Offizielle Ankündigung, dass China zweitgrößter Anleihenmarkt der Welt wurde
Von Michael Pröbsting, Internationaler Sekretär der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT), 3. Juli 2019, www.thecommunists.net
Xinhua, Chinas staatliche Nachrichtenagentur, hat kürzlich eine interessante Ankündigung veröffentlicht. Unter Bezugnahme auf Informationen der Shanghai Clearing House und der China Central Depository & Clearing Co berichtete die Agentur, dass "China nach den Vereinigten Staaten zum zweitgrößten Anleihemarkt der Welt geworden ist". Der Artikel stellt voller Enthusiasmus fest, dass das Vertrauen der globalen Finanzelite in den chinesischen Markt so stark zugenommen hat, dass ausländische Institute darauf mit umfangreichen Investitionen in chinesische Finanzanlagen reagiert haben. [1]
Während Chinas herrschende Klasse diese Entwicklung als gute Nachricht begrüßt hat, ergibt sich daraus für die zahlreichen Cheerleader im stalinistischen und Castro-Chavista-Lager einen deutlicher, damit verbundener Nachteil. Wie wir in unserem kürzlich veröffentlichten Buch über die Rivalität der Großmacht belegt haben, haben es sich diese Pseudosozialisten seit vielen Jahren zur Gewohnheit gemacht, die Phrasen des chinesischen "Sozialismus" nachzuplappern. Wir Trotzkisten wurden wiederholt als "CIA-Agenten" und "imperialistische Provokateure" angegriffen, weil wir den "sozialistischen" Charakter der chinesischen Wirtschaft immer abgelehnt und stattdessen ihren kapitalistischen Charakter betont haben.
Als wir unsere Analyse des chinesischen Kapitalismus mit unleugbaren Daten unterstützten, leugneten diese Peking-Pudel sie einfach als "kapitalistische" oder "trotzkistische" Propaganda. Leider ist die maßgebliche Quelle jetzt weder ein trotzkistischer noch ein westlicher Think Tank, die das kapitalistische Wesen Chinas behauptet, sondern die chinesischen "kommunistischen" Behörden selbst. Und dieses „Eingeständnis“ ist kein Akt der Reue, sondern ein Ausdruck ihres Stolzes.
Wir fragen die stalinistischen Freunde Chinas: Wie kann ein angeblich "kommunistisches" Regime den zweitgrößten Anleihenmarkt der Welt schaffen, der enorme Möglichkeiten bietet, Gewinne für chinesische und andere Finanzhaie zu erzielen?! Außerdem, wie kann eine sozialistische Institution sich stolz mit einer solchen "Leistung" brüsten?
Diese Information über die Erfolge Chinas auf den Finanzmärkten ist für Marxisten nicht besonders überraschend. Die RCIT hat in zahlreichen Artikeln, Studien und Büchern gezeigt, dass China Anfang der 1990er Jahre zu einem kapitalistischen Staat geworden ist und in jüngster Zeit in die Reihe der imperialistischen Großmächte eintrat. [3] Wir haben gezeigt, dass hinter dem Vorhang der "sozialistischen" Rhetorik in den offiziellen Medien die Realität der kapitalistischen Ausbeutung steckt. Chinas Banken und Industrie - sowohl private als auch staatliche - arbeiten nach dem kapitalistischen Wertgesetz. [4] Die kapitalistischen Eigentumsbeziehungen in China sind so weit fortgeschritten, dass das Land zu einer weltweit führenden Kraft in Bezug auf kapitalistische Werteproduktion, Kapitalexport, Militärausgaben, seinen Anteil an der globalen Schicht der Milliardäre, sein Projekt der Belt & Road Initiative, seine zunehmende Dominanz in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern usw. geworden ist. [5]
Kurz gesagt, unsere Analyse von China hat sich im Laufe der Zeit bewährt. Sie wurde bestätigt. Im Gegensatz dazu sind die stalinistischen und Castro-Chavista-Cheerleader für Peking gezwungen, ihre Köpfe noch tiefer in den Sand zu stecken, um eine Realität zu ignorieren und zu leugnen, die für alle sichtbar ist!
Dies sind nicht nur theoretische Unterschiede, sondern haben große Auswirkungen auf die Positionierung jeder politischen Kraft im internationalen Klassenkampf. Während die RCIT die Kämpfe der chinesischen Arbeiter und Jugendlichen gegen das Regime bedingungslos unterstützt (wie z.B. die aktuellen Massenproteste gegen das Auslieferungsgesetz in Hongkong), verurteilen die Stalinisten diese lautstark als "Gewalt des Pöbels". Während wir Marxisten uns in wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Konflikten gleichermaßen gegen alle imperialistischen Großmächten (den USA, China, der EU, Russland und Japan) stellen - der gegenwärtige globale Handelskrieg ist ein konkretes Beispiel dafür -, unterstützen die sozial-imperialistischen Freunde von Peking und Moskau diese gegen ihre westlichen Rivalen. [7]
Infolgedessen stehen wir erneut vor den beiden Grundwahrheiten, die von jeder Marxistin und jedem Marxisten berücksichtigt werden müssen. Erstens darf man sich nicht von den Begriffen täuschen lassen, mit denen sich diese oder jene politische Kraft selber schmückt. Es hat keine Bedeutung, ob sich eine Organisation formell unter einem Zirkuszelt versammelt, das sie als "Marxismus", "Kommunismus" oder gar "Trotzkismus" bezeichnen. Was zählt, sind die konkreten theoretischen und praktischen Positionen, die eine solche Kraft im globalen Klassenkampf einnimmt. Nur durch das Studium dieser Positionen und der damit verbundenen Konsequenzen lässt sich genau beurteilen, ob diese Organisation wirklich dem Marxismus folgt oder ob sie nicht vielmehr ein Feind des Marxismus ist, der dem einen oder anderen Teil der Bourgeoisie dient.
Zweitens zeigt die Analyse des chinesischen Klassencharakters, dass solche theoretischen Unterschiede dazu führen, dass die jeweiligen politischen Organisationen in der Praxis Positionen auf entgegengesetzten Seiten der Barrikade einnehmen.
Alle Marxisten müssen diese Lehren verinnerlichen und von diesen Erfahrungen lernen um sich für die vor uns liegenden Klassenkämpfe und Konflikte zwischen den Großmächten vorzubereiten.
Fußnoten
[1] Xinhua: China becomes world's second largest bond market, 2019/6/29, http://www.globaltimes.cn/content/1156182.shtml
[2] Siehe dazu insbesondere Kapitel “VIII. Revisionist Whitewashing: Stalinist and Bolivarian Admirers of Beijing’s “Socialism”” in Michael Pröbsting: Anti-Imperialism in the Age of Great Power Rivalry. The Factors behind the Accelerating Rivalry between the U.S., China, Russia, EU and Japan. A Critique of the Left’s Analysis and an Outline of the Marxist Perspective, RCIT Books, January 2019, https://www.thecommunists.net/theory/anti-imperialism-in-the-age-of-great-power-rivalry/
[3] Unsere Dokumente, die den chinesischen Kapitalismus und seinen Aufstieg zu einer neuen imperialistischen Großmacht im Detail analysieren, sind in einem speziellen Abschnitt auf unserer Website gesammelt: https://www.thecommunists.net/theory/china-russia-as-imperialist-powers/. Alle Publikationen können dort online gelesen und kostenlos heruntergeladen werden.
[4] Für unsere Analyse der kapitalistischen Restauration in China verweisen wir die Leser insbesondere auf eine umfangreiche Studie von Michael Pröbsting: China‘s transformation into an imperialist power. A study of the economic, political and military aspects of China as a Great Power, in: Revolutionary Communism No. 4 (2012), http://www.thecommunists.net/publications/revcom-number-4.
[5] Zur aktuellen Entwicklung Chinas als imperialistische Großmacht und Herausforderer der US-Hegemonie, siehe z.B. unser kürzlich erschienenes und oben angeführte Buch von Michael Pröbsting: Anti-Imperialism in the Age of Great Power Rivalry.
[6] Siehe z.B. RCIT: China: Massenproteste gegen reaktionäres "Auslieferungsgesetz" in Hongkong. Für einen unbefristeten Generalstreik, um die Gesetzesvorlage zu stoppen und die Verwaltung von Carrie Lam zu Fall zu bringen! 18. Juni 2019, https://www.thecommunists.net/home/deutsch/china-massenproteste-gegen-reaktion%C3%A4res-auslieferungsgesetz-in-hongkong/. Zur Verunglimpfung der Massenproteste in Hongkong durch Peking siehe z.B. die Stellungnahme seines englisch-sprachigen Zentralorgans "Global Times": Say no to mob violence and reclaim order in HK society, 2019/7/2 http://www.globaltimes.cn/content/1156439.shtml.
[7] Siehe dazu, zusätzlich zu dem oben erwähnten neuen Buch über Großmachtrivalität: RCIT: Theses on Revolutionary Defeatism in Imperialist States. Resolution of the International Executive Committee of the Revolutionary Communist International Tendency (RCIT), 8 September 2018, https://www.thecommunists.net/theory/theses-on-revolutionary-defeatism-in-imperialist-states/; RCIT: Globaler Handelskrieg: Nein zum Hurra-Patriotismus der Großmächte in West und Ost! Weder imperialistische Globalisierung noch imperialistischer Protektionismus! Für internationale Solidarität und gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker! 4. Juli 2018, https://www.thecommunists.net/home/deutsch/gemeinsame-stellungnahme-zum-drohenden-globalen-handelskrieg/