Das Schandurteil

Meine Stellungnahme im Berufungsprozeß, die der Richter mich nicht halten lies

 

Von Michael Pröbsting, RCIT, 29. August 2024

 

 

 

Letzte Woche fand der Berufungsprozeß statt, nach dem mich das Gericht in erster Instanz zu sechs Monaten bedingter Haftstrafe verurteilt hatte. [1] Dabei wurde ich wieder von der angesehenen Rechtsanwältin, Frau Dr. Astrid Wagner, verteidigt. Der Anlaß für dieses Urteil war ein Video, indem ich meine Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand bekundete.

 

Ich möchte an dieser Stelle nicht die Argumente wiederholen, warum ich dieses Video gemacht habe, und verweise dazu auf eine frühere Stellungnahme. [2] Ebensowenig werde ich hier auf die Begleitumstände des ersten Prozesses eingehen, die von der kurzfristigen Verlegung der Gerichtsverhandlung in einen sehr kleinen Saal sowie den rechtswidrigen Ausschluß eines Journalisten von Teilnahme an dieser Verhandlung durch die vor dem Saal postierten Polizisten geprägt waren. [3]

 

Vielmehr möchte ich mich in diesem Artikel mit dem Urteil und seiner schriftlichen Begründung durch das Gericht auseinandersetzen. Dies ist mir um so mehr ein Anliegen, da der Richter im Berufungsprozeß – der Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien Dr. Werner Röggla – mir nach wenigen Minuten das Wort abschnitt und untersagte, meine Kritik am schriftlichen Gerichtsurteil darzulegen. Eine wahrhaft kafkaeske Situation: Ich berufe gegen ein Urteil und weise die im schriftlichen Gerichtsurteil dargelegten Gründe für meine Verurteilung zurück – und der Richter verbietet mir dies mit der Begründung, ich dürfe ausschließlich über mein Video sprechen und nicht über die Argumente, mit denen das Gericht die bedingte Haftstrafe gegen mich verhängte!

 

Diese Form des Machtmißbrauchs ist natürlich kein Zufall, sondern belegt in Wirklichkeit das, was ich schon in der ersten Gerichtsverhandlung am 2. Mai sagte und was viele Israel-Kritiker wissen: der österreichische Staatsapparat, inklusive maßgebliche Kreise in der Justiz, verfolgt eine knallharte pro-israelische Politik und versuchen mit allen Mitteln, die Pro-Palästina-Bewegung mundtot zu machen. [4]

 

Aber gehen wir auf das Urteil und seine schriftliche Begründung genauer ein. Ich lehne es im Wesentlichen deswegen ab, weil es, erstens, ein faktenbefreites Fehlurteil und, zweitens, ein politisches Urteil ist, d.h. es ist politisch motiviert und richtet sich gegen einen politischen Standpunkt, der dem Standpunkt der politischen Elite im Westen widerspricht.

 

 

 

Ein faktenbefreites und politisch motiviertes Fehlurteil

 

 

 

Es ist faktenbefreites Fehlurteil, weil es mir fälschlicherweise vorwirft, ich hätte Terror gegen unschuldige Zivilisten gerechtfertigt. Tatsächlich habe ich dies weder in dem inkriminierten Video noch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt, getan. Im Gegenteil, ich habe in Interviews mit österreichischen Medien (in den Tagen nach dem 7. Oktober) sowie in Artikeln meine Ablehnung solcher terroristischer Methoden zum Ausdruck gebracht. [5] Das gleiche habe ich in einer schriftlichen Befragung durch die Polizeibehörden sowie während der Verhandlung im 1. Prozeß getan. Die schriftliche Urteilsbegründung versucht diese Tatsachen gar nicht zu widerlegen, sondern ignoriert sie einfach.

 

Wie ist ein solches Verhalten zu erklären? Nun, das Gericht muß diese Tatsachen ignorieren, um einen politisch motivierten Schuldspruch gegen mich zu rechtfertigen. Der eindeutig politische Charakter des Urteils geht aus der 9-Seiten langen schriftlichen Begründung des Urteilsspruchs ganz klar hervor.

 

Bevor ich das tue, möchte ich auf einen möglichen Einwand eingehen. Man könnte argumentieren, daß ich ausschließlich aufgrund meiner politischen Überzeugung das Gerichtsurteil ablehne. Richtig ist, daß ich seit mehr als 40 Jahren revolutionärer Marxist und auch Pro-Palästina-Aktivist bin und das ich als Internationaler Sekretär der RCIT keineswegs in Anspruch nehme, ein unbeteiligter Außenstehender des politischen Geschehens zu sein. Ebensowenig möchte ich leugnen, daß meine Ablehnung des Urteils mit meinen politischen Überzeugung in Verbindung steht.

 

Jedoch möchte ich in der folgenden Darlegung ausführen, daß das Urteil eindeutig politisch motiviert ist und daß auch ein neutraler Beobachter, der oder die meine Überzeugungen nicht teilt, zu einem solchen Schluß gelangen muß.

 

 

 

Wer sagt, daß Hamas eine „terroristische Organisation“ ist … und wer sagt das nicht?

 

 

 

Die schriftlichen Urteilsbegründung beginnt, nach einleitenden Absätzen zu meiner Person, mit dem Satz: „Die Hamas ist eine palästinensische sunnitisch-islamistische Organisation, die international von 41 Staaten als Terroristische Vereinigung eingestuft wird.“ Diese Aussage ist zwar nicht falsch, aber in jeder Hinsicht einseitig.

 

Erstens, um welche Staaten handelt es sich hier? Diese 41 Staaten sind alle (mit einer Ausnahme) Teil der NATO bzw. haben seit vielen Jahren militärische Kooperationsabkommen mit dieser bzw. mit der USA – der führenden Großmacht innerhalb der NATO. Die einzige Ausnahme ist Argentinien, wo der rechtsradikale und ultra-zionistische Präsident Milei vor wenigen Monaten Hamas als „terroristische Organisation“ verbieten ließ. [6]

 

Abgesehen von diesen (pro-)NATO-Staaten wird jedoch Hamas nirgendwo auf der Welt – also von den restlichen 152 Staaten, die ca. 4/5 der Weltgemeinschaft repräsentieren – als „terroristisch“ eingestuft. Selbst in Europa gibt es 8 Länder (darunter Norwegen und die Schweiz), die dies bislang nicht getan haben.

 

Das Gericht begründet also seinen Urteilsspruch mit einem Argument, daß von der großen Mehrheit der Welt nicht geteilt wird. Warum? Weil es einen einseitigen, pro-israelischen Standpunkt bezieht.

 

Wenn aber für das Gericht die Meinung der 41 (pro-)NATO-Staaten, die eine Gesamtbevölkerung von ca. einer Milliarde Menschen repräsentieren, so maßgeblich ist, warum mißt es dann der Meinung von 28 anderen Staaten, die eine Gesamtbevölkerung von ca. 1,25 Milliarden Menschen repräsentieren, weniger Bedeutung bei? Das sind nämlich jene Staaten, die entweder Israel niemals anerkannt bzw. ihre diplomatischen Beziehungen mit dem Apartheidstaat abgebrochen haben.

 

 

 

Ist Hamas nun eine „terroristische Organisation“ oder nicht?

 

 

 

Diese Frage wurde mir im 1. Prozeß mehrere Male von der äußerst pro-israelisch argumentierenden Staatsanwältin gestellt. Meine Antwort darauf war und ist, daß dies von der Definition des Begriffs „terroristisch“ abhängt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Hamas im Laufe seiner Geschichte terroristische Methoden angewandt und Zivilisten getötet hat. Wenn dies jedoch ausreicht, um eine Gruppierung als Terrororganisation zu designieren und zu verbieten, dann müßte man solche Maßnahmen gegen zahlreiche Staaten und Organisationen setzen.

 

Erstens haben in der modernen Geschichte zahlreiche Befreiungsorganisationen „terroristische“ Methoden angewandt und wurde oft auch als Terrororganisationen verfolgt. Man denke nur an die algerische FLN, die PLO in den 1970er und 1980er Jahren, der südafrikanische ANC vor 1994 oder die vietnamesische Vietcong. Tatsache ist jedoch, daß all diese Organisationen eine führende Rolle im Befreiungskampf der unterdrückten Völker spielten.

 

Zweitens, um der Gegenwart näher zu kommen, gehen zahlreiche Kriege der Großmächte mit systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung einher. Man denke nur an Kriege der USA gegen Vietnam, Irak oder Afghanistan, bei denen jeweils hunderttausende oder gar Millionen Menschen getötet wurden. Das gleiche gilt auch für die Kriege Rußlands in Tschetschenien oder in Syrien. Zu keinem Zeitpunkt jedoch wurde in all diesen Jahren auch nur ein einziger Befürworter dieser terroristischen Kriege der Großmächte von den österreichischen Justizbehörden angezeigt oder gar verurteilt! Dies zeigt einmal mehr, wie politisch einseitig der österreichische Staat und seine Gerichte sind.

 

Drittens wird diese politische Einseitigkeit am augenfälligsten im gegenwärtigen Gaza-Krieg. Israel schlachtet vor den Augen der Welt zehntausende Frauen und Kinder ab, hungert die Bevölkerung aus und verhindert die medizinische Versorgung, wodurch längst ausgerottete Krankheiten wie Polio sich wieder ausbreiten.

 

Wenn das nicht Terrorismus ist, welche Bedeutung hat dann überhaupt ein solcher Begriff?! Aber, wiederum, bislang wurde kein einziger Befürworter dieses israelischen Völkermordes von den österreichischen Justizbehörden angezeigt oder gar verurteilt!

 

Wir sehen also, daß das Wort „Terrorismus“ im politischen Sprachgebrauch nicht in einem militärisch-fachlichen Sinne verwendet wird, sondern als politischer Begriff. „Terroristisch“ sind die Bösen und die Guten bekämpfen den Terrorismus. Politisch ist gegen eine solche Verwendung nichts einzuwenden. Nur sind dann eben die Unterdrückerstaaten, die Kolonialherren, die Barbaren mit Bomben die wahren Terroristen – und nicht jene Organisationen, die gegen diese Unterdrückung Widerstand leisten! Daher ist auch die Designierung von Hamas als „terroristische Organisation“ eine rein politische Entscheidung, hinter der die bedingungslose Unterstützung der EU und des Westens für den israelischen Apartheidstaat steckt. Sie ist nicht durch Fakten gedeckt, sondern eine pro-israelischer Hilfsdienst.

 

Natürlich vertrete ich als Marxist eine andere Weltanschauung als Hamas, eine Organisation, die ich als kleinbürgerlich-islamistisch einschätze. Dessen ungeachtet ist es aber eine Tatsache, daß Hamas eine führende Rolle im Widerstand des palästinensischen Volkes spielt – einem gerechten Befreiungskampf, den ich unterstütze. Die politische Bezeichnung von Hamas als „terroristisch“ ist daher abzulehnen.

 

 

 

Die „terroristischen Verbrechen“ der Hamas … und die Israels?

 

 

 

Die Urteilsbegründung spricht fortwährend von den terroristischen Verbrechen der Hamas. „Die Konstatierungen zur Hamas als Terrororganisation sowie zum von dieser verübten Terroranschlag sind solche allbekannter, sohin notorischer Tatsachen, an denen vernünftigerweise niemand zweifeln kann. Als solche sind diese Tatsachen nicht beweisbedürftig.“ (Die notorischen Grammatikfehler sind aus dem Original.) Das ist natürlich sehr praktisch, wenn ein Argument keines Beweises bedarf! Nur ist es dann eben ein notorisch schwaches Argument.

 

Da kann man dann auch ungestraft die Gruselmärchen von den angeblichen massenhaften Vergewaltigung durch Hamas-Kämpfer wiederholen, wie es der Urteilstext tut. Auch hier ignoriert das Gericht die Tatsache, daß diese Behauptungen längst diskreditiert und widerlegt sind, sprich, daß sie eine notorische Lüge sind. [7]

 

Das Gericht ignoriert auch die Tatsache, daß eine Reihe von Gewalttaten gegen israelische Zivilisten nicht von Hamas-Kämpfern ausgeübt wurde, sondern von nachströmenden, ausgemergelten Individuen (darunter sicherlich auch Kriminellen), die das „größte Freiluftgefängnis der Welt“ (wie der britische Premierminister David Cameron einst Gaza bezeichnete) erstmals nach fast zwei Jahrzehnten verlassen konnten und ihrer Verbitterung freien Lauf ließen. [8]

 

Ebenso läßt es das Gericht unerwähnt, daß eine Anzahl israelischer Zivilisten am 7. Oktober nicht durch Palästinenser, sondern durch die eigene Armee getötet worden sind. Dabei haben, wie ich an anderer Stelle zeigte, die israelische Truppen die sogenannte Hannibal-Direktive angewendet. Laut dieser Direktive muß die israelische Armee alles in ihrer Macht Stehende tun, um israelische Gefangene zu töten, wenn sie diese nicht unmittelbar befreien kann. Genau dies passierte am 7. Oktober, wie Haaretz – eine der größten israelischen Tageszeitungen – unter Berufung auf einen internen Armeebericht bekanntgab. Auch wenn die genaue Anzahl der auf diese Weise getöteten Israelis nicht bekannt ist (und Israel natürlich kein Interesse hat, daß dies publik wird), so kann man aufgrund der verheerenden Wirkung des israelischen Hi-Tech-Waffenarsenals doch von einer höheren Anzahl ausgehen. [9]

 

Am wichtigsten ist jedoch das simple Faktum, daß wenn das Gericht die „Terrortaten“ der Hamas am 7. Oktober als „notorische Tatsache“ bezeichnet, warum bezeichnet es nicht auch die systematischen, sich fast ein Jahr lang hinziehenden israelischen Kriegsverbrechen im Gaza (ganz abgesehen von den unzähligen Verbrechen Israels in all den Kriegen davor seit der der großen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung in der Nakba 1948/49) ebenfalls als solch „notorische Tatsache“?!

 

Rufen wir uns noch einmal das Urteil gegen mich in Erinnerung. Das Gericht sagt: „Er (d.h. Michael Pröbsting, Ed) hat hiedurch (sic!) in Medien eine Tat begangen, in welcher er den terroristischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober.2023 gegen den israelischen Staat und die dortige Zivilbevölkerung sowie Infrastruktur, somit terroristischen Straftaten (§ 278c Abs 1 Z 1 bis Z 9 und Z 10 StGB) in einer Art gutgeheißen, die geeignet war, die Gefahr der Begehung einer oder mehrerer solcher Straftaten herbeizuführen.

 

Prägen wir uns diese Definition der „terroristischen Straftaten“ ein: ein „terroristischer Angriff gegen den israelischen Staat und die dortige Zivilbevölkerung sowie Infrastruktur“. Ersetzen wir nun das Wort „Israel“ durch „Palästina“ bzw. „Gaza“. Müßte man laut dieser Definition nicht Israel ebenso des „Terrorismus“ bezichtigen?! Israel hat Gaza, das offiziell Teil des Staates Palästina ist (der von der Mehrheit der Staaten weltweit anerkannt wird – wenn auch nicht vom Westen), seit 2007 systematisch blockiert und bombardiert. Israel lies viele lebensnotwendige Materialien nicht in die Enklave, unterband jeglichen Kontakt mit der Außenwelt mittels Luft- oder Schiffahrt, führte vier brutale Kriege mit tausenden Toten (2008/09, 20212, 2014, 2021) und verübt gegenwärtig einen „plausiblen Genozid“ (Internationaler Gerichtshof) gegen die Zivilbevölkerung (inklusive systematischer Folterungen und Vergewaltigungen). [10] Doch das Gericht verliert kein einziges Wort darüber in seinem Urteil. Noch wurde in Österreich auch nur ein einziges Mal ein pro-israelischer Aktivist wegen „Unterstützung bzw. Gutheißung des Terrorismus“ angeklagt. Einmal mehr sehen wir die extrem einseitige Vorgangsweise der österreichischen Justiz.

 

Nun könnten Verteidiger des Gerichts einwenden, daß das Gerichtsurteil eben deswegen nichts über Israels Verbrechen sagt, weil es da ja um eine pro-palästinensische Straftat gehen würde. Abgesehen davon, daß dies absurd ist – man kann den 7. Oktober wohl kaum ohne die vielen Kriege und Vertreibungen davor verstehen – trifft eine solche Behauptung auch gar nicht zu. Die schriftliche Urteilsbegründung äußert sich sehr wohl über das Vorgehen Israels – nur eben ganz anders. Hier der Wortlaut:

 

Nachdem die IDF die aus dem Gazastreifen eingedrungenen Terroristen bekämpft und vom Staatsgebiet Israels vertrieben hatte, eröffneten sie in der Nacht vom 27./28. Oktober 2023 mit der Bodenoffensive die zweite Phase der Militäroperation „Eiserne Schwerter“. Seither gibt es massive Kritik an Art und Ausmaß der seitens Israels ergriffenen Verteidigungs- und Vergeltungsmaßnahmen bis hin zum Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch auf israelischer Seite.

 

Welch unterschiedliche Wortwahl. Hier – die „Terroristen“ verüben eine „Terrorangriff“; dort – Israel beginnt eine „Bodenoffensive“ und „Militäroperation“. Hier – der „Terrorismus“; dort – „Israels Verteidigungs- und Vergeltungsmaßnahmen“. Hier - die „notorischen Tatsachen“ die „nicht beweisbedürftig“ sind; dort – „es gibt Kritik und Vorwürfe“ (also Behauptungen, die stimmen oder auch nicht stimmen können).

 

Alleine diese völlig entgegengesetzte Wortwahl bei Taten von Hamas, die 1.175 Menschenleben kosteten (wovon zumindest 1/3 Militärs waren) und den Taten Israels, die mindestens 40,000 Menschenleben kosteten (wovon 2/3 Frauen, Kinder und Ältere sind), zeigt deutlich, wie sehr die österreichische Justiz die Welt mit israelischen Brillen betrachtet.

 

 

 

Die demagogische Behauptung vom „größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust“

 

 

 

Ein weiteres Zeichen der einseitigen pro-israelischen Voreingenommenheit ist auch folgende Aussage der Urteilsbegründung: „Bei den während des Terrorangriffs der Hamas 2023 begangenen Morden handelt es sich um den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust.

 

Dies ist eine Paradebeispiel für eine Holocaust-Verharmlosung, wenn der Tod von weniger als 800 israelischen Zivilisten mit dem Massenmord an 6 Millionen Juden in Verbindung gesetzt wird! Aber den Freunden Israels ist eben kein demagogischer Trick zu billig!

 

Abgesehen davon zeigt diese Zahl in Wirklichkeit auf, daß Israel – dank jahrzehntelanger und schrankenloser finanzieller und militärischer Unterstützung durch die USA – zahlreiche Kriege führen konnte, ohne dabei große Verluste erlitten zu haben (1948/49, 1956, 1967, 1973, 1982, 2006, 2008/09, 2012, 2014, 2021 – ganz zu schweigen von den kleineren militärischen Konflikten und der Besetzung des Südlibanons von 1982 bis 2000).

 

Viel wichtiger ist jedoch wiederum die extreme, ja schon zynische Einseitigkeit der zitierten Aussage. Warum sagt das Gericht nicht: „Bei den während des israelischen Terrorangriffs auf Gaza begangenen Morden handelt es sich um den größten Massenmord an Palästinenser seit dem Holocaust“?! Oder: „Bei den während des israelischen Terrorangriffs auf Gaza begangenen Morden handelt es sich um den größten Massenmord an Palästinensern seit der Nakba“?! Oder „Bei den während des israelischen Terrorangriffs auf Gaza begangenen Morden handelt es sich um einen der größten Völkermorde der jüngeren Geschichte“?!

 

Die Antwort liegt auf der Hand. Für das pro-israelische Gericht ist der Mord an mehreren hundert israelischen Zivilisten viel schlimmer als der Mord an zehntausenden Palästinensern. Ein israelisches und ein palästinensisches Menschenleben sind eben nicht gleich viel wert. Wir sehen also einen vulgären Rassismus in Juristensprache verkleidet.

 

 

 

Zwei besonders hervorstechende Absonderlichkeiten

 

 

 

Bevor ich zum Schlußteil dieses Artikels komme, möchte ich noch auf zwei Absonderlichkeiten hinweisen, die sinnbildlich sind für das gegen mich ausgesprochene Urteil. So liest man in der Urteilsbegründung: „Am 7. Oktober 2023 kam es in Wien unmittelbar nach dem ersten Bekanntwerden des Angriffes von palästinensischer Seite gegen Israel spontan zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Stephansdom für die Palästinenser, welche zumindest von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr andauerte und von zumindest 30 bis 40 Personen besucht war. Ihm Rahmen derselben ließ sich der Angeklagte gegen 11.00 Uhr filmen.

 

Dies ist natürlich eine falsche Behauptung. In Wirklichkeit gab es am 7. Oktober keine Solidaritätskundgebung für die Palästinenser und schon gar keine bei der ich anwesend war. Die Kundgebung, an der ich teilnahm (und bei der ich die inkriminierte Videobotschaft machte), war eine Fotoausstellung über die Greueltaten des Assad-Regimes und sie war auch nicht spontan, sondern wurde Wochen zuvor bei der Polizei angemeldet. [11]

 

Warum behauptet das Gericht einen solchen Unsinn? Weil es dadurch besser das Bild von mir als einen „Hamas-Sympathisanten“ kreieren kann, der spontan am 7. Oktober zu einer Jubelkundgebung gehen würde.

 

Diese Methoden sind nicht neu. Schon bei der Anklage, die zu meinem Prozeß führte, verfälschte die Staatsanwaltschaft meine Worte. Während ich in dem Video vom „zionistischen Staat“ sprach, machte die Staatsanwaltschaft daraus den „satanistischen Staat“. Und während ich auf die „brutale Unterdrückung durch den israelischen Apartheidsstaat“ hinwies, machte die Staatsanwaltschaft daraus eine „globale Unterdrückung durch Israelis“ – also eine Art jüdische Weltverschwörung.

 

Noch ein weiteres Beispiel der eigenartigen Argumentation durch das Gericht. „Aufgrund dieser Solidarisierung mit den Terroristen der Hamas – noch dazu in weltweit verständlicher englischer Sprache – besteht auch eine Eignung dieser Veröffentlichungen, durch solidarische Unterstützung der Terroristen diese zu weiteren derartigen Terrortaten zu motivieren und zu bewegen.

 

Wie soll man sich das vorstellen? Ich ermutige durch meine 100-Sekundenlange Videobotschaft die Hamas-Führung zur Wiederholung des 7. Oktobers?! Oder, Hamas-Führer Sinwar schaut sich in seinem Bunker mein Video an und denkt sich: „Hatte ich zwar nicht vor, aber eigentlich hat der Pröbsting recht, wir sollten noch einen Angriff auf Israel starten!“?

 

Aber ein Gericht, daß verzweifelt nach Argumenten zur Rechtfertigung seines Urteils sucht, darf eben nicht wählerisch in der Wahl seiner Waffen sein!

 

 

 

Eine Reihe einseitig pro-israelischer Fehlurteile

 

 

 

Das einseitig pro-israelischer Fehlurteil gegen mich ist kein Einzelfall. Es reiht sich ein in eine Serie ähnlich motivierter Repressalien gegen die Pro-Palästina-Bewegung. Ich erinnere an die polizeiliche Untersagung bzw. Auflösung mehrerer Kundgebung in den letzten 11 Monaten, einer bedingten Haftstrafe gegen eine Medizinstudentin wegen eines Facebook-Eintrages zum 7. Oktober, ein ähnliches Urteil gegen einen Salzburger, weil er die Taten der Zionisten mit jenen der Nazis verglich oder die Anklage von Innsbrucker Aktivisten, weil sie die Losung „from the River to the Sea“ riefen.

 

Woher kommt das? Meine Überzeugungen sind nicht neu – die Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes (auch in seiner bewaffneten Form), die Ablehnung des zionistischen Apartheidstaates und das Eintreten für das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und die Schaffung eines demokratischen, palästinensischen Staates vom Jordanfluß bis zum Mittelmeer (mit gleichen kulturellen und religiösen Rechten für die jüdische Minderheitsbevölkerung). Ich vertrete diese Standpunkte öffentlich seit mehr als vier Jahrzehnten (wie auch viele andere Solidaritätsaktivisten). In all diesen Jahrzehnten stand ich deswegen kein einziges Mal vor Gericht. Auch die Losung „from the River to the Sea“ war bisher noch nie Gegenstand irgendwelcher Gerichtsverfahren. Warum also jetzt?

 

Nun, nicht ich habe mich geändert, sondern der österreichische Staat. Die politische Elite hat den 7. Oktober als Vorwand genommen für eine Wende hin zur radikal pro-israelischen Position und hin zu noch nie dagewesenen Angriffen auf demokratische Meinungsfreiheit (auch wenn diese Entwicklung schon in den Jahren davor begonnen hat). Vieles ändert sich jetzt schlagartig. Es ist sinnbildlich, daß Österreich zu der winzig kleinen Minderheit an Staaten (mit Israel und den USA an der Spitze) gehört, die bei der UNO-Generalversammlung zweimal einen Waffenstillstand im Gaza ablehnten. Mit anderen Worten, die politische Elite Österreich hat sich in das pro-israelische extremistische Lager begeben.

 

Das kürzlich verhängte und zuvor erwähnte Urteil gegen einen Salzburger ist dafür besonders sinnbildlich. Wie gesagt, hatte dieser die Verbrechen der Zionisten mit jenen der Nazis verglichen. Zuerst einmal gilt es festzuhalten, daß – unabhängig davon, ob man mit diesem Vergleich übereinstimmt oder nicht – dies wohl kaum ein Grund für eine strafrechtliche Verfolgung ist! Eine empörende Unterdrückung grundlegender demokratischer Rechte!

 

Aber dieses Urteil ist auch in anderer Hinsicht skandalös und entlarvend. Wie sich sicherlich noch jede und jeder erinnern kann, ist es nur wenige Monate her, daß zahlreiche Politiker und Journalisten Hamas als Nazis bezeichneten. Viele fanatische Israel-Freunde tun das auch heute noch. Aber kein einziger von denen wurde deswegen von einem österreichischen Gericht belangt! Wiederum sehen wir die extreme pro-israelische Einseitigkeit der Justiz. Ein Vergleich von Hamas, die laut israelischen Angaben am 7. Oktober 796 Zivilisten töteten, mit Nazis gehört zum offiziellen Sprachgebrauch in Österreich. Ein Vergleich des zionistischen Staates, der bislang mindestens 40,000 Palästinenser tötete (wovon 2/3 Frauen, Kinder und Ältere sind), mit Nazis führt dich dagegen vor Gericht! So ist das im pro-israelischen Staat Österreich!

 

Wir sehen, die angebliche Objektivität der Justiz ist eine Farce. In Wirklichkeit erleben wir eine pro-israelische Rechtsprechung! Das Ergebnis sind Schandurteile – in meinem wie auch in anderen Fällen!

 

 

 



[1] Siehe dazu Skandalurteil gegen Palästina-Aktivist Michael Pröbsting: Kabinettsjustiz droht. Bericht vom 2. Prozess am 21. August, 21. August 2024, https://www.thecommunists.net/rcit/rcit-activities-in-2024-part-3/#anker_9; Interview zum Prozess gegen Michael Pröbsting im arabischen Nachrichtensender INFOGRAT, 23. August 2024, https://www.thecommunists.net/rcit/rcit-activities-in-2024-part-3/#anker_15

[2] Solidarität mit Palästina ist kein Verbrechen! Stellungnahme von Michael Pröbsting zu seinem bevorstehenden Gerichtsprozeß, 16. April 2024, https://www.thecommunists.net/rcit/petition-no-to-criminal-complaint-against-pro-palestine-activist-michael-proebsting/#anker_21

[3] Siehe dazu z.B. die Stellungnahme der Rechtsanwältin Frau Dr. Astrid Wagner, https://www.youtube.com/watch?v=W4n7gWXdXO0

[4] Zahlreiche Artikel über die Lage und Schwierigkeiten, mit denen die Pro-Palästina-Bewegung in Österreich zu kämpfen hat, finden sich auf der Website der Palästina Solidarität Österreich, https://www.palaestinasolidaritaet.at.

[5] Siehe z.B. mein Interview mit Puls24 vom 16.10.2023, https://www.youtube.com/watch?v=X0svL1cjWnY; siehe ebenso das Kapitel “Marxism, Hamas and the defeat of Israel” in: Gaza Uprising: Another Turning Point in the World Situation, 11 October 2023, https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/gaza-war-and-consequences-for-world-situation/.

[7] Siehe dazu z.B. The New Arab: Dozens of journalism professors urge NYT to revise Oct. 7 sexual violence report. A letter from 60 journalism professors called for independent review of a now-infamous NYT article featuring unverified reports of Hamas rape of Israeli women, 30 April, 2024, https://www.newarab.com/news/dozens-professors-urge-nyt-revise-hamas-rape-report; Ali Abunimah: Israeli rights group admits it helped spread false claims about 7 Oct. rapes, 19 May 2024, https://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/israeli-rights-group-admits-it-helped-spread-false-claims-about-7-oct-rapes; Jeremy Scahill, Ryan Grim, Daniel Boguslaw: “Between the Hammer and the Anvil”. The Story Behind the New York Times October 7 Exposé, February 28 2024, https://theintercept.com/2024/02/28/new-york-times-anat-schwartz-october-7/; Sara Rahnama: Hamas 'mass rape': How Israel weaponises fear of Muslim men to fuel violence in Gaza. Tropes linking Muslim men to monstrous violence, including sexual crimes, speak to longstanding Islamophobic fears and explain why many believed the claims without evidence, 19 January 2024 https://www.middleeasteye.net/opinion/hamas-israel-mass-rape-weaponises-fear-muslim-men-violence-gaza; Juan Cole: UN Human Rights Experts Blast Israel over “credible” Reports of Rape, Sexual Abuse, Arbitrary Imprisonment of Palestinian Women, 21.02.2024, https://www.juancole.com/2024/02/arbitrary-imprisonment-palestinian.html; Arun Gupta: Israel has manufactured an industrial-scale version of Jim Crow rape hoaxes, 3 July 2024, https://www.middleeastmonitor.com/20240703-israel-has-manufactured-an-industrial-scale-version-of-jim-crow-rape-hoaxes/; Max Blumenthal: Scandal-stained Israeli ‘rescue’ group fuels October 7 fabrications, 6·December 2023, https://thegrayzone.com/2023/12/06/scandal-israeli-october-7-fabrications/; siehe auch die Artikelsammlung unter https://electronicintifada.net/tags/mass-rape-accusation.

[8] Siehe dazu z.B. Michael Pröbsting: Gaza-Krieg: Eine israelisch-deutsche „Untersuchung“ des 7. Oktobers, 18. Juli 2024, https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/gaza-war-an-israeli-german-investigation-about-7-october/#anker_3

[9] Siehe dazu meinen Artikel: Israelische Medien bestätigen, dass Soldaten am 7. Oktober den Befehl erhielten, ihre eigenen Leute zu töten, 8. Juli 2024, https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/haaretz-confirms-hannibal-doctrine-on-7-october/#anker_1

[10] Siehe dazu z.B. Amnesty International: Israel’s Apartheid against Palestinians, Februar 2022, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2022/02/MDE1551412022ENGLISH.pdf; UN: Gaza Ten Years Later United Nations Country Team in the occupied Palestinian territory, July 2017, https://www.un.org/unispal/document/gaza-ten-years-later-un-country-team-in-the-occupied-palestinian-territory-report/; Francesca Albanese: Human Rights situation in Palestine and other occupied Arab territories, Report for the UN Human Rights Council, 9 June 2023, https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session53/advance-versions/A_HRC_53_59_AdvanceUneditedVersion.pdf

[11] Siehe: Syrien: Kundgebung und Fotoausstellung über die Greueltaten des Assad-Regimes. Bericht (mit Fotos und Videos) von einer Kundgebung in Wien am 7. und 8. Oktober 2023, https://www.thecommunists.net/rcit/rcit-interventions-at-rallies-in-2023-part-2/#anker_5