen gab es vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Krise des kapitalistischen Systems keine größere Gefahr als die revolutionär gesinnte Arbeiterschaft, die der kleinen Minderheit von Großkapitalisten die Kontrolle über die Wirtschaft entreißen und eine sozialistische Rätedemokratie errichten könnte, in der die wirtschaftliche und politische Macht direkt-demokratisch von unten nach oben ausgeübt wird. [1]
Bezeichnend für die Einstellung des Großkapitals gegenüber den Faschisten ist folgender Bericht eines rechtsradikalen Propagandisten über ein Treffen deutscher Monopolkapitalisten am 10. Jänner 1919:
„Am gleichen Tag fand die nicht minder bedeutsame Sitzung des Führertums der Wirtschaft ... statt. Als ich Punkt 4 Uhr nachmittags ... erschien ... waren etwa 50 Herren da: Hugo Stinnes selbst, Albert Vögler, Ernst Borsig, Siemens, (....) die ganze ‚haute volée’ der Industrie-, Handels- und Bankenwelt ... Als einziger Punkt auf der Tagesordnung stand: Referent Dr. Eduard Stadtler über ‚Bolschewismus als Weltgefahr’.
Ich ließ nun eine Kampf- und Mahnrede auf die 50 Herren niedersausen ... Alle waren sichtliche betroffen. Da erhob sich in der Ecke rechts hinter mir ein kleiner Mann ... Es war Hugo Stinnes. In die geheimnisvolle Stille des Saales hinein sagte er ...: ‚Ich bin der Meinung, daß nach diesem Vortrag jede Diskussion überflüssig ist. Ich teile in jedem Punkt die Ansicht des Referenten. Wenn deutsche Industrie-, Handels- und Bankenwelt nicht willens und in der Lage sind, gegen die hier aufgezeigte Gefahr eine Versicherungsprämie von 500 Millionen Mark aufzubringen, dann sind sie nicht wert, deutsche Wirtschaft genannt zu werden. Ich beantrage Schluß der Sitzung und bitte die Herren Mankiewitz, Borsig, Siemens, Deutsch usw. usw. (er nannte 8 Namen) sich mit mir in ein Nebenzimmer zu begeben, damit wir sofort über den Modus der Umlage klarwerden können.’
Die ‚historische Summe’ war am gleichen Tag bewilligt. (...) Der sogenannte ‚Antibolschewistenfonds’ floß nun durch alle möglichen Kanäle in die Anfang Januar 1919 einsetzende gewaltige antibolschewistische Bewegung: ‚Generalsekretariat zum Studium und der Bekämpfung des Bolschewismus’, Antibolschewistische Liga’.... Bis in die Kasernen der aktiven Truppen, ja bis in die Kassen der sozialdemokratischen Parteien hinein!
Es kann jedenfalls kein Zweifel darüber bestehen, daß die Gründung jenes Fonds mit die entscheidende antibolschewistische Tat jener wild bewegten Revolutionszeit gewesen ist.“ [2]
In den folgenden Jahren finanzierten und unterstützen die Kreise der Schwerindustrie Hitlers NSDAP mit gewaltigen Summen. Das gleiche vollzog sich in Italien in den frühen 1920er Jahren, wo das Kapital Mussolinis paramilitärische Schlägerbanden – die „Fasci di combattimento“ – als Geschenk des Himmels gegen die Welle von Arbeiterkämpfen bis hin Fabrik- und Landbesetzungen sahen. [3]
Auch die Machteroberung selber ging nur mit Hilfe der kleinen Elite von Großkapitalisten vonstatten. Mussolinis theatralischer „Marsch auf Rom“ am 28. Oktober 1922 und die anschließende Übertragung des Postens des Ministerpräsidenten erfolgte erst, nachdem „das Einverständnis der großen Wirtschaftsorganisationen der Bourgeoisie mit einer faschistischen Regierung ebenfalls fest (stand).“ [4] In seinem ausführlichen Werk über die faschistische Machteroberung brachte der italienischen Sozialist Angelo Tasca die übereinstimende Unterstützung der herrschenden Klasse für Mussolinis Putsch treffend auf den Punkt:
„Mussolini ist also der Kandidat der Plutokratie und der großen Wirtschaftsverbände, der ‚Liberalen’ (...) und des Vatikans. Es dauert nur ein paar Stunden, und er war auch der Kandidat der Krone.“ [5]
Nur durch die geeinte Unterstützung der herrschenden Klasse konnte eine Partei, die im Parlament bloß 35 von 535 Abgeordnete – also ganze 6.5%! – stellte, an die Macht gelangen.
Ähnliches spielte sich in Deutschland ab. Zwar errang die Nazi-Partei dort bei den Wahlen mehr Stimmen. Ihren Höhepunkt verzeichnete die NSDAP im Juli 1932, wo sie 37.3% der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Doch bereits drei Monate später verlor sie bei den Neuwahlen zwei Millionen WählerInnen und bekam nur noch 33.1% der Stimmen – deutlich weniger als die beiden ArbeiterInnenparteien, die Sozialdemokratie und die KommunistInnen, zusammen auf sich vereinigen konnten. Beunruhigt über einen drohenden Niedergang der Nazi-Partei als Knüppel gegen die ArbeiterInnenbewegung, bedrängten die führenden Kreise aus Schwerindustrie und Großgrundbesitz Präsident Hindenburg in einem Memorandum, Hitler die Regierungsgeschäfte zu übergeben. [6]
Dabei konnte sich das Monopolkapital das Versagen der Führung der ArbeiterInnenbewegung zunutze machen. Ihre Unfähigkeit bzw. Weigerung, die Macht in der revolutionären Krise 1918/1919 bzw. 1923 zu ergreifen, erlaubte den Nazis teilweise Einbrüche in die ArbeiterInnenklasse. So konnte die NSDAP einen ausreichend starken Rammbock bilden, mit dessen Hilfe das Monopolkapital die ArbeiterInnenklasse zerschlagen konnte.
...um dem Monopolkapital zu dienen
Der Faschismus an der Macht sollte die Erwartungen seiner Geldgeber keineswegs enttäuschen. Zwar mußte das Großkapital mit der Errichtung der Alleinherrschaft durch die rechten Führerparteien einer gewissen politischen Entmachtung zustimmen, doch konnte es gleichzeitig seine wirtschaftliche Macht umso mehr ausbauen. Die Verschärfung der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse nahm massiv zu. Während die Zahl der Arbeitsstunden und das Produktionsvolumen deutlich zunahmen, stagnierten die Löhne oder gingen – bereinigt um die Steigerung der Lebenshaltungskosten – sogar zurück. Das Resultat war eine massive Umverteilung von der ArbeiterInnenklasse zugunsten der Bourgeoisie innerhalb nur weniger Jahre. (siehe Tabellen 1-3)
Tabelle 1: Industrielles Produktionsvolumen (1928 = 100) [7]
1933 65,5
1936 106,7
1939 130,1
Tabelle 2: Anzahl der Lohnabhängigen, Produktionsvolumen, Arbeitsstunden (1932 = 100) [8]
1932 1937 1938
Anzahl der beschäftigten Lohn- und 100 146 155,2
Gehaltsempfänger (Arbeiter und Angestellte)
Produktionsvolumen 100 199 212,4
Arbeitsstunden (nur in Industrie) 100 202 217
Tabelle 3: Einkommensverteilung 1932-1938, in Prozent des Volkseinkommens [9]
1932 1938
Löhne, Gehälter, Renten 77,6% 63,1%
Unternehmensgewinne 17,4% 26,6%
Wir sehen also, daß die durch den faschistischen Terror erzwungene massive Steigerung der Produktivität der deutschen Arbeiterschaft in Form erhöhter Gewinne in die Taschen des Kapitals wanderte.
Besonders profitierte davon die Rüstungsindustrie, deren kommerzielle Interessen mit den Expansionsplänen des deutschen Gesamtkapitals und des faschistischen Staatsapparates fusionierten. Die Eroberungspläne Hitlers – v.a. gegen den degenerierten ArbeiterInnenstaat Sowjetunion – schlugen sich in massive Aufrüstung nieder und ließen die Kassen der Rüstungskapitalisten klingeln. (siehe Tabelle 4 und 5) Der marxistische Theoretiker und Führer der russischen Revolution 1917 Leo Trotzki sah im Unterschied zu den kurzsichtigen, stalinistischen Einfaltspinseln in den offiziellen Kommunistischen Parteien diese Entwicklung und die damit verbundene Bedrohung der Sowjetunion voraus. Bereits 1932, also vor der faschistischen Machtübernahme, warnte er: „Ein Sieg Hitler bedeutet: Krieg gegen die UdSSR“. [10]
Tabelle 4: Rüstungsausgaben, in Prozent des Volkseinkommens [11]
1932: 2%
1933: 7%
1935: 16%
1938: 32%
Tabelle 5: Rüstungsprofite der IG Farben in Millionen Reichsmark [12]
1932 47
1934 68
1936 140
1939 240
Insgesamt stiegen die Profite sämtlicher Industrie- und Handelsunternehmen von 6,6 Milliarden Reichsmark im Jahre 1933 auf 15 Milliarden Reichsmark im Jahre 1938 an. [13]
Der Faschismus ist also nicht eine eigenständige politische Bewegung, die über den Klassengegensätzen steht oder die als eine kleinbürgerliche Bewegung sich sowohl gegen die Arbeiterklasse also auch gegen die Bourgeoisie richtet. Sie ist zuerst und vor allem eine Waffe der herrschenden Klasse gegen die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung. Trotzki erkannte diese gesellschaftliche Funktion des Faschismus schon sehr früh und beschrieb sie 1924 folgendermaßen:
„Faschismus ist die Kampforganisation der Bourgeoisie während und im Fall eines Bürgerkriegs. (...) Der Faschismus ist die Sturmabteilung der Bourgeoisie, sobald ihr die alte, an Legalität und Demokratie gebundene Staatsmaschinerie als untauglich erscheint, sobald sie eine Streitmacht braucht, um den Druck des Proletariats abzuwehren. In dieser Situation schafft sich die Bourgeoisie eine zu allem bereite Kampftruppe und trampelt auf ihrer eigenen Legalität und Demokratie herum, um ihre Macht aufrechtzuerhalten.“ [14]
Zerschlagung der ArbeiterInnenbewegung
Atomisierung der ArbeiterInnenklasse
Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, daß der Faschismus keine „normale“ Diktatur darstellt, Der Faschismus unterscheidet sich von „gewöhnlichen“ bonapartistischen Polizei- und Militärdiktaturen dadurch, daß er die ArbeiterInnenklasse nicht nur einfach unterdrückt, sondern sie organisatorisch vollständig vernichtet. Im Gegensatz zum Regime des „normalen Kapitalismus“ begnügt sich der Faschismus nämlich nicht mit der Unterdrückung der ArbeiterInnen oder der Einbindung ihrer FührerInnen in das herrschende System. Er organisiert vielmehr eine kleinbürgerliche Massenbewegung, die er als gesellschaftlicher Rammbock benützt, um alle Elemente einer unabhängigen ArbeiterInnenbewegung (Parteien, Gewerkschaften, ...) zu zertrümmern.
Das Kapital entscheidet sich keineswegs leichtfertig für die faschistische Option – schließlich birgt diese gerade aufgrund ihres bürgerkriegshaften Wesens vor der Machtergreifung die permanente politische Unruhe und Instabilität in sich. Doch der Faschismus als Massenbewegung existiert nur in Perioden der zugespitzten Krise des Kapitalismus, der grundlegenden Erschütterung seiner politischen und ökonomischen Grundlagen. In solchen Perioden, in der die Macht der herrschenden Klasse ins Wanken gerät, ist diese verzweifelt auf der Suche nach einem politischen Handlanger, der mit allen materiellen und politischen Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung ein für alle Mal und gründlichst aufräumt – vom Kollektivvertrag und gesetzlichen Arbeitsschutz angefangen bis hin zu den Gewerkschaften und den Parteien der ArbeiterInnenbewegung. Das Ziel ist nicht die vorübergehende Ausschaltung, sondern die tiefgreifende und nachhaltige Auslöschung. Die Vernichtung der organisierten ArbeiterInnenbewegung stand auch klar und eindeutig im Vordergrund der faschistischen Tätigkeit vor der Machtergreifung sowie der ersten Phase dieser. Erst NACHDEM der Widerstand des Proletariats endgültig und nachhaltig vernichtet war, konnte der faschistische Staat die Ausrottung nationaler und religiöser Minderheit sowie seine Kriegspläne angehen.
Dementsprechend konzentrierten sich die faschistischen Schlägerbanden auf den bewaffneten Kampf gegen die ArbeiterInnenbewegung. Der ehemalige Führer der Kommunistischen Partei Italiens, Angelo Tasca, bringt im Anhang seines Buches über den Aufstieg des Faschismus eine Dokumentation über das Ausmaß der rechten Terrors. Alleine im ersten Halbjahr 1921 zerstörten die faschistischen Banden im Rahmen ihrer sogenannten „Strafexpeditionen“ mindestens 726 offizielle Gebäude der ArbeiterInnenbewegung. [15] In „Mein Kampf“ beschreibt Hitler höchstpersönlich die erfolgreiche Taktik seiner SA-Horden, Veranstaltungen der Gewerkschaften und der linken Parteien zu überfallen und die schlechte organisierten Gegner zu überrumpeln. Der Abschluß dieser Terrorkampagne war die Verhaftung und Ermordung von hunderttausender ArbeiteraktivistInnen in den Konzentrationslagern. Die organisierte Vorhut des deutschen Proletariats wurde nach dem 30. Januar 1933 innerhalb weniger Monate ausgeschaltet und vernichtet.
Der Faschismus kann nicht zu jeder Zeit und unter jeder Klassenkräftekonstellation an die Macht gelangen. Entfaltet die ArbeiterInnenklasse die ganze Macht ihrer Mobilisierung, ihrer Kampfkraft und Organisationsstärke, so kann sie den faschistischen Mob mit Leichtigkeit hinwegfegen. Deswegen droht der ArbeiterInnenklasse die faschistische Gefahr nicht am Höhepunkt ihres Kampfes – wie es die ängstlichen Reformisten behaupten -, sondern nach der Demobilisierung des Kampfes durch die offiziellen FührerInnen. Der italienische Reformist Filippo Turati bezeichnete den Faschismus daher richtigerweise als die „posthume und präventive Konterrevolution“. Diese treffliche Formulierung bringt den zweifachen Charakter der faschistischen Konterrevolution zum Ausdruck: nämlich Konterrevolution NACH dem Überschreiten des Höhepunktes einer revolutionären Arbeitermobilisierung zu sein und gleichzeitig VORBEUGENDE Konterrevolution vor einem neuerlichen scharfen Aufschwung des Klassenkampfes.
Militante Bewegung auf der Straße
Damit kommen wir auch schon zum nächsten wesentlichen Merkmal des Faschismus: Im Unterschied zu rechtskonservativen, reaktionär-bonapartistischen Kräften überläßt er die Bekämpfung der ArbeiterInnenbewegung nicht den Organen des bürgerlichen Staatsapparates. Polizei, Justiz, Armee und Geheimdienst sind die üblichen Mittel zur Sicherung der kapitalistischen Herrschaft. In revolutionären Situationen – wie etwa der massiven Wirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit – können die Massenproteste der ArbeiterInnenklasse kommt es jedoch immer wieder vor, daß die herrschenden Klasse diesen Wiederstand nicht mehr mit dem traditionellen Methoden niederhalten kann. Diese Rolle übernehmen dann faschistische Schlägerbanden.
Die faschistische Mobilisierung auf der Straße spielt eine ganz zentrale Rolle für die spezifische Funktion des Faschismus und hebt sie entscheidend von anderen Formen reaktionärer Politik ab. Denn in Perioden der sozialen Krise des Kapitalismus sind die traditionellen Mittel der bürgerlichen Herrschaftsausübung – Polizei, Militär, Justiz, des gesamte Staatsapparat – oft bereits zu sehr ausgehöhlt und geschwächt. Ein unregelmäßig ausgezahltes und schrumpfendes Gehalt vor dem Hintergrund ausufernder Staatsdefizite, schwindende Loyalität vieler Staatsdiener gegenüber der Regierung usw. – all das macht den Staatsapparat nur bedingt einsatzfähig.
Die deutsche Reichswehr beispielsweise erstellte im November 1932 eine „kriegsspielartige Studie“, in welcher die Ausrufung und Durchsetzung des Ausnahmezustandes geprobt wurde. Das Ergebnis war für die Armeeführung niederschmetternd, zu sehr hatte die Zersetzung des Staatsapparates bereits um sich gegriffen. Der Leiter der Studie - der spätere Botschafter Ott - schloß seinen Bericht mit den Worten: „Es ist daher die Pflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht der Reichsregierung zum militärischen Ausnahmezustand zu verhindern.“ [16]
Natürlich gibt es eine massive Zusammenarbeit zwischen den Staatsorganen und den Faschisten, so wie es auch manchmal vorübergehende Konflikte geben kann. Aber die besondere Gefahr des Faschismus besteht in seiner Funktion als wuchtiger, gewaltsamer Rammbock gegen die ArbeiterInnenbewegung.
Reaktionäre Mobilisierung der Mittelschichten
Damit sind wir schließlich auch beim letzten entscheidenden Merkmal des Faschismus angelangt: der reaktionären Mobilisierung des Kleinbürgertums und der Mittelschichten. Trotzki beschrieb das Verhältnis von Kleinbürgertum und Finanzkapital folgendermaßen:
„Der Faschismus ist ein spezifisches Mittel, das Kleinbürgertum im sozialen Interesse des Finanzkapitals zu mobilisieren und zu organisieren.“ [17]
Die kapitalistische Krise vernichtete die Ersparnisse und die Lebensexistenz dieser Schichten in und bot ihnen keine Zukunftsperspektive. Der Weg der Proletarisierung – also eine Zukunft als Lohnabhängige – war ihnen versperrt, weil die Krise nicht nur das Kleinbürgertum ruinierte, sondern auch das Proletariat in bittere Armut stürzte.
Insbesondere trifft dies die kleinbürgerliche Jugend. Der marxistische Theoretiker Alfred Sohn-Rethel merkt zurecht an:
„Dabei war die Jugend dieser Mittelschichten bereits einen Schritt weiter in der Deklassierung als ihre Eltern. Sie befand sich schon definitiv in der Lage von Lohn- und Gehaltsabhängigen, arbeitslosen aber, denen vom Augenblick ihrer Schulentlassung nur die aussichtslose Zukunft ins Gesicht starrte. Im Hause ihrer Eltern fanden sie sich ohne Geld und ohne Beschäftigung zur Monotonie der Untätigkeit verdammt. Die SA rekrutierte sich überwiegend aus Arbeitslosen, aber nicht aus solchen proletarischer Herkunft, sondern eben vorwiegend kleinbürgerlicher Herkunft.“ [18]
Der Faschismus war daher von der sozialen Zusammensetzung eine überwiegend kleinbürgerliche Bewegung. Zwar gelang den Nazis ein teilweiser Einbruch in die ArbeiterInnenklasse, aber dies ändert nichts daran, daß die – wenn auch oft durch die kapitalistische Krise deklassierten – Elemente der Mittelschichten und des Kleinbürgertums die soziale Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft prägten. (siehe Tabelle 6)
Tabelle 6: Anteil sozialer Schichten an der NSDAP-Mitgliedschaft und in der Gesellschaft, 1930 [19]
Gesellschaft NSDAP
Arbeiter 45,9% 28,1%
Angestellte 12,0% 25,6%
Selbständige 9,0% 20,7%
Bauern 10,5% 14,0%
Beamte 5,1% 8,3%
Sonstige 17,4% 3,3%
1935 waren 5% der Arbeiter, 8% der Bauern, 12% der Angestellten, 15% der Selbständigen und 21% der Beamte NSDAP-Mitglieder. [20] Ähnliche Zahlen lassen sich auch für Österreich feststellen [21]
Doch die vom System enttäuschten kleinbürgerlichen Massen hätten nicht für die faschistische Bewegung gewonnen werden können, hätten Hitler oder Mussolini offen ihre Ziele verkündet. Dazu bedurfte es eines ideologischen Bindeglieds, einer Vermengung des rabiaten Antimarxismus mit einer aufgeblähten nationalistischen und rassistischen Ideologie sowie pseudo-revolutionärer, „anti-kapitalistischer“ Phrasen. Um dem Haß und der Verzweiflung der Mittelschichten ideologischen Ausdruck zu verleihen, mußte der radikale Aufschrei weg von seinem Klassenbezug – sprich weg von den Monopolen, Banken und Kredithaien – und hin zu nationalen Feinden gelenkt werden. Darin besteht auch das faschistische Opium für die Mittelschichten: Statt den Finger auf die Klassengegensätze legen - Rassenwahn und nationalistische Hysterie.
Der Antisemitismus – als eine besondere Form des Rassismus – spielte für Nationalsozialismus in Deutschland eine zentrale Rolle. Er ist jedoch für den Faschismus nicht notwendigerweise konstitutiv. Der italienische Faschismus beispielsweise kam fast zwei Jahrzehnte ohne Antisemitismus aus – der italienische Chauvinismus feierte seine „triumphalen Heldentaten“ in seiner Terrorherrschaft in der libyschen Kolonien, seinen nationalistischen Exzessen gegen die slowenische Minderheit und seinem Eroberungsfeldzug gegen Äthiopien. Erst 1938 übernahm Rom unter dem Druck Deutschlands die judenfeindlichen Nürnberger Gesetze. Ebenso existierte mit Wladimir Jabotinsky und seiner „Revisionistisch-Zionistischen Partei“ eine jüdisch-zionistische Variante des Faschismus.
In seinem Artikel „Portrait des Nationalsozialismus“ hat Trotzki der ideologischen Verwirrung und Aggressivität des faschistischen Kleinbürgertums ein unnachahmliches Denkmal gesetzt:
„Heruntergekommene, Verarmte, Leute mit Schrammen und frischen blauen Flecken fanden sich genug. Jeder von ihnen wollte mit der Faust auf den Tisch hauen. Hitler verstand das besser als die anderen. Zwar wußte er nicht, wie der Not beizukommen sei. Aber seine Anklagen klangen bald wie Befehl, bald wie Gebet, gerichtet an das ungnädige Schicksal. Todgeweihte Klassen werden - ähnlich hoffnungslosen Kranken - nicht müde, ihre Klagen zu variieren und Tröstungen anzuhören. Alle Reden Hitlers sind auf diesen Ton gestimmt. Sentimentale Formlosigkeiten, Mangel an Disziplin des Denkens, Unwissenheit bei buntscheckiger Belesenheit - all diese Minus verwandelten sich in ein Plus. Sie gaben ihm die Möglichkeit, im Bettelsack "Nationalsozialismus" alle Formen der Unzufriedenheit zu vereinen und die Masse dorthin zu führen, wohin sie ihn stieß.“
„Auf der Ebene der Politik ist der Rassismus eine aufgeblasene und prahlerische Abart des Chauvinismus, gepaart mit Schädellehre. Wie herabgekommener Adel Trost findet in der alten Abkunft seines Bluts, so besäuft sich das Kleinbürgertum am Märchen von den besonderen Vorzügen seiner Rasse.“ [22]
All dies zeigte das Versagen der reformistischen und zentristischen Führung der ArbeiterInnenbewegung (SPD bzw. Stalin’s KPD). Aufgrund ihrer antirevolutionären Politik konnten sie der ArbeiterInnenklasse keine Perspektive für eine Überwindung der Übel des Kapitalismus weisen und trieben somit die rückständigsten Elemente in Hitler’s Arme. Und sie waren ebenso unfähig, das Kleinbürgertum als einen Bündnispartner des Proletariats zu gewinnen, sondern erlaubten es den Faschisten, dieses zu einem blinden Rammbock des Monopolkapitals zu machen.
II. Faschismus heute in Österreich
Es sind diese Merkmale, die die deutschen Nazis, die italienischen Faschisten und viele andere solche Bewegungen auszeichnete. Zweifellos treten faschistische Gruppen heute nicht immer 1:1 nach dem alten Modell der Zwischenkriegszeit auf. Und natürlich können sie aufgrund ihrer Kleinheit auch nicht wie eine NSDAP in den frühen 1930er Jahren handeln. Aber aufgrund ihres Programms, ihrer aggressiven Propaganda, ihrer inneren Strukturen und Praxis lassen sich doch verschiedene Gruppen wie z.B. die NPD in Deutschland, die diversen paramilitärischen Banden in Ostdeutschland oder auch das Nationaldemokratische Aktionsbüro und der Bund Freier Jugend in Österreich als faschistisch definieren.
Die österreichische Neonazi-Szene ist heute ohne Zweifel zersplittert und noch deutlich von der relativen Stärke entfernt, die ihre Kameraden in Deutschland erreicht haben. Nichtsdestotrotz versuchen sie seit 2002, wieder eine gewisse Präsenz in der Öffentlichkeit zu erlangen. Während sich in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren die meisten österreichischen Neonazis um die „Volkstreue Außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) eines Gottfried Küssel sammelten, fehlt ihnen seit deren Zerschlagung eine einheitliches Sammelbecken.
Österreichs Faschisten gruppieren sich gegenwärtig um verschiedene Kleingruppen wie der "Kameradschaft Germania" von Sascha Gasthuber, dem Nationaldemokratischen Aktionsbüro (NDAB) von Robert Faller oder der Nationaldemokratischen Partei Österreichs (NPÖ) eines Gregor Maierhofer. Diese Gruppen - oft zerstritten, aber doch immer wieder bündnisfähig – setzten die Initiativen, aus denen die Kundgebung gegen die Wehrmachtsausstellung am Heldenplatz im April 2002, die mißglückten Aufmärschen im August 2003 und am 1. Mai 2004 oder die nun jährlich stattfindenden Gedenkfeiern am 1. November am Wiener Zentralfriedhof für den Nazi-Flieger Walter Nowotny hervorgehen.
In diesem Zusammenhang müssen auch die im faschistischen Umfeld anzusiedelnde Burschenschaft Olympia oder andere rechtsextreme Burschenschaften erwähnt werden, in denen Faschisten, Deutschnationale und Rechtskonservative zusammentreffen. So waren bzw. sind bekannte Nazis Mitglied bei einer Burschenschaft wie z.B. Gerd Honsik (Rugia Markomannia), der erwähnte Gottfried Küssel (Danubo Markomannia) oder der mittlerweile verstorbene Führer der Nationaldemokratischen Partei, Norbert Burger (Olympia). In solchen Burschenschaften treiben sich aber auch andere Leute herum wie z.B. der Wiener FPÖ-Politiker Rainer Pawkowicz (Olympia), der FP-Rechtsaußen Ewald Stadler (Skalden, FPÖ), Haider-Anwalt und Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer (Silvania), natürlich Jörg Haider selbst (Albia, Silvania) aber auch ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (akademische Turnerschaft Graz).
Das heißt nicht, daß alle Burschenschaften faschistisch sind – auch wenn diese Charakteristik auf einige sicherlich zutrifft – aber es geht doch klar hervor, daß diese zum Teil wichtige Bindeglieder und Kontaktstellen der Faschisten mit dem offiziellen bürgerlichen Spektrum darstellen.
Ist die FPÖ faschistisch?
Gruppen wie die Linkswende und diverse Autonome behaupten seit Jahren, daß die FPÖ eine faschistische Partei und Haider ein Nazi sei. Die Linkswende lief sogar in der Vergangenheit mit Schildern „Haider = Hitler“ herum! Hier kann man gut sehen, zu welchen katastrophalen politischen Schlußfolgerungen die theoretische Verwahrlosung des Zentrismus führt.
Ohne Zweifel trifft es zu, daß sich in der FPÖ faschistische Kräfte herumtreiben und Haider zeitweise offen mit ihnen zusammenarbeitete. Aber die Partei und ihre Führung als ganzes kann nicht als faschistisch bezeichnet werden. Vielmehr ist die FPÖ eine offen rassistische, rechts-populistische Partei. Während der Faschismus auf der Straße seine bewaffneten Horden gegen die ArbeiterInnenbewegung mobilisiert, bedient sich die FPÖ der Mitteln des Staatsapparates und verzichtete (bislang) – auch in ihrer Hochburg Kärnten – auf die Zerschlagung der Linken. Während der Faschismus jede Form der bürgerlichen Demokratie zu zerschlagen sucht, agiert die FPÖ im Rahmen derselben. Das Hauptschlachtfeld des Faschismus ist die Straße, jenes der FPÖ das Parlament.
Eine Bezeichnung der FPÖ als faschistisch wäre in Wirklichkeit eine gefährliche Verharmlosung des Faschismus, die – konsequent zu Ende gedacht – zu verhängnisvollen Schlußfolgerungen führen muß. Wenn nun laut Linkswende eine faschistische Partei bereits seit fast 6 Jahren an der Macht ist ... und nach wie vor ArbeiterInnenbewegung und Linke frei agieren können und auch bislang keine einzige Wahl verboten wurde, dann kann der Faschismus a la Linkswende ja nicht so schlimm sein. Wer bei jeder Verdunkelung hysterisch vor dem „Schwarzen Mann“ warnt, dem wird man keinen Glauben schenken, wenn es einmal wirklich so weit ist. Außerdem müßte sich eine marxistische Partei angesichts der Machtergreifung einer faschistischen Partei unmittelbar auf die Untergrundarbeit vorbereiten statt jede Demonstration mit Linkswende-Schildern zu überschwemmen. Von dieser zweifelhaften Beglückung linker Demonstrationen nimmt die Linkswende natürlich keineswegs Abstand. In Wirklichkeit nimmt sie ihre eigenen Worte und Definitionen nicht ernst. Sie dienen nicht einer ernsthaften Analyse, sondern dem Versuch, durch Alarm-Schreien endlich den erhofften Durchbruch bei der Mitglieder-Gewinnung zu schaffen. Für sie dient Theorie der Erreichung des überhöhten Mitgliederwachstumsziels und hat keinerlei eigenständigen wissenschaftlichen Wert.
Andererseits führt das beliebige Herumschmeißen mit dem Faschismus-Begriff dazu, die Gefahr, die von den „normalen“ bürgerlichen Kräften ausgeht – sie sind es ja, die heute Sozialabbau, Rassismus und imperialistischen Krieg betreiben –, zu verharmlosen. Im schlimmsten Fall führt dies sogar zum klassischen Opportunismus der Zusammenarbeit mit den nicht-faschistischen bürgerlichen Kräften gegen die Nazis. Unvergeßlich ist in diesem Zusammenhang die Demonstration von Linkswende-Aktivisten Ende 1999 zur Parteizentrale der ÖVP – der Hauptpartei der österreichischen Bourgeoisie -, wo sie den ÖVP-Funktionären eine Petition mit der Bitte übergaben, doch keine Koalition mit der FPÖ einzugehen.
Das heißt allerdings nicht, daß Haider und die Freiheitlichen ungefährlich wären. Im Gegenteil, im allgemeinen ist die FPÖ heute eine weitaus größere Gefahr für die ArbeiterInnenbewegung und die Linke als die Nazis, da sie eine reaktionäre rechts-populistische Massenpartei ist, die die Regierungsmacht in ihren Händen hält. Währendessen sind die Faschisten gegenwärtig nur relativ gering an der Zahl und trauen sich nach wie vor nur selten auf die Straße.
Warum wird der Faschismus heute wieder stärker?
Es wäre jedoch fatal, würden wir den beginnenden Formierungsprozeß des Faschismus ignorieren. Ja, er ist heute noch zersplittert, aber er erhebt wieder sein Haupt. In Deutschland – und hier v.a. in Ostdeutschland – sehen wir bereits, wohin sich dieser Prozeß entwickeln kann, wenn wir die Nazis nicht stoppen.
Was sind die Ursachen des neuerlichen Aufschwungs der Nazis? Hier ist zuerst einmal die Krise des Kapitalismus zu nennen, die die Existenzbedingungen immer größeren Schichten des Kleinbürgertums und der Mittelschichten, aber auch der ArbeiterInnenklasse gefährdet. Wachsende strukturelle Arbeitslosigkeit, Armut, Konkurse von Kleinstbetrieben usw. – all das ist das Klima, das viele nach einer radikalen Alternative zum herrschenden System suchen läßt. Die offizielle, sozialdemokratische ArbeiterInnenbewegung jedoch ist unfähig, darauf eine Antwort zu geben und tatkräftig gegen die Folgen der Krise zu kämpfen. Entweder paßt sie sich selber den neoliberalen Dogmen an oder sie setzt diese Politik sogar selber um – siehe die Schröder-Regierung in Deutschland.
In Österreich kommt noch hinzu, daß Teile des rechten Lagers durch die Regierungsteilnahme der FPÖ und ihres „Verrats“ am Rechtspopulismus enttäuscht sind und nun nach einer radikaleren Perspektive suchen. Der „lange Marsch durch die Institutionen“ führte auch im rechten Lager zu Enttäuschung und Verbitterung.
Stehen wir kurzfristig vor einer neuerlichen Gefahr der faschistischen Machtübernahme? Nein, dazu ist weder die Lage der Bourgeoisie verzweifelt genug, noch haben die Nazis eine entsprechende Mobilisierungsstärke erreicht. In der kommenden Periode besteht die Gefahr des Faschismus nicht darin, daß er die Macht wieder an sich reißt, sondern vielmehr darin, daß er als Knüppel der herrschenden Klasse gegen die ArbeiterInnenbewegung eingesetzt wird.
Exkurs 1:
Die Bedeutung der Ideologie im Faschismus
Die Macht des Faschismus liegt nicht so sehr in seiner Ideologie. Viele Linke suchen das Geheimnis des faschistischen Ausstrahlungskraft in den Sphären seiner „Weltanschauung“ zu entdecken. So widmet die SJ in ihren Broschüren über den Faschismus in Österreich bzw. Deutschland und Italien den Großteil ihrer „Versuches einer Definition“ des Faschismus der Beschreibung seiner Ideologie. [23] Wer sich dem Faschismus über seine Ideologie annähert, gelangt nicht zur Erfassung seines Wesens. Nicht zufällig endet dieser Ansatz zumeist bei der zweifelhaften Erkenntnis, daß die Massen zu ungebildet, zu rückständig seien und so der faschistischen Hetze leicht anheim fallen. Das Gegenmittel? Mehr antifaschistische Aufklärung in der Schule, Schulexkursionen nach Mauthausen, mit anderen Worten: den Kampf gegen den Faschismus an den ideologischen Apparat des bürgerlichen Staates delegieren anstatt ihn selber in die Hand zu nehmen.
Zweifellos kann keine Bewegung ohne Ideologie existieren und die faschistische Bewegung muß natürlich der Verzweiflung des Kleinbürgertums, der Arbeitslosen usw. ideellen Ausdruck verleihen. Aber wenn die ideologische Anziehungskraft des Faschismus so groß wäre, warum gibt es dann lange Perioden, in denen seine Losungen höchstens ein paar Ewiggestrige und geistig Minderbemittelte anzieht und dann wiederum Periode, in denen sie Massenzulauf finden?!
Nein, die Ursachen der Auf und Abs des Faschismus liegen nicht in seinen kruden Ideen, sondern in der Entwicklungsdynamik der kapitalistischen Krise und dem Ausmaß der Anziehungskraft der ArbeiterInnenbewegung. Je tiefer die Krise und je entschlossener, revolutionärer die ArbeiterInnenklasse das Schlachtfeld des Klassenkampfes betritt, umso geringer die Gefahr, daß diese Schichten zum Fußvolk der bewaffneten Reaktion werden. Je unentschlossener, perspektivloser jedoch die ArbeiterInnenbewegung in einer tiefen sozialen Krise der bürgerlichen Gesellschaft agiert, auf desto wirksamer Boden fallen die ideologischen Hirngespinste des Faschismus.
Lassen wir Leo Trotzki seine Erfahrungen zusammenfassen, der sowohl die faschistischen Schwarzhunderter und die Kornilow-Bewegung in Rußland als auch Hitlers Aufstieg und die Katastrophe von 1933 miterlebte:
„Es gibt nicht den geringsten Grund, die Ursache für dieses Scheitern in der Wirkungskraft der faschistischen Ideologie zu sehen. Mussolini hat im Grunde nie irgendeine Ideologie gehabt. Die „Ideologie“ Hitlers hat die Arbeiter nie ernsthaft ergriffen. Die Schichten der Bevölkerung, denen der Faschismus zeitweilig den Kopf verdreht hat, d.h. vor allem die Mittelklassen, haben Zeit genug gehabt, um ihre Augen zu öffnen. Wenn sich eine auch nur im geringsten bemerkenswerte Opposition auf die klerikalen protestantischen wie „katholischen“ Kreise beschränkt, so liegt der Grund nicht in der Macht der halb irren, halb scharlatanesken Theorien von „Rasse“ und „Blut“, sondern im schrecklichen Versagen der Ideologe der Demokratie, der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Internationale.
Nach der Niederwerfung der Pariser Kommune hielt sich eine erstickende Reaktion etwa acht Jahre. Nach der Niederlage der russischen Revolution von 1905 verharrten die Arbeitermassen fast ebenso lange im Zustand der Betäubung. Jedoch handelte es sich in diesen beiden Fällen nur um physische Niederlagen, die durch das Kräfteverhältnis bedingt waren. In Rußland war das Proletariat außerdem fast unberührt. Die Fraktion der Bolschewiki bestand damals erst drei Jahre. Ganz anders war die Situation in Deutschland, wo die Führung in den Händen mächtiger Parteien lag, wovon die eine sechzig, die andere ungefähr fünfzehn Jahre alt war. Diese beiden Parteien, die eine Millionenwählerschaft hatten, waren vor dem Kampf moralisch gelähmt und haben sich kampflos ergeben. Inder Geschichte gab es niemals eine vergleichbare Katastrophe. Das deutsche Proletariat ist nicht vom Feind im Kampf geschlagen worden: es ist zerbrochen worden durch die Feigheit, Niedertracht, den Verrat seiner eigenen Parteien. Kein Wunder, daß es den Glauben verloren hat an alles, was es seit drei Generationen zu glauben gewohnt war. Der Sieg Hitlers hat wiederum Mussolini gestärkt.
Die Erfolglosigkeit der revolutionären Arbeit in Italien und Deutschlands ist nichts anderes als der Preis für die verbrecherische Politik der Sozialdemokratie und der Komintern. Die illegale Arbeit erfordert nicht nur die Sympathie der Massen, sondern darüberhinaus Begeisterung ihrer fortgeschrittensten Schichten. Aber kann man Begeisterung für geschichtlich bankrotte Organisationen erwarten? Die emigrierten Führer sind Agenten des Kreml und der GPU, demoralisiert bis auf die Knochen, oder ehemalige sozialdemokratische Minister der Bourgeoisie, die hoffen, daß die Arbeiter ihnen durch ein Wunder ihre verlorenen Posten wieder verschaffen. Kann man sich nur einen Augenblick diese Herren als Führer der kommenden „antifaschistischen“ Revolution vorstellen?“ [24]
III. Marxistische versus reformistische Faschismustheorie
Es liegt außerhalb der Aufgabe dieser Broschüre, eine ausführliche kritische Abhandlung der verschiedenen bürgerlichen, reformistischen und ultralinken Faschismustheorien vorzunehmen. Wir wollen uns daher auf zwei Ansätze konzentrieren, die in den reformistischen Kreisen der ArbeiterInnenbewegung über breiten Einfluß verfügen: einerseits der Erklärungsansatz des Stalinismus und andererseits jener des austro-marxistischen Theoretikers Otto Bauer. Ebenso wollen wir in einem Exkurs die Faschismus-Theorie von Ted Grant genauer analysieren.
Stalinistische Definition
Die klassische reformistische Definition des Faschismus formulierte der damalige Vorsitzende der stalinistischen Komintern, Georgi Dimitroff, auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale:
„Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist (...) die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistische Elemente des Finanzkapitals.“ [25]
Hinter dieser Formulierung – die sich noch heute großer Beliebtheit sowohl in der Kommunistischen Partei als auch Teilen der Sozialistischen Jugend erfreut [26] – verbirgt sich ein völlig falscher Erklärungsansatz, der als theoretische Rechtfertigung einer opportunistischen Praxis dient. Die stalinistischen Theoretiker sprechen den üblichen Rangeleien und Machtkämpfen in den Reihen der herrschenden Klasse einen grundsätzlichen, die Gemeinsamkeiten überlagernden, Charakter zu:
„Anhand dieser kurzen historischen Betrachtung sehen wir sehr gut, gegen wen der Faschismus gerichtet war und in wessen Interesse er arbeitete, nämlich im Interesse von Teilen des Kapitals (sic!) und gegen das Interesse aller Werktätigen. (...) An einer faschistischen Machtübernahme waren keineswegs alle Teile des Kapitals interessiert, sondern eben nur eine bestimmte Fraktion und das wieder nur in einigen Ländern. War zwar der Faschismus die Diktatur dieser einen Kapitalfraktion, so hörte der Kampf zwischen den Kapitalfraktionen keineswegs auf. Das kann man an den fortdauernden Auseinandersetzungen innerhalb des faschistischen Systems erkennen, so wurde Mussolini schließlich von seiner eigenen Partei entmachtet.“ [27]
Der Faschismus an der Macht ist nicht bloß die Herrschaft eines bestimmten – des reaktionärsten – Teils der Bourgeoisie. Dies ist ein undialektischer, schematischer Versuch, die kapitalistische Klasse künstlich in verschiedene Fraktionen mit völlig unterschiedlichen Interessen aufzuteilen. Vielmehr dient der Faschismus an der Macht der Bourgeoisie, der herrschenden Klasse, in ihrer Gesamtheit.
Der marxistische Ökonom Sohn-Rethel, der das außergewöhnliche Privileg hatte, zwischen 1931 und 1936 als Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker in den Planungsbüros – sozusagen dem intellektuellen Herz – der deutschen Großindustrie zu arbeiten („als Marxist in der Höhle der Kapitalisten“, wie es ein Journalist in der „ZEIT“ ausdrückte), lieferte aufschlußreiche Studien zur Interessenslage der deutschen Bourgeoisie in der Epoche des Nationalsozialismus. Darin weist er anhand zahlreicher Fallstudien und umfangreicher Statistiken nach, daß das Kapital als ganzes von der nationalsozialistischen Herrschaft profitierte und diese unterstützte. Natürlich, nicht alle Fraktionen unterstützten Hitler zum gleichen Zeitpunkt mit dem gleichen Enthusiasmus. Das Kapital ist von seinem Wesen her pragmatisch und vorsichtig und will nicht unnötig seine Profite riskieren. Das Risiko überläßt es dem politischen Abenteurern vom Schlage eines Hitlers oder Mussolini. Darüber hinaus ist der Kapitalist zuallererst Einzelkapitalist und erst dann begreift er bzw. sie sich als Teil der kollektiven Kapitalistenklasse. Aber all dies entspricht der Natur des Kapitalismus als eines System der in Konkurrenz zueinander stehender Privateigentümer. Deswegen schließen sich die Kapitalisten zu gemeinsamen Interessenverbänden zusammen und ermitteln dort einen „Durchschnitt“ ihrer Interessen und beauftragen und finanzieren eine eigene Politikerkasten damit, ihre Geschäfte für sie zu erledigen.
In einem Aufsatz über die unterschiedlichen Interessen der mehr auf den Weltmarkt und der mehr auf den Binnenmarkt orientierter Fraktionen der deutschen Bourgeoisie kommt Sohn-Rethel zu folgendem Schluß:
„Die Abwendung von der Weltwirtschaft, auf deren rechtzeitige Erholung sich kein Vernünftiger mehr ernstliche Hoffnung machen konnte, nahm die Gestalt der Parole von der ‚Autarkie’ an. Solange allerdings das Brüning-Lager und das Harzburger Lager sich in dieser Gegensätzlichkeit zueinander befanden – ‚Weltwirtschaft’ und ‚Autarkie’ – mußte die Plattform geschaffen werden, auf der eine neue Gruppierung der Industrieinteressen stattfinden konnte, eine Gruppierung, die einer Konzentration aller maßgeblichen Teile des deutschen Monopolkapitals gleichkam. Dann ließ sich eine Regierung bilden, die die solide Macht in Deutschland vertrat und die hinter der fälligen imperialistischen Expansion Deutschlands die erforderliche Stoßkraft und die nötige Mobilisierung aller Ressourcen stellen konnte.“ [28]
Wir haben schon oben in Tabelle 3 gezeigt, daß das Kapital als Ganzes von der faschistischen Herrschaft profitierte. Unzählige weitere Untersuchungen über die nationalsozialistische Wirtschafts- und Sozialpolitik bezeugen dies. Kein Wunder, profitierten doch alle Kapitalisten von der Verlängerung des Arbeitstages, dem Abbau des Arbeitsschutzes und der skrupellosen Steigerung der Produktivität. In den marxistischen Kategorien der politischen Ökonomie ausgedrückt ermöglichte die faschistische Ordnung eine dramatische Steigerung sowohl des relativen und noch mehr des absoluten Mehrwertes.
Volksfront-Politik
Für Stalin und seine intellektuellen Handlanger blieb der Faschismus immer ein unverständliches Buch mit sieben Siegeln. Zuerst beschrieb der Möchtegern-Theoretiker Stalin den Faschismus als „Zwilling der Sozialdemokratie“ und später denunzierten die StalinistInnen die Sozialdemokratie als „sozialfaschistisch“. Damit verkannten sie, daß obwohl Sozialdemokratie und Faschismus letztlich beide dem Kapitalismus dienen, sie nichtsdestotrotz in einem scharfen Gegensatz zueinanderstehen. Das natürliche Biotop der Sozialdemokratie ist die bürgerliche, parlamentarische Demokratie, die der Faschismus auslöschen möchte. Die Sozialdemokratie als reformistischer Teil der ArbeiterInnenbewegung ist für den Faschismus aus diesem Grund eine Gegnerin, den es zu vernichten gilt. Mit den sozialdemokratischen ArbeiterInnen gemeinsam gegen diese tödliche Gefahr zu kämpfen (und dabei auch diese von der reformistischen Bürokratie wegzubrechen) ist daher eine vorrangige Aufgabe im antifaschistischen Kampf. Genau das jedoch lehnte der Stalinismus in der Periode 1929-33 ab und behauptete, daß erstens der „Sozialfaschismus“ genauso bekämpft werden müsse und jede Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Führung ein Verrat sei. Und zweitens unterschätzten sie damit vollkommen die Gefahr der faschistischen Machtergreifung. Unter der ebenso optimistisch wie einfältigen Parole „Nach Hitler kommen wir“ kündigten sie das baldige Ende des Nazi-Regimes an. Bekanntlich kam es anders.
Die veränderte weltpolitische Lage, die zunehmenden inner-imperialistischen Widersprüche – v.a. zwischen Nazi-Deutschland einerseits und Frankreich und Großbritannien andererseits – und die damit verbundene Kriegsgefahr zwangen die Sowjetbürokratie, den außenpolitischen Kurs um 180 Grad zu ändern und damit auch den der, mittlerweile zum verlängerten Arm Moskaus heruntergekommenen, Kommunistischen Internationale. Nun war nicht nur die Sozialdemokratie (das Vokabular des „Sozialfaschismus“ wurde kurzerhand aus den Propaganda-Broschüren gestrichen) ein respektabler Bündnispartner, sondern auch gleich noch die imperialistische Bourgeoisie!
Der damalige Generalsekretär Georgi Dimitroff präsentierte auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale 1935 die neuen Doktrin. Die neue Faschismus-Theorie unterstellte, daß es Teile des Finanzkapitals gibt, die kein Interessen an der faschistischen Herrschaft haben und daher als Bündnispartner für einen antifaschistischen Kampf gewonnen werden können. Diese Orientierung ging in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung als Volksfront-Politik ein. In seinem Referat auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale 1935 erklärte Stalin’s treuer Statthalter in der Komintern Dimitroff:
„Unter bestimmten Umständen können und müssen wir dahin wirken, diese Parteien und Organisationen oder einzelne ihrer Teile, trotz ihrer bürgerlichen Leitung, für die antifaschistische Volksfront zu gewinnen. So steht es zum Beispiel gegenwärtig in Frankreich mit der Radikalen Partei ....“ [29]
In der Praxis bedeutete dies Bündnisse oder sogar Regierungskoalitionen, die die Sozialdemokratie, die Kommunistische Partei, im Falle Spaniens auch der Anarchisten, sowie kleinerer bürgerlicher Parteien – wie eben in Frankreich die Radikale Partei – umfaßten. Mit anderen Worten: eine Volksfront ist eine politische Zusammenarbeit der reformistischen Bürokratie mit Teilen der Bourgeoisie. Doch eine solche Zusammenarbeit hatte ihren Preis. Damit die herrschende Klasse eine Volksfront-Regierung toleriert, mußte diese ihre Loyalität gegenüber dem kapitalistischen Privateigentum, der imperialistischen Vaterlandsverteidigung und ihre resolute Feindschaft gegenüber jeder Form proletarischer Klassenunabhängigkeit und revolutionärer Politik unter Beweis stellen.
Das sollte sich für die Bürokratie als kein Problem erweisen. Schon nach dem I. Weltkrieg bewies die sozialdemokratische Bürokratie – ihrer pseudo-radikalen Theoretiker wie Otto Bauer und Friedrich Adler eingeschlossen – ihre Loyalität gegenüber der bürgerlichen Herrschaft. In Deutschland arbeiteten sie Hand in Hand mit den rechtsradikalen Freikorps und ließen hunderte KommunistInnen ermorden, unter ihnen Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und Eugen Leviné. In Österreich gelang ihnen die Demobilisierung der revolutionär gesinnten Arbeiterschaft durch die Bildung einer Regierungskoalition mit den Christlich-Sozialen während des Höhepunktes der revolutionären Krise 1919-1920. Und auch danach – in Opposition – ermöglichte sie durch ihr Stimmverhalten im Parlament die Beschlußfassung wesentlicher imperialistischer Raubverträgen wie z.B. die Genfer Protokolle 1922. Ebenso erlitten die ArbeiterInnen- und Soldatenräte, die hunderttausende revolutionär gesinnte ArbeiterInnen und Soldaten organisierten, ein typisch österreichisches Schicksal: unter der sozialdemokratischen Führung beschränkte sich diese potentielle Gegenregierung zur bürgerlichen Herrschaft auf Kommentare und prahlerische Deklarationen ... und entschlummerte schließlich bis zu ihrer Auflösung durch die Parteispitze 1923.
In den 1930er Jahren – während der revolutionären Krisen in Frankreich und Spanien – leistete die reformistische Bürokratie, deren Reihen nun durch den Stalinismus verstärkt wurden, durch ihre Praxis erneut einen Treueschwur auf die bürgerliche Herrschaft. So wurde Frankreich im Anschluß an den Wahlsieg der Volksfrontregierung im Juni 1936 von einer Welle revolutionärer Streiks und Fabrikbesetzungen erschüttert. Es entstand eine Situation, die der linke Sozialist Maurice Pivert so treffend mit den Worten „Jetzt ist alles möglich“ charakterisierte. Doch in dieser Situation warf die sozialdemokratische und stalinistische Bürokratie ihr ganzes politisches und organisatorisches Gewicht in die Waagschale, um die Streiks und die revolutionäre Situation zu beenden. Denn der scharfe Klassenkampfaufschwung gefährdete das Bündnis der Bürokratie mit der imperialistischen Bourgeoisie im eigenen Land.
Natürlich waren diese bürgerlichen Koalitionsparteien in der Volksfront nicht groß – sie repräsentierten in den Worten Trotzkis höchstens „den Schatten der Bourgeoisie“ – und die Hoffnungen der reformistischen Spitzen auf loyale Bündnispartner aus den Reihen des Kapitals wurden erwartungsgemäß enttäuscht. [30]
In Wirklichkeit jagte die reformistische Bürokratie einem antifaschistischen Phantom in den Reihen der Bourgeoisie hinterher. Je irrelevanter diese Bündnispartner waren, umso bombastischer wurden sie in wortreichen Erklärungen aufgeblasen.
All dies war kein Zufall, sondern folgerichtige Konsequenz der Politik des Stalinismus. Mitte der 1930er Jahre hatte die Kommunistische Internationale schon lange aufgehört, eine revolutionäre Kraft darzustellen und war zu einer außenpolitischen Agentur der herrschenden Bürokratie in der Sowjetunion herabgesunken. Getarnt hinter Phrasen von der Weltrevolution und dem orthodoxen Marxismus bestand ihre Hauptaufgabe nun in erster Linie darin, die jeweiligen bürgerlichen, imperialistischen Bündnispartner der stalinistischen Bürokratie nach Leibeskräften zu unterstützen und die jeweiligen Gegner zu bekämpfen. Leitmotiv der stalinistischen Bürokratie war nicht die Verteidigung der Interessen der internationalen ArbeiterInnenklasse und die Vorantreibung der Weltrevolution, sondern der Machterhalt der Bürokratie samt ihrer Privilegien. Entsprechend wechselten – je nach weltpolitischer Veränderung – die Bündnispartner Moskaus. Waren diese 1935-39 die französische und britische imperialistische Bourgeoise und der Hauptfeind Hitler, wechselte Moskau seine außenpolitischen Prioritäten 1939-41 um 180 Grad und arbeitete nun mit Berlin und Rom zusammen. Nachdem Hitler ein undankbarer Zeitgenosse war und die Sowjetunion im Juni 1941 überfiel, mußte ein überrumpelter Stalin – der zuvor ¾ seines Offizierkorps hinrichten ließ aus Angst vor einer unabhängigen Opposition in der Roten Armee – erneut das Bündnis mit den USA und Großbritannien suchen. [31] Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges 1948/49 endete auch diese Allianz.
Die Volksfront-Politik war der Rubikon, den der Stalinismus überschritt, um seinen Frieden mit Imperialismus und bürgerlicher Ordnung zu schließen und zu einer reformistischen Kraft zu werden. Mit dem Ausverkauf der Revolutionen in Spanien, Frankreich und später Griechenland und dem Blutopfer von zehntausenden revolutionären ArbeiterInnen in der Kerkern der UdSSR und Spanien demonstrierte die Bürokratie in der Praxis ihre Bereitschaft zur loyalen Zusammenarbeit mit der imperialistischen herrschenden Klasse.
Austromarxistische Definition
Der Austromarxismus – also jene von der österreichischen Sozialdemokratie entstellte Version des Marxismus – ist die zweite einflußreiche Strömung im Lager des Reformismus, die sich neuerdings wieder v.a. in den Reihen der Sozialistischen Jugend (SJ) größerer Beliebtheit erfreut. Die austromarxistische Definition des Faschismus unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der stalinistischen, wie wir gleich sehen werden. Beiden war bzw. ist die strategische Orientierung auf eine Zusammenarbeit mit Teilen der Bourgeoisie gemein, mit der man gemeinsam zuerst einmal einen sozialen, „antimonopolistischen“, friedlichen usw. Kapitalismus erkämpfen will bevor man sich an das Wagnis einer zweiten Etappe – in der es dann um den Sozialismus gehen soll – heranwagt. Kurz: der Reformismus verteidigt den Kapitalismus in der Praxis, während er in Worten vorgibt, einen „realistischen“ Plan für den Weg zum Sozialismus zu verfolgen.
In der Praxis bleibt man freilich meist bei der ersten Etappe – der Zusammenarbeit mit vorgeblich fortschrittlichen Teilen der herrschenden Klasse – stecken, wobei der Reformismus zuerst der Bourgeoisie seine Nützlichkeit unter Beweis stellt, indem er die ArbeiterInnen zurückhält und sogar die Unterdrückung von Arbeiteraufständen organisiert oder zumindest toleriert (z.B. Deutschland 1918/19, „Berliner Blutmai“ 1929, Wiener Justizpalastbrand im Juli 1927, Oktoberstreik 1950 in Österreich), um schließlich „undankbarerweise“ von den Herrschenden von den Regierungsbänken ausgestoßen oder ausgeschaltet wird. [32]
Auch in Österreich ging diese Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie sogar so weit, daß mit Karl Renner einer der namhaftesten Führer des Austromarxismus offen mit den nationalsozialistischen Machthabern kollaborierte. So rief er nicht nur nach Hitlers Einmarsch im März 1938 dazu auf, bei der „Volksabstimmung“ für den Anschluß an das Großdeutsche Reich zu stimmen. Weitgehend unbekannt ist, daß Renner im Sommer 1938 im Auftrage Berlins eine Broschüre verfaßte, in der er um Verständnis für Hitlers faschistische Expansionspolitik in Richtung Sudetenland und die Tschechoslowakei warb. [33] 1945 verstand es Renner perfekt, sein Rückgrat nun ebenso geschmeidig gegenüber den alliierten Siegermächten zu krümmen und als Kanzler bzw. Bundespräsident dem österreichischen Kapitalismus neuerlich unschätzbare Dienst zu erweisen.
Die austromarxistische Führung paßte die Faschismus-Definition entsprechend ihren politischen Bedürfnissen einer strategischen Zusammenarbeit mit Teilen der Bourgeoisie im Rahmen einer Volksfront an. Da allerdings Otto Bauer – der namhafteste Theoretiker der Austromarxismus – und seine KollegInnen in der Regel die Oppositionsbänke besetzten und daher im Unterschied zur sowjetischen Bürokratie – der Machtzentrale des Stalinismus - die meiste Zeit der 1920er und 1930er Jahre in einem ungebrocheneren Verhältnis zur kämpferischen ArbeiterInnenbasis stand, zeichnen sich Bauers Schriften durch ein deutlich höheres und kritisches Niveau als die servilen, monotonen, von Lobhudeleien an den „großen Führer Stalin“ gespickten Propagandatexten der Kommunistischen Parteien.
Aber das kann nicht über die fatale Grundeigenschaft des Austromarxismus hinwegtäuschen: mehr noch als die „normale“ Sozialdemokratie oder der Stalinismus zeichnet er sich durch die eigentümliche Kombination wortreicher, marxistisch-gelehrter Erklärungen mit vollkommener Passivität in der politischen Praxis aus. Die akademisch-„marxistischen“ Analysen werden vielmehr noch als Erklärung oder besser gesagt Ausrede verwendet, um das Abwarten, das Abwiegeln, das Verstreichen lassen ausgezeichneter Kampfmöglichkeiten zu rechtfertigen. Die ArbeiterInnenklasse beschwichtigen und von jedem entschlossenen Kampfe abhalten, die routinehafte Organisierung harmloser Kampagnen und Petitionen als Ablenkung von der Organisierung wirklicher Klassenkämpfe, das zähneknirschende Zustimmen zum Verrat und Ausverkauf – das sind die politische Merkmale des Reformismus austro-marxistischer Prägung. In seinem 1921 verfaßten Artikel „Die Helden der Wiener Konferenz“ faßte Leo Trotzki den Charakter des Austromarxismus treffend zusammen und schlußfolgerte:
„Der österreichische Marxismus ist unerschöpfbar, wenn es sich um das Ausfindigmachen von Ursachen handelt, welche die Initiative hindern und die revolutionäre Aktion erschweren. Der österreichische Marxismus ist die gelehrte und gespreizte Theorie der Passivität und der Kapitulation.“ [34]
Wie also definierte der austromarxistische Theoretiker Otto Bauer den Faschismus? Einerseits erfaßte er deutlicher als die stalinistischen Propagandisten den spezifischen Charakterzug des Faschismus – nämlich seine militante Mobilisierung des Kleinbürgertums auf der Straße – in einer Situation der inneren Krise und Schwäche der herrschenden Klasse:
„...so ist auch der neue, der faschistische Absolutismus das Ergebnis eines zeitweiligen Gleichgewichtszustandes, in dem weder die Bourgeoisie dem Proletariat ihren Willen mit den alten gesetzlichen Methoden aufzwingen, noch das Proletariat sich von der Herrschaft der Bourgeoisie befreien konnte und beide Klassen daher unter die Diktatur der Gewalthaufen gerieten, die die Kapitalistenklasse gegen das Proletariat benutzt hat, bis sie sich schließlich selbst ihrer Diktatur unterwerfen mußte.“ [35]
Andererseits betont er in seiner Analyse immer wieder, daß der Faschismus nicht der Bourgeoisie als Ganzes diene, sondern nur einem Teil:
„...den Faschismus, der nichts anderes ist als die Diktatur der kriegerischen Fraktion der Kapitalisten- und Junkerklasse; (...) Die Diktatur eines kriegerischen Nationalismus in diesen Ländern schaltet aber alle pazifistischen Klasen und Klassenfraktionen aus dem Kräftespiel innerhalb der Nation aus.“ [36]
„Aber im weiteren Verlaufe der Entwicklung verengert sich die gesellschaftliche Basis der faschistischen Diktatur. (...) So geraten große Fraktionen der herrschenden Kapitalistenklasse in Opposition gegen die Diktatur der regierenden faschistischen Kaste. Nur die gewaltgläubigsten, gewaltbedürftigsten Fraktionen der Kapitalistenklasse, diejenigen, denen die gewaltsame Niederhaltung des Proletariats im Innern und eine kühne, kriegerische Politik nach außen jedes wirtschaftliche Opfer und jedes Opfer des Intellekts wert sind, bleiben um die Diktatur geschart, bleiben ihre Stützen und ihre Herren zugleich. Die Diktatur des Kapitals mittels der aus der militärisch-nationalistischen Kriegsteilnehmerbewegung hervorgegangenen Herrenkaste verengert sich zur Diktatur der kriegerischen Fraktion der Kapitalistenklasse.
Die pazifistischen Elemente der Kapitalistenklasse, – die auf den Export angewiesene Fertigfabrikat-Industrie, die friedlichen Warenaustausch zwischen den Völkern braucht; der Handel, der durch die Kriegswirtschaft unterbunden wird; die Rentnerklasse, die den Sturz der Anlagepapiere im Kriegsfalle fürchtet, – werden in den Hintergrund gedrängt. Die kriegerischen Elemente der Kapitalistenklasse, vor allem die Rüstungsindustrien und die mit dem Offizierskorps versippte grundbesitzende Aristokratie, erlangen die Oberhand. Da das Kapital seine Diktatur mittels der kriegerischen Führerkaste ausübt, die aus der nationalistisch-militaristischen Kriegsteilnehmerbewegung hervorgegangen ist, obsiegen innerhalb der Kapitalistenklasse die kriegerischen Tendenzen.“ [37]
„Die faschistische Konterrevolution bedeutet also den Übergang von der durch die demokratischen Institutionen beschränkten Klassenherrschaft der gesamten Bourgeoisie zu der unbeschränkten Diktatur der Großkapitalisten und der Großgrundbesitzer.“ [38]
Aus dieser Definition läßt sich dann natürlich problemlos ableiten, daß die ArbeiterInnenbewegung mit dem „pazifistischen“, „nicht-kriegerischen“, oder „anti-faschistischen“ Teil Bürokratie zusammenarbeiten sollen. In der Praxis führt das zur Zusammenarbeit mit dem „nicht-kriegerischen“ oder „anti-faschistischen“ Teil der Bourgeoisie und dem Ausverkauf der proletarischen Interessen. Denn in der Praxis war dieses Hoffen auf eine „vernünftige“ Fraktion der Bourgeoisie die Rechtfertigung dafür, die ArbeiterInnenklasse vom scharfen Klassenkampf abzuhalten, um nur ja nicht die fatamorganischen Bündnispartner in den Reihen der herrschenden Klasse zu verschrecken. Die herrschende Klasse wird jedoch durch den Rückzug der ArbeiterInnenklasse nur ermutigt und stellt immer frechere Forderungen. Das Vertrösten der ArbeiterInnenbewegung auf einen Kampf zu einem späteren, angeblich besseren Zeitpunkt endete in der Katastrophe des Februar 1934 und später Hitlers Einmarsch 1938. Aus dem angeblichen „Zu früh“ wurde ein blutiges „Zu spät“.
Der ganze Bankrott der Bauer’schen Strategie kommt in einem Zitat aus einer, unter dem unmittelbaren Eindruck der Februar-Katastrophe vor 1934 verfaßten, Broschüre, in der sich offen eingestandene Naivität mit der Darlegung des ganzen Versagens der sozialdemokratischen Parteispitze verbindet:
„Wir glaubten, noch durch Verhandlungen zu einer friedlichen Lösung kommen zu können. Dollfuß hatte versprochen (sic!), daß er binnen kurzem, Ende März oder anfangs April, mit uns über eine Verfassungs- und Geschäftsordnungsreform zu verhandeln: wir waren damals noch töricht genug, einem Versprechen Dollfuß zu trauen. Wir sind dem Kampf ausgewichen, weil wir den Land die Katastrophe eines blutigen Bürgerkrieges ersparen wollten. Der Bürgerkrieg ist elf Monate später trotzdem ausgebrochen, aber unter für uns wesentlich ungünstigeren Bedingungen. Es war ein Fehler, - der verhängnisvollste unserer Fehler.“ [39]
Otto Bauers Politik in der Frage des Faschismus entsprach seiner allgemeinen politischen Theorie: Drei Viertel wortreiche, unverbindliche Weisheiten des Marxismus und der Rest politische Feigheit, sprich Rechtfertigung, warum der revolutionäre Klassenkampf gegen die Bourgeoisie zwar grundsätzlich richtig und wichtig sei, doch gerade jetzt, gerade in der gegenwärtigen Periode leider nicht zur Anwendung kommen könne, sondern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden müsse.
Leo Trotzki warnte bereits vor dem Februar 1934 vor den Folgen der austromarxistischen Politik:
„Die passiv-drohende, abwartend sich sträubende Politik der österreichischen Sozialdemokratie ist nichts anderes als die Vorbereitung der faschistischen Herrschaft.“ [40]
Trotz dieses für die österreichische ArbeiterInnenbewegung so verheerende Versagen des Bauer’schen Austromarxismus nimmt die Sozialistischen Jugend (SJ) positiv Bezug auf diese Tradition. So bezeichnet sie in ihrer Faschismus-Broschüre den Austromarxismus zustimmend als „demokratischen Weg zum Sozialismus“. [41] In Wirklichkeit bedeutete der Austromarxismus der „demokratische“ - lies: die ohnmächtige, den Spielregeln der bürgerlich-republikanischen Herrschaftsform angepaßte – Taktik der Sozialdemokratie ... und der sichere Weg in die Niederlage.
Auch heute – ohne eine unmittelbare faschistische Gefahr – sehen wir die selbe Logik des Reformismus in der Politik der SJ. Als ÖVP und FPÖ im Februar 2000 die Macht ergriffen trottete die SJ als Linksblinker hinter der Politik der Mutterpartei (und Geldgeberin) hinterher und entwickelte keine ernsthafte Widerstandperspektive. Unsere Losung des Generalstreiks für den Sturz der rechten Regierung stieß in den Reihen der SJ auf taube Ohren. Aber selbst auch nur punktuelle Streiks waren für die jungen SozialdemokratInnen ein Fremdwort. Als auf der Universität Anfang März 2000 ein Streik beschlossen wurden, boykottierte die SPÖ-StudentInnenorganisation VSStÖ – genauso wie das KPÖ-Pendant KSV – diesen Streik nach Strich und Faden mit dem Resultat, daß dieser nach einer Woche zusammenbrach. Man kann sich unschwer ausmalen, daß wenn die SJ-Führung schon damals bloß den „Mut zur Feigheit“ aber nicht den Mut zum Kampf aufbrachte, wie sie dann in einer weitaus bedrohlicheren und für das Leben der SJ-BürokratInnen gefährlicheren Situation den Schwanz einziehen wird.
Nein, die Lehre aus dem Februar 1934 und dem Februar 2000 muß lauten: Die rechte Gefahr kann nur mit den entschlossenen Methoden des Massenkampfes und des organisierten militanten Widerstandes besiegt werden.
Exkurs 2:
Die historische Schuld von KPD und SPD am Siege Hitlers
In linken Publikationen außerhalb des stalinistischen Spektrums wird in der Regel die Verantwortung des Stalinismus für Hitlers Sieg 1933 aufgrund ihrer ultra-linken, sektiererischen Politik betont. Die stalinistische Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bezeichnete damals die Sozialdemokratie als „sozialfaschistisch“. Konsequenterweise lehnte sie jede Zusammenarbeit mit der Führung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) ab. (siehe oben)
In der Tat trug die von Stalin geführte, zu dieser Zeit noch zentristische, Komintern eine wesentliche Verantwortung für den Sieg des Faschismus. Die KPD versammelte damals die große Mehrheit der revolutionär eingestellten ArbeiterInnen. Ihre Abwendung von der revolutionären Einheitsfronttaktik der frühen Komintern 1919-1923 machte es der Sozialdemokratie leicht, ihre Politik des Verrats ungestraft durchzuführen und dadurch letztlich die Nazis an die Macht gelangen zu lassen.
So richtig und wichtig also eine solche Kritik an der KPD auch ist, so darf sie nicht dazu führen, die noch größere Verantwortung der sozialdemokratischen Parteiführung für die kampflose Niederlage deutschen ArbeiterInnenbewegung zu verwischen. In puncto Sektierertum stand die SPD-Führung ihren GenossInnen an der Spitze der KPD um nichts nach. Obwohl die KPD annähernd gleich stark war wie die SPD – bei den letzten freien Wahlen im November 1932 erzielte die SPD 20.4% und die KPD 16.9% - lehnte die Parteiführung jede gemeinsame Aktion mit den „Bolschewisten“ und „Handlangern Moskaus“ ab und untersagte ihren Mitgliedern wiederholt jegliche Zusammenarbeit. [42]
Doch das sozialdemokratische Sektierertum beschränkte sich nicht bloß auf die Weigerung zu einer Zusammenarbeit. Die KPD-Führung kämpfte auf eine vollkommen untaugliche Weise gegen die Faschisten. Die SPD-Führung hingegen kämpfte auf eine durchaus taugliche Weise gegen die Kommunisten: so ließ der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, Zörgiebel, bei den Mai-Demonstrationen 1929 auf die unbewaffneten kommunistischen DemonstrantInnen schießen. Das Resultat waren 25 getötete und 36 schwer verwundete ZivilistInnen. [43] Die Partei, die 1919 Luxemburg, Liebknecht und viele andere Revolutionäre ermorden ließ, stellte unzweifelhaft unter Beweis, daß sie noch immer derselbe Henker der bürgerlichen Konterrevolution geblieben war.
Diesem Einsatz des bürgerlichen Staatsapparates gegen die KommunistInnen lag das politische Selbstverständnis der Sozialdemokratie zugrunde. Trotzki charakterisierte den damaligen Unterschied zwischen den beiden Parteien mit folgenden Sätzen:
„Die Kommunistische Partei ist eine proletarische, antibürgerliche Partei, wenn auch falsch geführt. Die Sozialdemokratie ist, ungeachtet ihres Arbeiterbestandes, eine vollständig bürgerliche Partei, unter ‚normalen’ Bedingungen vom Standpunkt der bürgerlichen Ziele aus sehr geschickt geführt, doch unter den Bedingungen der sozialen Krise zu nichts tauglich.“ [44]
Der „Berliner Blutmai“ war in Wirklichkeit nur das Ergebnis der Politik der sozialdemokratischen Bürokratie als Hüterin der bürgerlichen Ordnung. Während die Kommunistische Partei Deutschlands – die nach der Kapitulation im revolutionären Jahr 1923 zunehmend unter stalinistische Kontrolle geriet – auf wenn auch unzureichende Weise für eine revolutionäre Umwälzung der kapitalistischen Ordnung kämpfte, verteidigte die sozialdemokratische Parteispitze diese bürgerliche Ordnung z.T. in Form der direkten Beteiligung an der Regierung, z.T. durch Sicherung der parlamentarischen Mehrheit im Reichstag. Die schweren Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse – insbesondere im Zuge des Young-Planes –, der systematische Abbau demokratischer Rechte inklusive dem Bruch der Verfassung und die bonapartistischen Notstandsregierungen Brüning, Papen und Schleicher und schließlich auch die Wahl des erz-reaktionären Feldmarschalls und Wegbereiter Hitlers Hindenburg zum Präsidenten – all das wurde von der SPD-Führung aktiv mitgetragen und unterstützt.
Schließlich dürfen auch die Tatsachen nicht unerwähnt bleiben, daß die SPD-Fraktion im Reichstag am 17. Mai 1933 für Hitlers außenpolitische Erklärung stimmte und daß die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung in einer Erklärung vom 19. April 1933 ihre Mitglieder zur Teilnahme an den faschistischen Mai-Aufmärschen aufrief! Dies waren keine Ausrutscher oder unter physischen Druck erzwungene Beschlüsse, sondern die Fortsetzung der bürgerlichen Politik der Sozialdemokratie, sich mit der jeweils herrschenden Fraktion der Bourgeoisie zu arrangieren und dadurch „das schlimmste zu verhindern.“ Bekanntlich jedoch führt die reformistische Politik des kleineren Übels unweigerlich zum größeren Übel – wie auch die SPÖ-Spitze im Jahre 2000 nach jahrelanger Koalition mit der ÖVP merken mußte und diese die Macht gemeinsam mit der Haider-FPÖ ergriff.
Erst nachdem Hitler die sozialdemokratischen Annäherungsversuche zurückwies und die SPD im Juni 1933 verbieten ließ, entschloß sich die sozialdemokratische Parteiführung, den antifaschistischen Kampf vom Ausland aus zu führen – freilich als Anhängsel und Cheerleader des französisch und britischen Imperialismus, auf dessen Bajonetten sie nach 1945 schließlich wieder den Weg zurück in den Schoß der bürgerlichen Macht fand.
Umso unverständlicher mutet es an, wenn sich die SJ in ihrer Broschüre diplomatisch um diesen bürgerlichen Verrat herumwindet. Im Kapitel „Das Versgagen der Linken“ kritisieren sie zuerst scharf die KPD, um dann fortzusetzen „Die SPD agierte nicht viel besser“ [45] „Nicht viel besser“ ist es also kommunistische Arbeiter zu erschießen, reaktionäre Generäle an die Macht zu hieven, rechte, ohne parlamentarische Mehrheit und bloß mittels Notstandsdekreten regierende Präsidialregierungen zu unterstützen und brutale Sparpakete mitzutragen ... als wenn man auf unzureichende und falsche Art und Weise gegen eben all diese Verbrechen kämpft!
Natürlich kommt die sich links gebende SJ-Führung nicht umhin, die SPD für „ihr dauerndes Zurückweichen“ zu kritisieren. Aber sie umgeht all die notwendigen Schlußfolgerungen und Konsequenzen, nämlich daß:
* die SPD eine durch und durch bürgerliche Politik betrieb,
* die SPD in Zeiten der Krise aktiv die bürgerliche Herrschaft gegen revolutionäre Bestrebungen verteidigte und die kommunistischen Kader nach Möglichkeit ermorden ließ,
* die SPD also hauptverantwortlich dafür war, daß die deutsche Revolution scheiterte und so dem Faschismus der Weg geebnet wurde und
* daher eine revolutionäre, nicht-reformistische Partei als politische Alternative zur Sozialdemokratie notwendig gewesen wäre, um Hitler, Holocaust und Weltkrieg zu verhindern.
Exkurs 3:
Die Frage der Zukunftsperspektiven des Faschismus oder die Hoffnung auf die Vernunft der herrschenden Klasse und der reformistischen Bürokratie. Eine Kritik an der Ted Grant/CWI-Tradition
Eine der theoretischen Diskussionen zur Perspektiven des Faschismus in der Nachkriegsperiode dreht sich um die Frage seiner sozialen Basis. Einen Beitrag zu dieser Debatte leistete der linke Theoretiker Ted Grant und seine UnterstützerInnen. Grant ist britischer Marxist und historischer Gründer der Militant-Strömung, aus der heute das CWI (Österreich: SLP) und IMT (Österreich: Funke) hervorgegangen sind. Er stellte die These auf, daß der Faschismus nun nicht mehr zu einer Massenbewegung anwachsen können, weil mit dem weitgehenden Verschwinden des Kleinbürgertums auch seine Basis verlorengegangen wäre. Ebenso hätte die herrschende Klasse aus der Katastrophe des zweiten Weltkrieges gelernt und würde nun nicht mehr die Macht an einen Hitler oder Mussolini übergeben. Dementsprechend kann der Faschismus zwar noch ein gefährliches Bandenwesen treiben, aber nicht mehr an die Macht gelangen.
„Die gesamte Situation ist aber nicht zu vergleichen mit der Periode zwischen den beiden Weltkriegen. Damals hatten die Faschisten eine riesige soziale Reserve in Form der Bauernschaft und des Kleinbürgertums, einschließlich der Studenten. Nun ist das alles anders. Die Arbeiterklasse ist tausendmal stärker als damals, die Bauernschaft ist fast gänzlich verschwunden, und große Teile der Angestellten - Lehrer, Beamte, Bankangestellte usw. - haben sich dem Proletariat angenähert.“ [46]
„Der entscheidende Grund, weshalb der Faschismus heute nicht mehr an die Macht kommen kann, ist der, daß das Kleinbürgertum als Klasse kaum noch vorhanden ist. (...) Das heißt, das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft hat sich stark zugunsten der Arbeiterklasse verschoben. (...) Nur wenn die kommenden Kämpfe zwischen der Arbeiterbewegung und herrschender Klasse in erneuten großen Niederlagen für uns enden, ist es überhaupt möglich, daß es wieder zu einer totalitären Diktatur kommt. Dies würde dann eine Militärregierung sein, die – im Unterschied zum Faschismus – keine Massenbasis in der Gesellschaft hat und daher von vornherein viel schwächer wäre.“ [47]
„Der Faschismus muß von seiner ganzen Natur her seine Hauptstreitkräfte aus dem ‚wildgewordenen Kleinbürgertum, die vom Kapitalismus ruiniert wurden’ beziehen. Das ist nur dort möglich, wo die Arbeiterbewegung durch ihre Führer gelähmt ist und darin versagt, dem gesamten Volk eine Alternative aufzuzeigen.
Jedenfalls hat sich die Situation seit der Zwischenkriegszeit vollständig geändert. Die herrschende Klasse hat eine scharfe Lektion gelernt, wie gefährlich für sie der Verlust der politischen Kontrolle und die Übergabe der Zügel des Staates an so verrückte Demagogen wie Hitler und Mussolini ist. Sie stehen daher ablehnend dem Gedanken gegenüber, in Britannien oder irgendeinem anderen Land die Macht an ihre unterwürfigen und verrückten Imitatoren zu übergeben.“ [48]
„...es ist ausgeschlossen, daß die Bourgeoisie nach der Erfahrung mit Hitler und Mussolini jemals wieder die Macht an die faschistischen Wahnsinnigen übergeben wird.“ [49]
Auch nach dem Ausschluß von Ted Grant und seinen Anhängern 1991 [50] hielt das CWI dessen Faschismus-Analyse aufrecht:
„Die Bourgeoisie sieht in der Tat weder die Notwendigkeit noch ist es in der Lage, die faschistischen Hunde jetzt gegen die Arbeiterbewegung einzusetzen. Wir haben in der Vergangenheit die Gründe dafür vollständig analysiert warum die Bourgeoisie nie wieder (sic!) einem kleinbürgerlichen, faschistischen Emporkömmling wie Hitler oder Mussolini erlauben wird, die Macht zu übernehmen.“ [51]
Die ganze Herangehensweise von Grant/IMT/CWI ist theoretisch falsch und praktisch gefährlich. Beginnen wir mit der Analyse. Der Ausgangspunkt von Grants Überlegungen ist das Schrumpfen des traditionellen Kleinbürgertums – der Bauernschaft und der Gewerbetreibenden – im modernen Kapitalismus der Nachkriegsepoche. Dies ist eine unzweifelhafte Tatsache.
Grant läßt jedoch vollkommen außer acht, daß die Entwicklungsdynamik der kapitalistischen Klassengesellschaft nicht durch eine geradlinigen Verschwinden des Kleinbürgertums bei gleichzeitig proportionalen Anwachsen des Proletariats gekennzeichnet ist. Sicherlich ist die ArbeiterInnenklasse sowohl absolut – in Zahlen - als auch relativ – im Verhältnis zu den anderen Klassen – gewachsen.
Gleichzeitig jedoch haben sich auch neue Mittelschichten herausgebildet – obere Schichten bei den Angestellten und den öffentlich Bediensteten. Hinzu kommt auch noch, daß der Kapitalismus teilweise die Herausbildung neuer „selbstständiger“ Schichten erzwingt, die höchste unsichere materielle Verhältnisse mit dem formalen Status als Selbstständige verbinden. Natürlich sind nicht all diese „neuen Selbständigen“ Teil des Kleinbürgertums, aber ein Teil muß schon dazu gerechnet werden. Insgesamt kann man in etwa sagen, daß in den imperialistischen Ländern ca. 70-75% der Beschäftigten zur ArbeiterInnenklasse gehören und sich der Rest – neben einer zahlenmäßig sehr schwachen Kapitalistenklasse – aus städtischen bzw. ländlichen Kleinbürgertum sowie Mittelschichten zusammensetzt. [52]
In einer Periode der scharfen politischen Krise und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs könnten – bei Versagen der ArbeiterInnenbewegung - diese Mittelschichten zu einem Rekrutierungspool für die Faschisten werden.
Grant und seine Anhänger ignorieren vollkommen diese widersprüchliche Entwicklung im imperialistischen Kapitalismus, auf die bereits Trotzki selber hingewiesen hat:
„Indem die Autoren des Manifest sich hauptsächlich auf das Beispiel der englischen „industriellen Revolution“ bezogen, machten sie sich eine zu geradlinige Vorstellung von dem Auflösungsprozeß der Mittelklassen in der Form einer völligen Proletarisierung des Handwerks, des Kleinhandels und der Bauernschaft. In Wirklichkeit sind die elementaren Kräfte der Konkurrenz weit davon entfernt, dieses zugleich fortschrittliche und barbarische Werk vollendet zu haben. Das Kapital hat das Kleinbürgertum schneller ruiniert, als proletarisiert. Außerdem strebt die bewußte Politik des bürgerlichen Staates seit langem danach, die kleinbürgerlichen Schichten künstlich zu erhalten. Indem die Entwicklung der Technik und die Organisierung der Großproduktion eine organische Arbeitslosigkeit erzeugen, bremsen sie im Gegensatz die Proletarisierung des Kleinbürgertums. Gleichzeitig hat die Entwicklung des Kapitalismus das Heer von Technikern, Verwaltern, Handelsangestellten, mit einem Wort, von allem, was man die „neue Mittelklasse“ nennt, außerordentlich vermehrt. Das Ergebnis hiervon ist; dass die Mittelklassen, deren Verschwinden das Manifest so kategorisch vorhersieht, selbst in einem so hochindustrialisierten Land wie Deutschland ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.“ [53]
Aber auch das traditionelle Kleinbürgertum spielt heute noch politisch eine Rolle, die die Großbourgeoisie z.B. in der EU und Japan nicht missen möchte. Das sind nicht nur die Bauern selbst, sondern die ganze dörfliche Gesellschaft mit Lehrern, Pfaffen und Dienstleistungen, die um die Bauern und die ländliche Gesellschaft kreist. Der Pakt zwischen Klein- und Großbürgertum führte etwa dazu, dass die „liberale“ Liberaldemokratische Partei in Japan ganz unliberal die heimischen Bauern vom Weltmarkt mittels Zöllen abschottete.
In seiner Einleitung zu Otto Rühles „Kurzfassung“ von Marx’s Kapital, zieht Trotzki eine allgemeine Bilanz der Entwicklung des modernen Kapitalismus und entwickelte diesen Gedanken weiter:
„Es ist wahr, die Entwicklung des Kapitalismus hat im selben Moment das Anwachsen der Armee von Technikern, Geschäftsführern, Beamten, Medizinern, mit einem Wort jener, welche man ‚die neue Mittelklasse’ nennt, beträchtlich gefördert. Aber diese Schichte, deren Anwachsen schon Marx kein Mysterium war, ähnelt der alten Mittelklasse wenig, die im Besitz ihrer eigenen Produktionsmittel eine fühlbare Garantie ökonomischer Unabhängigkeit fand. Die ‚neue Mittelklasse’ ist von den Kapitalisten abhängiger als die Arbeiter. In der Tat steht sie in hohem Maße unter der Vorherrschaft dieser Klasse. Im Übrigen ist eine beträchtliche Überproduktion an dieser ‚neuen Mittelklasse’ festzustellen, mit ihrer Folge: soziale Degradation.“ [54]
In ihrer blauäugigen, auf den objektiven Prozeß der Geschichte hoffenden Sichtweise ähneln Grant/Woods/CWI ihrem geistigen Ahnherrn, Karl Kautsky. Auch dieser schloß aufgrund der voranschreitenden Industrialisierung und entsprechender Proletarisierung einen Sieg des Faschismus aus ... und zwar in Deutschland im Jahre 1927!
„Sollen die Faschisten eine politische Wirkung üben, müssen sie in großer Zahl auftreten – in Italien mit 39 Millionen Einwohnern etwa ein halbe Million. In Deutschland müßten sie, um dieses Verhältnis zu erreichen, fast eine Million stark sein. In einem industrialisierten Land ist eine so große Zahl von Lumpen in den besten Mannesjahren für kapitalistische Zwecke nicht aufzutreiben.“ [55]
Hinzu kommt auch noch der für die CWI/IMT-Tradition typische falsche Ökonomismus, wonach die ArbeiterInnenklasse sozusagen immun gegen den faschistischen Virus wäre. Vergessen wir nicht die in Tabelle 6 angeführte Statistik über die soziale Zusammensetzung der NSDAP-Mitgliedschaft. Auch wenn Arbeiter hier klar unterrepräsentiert (nur 28,1% der Mitglieder bei einem Anteil von 45,9% unter den Berufstätigen) und die privilegierten bzw. kleinbürgerlichen Schichten eindeutig überrepräsentiert sind, so machen erstere nichtsdestotrotz einen beträchtlichen Anteil bei den Nazi-Mitgliedern aus. Würden heute ein ähnlicher Anteil von Arbeitern bei den Nazis sein, würde dies aufgrund des gewachsenen Gewichts der ArbeiterInnenklasse den Faschisten eine beträchtliche Basis liefern. Gerade bei den untersten Schichten, in denen lange Arbeitslosigkeit und Demoralisierung vorherrschen und mit denen die reformistische organisierte ArbeiterInnenbewegung schon lange den Kontakt verloren hat, könnte der Faschismus in einer scharfen Krisensituation eindringen. Die z.T. beträchtliche Verbreitung rechtsradikalen und rassistischen Gedankengutes unter Teilen der Jugendlichen ist ein alarmierender Indikator für diese Gefahr.
Die Herausbildung und Radikalisierung von solchen Formationen wie dem rechten Flügel in der Haider-Bewegung um Mölzer, Stadler und Strache, der NPD in Sachsen, der Front National von Le Pen in Frankreich, den christlichen Fundamentalisten bei den US-Republikanern usw. weist auf ein Potential für eine faschistische Bewegung hin. Das bedeutet nicht, daß all diese Kräfte heute bereits als faschistische zu bezeichnen sind. Aber das Potential zu leugnen, daß sich aus solchen Organisationen heraus unter veränderten Bedingungen eine faschistische Massenbewegung herausbilden könnte, wäre krimineller Leichtsinn!
Noch seltsamer mutet jedoch das Argument Grants an, wonach die herrschenden Klasse sozusagen aus dem Schaden klug geworden wäre und jetzt nicht mehr auf den Faschismus setzen würde. Als wäre die Bourgeoisie ein nach einem gesamtgesellschaftlichen, langfristig angelegten, vernünftigen Plan handeln?! Auch in den 1920er und 1930er Jahren war sich die herrschende Klasse durchaus bewußt, daß Hitler und Mussolini ein abenteuerliches Programm vertraten. Deswegen haben sie den Faschismus zwar gefördert, aber zuerst nur als Gegenmittel gegen das „bolschewistische Gift“ des Klassenkampfes und nicht als Partei der Macht. Erst als sie aufgrund der auswegslosen Krisensituation keinen anderen Ausweg mehr sahen, übergaben sie dem Faschismus die Macht und erhofften sich von seinem kühnen Programm der totalen Offensive sowohl gegen die eigene ArbeiterInnenklasse als auch gegen die imperialistischen Konkurrenten die Lösung all ihrer Probleme. Glauben Grant, Funke und SLP tatsächlich, daß die Bourgeoisie in Zukunft nicht mehr in eine ähnlich verzweifelte Situation geraten werden? Dieses Grundgesetz bürgerlicher Politik gilt heute genauso wie vor 70, 80 Jahren. Je schwieriger, auswegsloser die Lage für die herrschende Klasse wird, um so mehr wird sie sich nach verzweifelten, aggressiven, radikalen Lösungen umschauen, um so offener ist sie für eine abenteuerliche, faschistische Lösung.
An die „Vernunft“ der Bourgeoisie zu glauben ist genauso naiv und unabgebracht, wie der Glaube der Reformismus und des Keynsianismus, daß das Kapital aus der folgenschweren Wirtschaftsdepression der Zwischenkriegszeit gelernt hätte und deswegen von nun an solche Krisen mittels staatlicher Steuerung vermeiden werde. Grant und seine Anhänger in Funke und SLP haben offenkundig vergessen, daß der Kapitalismus sowohl ökonomisch als auch politisch ein anarchisches, chaotisches System ist. [56] Ein bißchen weniger Vertrauen in die Vernunft des Kapitalismus und etwas mehr kritische Einsicht in die wachsenden Widersprüche dieses Systems wären für Grant & Co. durchaus angebracht. [57]
Dieses Vertrauen in die Vernunft des Kapitals paart sich mit einem ähnlich illusionären Vertrauen in die Vernunft der reformistischen Bürokratie. So schrieb Grant:
„Die Faschisten konnten sich den Luxus eines Krieges nur leisten, weil die Heimatfront, die allerwichtigste Front, zeitweilig gesichert war durch die Atomisierung und Kraftlosigkeit der Arbeiterklasse und durch die psychischen Auswirkungen des Verrats der Arbeiter an Hitler ohne jeden Kampf. Eine Wiederholung dessen ist äußerst unwahrscheinlich. Alleine aus ihren eigenen Erfahrungen heraus würden die Führer (sic!) der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zumindest den Weg ihrer österreichischen und spanischen Genossen einschlagen, den Bürgerkrieg, anstatt sich feige dem Faschismus unterzuordnen.“ [58]
Wiederum: die reformistische Bürokratie kapitulierte nicht deswegen vor dem Faschismus, weil sie nicht klug genug war, sondern weil sie ... eine reformistische Bürokratie ist! Es entspricht der Natur dieser bürokratischen Kaste, daß sie eine passive Schichte ist, die unentwirrbar – über unzählige Posten und Privilegien - an das kapitalistische System gebunden ist und daher zuallererst einmal von den Interessen und Stimmungen in der Bourgeoisie abhängig ist. Doch das ist nicht der einzige Druck. Denn sie ist auch gleichzeitig über die Partei und die Gewerkschaft mit ihrer ArbeiterInnenbasis verbunden. Der Druck dieser proletarischen Basis kann das Ausmaß und das Tempo des Verrats der Bürokratie beeinflussen, aber er kann nicht aus Saulus einen Paulus machen, kann nicht eine feige, kleinbürgerliche Schicht von Postenrittern in eine kampfstarke, entschlossene und selbstlose Gruppe von ArbeiterInnen verwandeln.
Deswegen kann jeder, der auch nur ein wenig über Geschichte bescheid weiß, über Grant’s Behauptung nur lächeln. Im Februar 1934 liefen die Führer der österreichischen Sozialdemokratie davon. Es waren die ArbeiterInnen in den Betrieben und im Republikanischen Schutzbund, die Widerstand leisteten. Ähnlich wagten die spanischen Reformisten nur deswegen den Widerstand gegen den Franco-Putsch, weil ein spontaner Aufstand durch das Land ging. Aber im Laufe des Bürgerkrieges bewies die Bürokratie weit mehr Standvermögen im Kampf gegen die revolutionären ArbeiterInnen als gegen Franco. Systematisch unterdrückten und verhafteten sie linke, trotzkistische und anarchistische AktivistInnen und im Mai 1937 ging sie in Barcelona mit offener militärischer Gewalt gegen die Arbeiterschaft vor. Als sich jedoch Francos Schergen dem letzten Regierungssitz, Valencia, näherten, kapitulierte die Bürokratie.
Grant und seine Anhänger wollen an den Kampfgeist der Bürokratie glauben, weil sie davon überzeugt sind, daß die Sozialdemokratie zu einer revolutionären, sozialistischen Kraft reformiert werden kann. Daher verbringen sie auch schon Jahrzehnte am linken Flügel innerhalb der reformistischen Parteien. Mit der gleichen tagträumerischen Logik nehmen sie auch an, daß der Kapitalismus friedlich, ohne Gewaltanwendung und Bürgerkrieg, gestürzt werden könne. Daher auch die naive, unkritische Jubelpropaganda des Funke für das Regime von Hugo Chavez in Venezuela. [59] Tatsache jedoch ist, daß die Bürokratie sich noch nie in der Geschichte in einer revolutionäre Kraft verwandelte, jedoch sich immer wieder als offen konterrevolutionärer Faktor entpuppte, der mit der Waffe in der Hand die Revolution bekämpfte. Ähnlich verhält es sich mit der Grant’s reformistischer Hoffnung auf einen friedlichen Übergang zum Sozialismus. Immer verteidigte die herrschenden Klasse ihre Macht mittels Einsatz organisierter, bewaffneter Gewalt. [60]
Das alles ist ein gutes Beispiel für den fatalistische Optimismus des Zentrismus: die ArbeiterInnenklasse wird immer stärker und mächtiger, sodaß sich der Faschismus gar keine Massenbasis schaffen könne. Die Bourgeoisie habe die Lehren der Zwischenkriegszeit gelernt, sodaß sie nicht mehr den Nazis die Macht übergeben werde. Die reformistischen Führer der ArbeiterInnenbewegung haben die Lehren der Zwischenkriegszeit gelernt, sodaß sie nicht mehr widerstandslos vor den Faschisten kapitulieren werden. Eine Illusion folgt der anderen. Das Prinzip Hoffnung statt revolutionärer Realismus regiert die gedankliche Welt des Zentrismus. In Wirklichkeit kann nur der energische Aufbau einer revolutionären Partei national und international Krieg und Faschismus ein für alle mal aus der Welt schaffen.
IV. Wie den Faschismus bekämpfen?
Viele meinen, mit moralischen Verurteilungen in der Öffentlichkeit, aufklärenden Schulunterricht, mit Lichtermeer oder mit dem Verbot faschistischer Gruppen dieser Gefahr Herr werden zu können. Wir halten das für falsch.
Viele Jugendliche sympathisieren mit reaktionären Ideen nicht deswegen, weil sie zuwenig über die Greueltaten der Nazis informiert wurden. In der Öffentlichkeit wird dieses Thema immer wieder behandelt, auch wenn natürlich weder über die Ursachen informiert wird noch darüber, wie man Hitler verhindern hätte können. Auch moralische Empörungen seitens politischer und moralischer Würdenträger taugen nichts. Denn der fruchtbare Nährboden für reaktionäre Propaganda ist die soziale Misere, die viele tagtäglich erleben: Arbeitslosigkeit, Ausbildung ohne Zukunftsperspektiven, Arbeitshetze am Arbeitsplatz, Wohnungsnot, das Bewußtsein, am politischen System nichts ändern zu können usw. Die Rechten geben scheinbar eine Antwort darauf. Sozialdemokratische BürokratInnen, kirchliche Würdenträger und KarrieristInnen aus Kultur und Fernsehen sind (zurecht) absolut unglaubwürdig, denn sie sind Teil des kapitalistischen System; sie kennen nicht die sozialen Probleme des "kleinen Mannes und der kleinen Frau".
Die traf genauso wenn nicht noch ärger auf die herrschende stalinistische Partei in der DDR zu – der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Ihr offizieller Antifaschismus im Doppelpack zusammen mit politischer Unterdrückung hatte zum Ergebnis, daß große Teile der sozial verelendeten Jugend in den neuen deutschen Ländern nun immun gegenüber jeglichen Antifaschismus ist!
Daher lautet unsere Antwort auf die faschistische Gefahr, daß man die Ursache - die soziale Misere des Kapitalismus - bekämpfen muß. Gewerkschaften und Jugendorganisationen müssen daher für ein öffentliches Beschäftigungsprogramm (z.B. Wohnungsbau, Ausbau öffentlicher Verkehrmittel) eintreten, finanziert aus den steigenden Unternehmerprofiten und unter Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung. Unternehmen, die sich weigern, Lehrlinge einzustellen oder die Arbeitsplätze vernichten, müssen enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. Diese und andere Grundforderungen können und werden nicht mit Zustimmung der UnternehmerInnen und ihrer Freunde in der Regierung (inklusive der SP-BürokratInnen, siehe Deutschland!) durchgesetzt werden, sondern nur gegen sie: durch breite Mobilisierungen auf der Straße, durch Streiks usw. Und genau dafür müssen wir in den Gewerkschaften und anderen ArbeiterInnenorganisationen kämpfen.
Einheitsfront
Der Kampf gegen den Faschismus erfordert die breite Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse. Er kann nicht von einzelnen Gruppen im Alleingang geführt werden. Wichtig ist vielmehr die Bildung einer breiten Einheitsfront aller Organisationen der ArbeiterInnenbewegung – angefangen von Gewerkschaften, SPÖ, KPÖ, der radikalen Linke, Organisationen der ImmigrantInnen usw. – um gemeinsam praktische Aktionen gegen die Nazis zu organisieren.
Die Herstellung einer solchen Einheitsfront erfolgt nicht – wie dies früher die stalinistische KPD und heute diverse Ultralinke annehmen – durch bloßen Appell an die reformistisch beeinflußten ArbeiterInnen und Jugendlichen. Die Taktik der antifaschistischen Einheitsfront erfordert auch das offensive Herantreten an die reformistische Führung in SPÖ, Gewerkschaft, SJ usw.. Nicht bloßes Denunzieren, sondern Auffordern zum gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind – so lautet die revolutionär verstandene Einheitsfronttaktik. Gleichzeitig muß die reformistische Bürokratie überall dort, wo sie zurückweicht, halbherzig und feige ist, scharf kritisiert werden. Ebenso kritisieren wir die sektiererische Politik diverser Organisationen, die Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen aus Prinzip zu verweigern. (z.B. die Weigerung der SJ Wien, an Bündnissen teilzunehmen bei denen auch die AIK dabei ist).
Deswegen haben AktivistInnen der Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung (RKOB) und der Jugendorganisation Rote Antifa – damals noch in den Reihen des ArbeiterInnenstandpunkt und die Jugendorganisation REVOLUTION – in den letzten Jahren eine zentrale und aktive Rolle bei den antifaschistischen Mobilisierungen in Wien gespielt.
Verbotslosung?
Es zeichnet den Reformismus aus, daß er den Kampf gegen den Faschismus nicht durch die aktive Mobilisierung der ArbeiterInnen und Jugendlichen führen möchte, sondern an den bürgerlichen Staatsapparat – also das Organ der herrschenden Klasse – delegiert. Der beschränkte Horizont des Reformismus kommt treffend in folgendem Zitat einer reformistischen Gewerkschaftszeitung zum Ausdruck:
„Der Faschismus kann keinesfalls auf dem Boden des bewaffneten Kampfes geschlagen werden, sondern nur auf gesetzlichen.“ [61]
Die Forderung nach Verbot faschistischer Organisationen - wie es traditionell von SozialdemokratInnen und KPÖ vertreten wird - halten wir für falsch. [62] Natürlich vergießen wir keine Träne, wenn die Faschisten von Polizei oder Justiz unterdrückt werden, doch es ist nicht Teil unserer Strategie, uns darauf zu verlassen, uns darauf zu orientieren oder dies zu fordern. Der bürgerliche Staat ist von seiner Natur her unfähig, den Faschismus effektiv zu bekämpfen. Jeder weiß doch, wieviele SympathisantInnen die Rechten haben. Ist es ein Zufall, daß die Berufsgruppe mit dem höchsten FPÖ-Symathisantenanteil die Polizei ist?! Natürlich ist der bürgerliche Staat phasenweise gezwungen, auch einmal die Rechten einzusperren. Aber das kommt eher selten vor und hierbei spielen Motive wie die Angst um das Ansehen Österreichs im Ausland eine weitaus größere Rolle als ein ernsthafter Antifaschismus.
Die Verbotslosung ist jedoch nicht nur einfach naiv, sie ist auch politisch gefährlich. Erstens gibt die Verbotslosung dem bürgerlichen Staat die gesetzlichen Mitteln und die ideologische Rechtfertigung zum Ausbau des Repressionsapparates. Unter dem Deckmantel des Verbotsgesetzes kann die Polizei – mit Unterstützung durch den Reformismus! - zusätzliche Beamten einstellen, die neuesten technischen Errungenschaften für die Überwachung von „Verdächtigen“ anschaffen etc. Man kann sich leicht ausmalen, wie rasch dieser ausgebaute Repressionsapparat auch – oder sogar vor allem! – gegen Linke eingesetzt werden kann.
Zweitens besteht die Gefährlichkeit der Verbotslosung darin, daß sie den Kampf gegen die Nazis an den bürgerlichen Staat delegiert anstatt das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Statt die Nazis selber durch militante Mobilisierungen tatkräftig von der Straße zu vertreiben, wird der bürgerliche Staat aufgefordert, dies doch bitte zu übernehmen. So eine Herangehensweise ist nicht nur illusionär, weil der bürgerliche Staatsapparat in der Regel bloß halbherzig oder gar nichts gegen die faschistische Gefahr unternimmt. Sie läuft darauf hinaus, militante Jugendliche und ArbeiterInnen davon abzuhalten, selbsttätig mit allen notwendigen Mitteln Nazi-Aufmärsche zu unterbinden, ihre Veranstaltungen anzugreifen etc. In Wirklichkeit reproduziert die Verbotslosung die ganze reformistische Herangehensweise, daß eigentlich der bürgerliche Staat – eventuell mit ein bißchen Druck von außen nachgeholfen – die Aufgaben des Klassenkampfes übernehmen könnte. Ein Stellvertreterdenken, daß sich in Österreich auch in der Sozialpartnerschaftspolitik der Sozialdemokratie (und auch der KPÖ, solange diese noch nicht vom Futtertrog der bürgerlichen Macht vertrieben war [63]) niederschlägt.
Ein Beispiel dafür, wie weit auch ZentristInnen die Logik des Reformismus übernehmen, bietet die Sozialistische LinksPartei (SLP). Auch sie propagieren den Druck auf den bürgerlichen Staat im Kampf gegen den Faschismus:
„Da ausreichend bewiesen ist, dass auf Polizei, Behörden und etablierte Parteien kein Verlaß ist, wird durch solche Mobilisierungen Druck ausgeübt, der sehr wohl zu Schritten seitens der Behörden führen kann, die den Nazis zumindest für eine gewisse Zeit Unannehmlichkeiten bringen (Verbote).“ [64]
Einem solchen Kokettieren des Zentrismus mit dem bürgerlichen Staat hielt Leo Trotzki folgendes entgegen:
„Die Bourgeoisie wird niemals aus eigenem Willen Maßnahmen zustimmen, die die Gesellschaft aus dem Chaos ziehen können. Sie will all ihre Privilegien beibehalten, und zu ihrem Schutz fängt sie an, faschistische Banden einzusetzen.
Unsere Losung lautet nicht: Entwaffnung der faschistischen Banden des Finanzkapitals durch die Polizei eben desselben Finanzkapitals. Wir weigern uns, die kriminelle Illusion zu verbreiten, dass eine kapitalistische Regierung tatsächlich zur Entwaffnung kapitalistischer Banden schreiten kann. Die Ausgebeuteten müssen sich selbst gegen die Kapitalisten verteidigen.
Bewaffnung des Proletariats, Bewaffnung der armen Bauern!
Antifaschistische Volksmiliz!“ [65]
Zentrale Aufgabe einer revolutionären Partei ist der Aufbau einer selbsttätigen, kämpferischen ArbeiterInnen- und antifaschistischen Bewegung, die keinerlei Illusionen in den bürgerlichen Staat predigt, sondern den Kampf gegen die Nazis ausschließlich als ihre Aufgabe – und nicht die des Klassenfeindes – betrachtet.
Aktive Selbstverteidigung
Linke, engagierte ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen müssen also die faschistische Gefahr selber, direkt und mit allen notwendigen Mitteln bekämpfen. Dies erfordert auch, mittels direkten, militanten Aktionen gegen die FaschistInnen und ihre Infrastruktur vorzugehen. Pazifistische Gruppen bis hin zur KPÖ und „trotzkistische“ Gruppen, die meinen, daß man den Sozialismus auf friedlichen Wege erreichen könne, lehnen in der Praxis auch den Kampf gegen die braune Gefahr mittels Gewalt ab. Aber machen wir uns keine Illusionen: faschistische Betonköpfe verstehen keine andere Sprache und ihre kleinbürgerlichen Sympathisanten (Ärzte, Hofräte usw.) würden dadurch auch gehörig abgeschreckt werden. Nein, die Gefahr ist zu groß, um den FaschistInenn auch nur irgendeinen Freiraum zu gewähren oder zu warten, bis der bürgerliche Staat eingreift!
Gegen die aktuelle Zunahme von faschistischen Mobilisierungen und Übergriffen auf ImmigrantInnen sowie moslemische und jüdische Einrichtungen müssen wir sowohl Massendemonstrationen als auch antirassistische bzw. antifaschistische Selbstverteidigungseinheiten organisieren. Diese müssen mit allem Notwendigen ausgerüstet sein, was notwendig ist, um die FaschistInnen zu stoppen.
Die Lehren, die der deutsche Trotzkist Erwin Ackerknecht nach dem heldenhaften Arbeiteraufstand gegen den austrofaschistischen Putsch im Februar 1934 zog, sind heute nach wie vor gültig: „Das ist die Lehre vom roten Wien: den Faschismus schlägt man nur durch Gewalt. Die Gewalt siegt nur, zur rechten Zeit am richtigen Ort eingesetzt.“ [66]
Aktive Selbstverteidigung inkludiert das gewaltsame Vorgehen gegen die Nazi-Banden. Für Todfeinde der ArbeiterInnenbewegung und der Demokratie kann es keine demokratischen Rechte geben. Aktive Selbstverteidigung bedeutet jedoch nicht ausschließlich systematischer Kleinkrieg. Der Kampf gegen den Faschismus ist in erster Linie keine militärische Frage – wie auch der Krieg im allgemeinen, nebenbei bemerkt -, sondern eine politische Frage, einer Frage der Strategie und der Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse und der Jugend für den entschlossenen Klassenkampf.
Wir treten daher für Ordnerdienste auf Demonstrationen, die militante Verteidigung von ImmigrantInnen, den aktive Kampf für die Vertreibung von Nazis von der Straße usw. ein. Aber wir lehnen es ab, das Hauptgewicht des antifaschistischen Widerstandes auf das permanente Aufspüren und physische Bekämpfen von Nazis zu legen – scheuen aber auch nicht den Straßenkampf nicht! Letztlich ist der Faschismus ein gesellschaftliches, politisches Phänomen – das Ergebnis der kapitalistischen Krise und des Versagens der reformistischen ArbeiterInnenbewegung. Nur der erfolgreiche Kampf gegen den bürgerlichen Raubzug und der Aufbau einer revolutionären Alternative zum Reformismus kann das Gespenst des Faschismus verjagen.
Revolution
Das Motto des Reformismus könnte man nicht besser auf den Punkt bringen, als dies der 1926 von den Faschisten ermordete sozialdemokratische Abgeordnete Matteotti getan hat: „Man muß den Mut zur Feigheit haben.“ [67] Doch der Faschismus wird nur durch Entschlossenheit, militanten Kampf, eine breite Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse und eine revolutionäre Perspektive gestoppt. Wir brauchen nicht Mut zur Feigheit – diesen „Mut“ besitzen die reformistischen BürokratInnen schon zur Genüge – sondern Mut zur Tat, zum Bruch mit den Tabus des Vertrauens in den bürgerlichen Staat und Mut zum langen Marsch zur sozialistischen Weltrevolution.
In Wirklichkeit ist der Aufschwung des Faschismus die Strafe für die reformistische Politik der ArbeiterInnenbewegung. Ihr Schönreden des angeblich Erreichten, ihre Verteidigung der verrotteten und von wachsenden Armut gekennzeichneten bürgerlichen Demokratie – all das stoßt viele Jugendliche und ArbeiterInnen ab und treibt sie einer scheinbar radikalen rechten Alternative in die Arme. Clara Zetkin, die große alte Dame des deutschen Marxismus, schrieb nach dem Sieg des italienischen Faschismus: „Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Rußland eingeleitet worden, weitergeführt und weitergetrieben hat.“ [68]
Ebenso können wir heute folgendes „Gesetz“ für die kommende Periode aufstellen: Wenn es in der vor uns liegenden geschichtlichen Periode der kapitalistischen Krise nicht gelingt, eine starke revolutionäre Partei aufzubauen und die kapitalistische Herrschaft durch eine erfolgreiche sozialistische Revolution zu stürzen, dann werden sich verzweifelte Teile des Kleinbürgertums und der Mittelschichten den Nazis zuwenden, dann wird das Kapital die kleinen faschistischen Banden zu schlagkräftigen Kampforganisationen finanzielle auspäppeln, dann wird das faschistische Gewitter über uns hereinbrechen und uns verschlingen. Es gilt das alte „Wer Wen“: Wer verschlingt wen? Der Faschismus die ArbeiterInnenbewegung oder wir den Faschismus?
Die Zeit drängt, die Aufgaben liegen klar vor uns. Es gilt die faschistische Gefahr überall dort, wo sie ihr Haupt erhebt, in den Ansätzen zu ersticken. Es gilt, den Kampf gegen das System, daß Verzweiflung, Armut und Perspektivlosigkeit und damit auch das Gespenst des Faschismus, entschlossen zu führen. Sozialistische Revolution oder Faschismus lautet die Alternative.
Für den Aufbau einer revolutionären Kampfpartei! Für den Aufbau der 5. ArbeiterInnen-Internationale!
Der Kampf gegen den Faschismus setzt notwendigerweise eine Organisation voraus, die eine klare Analyse des Feindes und eine ausgearbeitete Strategie besitzt. Sie setzt eine Organisation voraus, die das kapitalistische System, das den Faschismus hervorbringt, mit all seinen Widersprüchen und Gegensätzen analysiert, die Lehren vergangener Siege und Niederlagen im Klassenkampf studiert und auf dieser Basis eine Strategie für die Revolution entwickelt. Mit anderen Worten: der Kampf gegen den Faschismus muß Hand in Hand gehen mit dem Kampf für die sozialistische Revolution gegen das kapitalistische Ausbeutersystem. Die unersetzliche Vorbedingung dafür ist die Schaffung einer in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend verankerten revolutionären Kampfpartei. Ohne eine solche organisierte Kraft der Revolution bleibt die Klasse den reformistischen und zentristischen Verführern und Bankrotteuren ausgeliefert. Trotzki’s Feststellung von 1938 im Übergangsprogramm, wonach die Krise der Menschheit letztlich auf die Krise der Führung zurückzuführen ist, hat heute mehr Gültigkeit denn je. Es ist wichtig, sich der Tiefe dieser Überlegungen und der damit verbundenen Verantwortung bewußt zu werden und all jenen, die mit den Zielen der sozialistischen Umwälzung übereinstimmen, klar zu machen: Es hängt von uns marxistischen RevolutionärInnen ab, ob der Faschismus einen neuerlichen Aufschwung erlebt, ob die Welt in Krieg, Armut und Barbarei verfällt oder einem neuen Aufblühen des menschlichen Wohlstandes und der Kultur entgegengeht.
Daher stellen die Revolutionär-Kommunistischen Organisation zur Befreiung (RKOB) und der Jugendorganisation Rote Antifa den Aufbau einer revolutionären Jugendbewegung und –Internationale sowie den Aufbau der revolutionären ArbeiterInnenpartei und der 5. ArbeiterInnen-Internationale in das Zentrum ihrer Aktivitäten. Wenn Du mit diesen Zielen übereinstimmst, tritt mit uns in Kontakt, unterstütze uns, kämpf mit uns gemeinsam für eine sozialistische Zukunft!
Glossar/Begriffserklärung
ArbeiterInnenklasse (Proletariat)
Unter ArbeiterInnenklasse - oder auch Proletariat - verstehen MarxistInnen die Klasse der Lohnabhängigen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an das Kapital zu verkaufen. Das Kapital - oder die Klasse der Bourgeoisie - ist die Klasse der Besitzer von Produktionsmittel, also der Betriebe. Zur ArbeiterInnenklasse gehören nicht nur die IndustriearbeiterInnen, sondern auch die meisten Angestellten und öffentlich Bediensteten. Manager, die der Kontrolle und Unterdrückung der Beschäftigten dienen und deren Gehalt indirekt aus dem Profit bezahlt wird oder auch Polizisten oder Berufssoldaten gehören nicht zur ArbeiterInnenklasse.
Bourgeoisie
Unter Bourgeoisie – der Begriff kommt von „Bürgertum“ - verstehen MarxistInnen die Klasse der KapitalistInnen. Mit anderen Worten: die Klasse der Besitzer von Produktionsmittel, also der Betriebe. Gemeinsam mit der Kaste führender PoltikerInnen und der Spitzenbeamte bilden sie die herrschende Klasse im bürgerlichen Staat.
Degenerierter ArbeiterInnenstaat
Als degenerierte ArbeiterInnenstaaten bezeichneten wir TrotzkistInnen die stalinistischen Staaten Osteuropas, der Sowjetunion (seit den 1930er Jahren) und China bis 1989-91. Sie zeichneten sich durch die Abschaffung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und die einer verbürokratisierten Planwirtschaft sowie der politischen Diktatur einer bürokratischen Kaste aus. Wir verteidigten daher diese degenerierten Arbeiterstaaten in Konflikten gegen den Imperialismus (z.B. gegen Deutschland im Zweiten Weltkrieg oder im Koreakrieg 1950-53 gegen die USA). Gleichzeitig traten wir für eine politische Revolution der ArbeiterInnenklasse gegen die bürokratische Herrschaft und die Errichtung eines wirklichen, sozialistischen ArbeiterInnenstaates ein. Heute existieren nur noch in Kuba und Nordkorea degenerierte ArbeiterInnenstaaten.
Etappentheorie
Unter Etappentheorie verstehen wir die von Stalin begründete Theorie, laut jener der Kampf gegen imperialistische Unterdrückung, gegen eine Diktatur, oder auch gegen die Monopolkonzerne im Westen vom Kampf für den Sozialismus zu trennen sei. Es handle sich hier um zwei unterschiedliche Etappen. Laut den stalinistischen Ideologen soll die ArbeiterInnenklasse zuerst gemeinsam mit allen anderen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, die mit dem Imperialismus bzw. den Monopolen in Konflikt geraten, kämpfen und sich deren Führung unterordnen. Erst zu einem viel späteren Zeitpunkt könne die ArbeiterInnenklasse den Kampf für eine sozialistische Umwälzung aufnehmen. Der russische Marxist Leo Trotzki stellte dieser Etappentheorie die Theorie der permanenten Revolution entgegen. (siehe Permanente Revolution)
Kleinbourgeoisie, Kleinbürgertum, kleinbürgerlich
Unter Kleinbourgeoisie (Kleinbürgertum) versteht man die Klasse von Kleineigentümern, die zwar Produktionsmittel besitzen, aber ihren Betrieb alleine oder als Familienunternehmen führen. Sie beuten also keine Lohnabhängigen aus. In der Regel sind entweder Selbstständige in den Städten oder Bauern.
Mehrwert
Der Mehrwert ist jener Teil des Wertes einer Ware, die der Arbeiter oder die Arbeiterin produziert, jedoch nicht als Lohn abgegolten bekommt. Statt dessen eignet sich der Kapitalist diesen Mehrwert als Profit an. Die Mehrwertrate ist das Verhältnis des Mehrwerts zum Lohn (=variables Kapital) und ist somit ein Indikator für die Ausbeutungsrate. Der Mehrwert oder Profit entsteht also nicht aus den Maschinen, sondern ausschließlich aus der menschlichen Arbeitskraft bzw. dem Teil, um den der Kapitalist den Arbeiter prellt.
Permanente Revolution
Die von Leo Trotzki entwickelte Theorie der permanenten Revolution verarbeitete die Erfahrungen der siegreichen russischen Revolution 1917 als auch diverser gescheiterten Revolutionen. Die Revolution kann nicht schematisch in Etappen unterteilt werden, sondern muß als ein Prozeß verstanden werden, indem die ArbeiterInnenklasse von Anfang an versucht, die Führung zu übernehmen und die Revolution weiterzuführen. Das Ziel ist nicht – wie bei den Stalinisten – die Errichtung einer reformierten kapitalistischen Gesellschaft, sondern die Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse und ihrer verbündeten Schichten (Bauern, städtische Armut). Nur so kann eine sozialistische Gesellschaft aufgebaut werden. Die Theorie der permanenten Revolution geht davon aus, daß wenn die Revolution nicht zur sozialistischen Machtergreifung weiter geführt wird, diese unweigerlich mit dem Sieg der herrschenden Klasse und einer Konterrevolution endet. Ebenso geht die Theorie der permanenten Revolution davon aus, daß die Revolution nicht dauerhaft in einem einzelnen Land siegreich sein kann (wie es Stalin behauptete), sondern sich international ausbreiten muß. Die moderne Wirtschaft hat gerade im Zeitalter des globalen Kapitalismus alle Ländern vom internationalen Austausch von Gütern, Technologien und Wissen abhängig gemacht. Darüber hinaus würden über kurz oder lang die imperialistische Großmächte keine siegreiche Revolution in einem einzelnen Land dulden. MarxistInnen treten daher für die Strategie der permanenten Revolution nicht deswegen ein, weil sie radikaler oder „aufregender“ ist, sondern weil sie die einzige realistische Möglichkeit darstellt, das kapitalistische System zu überwinden.
Reaktionär
Kommt aus dem Latein und heißt wortwörtlich rückwärtsgewandt. In der Regel wird damit ein System oder eine Ideologie bezeichnet, die den Interessen der ArbeiterInnenklasse und des Fortschritts im Sinne der Menschheit vollkommen zuwider laufen und der herrschenden Klasse dienen.
Reformismus
Unter Reformismus verstehen MarxistInnen die Politik von sozialdemokratischen oder „kommunistischen“ Parteien. Der Reformismus dient in Wirklichkeit nur den Interessen der Schicht von BürokratInnen, die diese Parteien und die Gewerkschaften beherrschen. Während sie in Worten (und oft nicht einmal mehr das) für eine nicht-kapitalistische, sozialistische Gesellschaft eintreten, beschränken sie sich in der Praxis auf das Verbessern des kapitalistischen Systems. In der Regel beschränken sie sich sogar nur darauf, nicht ganz so scharfe Angriffe auf die breite Masse der Bevölkerung zu unternehmen (siehe Blair, Schröder oder in Österreich Vranitzky, Klima, Gusenbauer, Faymann). Der Reformismus versucht die ArbeiterInnen als Stimmvieh bei Wahlen zu benützen. Die ArbeiterInnen sollen sich nicht eigenständig in Aktionskomitees oder Räten an der Basis organisieren und direktdemokratisch entscheiden, sondern als Manövriermasse unter Kontrolle der Partei- und Gewerkschaftsbürokratie dienen.
Stalinismus
Der Begriff Stalinismus geht auf den sowjetischen Diktator Josef Stalin zurück. Dieser zerstörte viele Errungenschaften der russischen Revolution 1917. Er unterdrückte die demokratischen Rechte der ArbeiterInnen und Bauern, entmachte die Räte und errichtete eine Diktatur der Bürokratie. Er rechtfertigte dies damit, daß die ArbeiterInnenklasse noch nicht reif genug wäre und daß der Sozialismus zuerst in einem Land aufgebaut werden müsse. Ebenso rechtfertigte er damit seine Politik, revolutionäre Kämpfe in anderen Ländern zu verraten (z.B. China 1927, Spanien 1936-39, Griechenland 1944-48), um im Gegenzug kurzfristige Bündnisse mit den herrschenden Klassen in anderen Ländern zu erzielen. Der Hauptgegner Stalins und des Stalinismus war die Strömung des Marxismus um Leo Trotzki und seine Vierte Internationale.
Trotzkismus
Der Begriff Trotzkismus geht auf den russischen Revolutionär Leo Trotzki zurück. Trotzki war einer der wichtigsten marxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts und neben Lenin der zentrale Führer der russischen Revolution 1917. Auf ihn gehen u.a. die Analyse des Stalinismus und die Theorie der permanenten Revolution zurück. Er gründete 1938 die Vierte Internationale – die Weltpartei der sozialistischen Revolution. Diese zerfiel jedoch zwischen 1948-51 politisch und organisatorisch. Marxistische RevolutionärInnen kämpfen heute für den neuerlichen Aufbau einer Internationale – der 5. ArbeiterInnen-Internationale (siehe www.rkob.net). Eine Reihe von Trotzki-Schriften (wie auch von Marx, Engels, Lenin und anderen Revolutionären) finden sich im Internet unter www.marxists.org.
Volksfront-Politik
Unter Volksfront-Politik verstehen MarxistInnen die Strategie der politischen, klassenübergreifenden Zusammenarbeit der ArbeiterInnenklasse mit Teilen des Bürgertums. Der Begriff Volksfront wurde von den stalinistischen Ideologen 1935 geprägt. Die Volksfront-Politik kann sich in Wahlbündnissen, gemeinsamen politischen Allianzen bzw. dem Versuch, solche zustande zu bringen, ausdrücken. In der Praxis bedeutet dies eine Unterordnung der ArbeiterInnenklasse unter bürgerliche Interessen, da ansonsten nicht die Zustimmung dieser bürgerlichen Bündnispartner gewonnen werden kann. MarxistInnen vertreten demgegenüber die Taktik der Einheitsfront, also gemeinsame, begrenzte praktische Aktionen mit anderen Kräften in der ArbeiterInnenbewegung (in manchen Fällen sogar auch kleinbürgerlicher oder bürgerlicher Organisationen).
Zentrismus
Unter Zentrismus verstehen MarxistInnen jene Organisationen, die zwischen reformistischen und revolutionären Positionen hin und her schwanken. Zentrismus bedeutet in der Regel Anpassung an den Reformismus unter dem Deckmantel der marxistischen Buchstabentreue. Er zeichnet sich durch eine auf allgemeiner Ebene oft richtige Kritik am Reformismus aus, um dann jedoch vor „den praktischen Schlußfolgerungen auszuweichen und somit seine Kritik gegenstandslos zu machen.“ (Trotzki: “Zentrismus und die IV. Internationale”, 1934)
[1] Ein guter Überblick über die wirtschaftliche Krise des deutschen Kapitalismus vor 1933 findet sich in „Faschismus – eine historisch-materialistische Analyse“; in: Ergebnisse & Perspektiven Nr. 9 (1979), S. 5-8
[2] Eduard Stadtler: Als Antibolschewist 1918/19; zitiert in: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1966, Band 3, S. 539f. Interessant an diesem Zitat ist auch die Aussage, daß die „antibolschewistischen“ Gelder des Monopolkapitals auch in die Kassen der Sozialdemokratie flossen. Damit zeigt sich einmal mehr, wie haltlos die Behauptungen der heutigen AustromarxistInnen der SJ ist, wonach die Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit wohl einige Fehler gemacht hätte, aber im großen und ganzen für die Interessen der ArbeiterInnenklasse eingestanden wäre. In Wirklichkeit – und das bestätigt hier ein offener Vertreter der Reaktion – handelten die Spitzen der Sozialdemokratie im Einvernehmen mit dem Großkapital im Interesse der Rettung des kapitalistischen Systems und waren bereit, dafür kämpferische ArbeiterInnen zu unterdrücken, ins Gefängnis zu werfen und notfalls – wie z.B. Liebknecht, Luxemburg, Jogiches und Leviné – ermorden zu lassen.
[3] Siehe dazu: Daniel Guerin: Fascism and Big Business (1936), New York 1973, S. 21-40
[4] Ignazio Silone: Der Faschismus (1934), Frankfurt a. M. 1984, S. 141
[5] Angelo Tasca: Glauben, gehorchen, kämpfen. Aufstieg des Faschismus in Italien (1938), S. 336f.
[6] Das Memorandum vom 19.11.1932 ist abgedruckt in: Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1987, S.161ff.
[7] Siehe: Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944 (1944), Frankfurt a. M. 1993, S. 408
[8] Siehe: Claus Radt: Der deutsche Faschismus. Mythos und Wirklichkeit, Frankfurt a. M. 1987, S. 150
[9] Siehe: Claus Radt: a.a.O. S. 149
[10] So der Titel eines Artikels; in: Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, Band 1, S. 308
[11] Claus Radt: a.a.O. S. 151
[12] Claus Radt: a.a.O. S. 151
[13] Ernest Mandel: Trotzkis Faschismustheorie; in: Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, Band 1, S. 20
[14] Leo Trotzki: Faschismus und Reformismus (1924); in: Schriften über Deutschland, Band 3, S. 721
[15] Angelo Tasca: Glauben, gehorchen, kämpfen. Aufstieg des Faschismus in Italien (1938), S. 439
[16] Aufzeichnung des Botschafters a. D. Ott über das „Kriegsspiel“ der Reichswehrführung von Ende November 1932 (gefertigt am 15. Dezember 1947); in: Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1987, S.170ff.
[17] Leo Trotzki: Bonapartismus und Faschismus (1934), in: Schriften über Deutschland, Band 3, S. 681
[18] Alfred Sohn-Rethel: Zur Klassenstruktur des deutschen Faschismus; in: Industrie und Nationalsozialismus, Berlin 1992, S. 160
[19] Siehe: Claus Radt: a.a.O. S. 139
[20] Siehe: Claus Radt: a.a.O. S. 140
[21] Siehe: Gerhard Botz: Arbeiterschaft und österreichische NSDAP-Mitglieder (1926-1945); in: Rudolf G. Ardelt/Hans Hautmann (Hrsg.): Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich, Wien 1990, S. 29-48
[22] Leo Trotzki: Portrait des Nationalsozialismus (1933), in: Schriften über Deutschland, Band 2, S. 573 bzw. 576
[23] Die jeweils wortgleichen Kapitel „Faschismus. Versuch einer Definition“ finden sich in Florian Wenniger: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Geschichte des Faschismus in Österreich. Herausgeber: Sozialistische Jugend Österreich, Wien 2004, S. 11-17 bzw. Florian Wenniger: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Geschichte des Faschismus in Deutschland und Italien. Herausgeber: Sozialistische Jugend Österreich, Wien 2003, S. 8-14
[24] Leo Trotzki: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale (Das Übergangsprogramm der IV. Internationale, 1938), S. 31
[25] Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale (1935). Referate und Resolutionen; Berlin 1975, S. 93.
[26] Siehe z.B. Tom Eipeldauer: Der Schoß aus dem das kroch...; Schwerpunkt: Faschismustheorie; in: UNITAT 3/2004, S. 5. UNITAT ist die Zeitung des Kommunistischen StudentInnenverbandes (KSV), der KPÖ-StudentInnenorganisation. Nebenbei bemerkt ist dieser Artikel ein vortreffliches Beispiel dafür, in welch umgekehrten Verhältnis die Anzahl der verwendeten Fremdwörter und soziologischer Begriffe zur Tiefe der inhaltlichen Aussage stehen können. In der SJ ist v.a. der stalinistische Stamokap-Flügel eifriger Verfechter der Dimitroff’schen Weisheiten. Siehe z.B. Hannes Puwein: Das Wesen des Faschismus, http://www.stamokap.org/wesenfasch.html
[27] Hannes Puwein: Das Wesen des Faschismus, http://www.stamokap.org/wesenfasch.html
[28] Alfred Sohn-Rethel: Zur Interessenslage der deutschen Industrie in der Krise; in: Industrie und Nationalsozialismus, Berlin 1992, S. 63
[29] Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen, Berlin 1975, S. 118.
[30] Detaillierte Untersuchung der politischen Entwicklungen in Frankreich sowohl im Zeitraum 1934-36 als auch danach bis 1939 sowie des Versagens der offiziellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sowie ihrer zentristischen Anhängsel finden sich in folgenden Büchern von Leo Trotzki: Wohin geht Frankreich? (1934-36); On France, New York 1979; The Crisis of the French Section (1935-36), New York 1977
[31] Siehe dazu den informativen Artikel von Max Lasser: Vor 65 Jahren - Der Angriff Nazideutschlands auf die UdSSR; in: ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 145 (September 2006)
[32] Eine Kritik des Austromarxismus vom revolutionär-marxistischen Standpunkt veröffentlichten wir in unserer LSR- Broschüre „Sozialdemokratie und Austromarxismus“. Darin haben wir eine ausführliche Arbeit von Josef Frey, dem Führer der österreichischen Trotzkisten, aus dem Jahr 1937 abgedruckt („Integraler Sozialismus – ein neuer Weg? Antwort an Otto Bauer“). Ebenso findet sich darin ein Artikel von Michael Pröbsting: Die Theorie und Praxis des Austromarxismus: Österreichische Passivität ohne Marxismus“. Die Texte können über unsere Kontaktadresse bezogen werden. Ebenso lesenswert ist die Kritik des deutschen Trotzkisten Eugen Bauer (Pseudonym für Erwin Ackerknecht). Einen kurzen und guten Überblick über den Austromarxismus bietet auch die Schrift von Raimund Löw, Siegfried Mattl, Alfred Pfabigan: Der Austromarxismus. Eine Autopsie; Frankfurt a.M. 1986 (Zu dieser Zeit diente Löw noch nicht als bürgerlicher Korrespondent des ORF, sondern bemühte sich um einen marxistischen Standpunkt, was ihm freilich damals schon an der Spitze der „Gruppe Revolutionäre Marxisten“ – heute SOAL – nur teilweise gelang.) Schließlich sei noch das fakten- und zitatenreiche Buch von Christoph Butterwegge erwähnt: Austromarxismus und Staat; Marburg 1991
[33] Karl Renner: Die Gründung der Republik Deutschösterreich, der Anschluß und die Sudetendeutschen. Dokumente eines Kampfes ums Recht (Wien 1938); Wien 1990. Die offizielle SP-Parteibürokratie bemühte sich immer um Vertuschung dieses so schändlichen wie peinlichen Werkes Renners. Eduard Rabofsky (KPÖ) gebührt der Verdienst, diese Broschüre Renners mit einem ausführlichen Vorwort neu im Globus-Verlag herausgebracht zu haben.
[34] Leo Trotzki: Die Helden der Wiener Konferenz (1921), in: Leo Trotzki: Österreich an der Reihe. Kleine Schriftenreihe zur österreichischen Arbeiter/innen/geschichte (AGM), S. 8
[35] Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen? (1936), in: Werkausgabe, Band 4, S. 149
[36] Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen? (1936), in: Werkausgabe, Band 4, S. 222
[37] Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen? (1936), in: Werkausgabe, Band 4, S. 154f.
[38] Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen? (1936), in: Werkausgabe, Band 4, S. 152
[39] Otto Bauer: Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursache und seine Wirkungen (1934), Wien 1974, S. 25f.
[40] Leo Trotzki: Brief an einen österreichischen Genossen (1933); in: Schriften über Deutschland, Frankfurt a. M. 1971, Band 2, S. 498
[41] siehe: Florian Wenniger: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Geschichte des Faschismus in Österreich. Herausgeber: Sozialistische Jugend Österreich, Wien 2004, S. 20
[42] Siehe dazu auch die im Anhang abgedruckte Chronik der verhängnisvollen Ereignisse 1929-33 in Leo Trotzki: Schriften über Deutschland, Band 3, S. 900-927
[43] Dieses Verbrechen der Sozialdemokratie ging in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung als „Berliner Blutmai“ ein. Siehe dazu u.a.: Ossip K. Flechtheim: Die KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1976, S. 253f., Ernst Laboor: Der Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen Militarismus und Kriegsgefahr 1927-1929, Berlin 1961, S. 261-296
[44] Leo Trotzki: Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats (1932); in: Schriften über Deutschland, Frankfurt a. M. 1971, Band 1, S. 192
An anderer Stelle legte Trotzki dar, daß seine Hauptkritik des stalinistisch-zentristischen Kurses gerade dessen völlige Impotenz war, der Sozialdemokratie ihre Kontrolle über die ArbeiterInnenklasse zu entreißen:
„Es ist nicht an uns, die Politik der deutschen Stalinisten zu verteidigen! Aber ihre hauptsächliche Schuld besteht darin, daß sie der Sozialdemokratie die Möglichkeit gegeben haben, trotz allen von ihr begangenen Verbrechen und allem von ihr begangenen Verrat sich ihren Einfluß auf den entscheidenden Teil des Proletariats zu bewahren und diesem die Taktik der schändlichen und verhängnisvollen Kapitulation aufzudrängen.“ (Leo Trotzki: An der Reihe ist Österreich (1933): in: Schriften über Deutschland, Frankfurt a. M. 1971, Band 2, S. 508)
Mitte der 1930er Jahre legte der Stalinismus seinen bürokratisch-zentristischen – sprich zwischen Opportunismus und Ultralinkstum schwankenden – Kurs ab und degenerierte zu einer vollständig reformistischen Partei. Während Stalin’s krude Definition der Sozialdemokratie als „Zwilling des Faschismus“ dem geistigen Delirium der Bürokratie als der politischen Realität entsprach, verkamen die Kommunistischen Parteien vielmehr zum „Zwilling der Sozialdemokratie“.
[45] Florian Wenniger: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Die Geschichte des Faschismus in Deutschland und Österreich. Herausgeber: Sozialistische Jugend Österreich, Wien 2003, S. 31
[46] Ted Grant/Alan Woods: Marxismus und der Staat (1996), http://www.derfunke.at/theorie/TG_mrxstaat.htm
[47] Jugend für Sozialismus. Ein Ausweg aus der kapitalistischen Sackgasse, (Herausgeber: VORAN), Essen 1988, S. 37. Die UnterstützerInnen der damals noch nicht gespaltenen CWI-Tendenz in Deutschland gruppierten sich damals um die Zeitung VORAN.
[48] Ted Grant: Britain in Crisis (1977), on: The Unbroken Thread, London 1989, S. 520 (unsere Übersetzung)
[49] “Tactics in the Struggle against Fascism and Racism”, Statement des “Committee for a Marxist International”, London, 22.6.1994, (These 4); die von den österreichischen Grant-Anhängern veröffentlichte und leicht abgeänderten Version dieser Erklärung findet sich in “Der Funke”, Nr. 4 (1994), S.13
[50] Ted Grant, Alan Woods und ihre Tendenz nennen sich jetzt „International Marxist Tendency” und setzen die alte Politik der langfristigen Arbeit innerhalb der Sozialdemokratie mit allen damit verbundenen opportunistischen Verrenkungen fort. Das CWI hingegen hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und hat nicht nur die Sozialdemokratie verlassen, sondern spricht dieser nun jeglichen Charakter als (bürgerliche) ArbeiterInnenpartei ab. Ein klassisches Beispiel, wie nahe Opportunismus und Sektierertum oft beisammen liegen. Die österreichischen Unterstützer der Grant/Woods-Tendenz IMT sammeln sich um die Zeitschrift „Der Funke“ und die Mitglieder des CWI in der Sozialistischen LinksPartei (SLP).
[51] Committee for a Workers International (CWI): A World in Crisis. The Resolutions and Conclusions of the 6th World Congress of the Committee for a Workers International (1993), London 1994, S. 75. Die gleiche Logik findet man auch in anderen Publikationen des CWI zum Thema Faschismus. (Siehe Militant Labour: Against Racism and Fascism, London 1993, S. 10f.; Socialism Today, March 1997, S.16)
[52] siehe dazu auch: Markus Lehner: Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum marxistischen Klassenbegriff; in: Revolutionärer Marxismus Nr. 28, S. 3-42
[53] Leo Trotzki: 90 Jahre Kommunistisches Manifest (1938); in: Leo Trotzki: Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution (Hrsg.: Issac Deutscher/George Novack/Helmut Dahmer), Frankfurt a. M. 1981, S. 335
[54] Leo Trotzki: Marxismus in unserer Zeit (1939), (Hrsg.: Internationale Kommunistische Liga) Wien 1987, S. 8f.
[55] Karl Kautsky: Die materialistische Geschichtsauffassung (1927), Gekürzte Ausgabe, Berlin 1988, S. 518
[56] Siehe dazu auch folgende Publikationen unserer Organisation: Michael Pröbsting: „Krieg, globaler Kapitalismus und Widerstand“ (Broschüre des ArbeiterInnenstandpunkt, 2004) sowie Michael Pröbsting: „Amerikanisierung oder Niedergang. Perspektiven des imperialistischen Projekts der Europäischen Union“ (Broschüre des ArbeiterInnenstandpunkt, 2004); Keith Harvey: Globalisation: „The Contradicitions of late Imperialism“; in: Fifth International Nr. 1 (2003). All diese Publikationen können über unsere Kontaktadresse bezogen werden.
[57] Dieses blinde Vertrauen in eine „objektive Vernunft“ schlägt sich auch in dem – sagen wir einmal ungewöhnlichen – Titel eines philosophischen Buches von Grant/Woods und dem gleichlautenden Namen des Theoriejournals des „Funke“. In Wirklichkeit existiert eine solche, über den Klassen stehende, „objektive Vernunft“ nicht, sondern nur die Interessen antagonistischer Klassen und die diesen Interessen folgende Vernunft. Daher gibt es auch keinen „Aufstand der Vernunft“, sondern nur einen Aufstand der bewaffneten ArbeiterInnenklasse, also der „proletarischen Vernunft“.
[58] Ted Grant: Die deutsche Wiederbewaffnung aus der Sicht der britischen Sozialisten (1954), (Herausgegeben von VORAN 1991), S. 14 (In der von den britischen Anhängern von Ted Grant herausgegebenen Sammlung seiner Schriften „The Unbroken Thread“ findet sich die Stellen auf S. 156.)
[59] Siehe dazu auch unsere Kritik: Martin Seelos & René Repp: Venezuela’s Serpentinen zur Revolution, in: ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 135 (September 2004)
[60] Siehe dazu auch unsere Kritik der Grant’schen Theorie: Voran, Vorwärts und die Militant-Tendenz. Bruch und Kontinuität einer Wende; in: Revolutionärer Marxismus Nr. 12, S. 20-33
[61] Battaglie Sindicali, Organ der reformistischen Gewerkschaften Italiens „Confereazione Generale del Lavoro“, 29.1.1921; zitiert bei: Ignazio Silone: Der Faschismus, S. 131
[62] Auch Organisationen wie die Linzer Werkstatt Frieden & Solidarität stellt die Verbotslosung ins Zentrum ihrer Strategie gegen Faschismus. Siehe guernica 5/2004, S. 6.
[63] Die KPÖ verschweigt gerne, daß sie in ihrer Regierungszeit 1945 bis November 1947 die Sozialpartnerschaft mit aufbaute. Im konkreten war dies die Zentrale Lohnkommission sowie das Betriebrätegesetz. Siehe dazu unter anderem unseren Artikel "Oktoberstreik 1950" in: ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 30 (1990).
[64] Albert Kropf/Margarita Döller/Franz Breier jun.: Mit Schlips, Kragen und Stiefel. Was ist Faschismus – und wie wir ihn bekämpfen; in: Vorwärts Nr. 142, Dezember 2004/Jänner 2005, S. 5
[65] Leo Trotzki: Ein Aktionsprogramm für Frankreich (1934); in: Leo Trotzki: Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale, S. 55; siehe auch http://marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1934/06/aktprog.htm#p17
[66] Erwin Ackerknecht (Pseudonym: Eugen Bauer): Österreich. Eine Lehre für Alle (1934); Wien 1986, S. 18 (Der ArbeiterInnenstandpunkt gab diese Schrift 1986 im Rahmen seiner „Kleine Schriftenreihe zur Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung“ neu heraus. Sie kann über unsere Kontaktadresse bezogen werden.)
[67] Zitiert bei: Ignazio Silone: Der Faschismus, S. 131
[68] Clara Zetkin: Der Kampf gegen den Faschismus. Bericht auf dem III. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (1923); in: Clara Zetkin: Zur Theorie und Taktik der kommunistischen Bewegung, Leipzig 1974, S. 293